Lesezeit: 4 Minuten
Darf ein Brettspiel alles? Wann ist die Grenze überschritten? Die heutige Frage des Monats beschäftigt sich mit der Grenze des guten Geschmacks. #BG2GETHER ist ein Format, dass Christian von Spielstil initiert hat. Das Konzept sieht dabei eine Frage des Monats vor, die wir für euch beantworten und dabei alle TeilnehmerInnen verlinken. Was ich äußerst sympathisch finde: Der Content bleibt bei einem selbst und wird nicht, wie gerne auf YouTube gemacht, bei einem Kanal gesammelt, der dann hauptsächlich die Aufmerksamkeit abgreift. Klickt euch gerne durch die anderen Beiträge und bereichert unsere Statements durch eure Kommentare. Here we go!

Die Grenze des Guten Geschmacks – #BG2GETHER März

Es gibt Brettspiele mit unangenehmen Themen und solche, die noch einen großen Schritt weitergehen. Als Beispiel hätten wir ein demnächst startendes Kickstarter Projekt zu Haus der 1000 Leichen, in denen wir Irre spielen, die Menschen quälen und ausweiden. Oder auch ein Brettspiel über den aktuellen Krieg in der Ukraine. Benötigt das Brettspiel eine Beschränkung in der Thematik um für dich als Spiel zu gelten? Wann ist die Grenze überschritten? Oder darf ein Brettspiel alles?

Markus

Was bin ich als Blogger und was möchten ich leisten? Ich komme gerade vom Tag der Brettspielkritik. Dort wurden interessante Perspektiven aufgeworfen. Was ist das Spiel überhaupt? Kulturgut? Unterhaltung? Oder gar Kunstform? Fakt ist: Der Autor setzt seine Idee um. Ähnlich wie bei Call of Duty, 12 Years a Slave oder Der Gesang der Flusskrebse. Wir können diese Werke betrachten, interpretieren oder nutzen. Gerade beim Spiel kommt die hohe Partizipation und Interaktion in einem solchen Kontext zusammen. Was möchte der Autor? Nun, dafür müsste ich ihn konkret befragen. Möchte er einfach nur ein cooles Spiel entwerfen oder möchte er kritisch mit seinem Thema kulturelle, soziale oder anderweitig geartete Kritik äußern?

Was braucht es?

Haus der 1000 Leichen greift das Horrorgenre auf und zieht mich in mitten ins Geschehen. Mehr noch. Das Spiel lässt mich durch die Brettspielmechanik selber in die Rolle des irren Protagonisten schlüpfen. Tut das nicht auch ein Pulp Fiction in dem ich als Voyeur Tarantinos Blick auf die  einzelnen Geschichten miterlebe? Ich feiere ihn für seinen Dialogwitz und die Zeichnung seiner Charaktere in den Episoden. Aber feiere ich im Haus der 1000 Leichen auch den Autor/Designer für die Darstellung und die Imersion? Ich weiß es nicht. Ich greife die Frage noch mal auf. Wo sind die Grenzen des guten Geschmacks? Ich bin der Meinung bei jedem selber und in der Rezension der Werke. Nur ich selber kann für mich meine Grenzen definieren. Als „Kulturkritiker“ möchte ich ein solches Spiel aber für meine Leser einordnen. Für mich selber braucht es kein Spiel über den Krieg der Ukraine, denn ich glaube nicht, dass ein solches Spiel meine persönliche Sichtweise darauf abbilden kann und ich mich im Thema Krieg allgemein sehr unwohl fühle.

Was möchte ich?

Im Haus der 1000 Leichen in die Rolle eines Irren zu schlüpfen, der Menschen ausweidet, kann ich mir hier wieder gut vorstellen. Ich lese ja auch entsprechende Bücher und schaue selber gerne Horrofilme. Es überschreitet meine Grenze nicht und trotzdem bin ich kilometer von einem solcchen Verhalten entfernt. Vor allem wenn man bedenkt, dass ich mich auf die Couch legen muss, wenn meine Mom sich in den Finger schneidet und mir vor lauter Blut ganz schummrig wird. Die Grenzen des guten Geschmacks kann in der Einzelbewertung häufig nur das Individuum treffen. Allerdings hat jeder Autor und Designer seine Pflicht kritisch sein Werk zu gestalten. Für mich bedeutet es, dass ein Autor bei expliziten Werken Stellung beziehen muss. Seine Interpretation und Einordnung verbalisieren ist für eine notwendige Information. Verstößt er dabei gegen die geltende freiheitliche und demokratische Sichtweise meiner Gesellschaft in der ich leben darf, dann hat für mich der Autor die Grenze des guten Geschmacks überschritten.

Christian

Markus hat ja sehr ausführlich in die Tasten gehauen und da ich ihm in seinen aufgerissen Argumenten mehr oder weniger zustimme, spare ich mir in der Hinsicht die Buchstaben für Wiederholungen. Mein Blickwinkel ist daher ein anderer. Individuell wird bei mir bei Filmen, Büchern, Gemälden und allen anderen erzählenden Medien, ich inkludiere hier auch Brettspiele, durchaus der gute Geschmack überschritten. Ob man das darf und wie man es tun sollte, das sind Markus Punkte, die ich aber noch erweitern würde. Und zwar mit dem Blickwinkel des Individuums und der Empathie. Nicht alles was rechtlich erlaubt ist, sollte gemacht werden. Hier sind wir beim Punkt des guten Geschmacks. Wo das Leid anderer anfängt, da hört die Freiheit des anderen auf und der Joker Recht oder eine Einordnung der Autor:innen werden für mich obsolet. Für mich sind die Grenzen nicht das Recht einer Gesellschaft, sondern die ethische und moralische Frage und wo Individuen verletzt werden. Daran kann ich keinen Spaß haben. Eine gewisse Doppelmoral ist da allerdings nicht von der Hand zu weisen, wenn die Neutronenbombe in Eclipse Planeten auslöscht oder in Civilizations man die Atombombe zündet, aber thematische Kriegsspiele über den zweiten Weltkrieg ablehnt. Und Secret Hitler wird trotzdem gespielt … schwierig.

Ich persönlich merke, gerade in den wirklich turbulenten Zeiten, dass ich die Gewalteskalationen in Film und Fernsehen, die ganzen Horrorfilme, Psychodramen und actionreiche Kriegsfilme wirklich nicht mehr brauche. Werde ich weich? Keine Ahnung. Ich sehe keinen Reiz darin, den Krieg in der Ukraine nachzuspielen und sich dem ganzen auf einer strategischen Ebene zu nähern, während in der Gegenwart tagtäglich Menschen sterben. Ich sehe auch keinen Reiz darin, Menschen in einem Brettspiel auszuweiden. Was ist da der Mehrwert? Für mich gibt es hier auch noch einen Unterschied zwischen Film und Video- oder Brettspiel, weil ich hier wirklich selber eine aktive Rolle einnehme. Grusel ich mich wie bei einem Horrorfilm? Eher nicht. Was ist also der Sinn? Spaß daran habe ich zumindest nicht. Ich kann nur raten. Ist es ein Ergötzen an makabren Themen. Ich weiß es nicht. Ist mir fremd und wahrscheinlich bin ich als emotionaler Mensch dafür einfach nicht gemacht.

Weitere Eindrücke aus der #BG2GETHER-Blase:

Spielstil: https://spielstil.net/ein-maulkorb-fuer-brettspiele/
Brettspielgalaxie: https://brettspielgalaxie.podbean.com/e/durfen-spiele-alle-themen-behandeln-bg2gether
Brettspielgilde: https://www.brettspielgilde.de/blog/bg2gether-zombies-cthulhu-dystopie-und-jetzt-auch-noch-krieg
Brettspielministerium: https://brettspielministerium.de/2024/03/29/satire-darf-alles-aber-gilt-das-auch-fuer-brettspiele/
Brettspiel-Pott: https://www.brettspiel-pott.de/wo-sind-die-grenzen-des-guten-geschmacks/
Fjelfras: https://www.fjelfras.de/wordpress/blog/brettspiele/themen-tabu

Redakteur bei Brett & Pad

Brettspieler | Carromspieler | Viel-Spieler | Ran NFL süchtig | Weinliebhaber | Leseratte | | Brettspielsammler | MTB Fahrer | Sportler | Hobby-Koch | Kooperativ-muss häufiger-sein | Terraformer | Musikgenuss | Spotifyer | Familie | Fußballer |

3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • „Für mich sind die Grenzen nicht das Recht einer Gesellschaft, sondern die ethische und moralische Frage und wo Individuen verletzt werden. Daran kann ich keinen Spaß haben. Eine gewisse Doppelmoral ist da allerdings nicht von der Hand zu weisen, wenn die Neutronenbombe in Eclipse Planeten auslöscht oder in Civilizations man die Atombombe zündet, aber thematische Kriegsspiele über den zweiten Weltkrieg ablehnt. Und Secret Hitler wird trotzdem gespielt … schwierig.“

    Ich denke, es kommt dabei auf den Grad der Abstraktion und die dahinterstehende Motivation an. Schiffe versenken hat wohl jeder mal in der Schule im Unterricht gespielt, und ab welcher Opferzahl wird es kritisch? Als Kind hatte ich mir auch mal die 3D-Schiffe-Senken-Variante vom MB namens U-Boot-Jagd gewünscht und viele spannendePartien gespielt, wohingegen mir etwa in der gleichen zeit Panzerschlacht aus dem gleichen Verlag schon suspekt war. Flächenbombardement, A-Bombe (ab wieviel Kilo- oder Megatonnen?), Neutronenbombe? Wo ist die Grenze?) Ich selbst lehne eigentlich Kriegsspiele/-simulationen grundsätzlich ab, aber wenn eine tiefergehende Motivation dahinter stzeht wie zB moralische Erwägungen und die Diskussionen darüber in This War of Mine, dann spiel ich auch sowas.

    Secret Hitler (ursprünglich nur ein PnP, später vermarktet) gibt es ja auch als PnP mit anderen Thematiken wie zB StarWars oder HarryPotter. Ich selbst bin aber in diesen fiktiven Thematiken überhaupt nicht drin und kann als Geschichtsinteressierter im Spiel viel besser beim real existierenden Faschismus mitreden, also im Sinne des Spiels argumentieren und bluffen, weswegen ich mir das Original um die deutschen Faschisten gebastelt hatte. Dass man hier als „böse“ Fraktion zu einem historischen Superlativ greift finde ich global gesehen nicht besonders problematisch (speziell in Deutschland hats natürlich ein Geschmäckle) – insbesondere, wo ja inzwischen der Hitler-/Holocaust-Vergleich fast inflationär für alles mögliche herangezogen wird.

    Beim Gemetzel im Irrenhaus sehe ich nach obiger Beschreibung keinen tieferen Sinn, das würde ich wohl nicht mitspielen wollen.

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    • Hallo KK,

      da ticken wir also ganz ähnlich. Ich fand den Blick auf mich selbst auch bei Tabletops immer sehr interessant. Mit Warhammer Fantasy im Alter von 12 Jahren angefangen, ging es über Warhammer 40K zu Infinity und Warmachine. Überall Fratzengeballer. Auf Convention aber immer bis heute die Panzersimulationen aus dem zweiten Weltkrieg kritisch beäugt.

      Liebe Grüße

      Christian

      Antworten
      • Beim nochmaligen Lesen meines Beitrags muss ich allerdings noch einräumen, dass ja letztlich auch Spiele wie Schach (oder auch das gerade Jübiläum feiernde und hier im Blog wohlwollend besprochene Stratego) letztlich Kriegs- bzw. Schlachtsimulationen sind. Als Klassiker im Bereich strategischer Spiele gehen die für mich allerdings beide auf dem Spieltisch völlig in Ordnung, weil nirgendwo sonst so gut wie beim Militär Rangfolgen in einem Spiel abgebildet werden können…

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