Lesezeit: 6 Minuten
Denke ich an Navoria, summt in meinem Kopf der Scooter-Track Friends durchs Ohr. Kurz gefolgt vom berühmten Zitat von Matthias Claudius: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.“ Ok, gereist bin ich streng genommen nicht, aber trotzdem kann ich einiges zu Navoria und der Erweiterung Die vergessenen Lande erzählen. Zum Beispiel, dass ich gar keine Motivation verspürte, die erste Partie zu spielen. Oder dass Uwe mit uns den Boden aufgewischt hat. Oder dass ich Navoria gerne weiterempfehle. Freunde, welche dieser Geschichten möchtet ihr auf der Reise durch Navoria hören?

Kurzcheck. Darum geht es in Navoria

Navoria (inklusive Erweiterung Die vergessenen Lande) spielt sich über drei Runden, und jede Runde ist in vier Phasen unterteilt. Während Phase 1 zieht ihr aus einem Beutel zwei Scheiben. Diese Scheiben zeigen an, aus welchem Bereich ihr entsprechend Karten nehmen könnt und in eurem Bereich platzieren dürft. Ihr wählt eine Scheibe, platziert sie im entsprechenden Bereich und werbt Freunde an. Die nicht gewählte Scheibe wandert in eine offene Auslage und erhöht dadurch die Auswahl für die folgenden Spieler, die nun entscheiden können, ob sie die offenen Scheiben nehmen oder wieder aus dem Beutel ziehen. Die kostenlosen Karten Freunde sind Händler, die mit bestimmten Spezies Handel treiben und euch so Siegpunkte ermöglichen. Die Baumeister platzieren Gebäude auf dem Spielplan, die roten Wachen beschützen eure Wanderung, und die Abenteurer helfen euch, auf dem Wanderweg vorwärtszukommen. Alles generiert irgendwie Siegpunkte.

Nachdem jeder Spielende vier Scheiben platziert hat, beginnt Phase 2. In umgekehrter Spielerreihenfolge wählt ihr eine eurer Scheiben und platziert sie – der Symbolik entsprechend – in der passenden Region auf dem Spielbrett, um Belohnungen zu erhalten. Danach erfolgt mit Phase 3 eine Wertung. Wer hat Navoria am besten entdeckt? Anschließend kehren in Phase 4 eure Entdecker nach Hause zurück und das Ganze startet erneut. Hört sich für euch wie ein staubtrockener Ausflug an?

Ihr wollt wissen warum mich Navoria gar nicht reizte?

Ich hatte gerade Dirk, Tim und Jan feste gedrückt und wieder nach Bonn verabschiedet, da hörte ich schon Olli, wie er Lisa und Dennis Navoria anpries.
„Ist ein total niedliches und einfaches Spiel, was aber echt ein paar Kniffe parat hält.“ Wow. Das packt mich jetzt total.
Ich hatte auf einen großen Klopper gehofft, etwas Episches zu viert zum Abschluss eines tollen Wochenendes: Andromeda’s Edge oder Civolution. „Und zusammen mit der Erweiterung ist der Preis bei Strohmann einfach unschlagbar.“ Ich setze den Gesichtsausdruck „geheucheltes Interesse“ auf, den man sich in der Brettspielszene auf jeden Fall antrainieren muss, und schnappe mir das Spiel. „Die Grafik ist echt auch ein bisschen abgefahren, aber irgendwie anders und ultra thematisch“, referiert Olli weiter und ich drehe den Karton.

Gleichzeitig dreht sich meine Stimmung nicht zum Besseren und mein Magen eher in die andere Richtung. Alles in mir schreit „Nein“. Ich will kein günstiges Produkt, ich will keine Kniffe, ich will keine abgefahrene Grafik. Schaut euch das Cover an, da hat der Entdecker doch eindeutig Pilze konsumiert und ist drauf. Ich will Benchmark. SETI oder Underwater Cities

„Hört sich super an, freue mich drauf“, sage ich zu Olli, der gerade beginnt, das Spiel aufzubauen.

Die Windrose gibt die Zugreihenfolge vor. In Phase Eins vom Startspieler beginnend. In Phase zwei rückwärts. Hier wird man manchmal durcheinander gewirbelt.

Uwe wischt den Boden auf

Uwe ist bekannt dafür, ein guter Spieler zu sein. Besonders Spiele, in denen eine Punkte-Engine durch Karten oder Kombinationen generiert werden kann, sind seine Spezialität. Nicht umsonst rennt Uwe in Arnak den Tempel regelmäßig nach oben oder gewinnt seit drei Partien Minos regelmäßig. Bei Navoria war es ähnlich, aber wir waren es irgendwie selbst schuld. Uwe hat sich sehr früh im Spiel eine funktionierende Engine aus blauen Händlerkarten gebaut. Was viel schlimmer ist: Wir haben ihn gewähren lassen, indem wir ihm die passenden Scheiben zur Auswahl überlassen haben.

Was war passiert? Uwe hatte sich in der ersten Runde bereits zwei blaue Karten gesichert, weil niemand sich für die passenden Karten interessierte. Leider ist auch niemandem aufgefallen, dass die Karten die gleichen Spezies bedienten und sich also perfekt ergänzten. Und Uwe hatte beides, sammelte fleißig und baute diese Engine gnadenlos aus. Brutal, effektiv, uneinholbar. Aber mit einem klaren Arbeitsauftrag für alle anderen: So nicht, mein Freund.

Mit den C-Karten kann man unfassbar viele Punkte sammeln. Besonders die blauen Händler Karten sind hier in Kombination mit den Symbolen (oben rechts) auf den Karten sehr mächtig. Achtung für die Mitspieler.

Eine weitere Partie

Mit diesem Wissen war die nächste Abenteuerreise eine andere. Das anfängliche lockere Draften und Anwerben der Freunde Karten war jetzt zielgerichtet. Zum einen auf die eigene Engine, zum anderen aber auch bedacht auf die Pläne der Mitspielenden mit folgenden Überlegungen: Überlasse ich ihnen ein Feld, kann eine so mächtige Synergie entstehen, die einen Vorsprung erwirtschaftet oder hinten raus mächtig anzieht. Ich habe mit Lisa und Dennis in Siegen Navoria gespielt und Lisa hat in der letzten Runde ein Synergiemonster erschaffen, das unseren Vorsprung in der letzten Wertung pulverisiert hat. Navoria ist dabei eine Reise, die unterschiedlich verlaufen kann, denn die Zutaten sind altbekannte, aber gut zusammengestellte Elemente. So lesen sie die Möglichkeiten von Navoria wie eine 5-Sterne-Hotelbeschreibung. End-of-Game-Wertung. Check. Set-Kollektion. Inklusive. Asymmetrie? Beim Start vorhanden. Variable Rundenziele? Selbstverständlich. Bonuswertungen. Im Spiel inkludiert.

Es gibt einige Wertungen in Navoria. Und somit viele Wege.

Eine empfehlenswerte Geschichte

An einem lauen Herbstabend in Südfrank entführte ich die Kinder nach Navoria. Ihre anfängliche Laune? Nun, stellt euch vor, ihr schlagt euren beiden Mädels im Alter von 14 und 18 Jahren vor, eine Wanderung zu unternehmen oder ein Museum zu besuchen. Ich beschreibe die Situation vorsichtig mit den Worten angespannt, widerwillig und trotzig. Die Erklärung zum Spiel dauerte ca. 15 Minuten, und das Spiel, in seinen Grundzügen, wurde verstanden, gespielt und für gut empfunden. Auffällig hierbei: Die Kinder blickten recht schnell die taktischen Möglichkeiten von Navoria und die eindeutige Symbolsprache. Ergo: Der zweite Besuch in Navoria war der zweite Besuch einer Stadt. Man kennt ein paar Ecken und probiert neue Dinge aus.

Die Scheiben wählen den Markt aus, von dem ich Karten nehmen kann.

Erweiterung

Ein kurzes Update zur Reise: Ich reise nach Navoria direkt mit der Erweiterung Die vergessenen Lande. Eine neue Region wird auf dem Spielplan platziert. Das Grundspiel bekommt etwas mehr Möglichkeiten, Asymmetrie und die Erweiterung zu fünf Spielern. Alles gehört für mich von Anfang an in die Grundbox. Bei Navoria ist dies allerdings zu verschmerzen, denn Grundspiel plus Erweiterung sind aktuell für ca.60 € zu ergattern. Ein richtig gutes Schnäppchen wie eine Reise bei Secret Escapes.

Schriftrollen und Lupen sind Elemente der Erweiterung.

Fazit

Ich bin sehr froh, dass ich die Reise nach Navoria auf mich genommen habe und das Spiel entdecken konnte. Alleine die Vielzahl an Menschen, mit denen ich das Spiel auf den Tisch bringen konnte, sagt einiges aus. Navoria bietet einen schnellen Einstieg, weil die Spielmechaniken einfach, intuitiv und thematisch eingebunden sind. Dazu eine sehr gute und logische Symbolsprache. Aber dann entfaltet Navoria eine Wucht, die besonders ist. Das Spiel gibt nach und nach unterschiedliche Reiserouten preis, und je nachdem, mit wem ihr das Spiel auf den Tisch bringt, ergeben sich tolle Geschichten und unterschiedliche Spielweisen. Ich empfehle direkt, die Erweiterung Die vergessenen Lande einzubauen, denn sie ermöglicht das Spiel zu fünft und bringt zusätzliche Möglichkeiten und taktische Optionen auf den Tisch. Auch wenn ich die Optik von Navoria nicht sonderlich mag, liebe ich das Spiel. Es ist ein toller Mix aus bekannten Elementen. Und das zu einem unglaublichen Preis.

 

Spielinformationen
Genre: Strategiespiel | Personen: 1-5 | Alter: ab 12 Jahren | Dauer: 40 - 80 Minuten | Autor/in: Meng Chunlin | Illustration: Meng Chunlin | vergünstigtes Rezensionsexemplar erhalten
SPIELSPASS
8.5
AUSSTATTUNG
7.5
SPIELIDEE
7
Positive Aspekte
Reisen und Entdecken thematisch im Spiel und in der Anleitung
Leicht zu lernen, schon anspruchsvoller zu gewinnen
Cooler Mix aus einfachen Spielelementen
Karten beeinflussen die eigene Engine und die der Gegner = clevere Interaktion
Klare Phasen und saubere Symbolsprache
Negative Aspekte
Optik war nicht mein Fall
Rollt eine Engine ist sie kaum zu stoppen
Großer Gap zwischen Einsteigern und Kennern des Spiels
8
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