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Gute Gimmicks oder nur Bling, Bling?

Die abgebrochene Kampagne zu Anunnaki: Dawn of the Gods hat das Thema schon kurz angerissen, aber jetzt ist gerade die Zeit, da möchte ich mal wieder mit Christian darüber sprechen.

Abgebrochene Kickstarter sind eine Sauerrei, oder?

Markus: Die abgebrochene Kampagne zu Anunnaki: Dawn of the Gods hat mich echt getroffen. Da wird ein Hochglanzprodukt bei Kickstarter beworben. Es wird aufgemotzt mit schickem Extra-Material für anderen Spiele. Eine Fan-Base findet sich und hat Interesse an dem Spiel. Und der Entwickler ruft eine Fördermenge auf, bei der das Projekt realisiert wird. Und trotz der relativ schnell erreichten Finanzierungsmarke, wird die Kampagne auf Eis gelegt. Und das mit den Worten. „Die Erwartungen wurden nicht erfüllt“. Da fühle ich mich als Unterstützer verarscht. Warum machen die die Hausaufgaben nicht und kalkulieren richtig?

Christian: Eine Sauerrei sind zuerst einmal schlechte Brettspiele. So wie ich es aus dem Meeple-Wald geflüstert bekommen habe, scheint bei dem Projekt die Schieflage aus Anzahl der Backer mit 1$ und den tatsächlichen Unterstützern zu groß gewesen zu sein. Mutmaßung, aber viele, die nur 1$ reinschmeißen waren wohl auf die Extras im Pledge-Manager für andere Spiele scharf, allen voran Wasserkraft. Sollte eine neue Kampagne aber nicht durch die Decke gehen, weil alle das neue Brettspiel haben wollen? Ein fairer Abbruch, mit dann neu gestarteter Kampagne, die die Fehler des ersten Versuchs abstellt ist mir da eigentlich lieber. Beispiele an abgebrochenen und später doch finanzierten Brettespielen gibt es genug (In Too Deep, Glactic Era, Monumental)!

Markus: Ich habe nichts gegen eine abgebrochene Kampagne, wenn sie dem Spiel dient. Als wir damals bei Game of the year am Start waren, musste Nice Games abbrechen, weil die Kampagne schleppend war und eben das Ziel nicht erreicht wurde. Das kann ich dann irgendwie nachvollziehen. Oder schau die Kampagne von Eos und Felix Mertikat an. Die sind direkt im Dialog und ändern auch nach zahlreichen Testpartien einiges. Und nehmen sich während der Kampagne sogar Vorschläge zu Herzen für ein besseres Produkt. Aber hier? Hier wurde ja das Ziel erreicht und da ist es doch eindeutig, dass es eher Fehlkalkulation geht und eben nicht um ein besseres Spiel.

Christian: Ich würde es eher als Marketing betrachten. Alles Spekulation, aber aus meiner Sicht sollten die fette Deluxe-Ausgabe mit Minis die Fördersumme in astronomische Höhen treiben. Mit was der Verlag da gerechnet hat, wissen wir nicht. Die Fördersumme zu niedrig anzusetzen, also vielleicht unterhalb einer möglichen Finanzierung, hat aber einen guten Grund. Man kann dann mit der Summe über dem Finanzierungsziel Marketing betreiben und Analyseseiten wie Kicktraq arbeiten genau damit. 870% über Fördersumme hört sich geiler an als 5%. Zweite Sache: Je nach Kalkulierung bedeutet Finanzierung trotzdem wenig Gewinn. Wer eine Kampagne startet, gerade als Verlag mit schon einigen heißen produzierten Eisen, hat ja eine Erwartung. Wenn diese nicht erfüllt wird, dann nimmt man das neue Eisen lieber raus, analysiert sein Spiel und Preispolitik und legt es später wieder rein. Eine schleppende Kampagne kann man sich eben nicht leisten.

Markus: Puh, da merkt man deine Erfahrung und wie tief du drin bist. Deine Spekulationen basieren ja schon auf einem enormen Know-How der Branche. Da komme ich als alter Brettspielromantiker kaum mit. Ich denke immer, die haben ein Spiel, die haben da viel Arbeit reingesteckt, das Produkt ist gut und die Wissen, was sie tun. Marketing und Kalkül ist nicht so mein Ding. Da bin ich völlig raus. Ich finde, wer bei Kickstarter etwas startet, sollte sich auch echte Gedanken über das Finanzierungsziel machen. Ich gebe dir Recht, 5% über Fördersumme sind nicht so spektakulär wie 870%. Da wird wieder ein künstlicher Hype erzeugt und ich als User möchte dann bei sowas Großem auch dabei sein. Wie habe ich denn die Chance gute Spiele von schlechten auf Kickstarter zu unterscheiden? Bei The Great Wall dachte ich nämlich umgekehrt. Da war ich der aufgemotzten Kampagne und dem fetten Material eher skeptisch eingestellt und das Spiel ist für mich richtig gut.

Christian: Es bleiben ja Spekulationen und ein Großmeister in Kickstarter-Prozessen bin ich auch nicht. Aber wie du es selber sagst, der Hype ist nun einmal der Treibstoff und der fehlte einfach. Was ich bei Anunnaki: Dawn of the Gods aber viel interessanter finde, ist eben der ausgebliebene Hype. Ganz ehrlich, ich will dieses Spiel eigentlich spielen und besitzen. Ich hatte es mir auf der SPIEL ’21 angeschaut und war begeistert. In die Kampagne eingestiegen bin ich trotzdem nicht. Mich interessieren bei der Art von Spiel absolut keine Figuren, vor allem aber möchte ich keine abgespeckte Variante. Der Standard-Pledge sah aber genau danach aus. Die Diskrepanz zur nächsten Stufe mit stolzen 199 € inkl. Porto schießt einfach den Vogel ab. Ich bin gespannt wie sich die erhöhten Preise auf die Szene auswirkt, ich ahne da übles.

Markus: Ich glaube einfach, dass sich der Markt schnell regulieren wird. Die ganzen Figuren sind für mich zwar schick, aber wenn es um das Spiel selber geht unnötig. Nicht bei jedem Spiel, versteh mich nicht falsch. Als du damals Cthulhu Wars auf den Tisch gezaubert hast, war es schon hammer. Aber The Great Wall funktioniert hervorragend mit Holz-Meeplen. Klar, kann man das Spiel mit Figuren pimpen, aber das muss halt auch nicht immer sein. Und wenn ein Spiel eben eine gute Basisversion nicht schafft, die nicht abgespeckt ist oder so ist, dann wird sie eben scheitern und keinen Hype erzeugen. Dann nehme ich ein anderes Spiel aus meinem Regal. Ich gebe definitiv keine 199€ für einen solchen Kickstarter aus.

Christian: Mir ist das ehrlich gesagt mittlerweile auch zu riskant. Shipping wird immer öfters später kalkuliert und damit kann der Preis noch einmal explodieren. Und wofür? Für ein überladendes Projekt, das mit seiner Mittelklasse glänzt und selbst dann auf Ebay Staub ansetzt? Wenn die eigene Spielgruppe brennt und man selber erst noch ein Sammlung aufbaut, dann ist das Ticket zum Hype natürlich schneller gekauft. Die Mittelmäßigkeit vertreibt aber auch das nicht. Als Hamburger sach ich den Brettspielen immer häufiger Tschüss (YouTube-Link)!

Der Brettspiel-Talk und was ist deine Meinung?

Wie siehst du das persönlich? Labert einer von uns Meeple-Mist oder gar beide? Was haben wir vielleicht vergessen zu beachten? Stimmst du uns zu oder hast eine ganz eigene Idee zu der Sache? Dann lass uns gerne einen Kommentar da, denn wir sind da durchaus an einem Austausch interessiert.

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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Michael O.
    20. Mai 2022 9:17

    Meiner Meinung nach schiebt sich da seit Jahren eine ganze Kette von unheilvollen Entwicklungen immer mehr in den Vordergrund. Und die sind so stark verzahnt wie bei einem guten HeavyEuro… 😉
    Einiges habt ihr ja selbst schon angerissen:
    – Der Sinn und Zweck von Kickstarter hat sich zunehmend pervertiert, ist ja keine überraschende Neuigkeit. Ich will den Machern konkret nix unterstellen, aber bei (zu) vielen Projekten geht es nicht mehr um die klassische Anschubfinanzierung; es wkird einfach die klassische Verlagstretmühle umgangen und alles, was zum Roll-Out samt Vertrieb und Marketing dazugehört, einfach auf die Pledger abgewälzt, zumindest zum Teil.
    – 08/15-Showcases, die auf eine reine Materialschlacht abzielen. Kickstarter ist halt nach wie vor recht US-dominant bzw. zieht eher US-affines Publikum an bzw. im Brettspielbereich schon ein recht bestimmtes Publikum. Und da gilt halt einfach: Schmeiß 30 Miniaturen rein und du kannst dir sicher sein, einen bestimmten Sockelbetrag zu erreichen. Das war hier ein geradezu prototypisches Beispiel: Anunnaki mag noch so toll sein, bei gefühlt 75% der Projektvorstellung ging es nur darum, den Leuten näherzubringen, was sie für ihr Geld kiloweise an Material hinterhergeschmissen bekommen.
    – Hochpreispolitik: ein gutes Spiel, egal ob nun typisch Euro oder eher themenbasiert, ist trotz einer gewissen Materialmenge für 40, 45 Euro machbar. Aber seit Jahren wird nun versucht, den Spielern reihenweise dreistellige Beträge abzuknöpfen, ohne dass sich dadurch ein spielerischer Mehrwert ergibt. Eine IMO desaströse Entwicklung, für die ich vor allem die US-Szene mit ihren vielen Kleinverlagen verantwortlich mache. Nicht umsonst liegt ein Hauptfokus bei der redaktionellen Bearbeitung durch einen „traditionellen“ Spieleverlag darin, das Material weitgehend zu reduzieren. Nicht (nur), weil die Verlage so geizig sind; sondern weil sie schon genau wissen, welche vielfältigen positiven Effekte das hat. Das Publikum, das sich für vierstellige Beträge reihenweise Materialexzesse ins Regal stellt, um sie dann doch nicht zu spielen, ist halt einfach *sehr* begrenzt.
    – auch ein so simpel wirkendes Kickstarter-Projekt will sehr genau durchdacht und kalkuliert sein. Vor allem, wenn durch Unmengen an Material ein Großteil des eingenommenen Geldes sofort wieder spezifisch gebunden wird. Mangels genaueren Kenntnissen kann ich auch hier den Machern schlecht was unterstellen, aber die Zahlen geraten dann halt sehr schnell in Schieflage.

    IMO gibt es einfach zu viele Projekte, die nur darauf angelegt sind, dass die Pledger dem Ersteller quasi die Fabrik bezahlen, um es mal flapsig zu formulieren.
    Warum wurde denn das Double Fine Adventure damals vor 10 Jahren quasi zum Kickstarter für Kickstarter? Ja natürlich, wegen dem Produkt an sich und den ganzen Rekorden etc. Aber das alles kam doch vor allem dadurch zustande, weil es eben 1000% den Geist von Kickstarter getroffen hat; das, wofür die Plattform eben ursprünglich gedacht war.

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    • Toller und interessanter Kommentar. Gerade deine angesprochene Perversion finde ich wunderbar ausgedrückt. Ich gebe zu, manchmal erliege ich dem auch. Aber zunehmend immer seltener und ganz ehrlich, manche Produkte sind einfach wirklich coole Hingucker. Es ist aber eher die Ausnahme, dass sehr gute Spielbarkeit auf opulentes und fantastisches Material bei Kickstarter trifft.

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    • Schließe mich Christian nur an. Danke für deine sehr geilen Blickwinkel. Ohne Christian, wäre ich dieser Mühle schon tausendmal häufiger verfallen. Man surft und es wird ein Hype generiert, der dem Produkt als solches nicht gerecht wird.
      Deswegen versuchen wir euch auch eine realistische Einschätzung zu geben. Obwohl das manchmal schwer fällt. Bestes Beispiel für mich: The Great Wall. Trotz Awaken Realms bin ich da immer nur rumgeeiert und war eher skeptisch eingestellt. Eben weil mit den Miniaturen auch alles immer so mächtig wird. Und dann habe ich eben nicht zugeschlagen. Schade, denn das Spiel ist toll. Aber das ist halt dann auch die Gefahr, dass man etwas verpasst.

      Und die relativiert sich zunehmend, denn einige Spiele, die früher ausschließlich über Kickstarter geliehen sind, erscheinen nun auch im Handel. Und ehrlich? Muss man nicht auch mal einen Hype verpassen?

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