Epilog: Under our sun
Die Sonne brennt unbarmherzig! Die Nacht war kalt, aber bereits nach ihrem Aufgang steigen die Temperaturen kometenhaft in die Höhe. Der Sand knirscht unterm Stiefel der Veteranin beim lebenswichtigen Griff zur Wasserflasche. Ein kleiner Schluck – das ist die Ration und sie muss bis zum Nachmittag reichen. Unter dem Brennglas der Sonne ist Wasser kostbar, die kostbarste Ressource überhaupt. Alles wird im Wert von Wasser gemessen. Waffen, Medipacks, Schutzschilde und Panzer. Thickskin, der große, bullige Hüne packt gerade das Zelt zusammen. Die Nächte außerhalb von Lagern sind gefährlich! Zu gefährlich, um alleine irgendwo zu übernachten. Der Jüngste der Gruppe, Scout liegt auf einer Sanddüne und späht durch sein Fernglas, während Medic auf einem Stück zähen Dörrfleisch kaut.
Mission Search & Rescue
Das Missionsziel der kleinen Gruppe ist klar: Findet und befreit die Geiseln! Die Sons of Liberty hatten zwei Arbeiter aus New Haven entführt. „In südöstlicher Richtung stehen die Überreste einiger Gebäude und im Osten liegt ein Flugzeugwrack!“, berichtet Scout kurz darauf im Lager. „Ich gehe zum Wrack, vielleicht finde ich was Nützliches“, brummt Thickskin und macht sich, ohne eine Antwort abzuwarten, auf den Weg. „Dann schaue ich mir die Gebäude an“, beschliesst Scout und macht ebenfalls kehrt. Medic sieht nervös aus. „Sollten wir nicht besser zusammenbleiben?“, fragt sie. „Ich kann nur helfen, wenn ich in der Nähe bin.“
Verräter
Die Veteranin nickt. Sich zu trennen und aufzuteilen war noch nie eine gute Idee. Alleine könnte selbst ein hungriges Pack Ratten für jemanden zur Gefahr werden… es sei denn, man hatte gute Gründe die Gruppe zu trennen. Gibt es einen Verräter in ihre Gruppe? Wem konnte sie trauen? Seit ein paar Tagen beschlich sie so ein Gefühl. Sie sieht Medic an und deutet mit dem Kopf in Scouts Richtung. Medic versteht und beeilt sich um zu Scout aufzuschließen. Sie selber würde Thickskin folgen und ihren Instinkten vertrauen.
Kurzcheck: Darum geht es in Under Our Sun
Postapokalypse ist das Stichwort. Die Sonne brennt von oben gnadenlos und Überleben funktioniert nur, wenn das Team die gleichen Ziele vor Augen hat. Achtung Spoiler: Das Team hat nicht die gleichen Ziele. Under our Sun könnt ihr kooperativ oder semi-kooperativ spielen. Wer mich und meine Gruppe kennt: Semi-kooperativ ist das Maß der Dinge. Ihr bekommt zum Spielstart ein gemeinsames Missions-Setting oder Szenario und könnt nun skalieren, wie viele Verräter oder Personen mit anderen Interessen im Spiel mitmischen. Geheim natürlich oder bis zum Zeitpunkt ihrer Enttarnung.
In diesem postapokalyptischen Setting bewegt ihr euch rundenbasiert in verschiedenen Phasen eines 24 Stunden Tags über Aktionspunkte. Jeden Tag müsst ihr essen und in jeder Phase eines Tages einen Schluck Wasser nehmen. Beides ist verdammt knapp und miese Ereignisse, das Wetter und die Nacht werfen euch meistens zusätzlich Knüppel zwischen die Beine. Dabei versucht ihr, ausgehend von eurer Heimatbasis die Landschaft zu erkunden, Gegenstände zu craften, Ressourcen zu sammeln und zu überleben. Und das ist einfacher gesagt als getan. Warum? Folgt mir in die Geschichten zum Spiel.
SPIEL ’24 – Teil I
Das Spiel sieht so unfassbar geil aus. Ich betone an dieser Stelle. Es ist ein Erstlingswerk, aber die Grafik und die Sundrop Miniaturen sowie das Logo, alles sieht so edel und stylisch aus, dass ich sofort eingetaucht bin. Und dafür musst ihr nicht mal den Deckel heben. Streicht mal bitte über den Karton und ihr habt das Gefühl feinen Sand zu spüren. Porno! Die Regeln? Schlank und schnell von Philipp erklärt. Philipp? Ein zwei Meter großer, bärtiger Hüne, der uns den Erklärbär macht und der dem Spiel zudem den passenden Flavour verpasst. Unser Team entscheidet sich als alte Nemesis-Hasen natürlich für die semi-kooperative Variante. Gemäß unserer Absprachen wird eine Verräterkarte zu den vier Teamspielerkarten gemischt. Jeder zieht nun seine Rolle im Spiel. Das erhöht die Spannung brutal. Ist ein Verräter am Start? Die Gruppe misstraut sich untereinander. Jede Aktion der Mitspieler wird diskutiert, jede edle Geste als berechenbare Aktion gedeutet. Und das alles unter dem Brennglas der Sonne. Das Misstrauen ist zu Beginn so groß, dass jeder in eine andere Richtung erkundet und seine AP Punkte verballert.
SPIEL ’24 – Teil II
Zur Mittagszeit schlägt die Hitze unbarmherzig zu. Die Wetterkarte lässt mich ein zusätzliches Wasser verlieren. Fuck off. Wasser geht schneller leer, als ich gedacht habe. Zudem habe ich kaum Ressourcen gefunden. Und wenn ich die angrenzende Location betrete, dann ist dort definitiv ein Feind und Waffen habe ich keine. Uwe hat eine Pumpgun, aber der ist drei Felder weit weg und schafft es mit seinen Bewegungspunkten niemals zu mir. Mir schwant Böses. Vier Spieler, die in vier Richtung vorpreschen? Das erinnert mich sehr an die Erstpartie Nemesis von Marc. Da ist er sehr häufig laut polternd durch die Gänge gelaufen als ob er Klonk! spielen würde. Die Alienbrut hat uns darauf alle vernichtet. Warum kommen mir diese Gedanken hoch?
Wem kann ich trauen?
Bisher ist alles gut gelaufen, aber warum hat sich Uwe das Zelt geschnappt? Warum ist er dann ein kleines Stückchen weg von uns gegangen? Uwe hat während unserer Erstpartie auf der SPIEL beteuert kein Verräter zu sein. Er hat Recht behalten. Niemand war damals ein Verräter. Es war keiner im Spiel. Aber jetzt verhält er sich irgendwie merkwürdig. Egal. Ich bin bis unter die Zähne bewaffnet. Der Gegner, den ich verfolgen muss, steht auf dem Landschafts-Hex vor mir und ich habe ausreichend Aktionspunkte zur Verfügung. Mit zwei AP betrete ich das Hex. Da ein Fragezeichen auf dem Hex abgebildet ist, muss ich allerdings ein Ereignis auslösen. OMG. Durch einen Sandsturm bin ich orientierungslos und muss zwei Hexfelder auf dem kürzesten Weg nach New Haven zurückziehen. Fuck Off, die Zweite. Mein Plan ist für diese Runde zerstört, aber ich bleibe am Ball. Wir brauchen als Team diesen Gegner. Wir müssen ihn ausschalten!
Ein Meister-Move
Uwe nutzt diesen Moment. Er enttarnt sich als Verräter und kann mit seiner Verrätereigenschaft seine Mitbrüder, die Sons of Liberty (SoL) von nun an mitbewegen und pro Tag einen SoL spawnen. Er zieht meine Zielperson ein weiteres Hexfeld von mir weg und lässt Marc vor seiner Nase einen Gegner erscheinen. Marc, kurz vor dem Ende und unterbewaffnet hat keine Chance und löst damit für Marco ein Dilemma aus. Marco hätte die Ressourcen, um einen Defibrillator zu craften. Aber er wäre auch nah genug an Uwe dran. Was soll er tun? Seine AP opfern um Marc zu retten oder Uwe den miesen Verräter vernichten?
Szenario II
Neue Ziele benötigen neues Vorgehen. Unsere Siedlung wird immer wieder von Nightcrawlern angegriffen. „Ohhh, ein Nightcrawler hat dich angegriffen? Nice. Nice. Du hast eine Verletzung davongetragen? Oh das ist übel. Jetzt bist du vergiftet. Nice. Das wird schwierig“ Ich höre wieder die Stimme von Philipp in meinem Ohr. Diese süffisante Stimme, die uns den blanken Horror so atmosphärisch untermalte. Agiert die Gruppe bei Szenario I am besten am Tag, ändert sich das Vorgehen in Szenario II. Ich muss einen Nightcrawler nachts finden und ihn zu seiner Höhle verfolgen. Das ist nicht einfach, bedeutet es eben aktives Suchen nach Gegnern und damit verbunden das Spawnen dieser. Es wird deutlich kampflastiger und schwieriger, da die Nacht in Under our Sun echt übel ist und jeder neue Gegner eine echte Bedrohung ist. „Nice, Nice!“
Vibes
Wir verlieren. Alle Spiele. Nur Uwe gewinnt eine Partie. Aber alle Partien transportieren einmalige Vibes und Geschichten mit in die Nächste. Jede Aktion, jedes Misstrauen, jeder Schritt wird im Erlebnisgedächtnis gespeichert. Selbst das legendäre „Nice, ein Nightcrawler springt dich an“ von Philipp ist seitdem dauerhaft in unserem Sprachgebrauch gewandert. Was immer im Spiel geschieht, zieht eine lebhafte Diskussion über das Vorgehen und die Taktik nach sich. Beispiele gefällig? Uwe wird zu seinem exzellenten Timing gratuliert. Der Zeitpunkt sich exakt in meinem Scheitern zu offenbaren war genial. Eine Nuance später wären wir unserem Ziel näher gekommen oder wären wieder näher an ihm dran gewesen.
Ein weiteres Beispiel ist, dass nicht das Spiel für das Scheitern in Szenario II kritisiert wird, sondern unser mangelhaftes planerisches Vorgehen. Wir beratschlagen immer wieder, was wir in der nächsten Partie anders spielen könnten. Und das ist für unsere Gruppe eher ungewöhnlich und spiegelt die unfassbare Tiefe von Under our Sun wieder. Ein Begriff fällt immer wieder: Nemesis
Vergleiche
Das Under our Sun mit Nemesis verglichen wird ist naheliegend, aber ungewöhnlich. Naheliegend, weil es sich sehr ähnlich anfühlt und einige Elemente sich darin wiederfinden. Ungewöhnlich weil das semi-kooperative Alienkleinod Nemesis in unserer Spielgruppe ein unangetastetes Meisterwerk ist. Und trotzdem vergleichen es alle Spieler damit. Under our Sun macht über seine Explorationen und die Szenarien vieles anders. Auch die Verräter-Mechanik ist anders. Nicht vier Spieler verfolgen generell eigene Ziele, sondern es kann auch sein dass drei zusammenarbeiten. Das Knistern ist in jeder Partie zu spüren und egal wie bockschwer sie auch war, es hat immer Spaß gemacht. Under Our Sun auf Nemesis zu reduzieren, würde dem tollen eigenen Spiel nicht gerecht werden, denn das Spiel ist keine Kopie.
Craften
Auch das Herstellen von situationsbezogener Items hat in Under Our Sun einen ganz anderen Stellenwert und ist zwingend notwendig, ohne aufdringlich zu sein. Ich muss Ressourcen sammeln und handeln um in Kombination mit der übersichtlichen Craft-Tabelle gezielt benötigte Items herzustellen. Und auch das löst Verdachtsmomente aus. Denn warum stellt Alex permanent Tierfallen her und lässt diese fallen. Er suggeriert uns, er möchte Nahrung für die Gruppe generieren. Oder braucht er die als Verräter und haut ab?
(K)eine Frage der Szenarien
Im Austausch mit Christian kristallisiert sich dann aber noch eine Frage heraus, gerade weil der Vergleich zu Nemesis gezogen wird. Under our Sun basiert auf Szenarien. Ist das Spiel durch, wenn man die sieben Szenarien „abgearbeitet“ hat? Nein! Erstens bilden die Szenarien nur den Rahmen, bzw. das Setting für die Runde und dieser Rahmen ist vielfältig und abwechslungsreich. Über Search & Rescue, Lootrun, Tower Defense, Last man Standing und den Ausblick auf eine Szenarienerweiterung sind unfassbar abwechslungsreiche Settings enthalten. Zweitens entwickelt sich jedes Szenario abhängig davon welche Verräter im Deck sind, wo die Hexfelder platziert werden und welche Ereignisse triggern komplett anders. Drittens macht ein gescheitertes Szenario Lust auf mehr. Gerade bei der Nightcrawler Mission kam so ein „ich will noch mal“ Gefühl auf. Under our Sun ist definitiv kein Abarbeiten von Szenarien.
Fazit
Under our Sun schießt von null auf ganz nach vorne. Wer etwas Vergleichbares wie Nemesis sucht, wird hier fündig und erlebt in diesem postapokalyptischen Setting trotzdem unfassbar liebevolle und spielentscheidende Neuerungen. Die unterschiedlichen Szenarien bilden einen erzählerischen Rahmen und erfordern variables Vorgehen. Wetter, Feinde und der notwendige Haushalt mit Wasser und Nahrung sind spannungsgeladene Elemente und die Verrätermechanik lässt es an allen Ecken und Enden vor Spannung knistern. Anders als bei Nemesis ist die Anordnung der Hexfelder nicht vorgegeben, so dass der Explorationscharakter in Under our Sun eine andere Richtung bekommt. Die Anleitung ist schlank und sehr einsteigerfreundlich, könnte an einigen Stellen jedoch ein paar mehr Beispiele für die vielfältigen Situationen vor allem im Kampf haben.
Wenn man bedenkt, das Maximilian Lichtner das Werk mit seinem Best Buddie David Poluda eigenständig produziert hat, dann kann man ob der stylischen Grafik und dem inkludierten Sortiereinsatz nur vor Freude in die Hände klopfen. Under our Sun war in Essen innerhalb von zwei Tagen ausverkauft. Alle, die hier noch nicht zugeschlagen haben, sollten sich ihr Exemplar vor Weihnachten definitiv sichern. Ich schüre nicht gerne Fomo, aber hier verpasst ihr ein Spiel, das so niemand auf dem Schirm hatte und einfach nur unfassbar immersiv, taktisch und spielstark ist. Der Name Nemesis fällt nicht zu Unrecht in diesem Vergleich.
P.S.:
Laut Maximilian sind die Container bereits verschifft und ihr könnt das Spiel entweder bis 17. November über Gamefound oder zu jeder Zeit auch über deren Webseite vorbestellen, um dieses immersive Kleinod dann gegen Ende des Jahres selbst einmal auf eurem Spieltisch zu bringen. Wer mehr über die beiden und die Geschichte von Under our Sun erfahren möchte, hält die Augen für unser kommendes Portrait offen.
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Moin Markus,
schreibe ich doch direkt was dazu, wenn du mich schon im Artikel erwähnst. Die Partie auf der SPIEL ’24 war der Knaller. Ein mega cooles Spiel, welches ich irgendwann vielleicht auch noch einmal auf den Tisch bringen will. Mir hat vor allem der Open World Charakter und dieses Survival-Element gefallen. Großes Plus waren für mich auch die vielen kleinen Details, die sich völlig logisch abbilden. Auf jede Frage im Probespiel gab es eine Regel, die thematisch absolut Sinn ergeben hat. Sowas lieb ich. Fühle total deinen Text und kann das so nur unterschreiben.
Liebe Grüße
Christian
Hey, ihr verrückten Sons of Liberty,
Es hat mir riesigen Spaß gemacht, euch durch die knallharte Welt von Max und Dave zu begleiten! Nein, im Ernst – es war echt mega nice! (Haha, ich glaube, ich benutze das Wort wirklich inflationär!) Ich fand es richtig cool, wie ihr von Anfang an voll auf Eskalation gesetzt habt und euch keine Phase zu lange in New Haven aufgehalten habt, sondern direkt losgezogen seid, um zu erkunden, zu craften und – soweit ich mich erinnere – erfolgreich zu überleben! Vielen Dank für das super Feedback und die großartige Zeit am Tisch!
Hoffentlich bis nächstes Jahr!
Cheers,
Philipp
bei dem KS war ich glaube ich 5x drin und wieder ausgestiegen. das Setting spricht mich soo heftig an. leider kommt das Setting bei meiner Spielrunde nicht so an…. aber danke für den tollen Test….auf der Wunschliste bleibt das Spiel trotzdem. nur einen Plan-Staubfänger will ich mir nicht kaufen
Hört sich wirklich richtig gut an. Danke für den schönen Text!