Lesezeit: 7 Minuten
Undaunted: Stalingrad habe ich lange Zeit komplett abgelehnt. Wollt ihr wissen, warum? Springt einfach nach der Rezension in die Kommentare. Dort habe ich meine Überlegungen ausgeführt. Zurück zum Start. Undaunted packte mich aus der Ferne nie so richtig. Erst als ist Undaunted: 2200 Callisto gespielt habe, hat ein Funken gezündet. Und schon mein geliebter Bruce Springsteen hat gesungen „You can’t start a fire without a spark“. Jetzt sitze ich hier mit Alex am Tisch. Seine Panzer rollen gnadenlos auf mich zu. Er visiert meine Panzerabwehrstellung an. Der Beschuss zwischen der zerstörten Schule Nr.6 am Platz des 9. Januar geht daneben und ich atme innerlich auf. Meine Hände schweißnass. Ich kann mein Artilleriefeuer auf die Panzer zünden und verlangsame in diesem Zug ihren Vormarsch. Doch gelingt es mir auch im nächsten? Und warum bin ich so gepackt von diesem Spiel?

Kurzcheck: Darum geht es in Undaunted: Stalingrad

Undaunted: Stalingrad ist nach den Titeln Normandie und Nordafrika der dritte Teil des Zwei-Personen Spiels. Euch erwartet laut Anleitung ein zermürbender Kampf auf einem der wichtigsten Schlachtfelder des 2. Weltkriegs. Das gewohnte Prinzip des Deckbuildings wurde nicht angetastet. Anders als die beiden Vorgängertitel, die ich nicht gespielt habe, ist Undaunted: Stalingrad ein Kampagnenspiel, das über verschiedene Szenarien gespielt wird. Diese haben ab der ersten Minute eine packende Hintergrundgeschichte, jede Entscheidung in einer Partie wirkt sich auf das eigene Deck und auf das modulare Spielfeld aus und die Storyline verändert sich dabei in Abhängigkeit des Spielgeschehens. Die Kampagne entwickelt sich einzigartig, kann aber am Ende völlig zurückgesetzt werden. Aber am besten am Ende, denn eines sollte ganz klar sein: Undaunted: Stalingrad wird mit einer festen Besetzung von Anfang bis Ende gespielt.

Szenarienhefte für die beteiligten Fraktionen

Zu Beginn

Das Szenario wird aufgebaut. Da Alex in der letzten Schlacht knapp verloren hat, zieht er sich zurück. Und wie. Er verschanzt sich mit seinen zwei Truppen in der hintersten Ecke der Map und bekommt einen fiesen Scharfschützen in einer gesicherten Stellung. Meine Aufgabe: Vorrücken und Wegpunkte halten. Einfacher gesagt als getan. Die Wegpunkte, die ich erkunden und einnehmen soll, liegen in einer Schneise zu dem Scharfschützen. Ich analysiere das Gelände. Die Häuser geben mir mächtige Deckung, sind aber schwer zu erreichen. Dazwischen immer freies Feld, in dem ein krachender Schuss meinen Vormarsch und meine Mission brutal gefährden könnte. Ich schaue auf Handkarten und meine Planung beginnt.

Der Wahnsinn aus vier Karten

Zu Beginn meines Zuges ziehe ich vier Karten. Eine Karte spiele ich zu Beginn verdeckt aus, um die Initiative zu bestimmen. Die Initiative ist ein unfassbarer Spielkniff und spielentscheidend für die Schlacht. Die mächtigen Karten mit ihren starken Aktionen haben hohe Nummern und sichern mir meistens die Initiative. Eine Unklare Lage hat in der Initiative keine Relevanz, da ihr Wert null ist.

Das Problem: Spiele ich mächtige Karten für meine Initiative aus, steht mir diese mächtige Karte nicht in meinem Aktionszug zur Verfügung. Eine Unklare Lage hat in der Initiative keine Relevanz, da ihr Wert null ist. Ich bin diese Karte los, habe aber meistens keine Initiative. Ich möchte Unklare Lagen aber loswerden, denn sie haben keine Aktion und müllen mir nur mein Deck zu. Und ich möchte gerne immer die Initiative haben. Was für ein Dilemma. So entwickelt sich die Wahl der Initiative bereits zu einem wahnsinnigen Mindgame mit Alex. Ich habe relativ gute Karten auf der Hand. Eine Unklare Lage, einen Schützen, einen Späher meiner Einheit A sowie einen Späher meiner Einheit B. Ich muss vorwärts und erkunden. Was tun?

Eine Auswahl an Karten. Oben links die Nummer für die Initiative.

Vortritt

Ich warte ab und spiele in der Initiativphase meine Unklare Lage. Geheim versteht sich. Als wir die Initiative aufdecken, kotze ich im Strahl. Alex grinst, denn er hat ebenfalls eine Unklare Lage gespielt. Da im vorher die Initiative gehörte, ändert sich nix, er hat aber billig seine Sch…Karte wegbekommen und kann seine drei Karten = drei Aktionen spielen. Sein Scharfschütze in der gesicherten Stellung feuert auf meinen Späher. Alex möchte meinen Vormarsch früh verhindern. Obwohl ich aktuell noch durch ein Gebäude geschützt bin, gelingt ihm ein Treffer und ich muss eine Karte aus meiner Hand abwerfen. Warum? Er hat meinen Späher A angesagt. Hätte ich keine Karte auf der Hand, müsste ich erst im Abwurf- und anschließend im Zugstapel nachschauen. Ist an keiner Stelle eine Karte, flieht meine Einheit. Alex grinst ein zweites Mal, als ich die Karte aus der Hand abwerfe. Aus der Hand ist doppelt teuer, denn ich habe jetzt nur zwei Aktionen.

Trupp B hat sich im Gebäude verschanzt.

Finale

Ich mach es kurz. Ich spiele schlecht, mache Fehler, treffe falsche Entscheidungen und habe auch ein wenig Würfelpech. Ja, das gehört dazu. Je weiter Einheiten weg sind, je mehr Gebäudeschutz vorhanden ist und je weniger Würfel ich zur Verfügung habe, desto niedriger ist beim W10 die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein positives Ergebnis herbeiführe. Allerdings kann ich durch taktische Entscheidungen, durch geschicktes Vorrücken und Synergien meine Karten clever spielen. Ach ja, wir spielen einen Deckbuilder, bei dem der Markt und das Kartenmanagement ein enormes taktisches Element ist. Wer allerdings Würfelglück oder -pech nicht abhaben kann, für den ist Undaunted: Stalingrad vielleicht eine Qual. Alex und ich feiern jedoch jeden Würfelwurf mit ungefilterten Spielemotionen. Denn Alex Scharfschütze hat mit einer 10 meinen Späher ausgeschaltet. Das einzige gültige Ergebnis. Jubel und Verzweiflung sitzen bei diesem Spiel direkt gegenüber. In solchen Momenten erinnert Undaunted: Stalingrad sehr an meine epischen Schlachten in Star Wars Rebellion.

Abwechslung und Aufwertung

Aftercare

Das ich diese Schlacht verloren habe, müsste dem geübten Lesenden sofort klar geworden sein. 60 Minuten vollgepackt mit Bangen und Hoffen, schweißnasse Hände und jede Menge Tabletalk mit meiner inneren Stimme und mit Alex machen auch dieses Szenario zu einem epischen Erlebnis. Aber nach dem Spiel geht es mit eben dieser Erfahrung weiter. Verluste auf dem Spielfeld wirken sich negativ auf mein Deck aus. Auszeichnungen lassen meine Karten aufleveln. Zerschossene Gebäude verschwinden aus dem Spiel und werden natürlich nicht wieder aufgebaut.

Der Epilog nach dem Spiel führt regelmäßig zu einer Diskussion zwischen Alex und mir, die sich mit den Entscheidungen im Spiel befasst. Welche Situation war entscheidend über Sieg oder Niederlage? Welche Aktionen hat man falsch gespielt oder eingeschätzt? Wären anderen Taktiken möglich gewesen? Nun denn, es bleibt beim Konjunktiv, denn man hat keine Möglichkeit, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Das mit Alex ein gleichwertiger Gegenspieler am Tisch sitzt, potenziert die Erfahrung. Einzigartig.

Ausgezeichnete Karten und verletzte Einheiten

Abwechslung pur

Ich war am Anfang skeptisch, aber bereits unsere Einführungspartie war episch. Das erste Szenario wurde als Probepartie genutzt. Das würde ich jedem empfehlen. Auch wenn die Anleitung recht gut ist, sind es für Undaunted-Einsteiger viele neue Begriffe. Und leider – und das ist ein großes Manko des Spiels – sind keine Spielübersichten für die Spieler vorhanden. So ist der ständige Satz „Gib mir mal die Anleitung rüber“ auch nach dem fünften Szenario oder nach drei Wochen Pause der ständige Begleiter beim Spiel. Zu vielfältig sind die Aktionen und Möglichkeiten. Genauso wie die Szenarien. Wer hier denkt, es kommt spielerischer Einheitsbrei, der irrt gewaltig. Wenn auf einmal mitten in einem Szenario ein Flankendurchbruch stattfindet, die eingeschlagene Taktik über den Haufen gekloppt wird und man hektisch nach Lösungen oder Schadensbegrenzung sucht, dann ist man mitten in Undaunted: Stalingrad.

Die Szenarien werden entsprechend eines Codes und Bildern aufgebaut. Das dauert 15 Minuten.

Qualität

Die drei Wochen Pause zwischen zwei Partien tun dem Spiel übrigens keinen Abbruch. Denn alles ist logisch und durchdacht. Man hat immer einen Stapel mit aktuellen Geländeteilen, ausrangierten Karten und den neuen Karten, die ins Spiel kommen. Das Spielinlay ist dabei perfekt als Organizer konzipiert. Hat man das System nach der ersten Partie verstanden, geht es fluffig von der Hand, allerdings sollte man in der Spielvor- und Nachbereitung die Anweisungen exakt befolgen, 20 Minuten Zeit einplanen und nichts nebenbei machen. Dafür sind diese Phasen zu wichtig. Aprospos Zeit. Herrlich, wie Undaunted auch damit spielt. Schnelle, hektische und enge Partien wechseln sich mit epischen Schlachten ab. Nettospielzeit zwischen 60-120 Minuten inklusive. Aber zu keinem Zeitpunkt wird es langweilig. Im Gegenteil. Das Spiel mit seinen Möglichkeiten und strategischen Entscheidungen lässt mich tief eintauchen.

Fazit

Undaunted: Stalingrad ist ein Meisterwerk. Der als Kampagne angelegte Deckbuilder fesselt von der ersten Partie und lasst mich mit Herzrasen und feuchten Händen zurück. Und das nicht einmal, sondern immer und immer wieder. Selten habe ich ein Spiel so gefeiert wie Undaunted: Stalingrad. Alle etablierten Mechaniken des Spiels zünden wie eine Blendgranate gleißend hell. Das Spiel mit der Initiative ist eine Mindbattle und kann entscheidend beim Ausgang einer Partie sein, dazu die Tatsache, das liebgewonnene Karten durch Verluste einfach verschwinden und grandiose taktische Entscheidungen Karten aufleveln lassen. Hammer, vor allem wenn an bedenkt, dass das Ganze sehr fein skaliert und ausgewogen ist und man auch nach drei verlorenen Schlachten das Ruder rumreißen kann.

Materialqualität, Spielorganisation, die fraktionsspezifischen Storybücher und die Szenarien sind von einer herausragenden Qualität. Auch wenn der Preis mit ca. 90€ kein Schnapper ist, ist das Preis/ Leistungsverhältnis episch. 15 Szenarien mit einer Spielzeit von ca. 90 Minuten pro Kampagne ist schon Benchmark. Vor allem weil das Spiel anschließend komplett zurückgesetzt werden kann und man mit der Gegenseite spielen könnte. Einziges Manko ist die fehlende Übersicht der Aktionen für die Spielenden. Wer sich mit dem Thema arrangieren kann und einen festen Spielpartner hat, dazu ein Faible für Deckbuilding und Kampagnen hat, der kommt an Undaunted: Stalingrad nicht vorbei.

 

 

Undaunted: Stalingrad Der Kampagnen Kracher
Spielinformationen
Genre: Deckbuilder | Personen: 2 | Alter: ab 10 Jahren | Dauer: 45 - 75 Minuten | Autor: Trevor Benjamin, David Thompson | Illustration: Roland MacDonald |
SPIELSPASS
10
MATERIAL
9.5
SPIELIDEE
8
Positive Aspekte
Epische Szenarien von Beginn an
Vielfältige taktische Möglichkeiten mit unterschiedlichen Aktionen
Sehr gutes Deckbuilding mit überschaubaren Karten
Tolle Organisation des Spielmaterials
Abwechslungsreich in der Gestaltung der Szenarien
Initiative in jeder Spielrunde entwickelt sich schnell zum Mindbattle und hat starke Auswirkungen auf das Spiel
Aufleveln und Verluste nach dem Spiel ist Teil des Spiels
gute Skalierung der Schwierigkeit und Ausgeglichenheit
völliger Reset möglich
Negative Aspekte
Thema
keine Spielübersicht für die Spieler vorhanden
Es dauert ein paar Spiele, bis man mit der Organisation vertraut ist
Anleitung wird benötigt, um Aktionen nachzuschlagen
Verwaltungsaufwand ist vorhanden
9
Redakteur bei Brett & Pad | + Letzte Artikel

Brettspieler | Carromspieler | Viel-Spieler | Ran NFL süchtig | Weinliebhaber | Leseratte | | Brettspielsammler | MTB Fahrer | Sportler | Hobby-Koch | Kooperativ-muss häufiger-sein | Terraformer | Musikgenuss | Spotifyer | Familie | Fußballer |

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Disclaimer zum Spiel / Thema

    Auf den B-Rex Tagen 2024 durfte ich eine Runde Undaunted: Callisto spielen. Ähnlich wie Pfister mit Skymines / Mombasa verfahren ist, wurde bei Callisto das realistische Kriegsszenario ins Weltall verlagert. Weiter wurde ein Teammodus installiert, sodass Christian und ich aka. Brett & Pad gegen zwei Jungs des Ringboten eine epische Weltraumschlacht zelebrierten. Völlig begeistert erzählte ich Jan von der Brettspielerunde davon. Er lächelte müde und entgegnete nur trocken: „Dir gefällt es? Dann spiel mal Stalingrad.“

    Stalingrad – ein Synonym für eine der schrecklichsten Schlachten im 2ten Weltkrieg. Liest man sich in die historische Aufarbeitung und Beschreibung dieses Kriegsschauplatz ein, sieht man schnell am Ende die erschreckende Summe der gestorbenen Menschen. Abseits all der geografischen und militärischen Besonderheiten dieser Schlacht, bleibt sie das, was sie ist. Krieg. Kein Krieg ist gut. Meine Ablehnung zu Kriegsthemen habe ich schon bei A battle through History thematisiert. Hier ist das Setting noch greifbarer, historischer, präsenter, auch wenn ich persönlich einen zeitlichen Abstand habe. Trotzdem führte es dazu, dass ich mich während des Spiels mit Christian und der Historie Stalingrad weiter auseinandergesetzt habe.

    Da ich eine Rezension zu Undaunted: Stalingrad schreibe, zeigt dass meine Ablehnung des Kriegsthemas gegen meine Neugier auf das Spiel verloren hat. Darüber bin ich froh, denn ich habe nicht nur ein unfassbar gutes Spiel gespielt, sondern ich kann auch meine Kritik verbalisieren und meine Denkprozesse formulieren. Warum braucht es Stalingrad, die Normandie oder ein Nordafrika? Braucht es ein Dunkirk? Ein Black Hawk Down? Für mich schon, denn ich setze mich damit auseinander, verändere meinen Blickwinkel und recherchiere. Undaunted: Stalingrad kommt im ersten Absatz seiner Anleitung reißerisch und verherrlichend mit dem Thema um die Ecke. Das stört mich, weil dort kein kritisches Vorwort, kein Disclaimer oder eine historische Einordnung vollzogen wird. Daher setze ich mich eigenständig mit diesem Thema auseinander. Ich hätte vom Autor in der Einleitung zu dem Spiel eine kritische Perspektiven als Denkansatz oder Katalysator für solche Fragen gewünscht.

    Undaunted: Stalingrad hat zu einem unfassbar schönen Diskurs mit Christian geführt. Möchte sich jemand abseits des Spiel zum Thema äußern, ist dies in den Kommentaren möglich. Aber Achtung: Wir bieten dafür Raum. Keine Polemik, keine Cancel-Kultur, keine Hetze. Sondern wer möchte kann eine kritische Auseinandersetzung aus verschiedenen möglichen Blickwinkeln führen.

    Antworten
  • Dennis von BGT - Brettspiel Podcast
    30. Januar 2025 12:24

    Klingt super spannend, hattest ja schon am Ponyhof davon erzählt.
    Ich bin tatsächlich sehr abgeschreckt vom Thema. Callisto kommt bei uns hoffentlich im Frühjahr an. Hat mich in Merseburg tatsächlich auch mega überzeugt. Und eine Kampagne kann ich mir auch vorstellen. Bei Stalingrad kommt allerdings dazu, dass meine Ablehnung auf eine mindestens genau so große bei meiner Gruppe trifft. Daher werde ich das skippen und eher die verschiedenen Szenarien in Callisto durchzocken.
    Denn was du geschrieben hast, kann ich nur unterstützen. Die Dynamik am Tisch ist fantastisch. Es geht hin und her und provoziert Diskussionen im Anschluss

    Antworten

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