Aber was macht die denn? Sie entwickelt nur, gibt kein Geld aus und startet damit in der nächsten Runde vor mir. Konsterniert schaue ich zu, wie sie geschickt ihren Zug so plant, dass sie mir das Bier vor der Nase wegschnappt. Verdammt! Jetzt muss ich umplanen, aber wir sind fast am Spielende. Der Dritte im Bunde James Watt aka mein verschlagener Sohn hat gerade in Dudley (nicht der aus Harry Potter) eine Kohlefabrik errichtet und mischt jetzt auch wieder unter anderen Voraussetzungen mit. Wie werde ich diese Hürde meistern? Komm‘ ich noch an mein Bier?
Kurzcheck: Darum geht es in Brass: Birmingham
Die industrielle Revolution ist in ihren Startlöchern. Zu Beginn des Spiels erschließt du in der Kanalepoche über Kanäle (1770-1830) ein Netzwerk an Städten in den britischen West Midlands, du produziert Ressourcen (Kohle, Eisen und Bier) und handelst, um verschiedene Fabriken zu bauen, um so mehr Einkommen, Ressourcen und Siegpunkte zu ergattern. Hierbei spielst du Handkarten mit den entsprechenden Städten oder Gebäudearten aus. Pro Aktion im Spiel gibst du eine Karte ab, bis der Stapel an Nachziehkarten für alle Spieler (1-4) aufgebraucht ist und die Epoche endet.
Danach kommt der Clou. Die zweite Eisenbahnepoche mit dem technischen Fortschritt fegt alle deine Gebäude der Ausbaustufe I vom Spielbrett und lässt auch nicht mehr zu, dass du sie von deinem Spielertableau baust, du musst Gebäude nun weiterentwickeln, um an die der nächsten Stufe zu kommen. Puuhh, das kostet dich Geld. Zudem ist dein Transportnetzwerk in der zweiten Runde auf null, da die Kanäle nicht mehr genutzt werden und du nun anfangen musst, Schienen zu bauen.
Brass: Birmingham von GiantRoc ist ein Spiel mit wenig Downtime, indem du zwar deine Züge planst und über zwei Aktionen pro Runde versuchst Geld, Ressourcen, Transportwege oder Gebäude zu erhalten oder zu verkaufen, dabei aber stets deine Gegner im Auge halten muss. Was haben diese vor? Welche Listen und Taktiken führen sie aus?
WOW!
Autor Martin Wallace zog als Kind in die Nähe von Manchester und erlebte dort einen Kulturschock. Die Region gehörte eben nicht zu den wirtschaftlich blühenden in Nordengland. Öffnet man die Spielschachtel zu Brass: Birmingham wird dieser Eindruck aufgegriffen und man fühlt sich sofort in der industriellen Revolution. Die Figuren und ihre Hintergrundgeschichten sind historisch korrekt, ihr könnt das Spielbrett in einer dunklen Variante (mein Favorit) und einer hellen Variante (der Favorit der Rest Familie) spielen. Die dunkle Variante greift für mich das schmutzige Wesen der Zeit auf, hat brutal viel Atmosphäre und ich fühle mich als Arbeiter dieser Zeit. Das Spielermaterial ist hochwertig und leitet einen stimmungsvoll zum Spiel über. Es regnet draußen, dein Licht im Wohnzimmer ist gemütlich, der Tee dampft vor dir und du spürst, wie du den Handkarren durch den Dreck der Straßen in Birmingham ziehst.
Und dann geht es los…
Brass: Birmingham ist hart. Deine Spielzüge werden regelmäßig zerschossen, weil Wallace die Eigenarten der Epoche aufs Brett bringt. Alle produzieren für alle und den angeschlossenen Markt. Was heißt das für dich?
Nun, rechts neben dem Spielbrett, mit den vielen schönen Orten, befindet sich der Markt für Kohle und Eisen. Dort kannst du Ressourcen kaufen, je mehr Eisen oder Kohle da ist, desto billiger. Je weniger dort zur Verfügung steht, desto tiefer musst du in deinen Geldbeutel greifen. Freie Marktwirtschaft eben. Im Spiel erhältst du mehr Einkommen und Siegpunkte, wenn du Gebäude errichtest und diese dann verkaufst oder wenn die Ressourcen, die beim Errichten auf das Gebäude gelegt werden (Kohle und Eisen), verbraucht werden.
Beispiel gefällig?
Ressourcen sind eher knapp, also baust du eine Kohlefabrik. Auf diese Fabrik legst du drei Ressourcen Kohle. Ist am Markt Platz für Kohle, verkaufst du sofort an den Markt und erhältst entsprechendes Geld. Erst dann können die anderen Spieler auf diese Ressourcen zugreifen. Ist nun die letzte Kohle auf deinem Plättchen verbraucht, dann wird es umgedreht und gewertet.
Gebäude, die keine Ressourcen (z. B. Lagerhallen oder Töpfereien) produzieren, werden nach dem gleichen Muster gebaut, erzielen aber erst eine Wertung, wenn sie verkauft werden. Für das Verkaufen musst du ein Bier bezahlen und einen Transportweg zu diesem Markt haben. Ist dies passiert, wird es umgedreht und gewertet.
Sehr richtig. Erst wenn ein Plättchen umgedreht wird, kommt es in die Wertung. Und dass ist der nächste Kniff, der das Spiel haarig macht und knifflige Entscheidungen von dir verlangt. Nutzt du das Bier deiner MitspielerInnen für dich? Willst du ihm oder ihr damit eine Wertung ermöglichen? Wird es dir dann den Sieg kosten? Ihr könnt euch vorstellen was passiert: taktieren, abwägen, mithilfe von zwei Zügen den Gegner vor neue Situationen stellen.
Reich = gut? Jein.
Ein letzter, besonderer Punkt potenziert dieses Spielgefühl. Das Geld. Am Anfang ständig zu knapp, sodass man sich immer etwas von der Bank leihen muss, später ausreichend vorhanden, aber es wird auch einiges davon benötigt.
Setzt du in einer Runde viel Geld ein, dann rückst du in der Zugreihenfolge automatisch nach hinten. Der Spieler mit dem am geringsten eingesetzten Geldbetrag beginnt die nächste Runde. So kreierst du mächtige Doppelzüge, die deine Pläne gelingen lassen können, zumal der Platz in den einzelnen Städten für die entsprechenden Gebäudearten noch begrenzt ist.
Zurück zum Bier
In der eingangs beschrieben Situation habe ich kein Bier mehr bekommen. Weder vom Spiel noch von meinem Kühlschrank, der leider leer war. Meine Frau hatte das letzte Bier im Spiel aufgebraucht und es wurde auch keins mehr produziert. Damit wurde ein mächtiges Gebäudeplättchen von mir nicht mehr gewertet und meine Frau zog an mir vorbei. Mein Sohn nutze mein verzweifeltes Bemühen schamlos und intrigant aus und legte mir zusätzliche Hindernisse in den Weg. Er grinste mir frech ins Gesicht, rief „Ka-Ching!“ und markierte den Zahltag mit seinen Fingern. Dann krallte er sich mit seinem letzten Move den Platz vor mir. Skandal. Kein Bier, dritter Platz. Geiles Spiel.
Fazit
Immer. Sofort. Wenn mich einer fragt, ob ich Lust auf eine Runde Brass: Birmingham habe, wäre das die Antwort. Das großartige Material ist so liebevoll und in einem passgenauen historischen Setting gestaltet. Hier ist kein modulares Setting nötig, man benötigt keine Vielzahl an Eigenschaften und Charaktere. Die Spielmechanik sorgt immer für ein neues Spiel, die „Marktwirtschaft“ und das Wesen der Epoche trägt ihres dazu bei. Allerdings ist es kein Spiel was man nebenbei spielt.
Es ist zwar einfach zu spielen, aber für den Sieg muss man sich anpassen, planen und umdenken. Die Züge meiner GegnerInnen haben Auswirkungen. Kann ich damit leben, wenn meine Frau mir das letzte Bier im Spiel wegschnappt? Wenn ich Pech habe, endet so ein lang geplanter Zug in einer Sackgasse. Allerdings habe ich immer das Spiel selbst in der Hand. Wie kann ich diese Situationen auflösen? Umso geschickter ich kombiniere und plane, desto mächtiger steige ich als Sir Richard Arkwright auf und hänge meine Gegner ab. Brass: Birmingham ist damit für mich ein absoluter Pflichtkauf!
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8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich lese seit ein paar Jahren still und sehr zufrieden diesen Blog und ich muss sagen, du passt hier perfekt rein, Markus. Ein toller Beitrag, witzig und fluffig zu lesen, und bekennend subjektiv, wie hier üblich. Dazu ein Spiel, das seit Jahren auf meiner Liste steht. Ich habe mich bisher nicht rangetraut, da ich den Eindruck hatte, es sei ein Expertenspiel und könnte meine Familienbande etwas überfordern. Du schreibst von wenigen, leicht zu beherrschenden Regeln. das macht dann doch Mut es zu wagen. Liebe Grüße, danke und weiter so. Julian
Hallo Julian,
vielen Dank für deine herzlichen Worte. Das Kompliment gebe ich auch gerne an Christian und seinen Blog weiter. Freut mich sehr, dass Dir mein Schreibstil gefällt.
Ja bitte wag den Schritt, ihr werdet es auch als Familie nicht bereuen. Bin gespannt auf deine Rückmeldung, wenn ihr es angespielt habt.
Stay magic, Markus
Moin Markus,
zuerst einmal „Herzlich Willkommen“ bei B&P. Dein Artikel liest sich schön fluffig, subjektiv und lebhaft. Genauso wie ich es auch von Christian liebe. Weiter so. Ich freue mich mich schon auf weitere Rezensionen von Dir und auch von Euch beiden zusammen im Team oder gerne auch ein Pro & Contra zu einem Spiel.
Beste Grüße aus dem hohen Norden
Alex
PS: Du bist Schuld, dass ich Brass: Birmingham jetzt doch kaufen werde. Shame on you, Mr. Markus. 😉
Moin, moin Alex…
aus dem Südwesten einen schönen Gruß zurück. Freut mich immer, wenn ich jemanden für ein Spiel überzeugen kann. Kannst ja mal gerne schreiben wie du es gespielt empfindest.
Die News zu Stellaris gehen schon in diese Pro und Contra Richtung und ich hoffe, dass ich meinen Beitrag zu dieser Seite leisten kann und die Fans (so wie ich auch einer bin) begeistern kann.
Stay magic, Markus
Ich bin bei Brass auch neu dabei und bin gerade am Regeln lesen.
Nun habe ich eine Frage zu deinem zweiten Bild: Du schreibst dass rot eine Kohlefabrik (in Nuneaton) gebaut hat und gleich zwei Kohle verkaufen kann. Das kann er aber doch in dieser Situation nicht, da er keine Verbindung zu einem Kohlehändler hat, oder? Alle Strecken um Nuneaton herum sind noch nicht verbunden und das Marktfeld auf das du mit den Pfeilen zeigst, gilt ja nicht als Händler sondern ist nur das Ablagefeld für die Ressourcen auf dem Markt. Oder verstehe ich da etwas falsch?
Hallo Michael,
ja das hast du genau richtig beobachtet. Es ist keine Anbindung an den Kohlmarkt vorhanden, daher wird nicht verkauft. Es fehlt ein Zugplättchen, um diese Stadt ans Netzwerk anzuschließen.
Entschuldige bitte, aber da ist uns während des Aufbaues zum Fotoshooting ein kleiner Fehler unterlaufen. Die Pfeile zeigen tatsächlich nur den Ablageort. Der nächste Zugriff auf den „Markt“ ist in Oxford. Du verstehst alles richtig und danke für deine Adleraugen.
Ich hoffe dir macht das Spiel genauso viel Spass wie mir.
Liebe Grüße und schreib gerne wenn Dinge unklar sind.
Stay magic, Markus
Lieber Markus
Brass und Dein Kommentieren sind wunderbar!
Lass uns spielen, bitte melde Dich mal, aus Basel ist es nicht weit in Deinen Südwesten…
Liebi Grüess
Reto
Hallo Reto,
ich war noch nie in Basel. Lohnt sich die Stadt? Das stimmt: Trier – Basel sind ca. 350 km….für einen schnellen Spieleabend reicht das leider nicht. Freut mich, dass die meine Rezension zu Brass und die Kommentare gefallen.
Liebe Grüße