Kurzcheck: Darum geht es in Frostpunk: Das Brettspiel
Frostpunk: Das Brettspiel ist ein kooperatives Brettspiel von Adam Kwapinski, der unter anderem auch das fantastische Nemesis zu verantworten hat. Als Vorlage diente das erfolgreiche Videospiel Frostpunk. Thematisch befindet wir uns in der von Frost und Schnee überzogenen dystopischen Steampunk-Welt, in der wenige überlebende Menschen in eisigen Einöden versuchen zu überleben. Gescharrt um einen letzten Wärme spendenden Generator versucht ihr nun die Geschicke der Bevölkerung in verschiedenen Szenarien zu lenken. Grob betrachtet besitzen die Szenarien alle ihre Eigenheiten und Szenario-Decks verschleiern anfänglich, wie man das Spiel überhaupt gewinnt. Du arbeitest dich als mit spielerischen Meilensteinen und kleinen Storyschnipseln einem möglichen Sieg näher.
Gemeinsam baut ihr Gebäude, sammelt Ressourcen, erforscht Technologie, unternimmt Expeditionen ins Umland und versucht eine Engine aufzubauen, die euer Überleben sichert. Wie setzt ihr eure wenigen Arbeiter:innen und Ingenieur:innen ein? Und was macht ihr mit den Kindern, die nichts können, aber trotzdem Nahrung und Wärme brauchen? Krankheiten werden sich ausbreiten, Unruhen und Streit wachsen und die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner im Zweiklang mit der eisigen Umwelt euch härteste Daumenschrauben anlegen! Von euch erlassene Gesetze können Ordnung und Vorteile erschaffen, bis dadurch entstehende Einschränkungen eure Führung wieder infrage stellen. Die Entscheidung am Morgen über Storykarten als gute Idee gefeiert, kann euch abends schon den spielerischen Kopf kosten. Und vergesst nicht, den Generator stetig mit Kohlen zu füttern, wobei auch hier ohne Wartung die Explosion und damit das Spielende wartet.
Wie komplex ist Frostpunk: Das Brettspiel?
Die Mechanik aus dem Zusammenspiel verschiedener Ereigniskarten und Phasen wird durch Workerplacement begleitet. Letzteres ist einfach gehalten, die Verzahnungen der Entscheidungen und Aktionen, der extreme Mangel an Ressourcen und die stark eskalierende Verschärfung durch suboptimale Entscheidungen macht das Spiel aber ungemein anspruchsvoll. Frostpunk: Das Brettspiel erwartet enormes Sitzfleisch und eine diskussionsfreudige Gruppe. Ihr gewinnt nur über die überlegte Planung mit Blick in die Zukunft, verliert aber wenn ihr die überfordernde Gegenwart nicht meistert. Jede mögliche (moralische) Entscheidung und Ressource will mit Interesse zehnmal umgedreht werden. Die Spielzeit in Erstpartien erreicht so locker 5 Stunden.
Frostpunk: Das Brettspiel fordert eine brutal intensive Ersteinarbeitung und ausufernde Ersterklärung, trotz vorbildlicher Spielhilfen. Es warten unzählige miteinander verzahnter Statusleisten, diverse Kartenstapel, die je nach Spielphase Ereigniskarten auslösen und all das muss verstanden werden. Weiter frisst es einem wie ein ausgehungertes Monster die Zeit beim Aufbau weg, auch dank eines schlechten Inlays. Der Einstieg ist also heftig! Mit ziemlicher Sicherheit werdet ihr zudem anfänglich als Gruppe scheitern. Nicht so ein bisschen, sondern mit einer Wucht, der dem Vergleich einen rasenden Bob im Eiskanal mit seinem Gesicht zu stoppen, standhält.
Es ist brutal!
Frostpunk: Das Brettspiel zeigt thematisch gekonnt eine düstere Eiszeit und überträgt dies hervorragend aufs Spielgefühl. Die Niederlagen zeichnen sich anfänglich selten ab. Die ersten Runden geben sich fast zahm und dann schlägt das Spiel krachend zurück. Du weißt immer, warum das Wort „Verkackt“ auf deiner Stirn am Ende steht. Herrlich! Ich genieße das jedes Mal aufs Neue. Und ganz ehrlich, so muss sich Apokalypse anfühlen. Siege schmecken hier zehnmal süßer als anderswo. Trotzdem liegt das Spiel sicher nicht jeder Gruppe. Frostpunk: Das Brettspiel ist mit das schwerste kooperative Brettspiel in meinem Regal. Aufgrund seiner ausufernden Spielzeit ist es auch eher ein Event-Brettspiel, welches man mit ausgewählten Gruppen bewusst angeht und nicht einfach auspackt. Dafür ist aber jede Partie und ihre gestrickte Geschichte jeglichen Aufwand wert. Weiterer Vorteil des Anspruchs: Alphaspielen wird abgeschwächt, dafür gibt es zu viele Wege, zu viel zu beachten, selbst wenn man manch Geheimnis aus den Szenarien kennt.
Es ist deine Geschichte
Das fängt schon am Morgen an. Irgendwas ist halt immer! Die morgendliche Ereigniskarte stellt euch vor ein zufälliges Problem mit drei möglichen Optionen. Soll Glücksspiel erlaubt werden? Wie bestraft ihr Menschen, die Nahrungsvorräte stehlen? Soll mit wertvollem Holz Spielzeug für die Kinder hergestellt werden? Eure Entscheidungen haben keine absehbare direkte Konsequenz, sondern es wird anhand eurer Entscheidung eine neue Story-Ereigniskarte ungesehen in den Stapel für den Abend gemischt. Glaubt mir, die moralischen Zwickmühlen bringen euch in wohltuenden Wahnsinn!
Danach drischt euch eine Wetterkarte die Kälte ins Gesicht. Wärmer wird es nie, sondern stetig kälter! Heißt, ihr braucht immer mehr Kohle, um eure gebauten Behausungen mit Wärme zu versorgen. Je weiter vom Generator weg platziert, desto mehr Hitze braucht ihr und desto mehr Kohle müsst ihr verfeuern. Auch hier droht Gefahr! Kohlesteine werden nämlich in den Generator (Würfelturm) geworfen. Ich spare euch die Details. Wichtig an dieser Stelle, sammelt ihr zu viele verbrauchte Kohle an, explodiert euch die Partie und es heißt einpacken.
Zwickmühle des Todes
Natürlich wartet dann noch das spielerische Herzstück in der Mitte des Tages. Wir lassen jetzt die Worker schuften! Eigentlich schuften aber wir, denn unsere Köpfe rauchen mehr als der Kohlegenerator. Jungfräulich in die Partie gestartet, ist die erste Notlage schnell klar: Das Volk braucht Schlafplätze! Alle brauchen ein Dach über dem Kopf, sonst sorgt die Kälte schnell für Tote, das vernichtet uns Worker und senkt dramatisch die Moral. Auch darüber können wir natürlich verlieren. Überall lauert das Game Over! Also das Holz für Schlafhütten verballern? Die sind aber schlecht isoliert und werden später bei stärkerer Kälte nicht mehr reichen. Häuser sind aber so teuer, dafür fehlt zurzeit das Holz, damit alle einen Platz haben! Wir könnten ein Gesetz erlassen, dass die Bürger zwingt, wie in der Massentierhaltung sich die Schlafplätze zu teilen. Gesetze erlassen kostet uns eine Aktion und auch dieses Gesetz zwingt uns dazu, eine Konsequenz in Form einer Storykarte in den abendlichen Ereignisstapel zu mischen. Keiner will neben fremden Käsefüßen schlafen, man kennt das. Was nun?
Wir brauchen noch Nahrung, wir sollten Holz sammeln und eine Sägemühle bei den Bäumen bauen. Eigentlich müssen wir auch noch Erkunden, das Spielfeld muss wachsen, damit wir mehr Rohstoffvorkommen und mögliche Bauplätze entdecken. Es reicht aber in Sachen aktuelle Ressourcen und Worker ergo Aktionen nur für einen Bruchteil. Wir kommen ins Schwimmen! Diese Runde hungern? Damit wir Holz sammeln können und alle Schlafplätze bekommen? Nächste Runde dann Jägerhütten bauen? Zu viel Hunger ist schlecht, das nimmt Worker temporär aus dem Spiel und weniger Aktionen sind räudig! Auch über zu viel Hunger kann man natürlich verlieren. Egal, ziehen wir das durch? Steht die Planung? Nein, brüllt da meine Frau, denn ihr fällt auf, wir haben die Kohle aus den Augen verloren. Äh … wie soll man das schaffen! Frostpunk: Das Brettspiel willst du mich verarschen?
Schwitzen am Abend!
Neben diversen Verwaltungsphasen, die all die Bedürfnisse und Ereignisse regeln und anfänglich erschlagen, aber das Spiel auch so dicht erscheinen lassen, wartet dann natürlich noch der Abend und diese verdammten Ereigniskarten, generiert aus unseren Entscheidungen. Nicht immer passieren schlimme Dinge. Manche Ereignisse kann man vielleicht sogar antizipieren und man freut sich über Vorteile, oftmals gibt es aber auf den Po! Wer am Morgen den einfachen Weg geht, erlebt seinen Albtraum am Abend. Die Bürger:innen sind Wutbürger Deluxe! Ich möchte an dieser Stelle keine Konsequenz verraten, aber es ist thematisch ein Fest, spielerisch immer eine große abartige Herausforderung und es verdirbt einem oft genug die Züge. Hier hilft Galgenhumor und das Genießen des Untergangs ungemein.
Unfassbar geil!
Dieses komplexe und ungemein thematische Spiel bräuchte eigentlich noch zig weitere Absätze. Über die modularen Technologien, die immer wieder tolle neue Strategien ermöglichen, oder die Zwickmühlen bei den Erkundungen, bei denen man nicht nur Ressourcen findet, sondern auch neue Bürger. Doch will man die? Ja, es winken dann mehr Worker, aber haben wir den Platz und die Nahrung? Weißt man frierende Kinder an den Mauern seiner Gemeinschaft ab? Auch die verschiedenen und in großer Anzahl vorhandener Gebäude, die ganz unterschiedliche Engines erlauben, begeistern. Und auch wenn ich hier hoffentlich genug betont habe, wie dieses Spiel euch als Gruppe zerschmettern wird, es kann gewonnen werden. Selbst schon erlebt und es fühlt sich gigantisch an!
Fazit
Frostpunk: Das Brettspiel ist eine ungeheure Herausforderung. Damit ist nicht nur die spielerische Ebene angesprochen, sondern auch der Einstieg, der Aufbau und die Spielzeit. Das Inlay ist der Schandfleck des Spiels, aber abseits dessen ist das hier maximal epische Wucht. Frostpunk: Das Brettspiel steht mit eisigem, bisweilen diabolischen Lächeln Schulter an Schulter mit den ganz großen kooperativen Brettspielen unserer Zeit. Es ist unfassbar thematisch dicht gewebt und zwischen moralischen Zwickmühlen, brutalem Mangel an Ressourcen, harten Planungsdilemmata und obszön vielen Statusleisten entfaltet sich Kopfkino und spielerischer Anspruch gleichermaßen. Ja, dieses Spiel ist brutal hart. Du brauchst das Mindset eines Terriers, gemischt mit der Anatomie eines diabolischen eisengepanzerten Käfers. Festbeißen und harte Schale sind Pflicht, um dieses Event-Spiel genießen zu können. Hast du so eine diskussionsfreudige Käfer-Hund-Runde mit Sitzfleisch? Dann mache dich auf in die Kälte, du wirst spielerisch Fantastisches erleben!
Info: Die Bilder zeigen die Deluxe-Ausgabe.
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Oh Mann, und schon will ich es haben! Aber jetzt ist erst einmal Sword & Sorcery die alten chroniken an der Reihe
Sehr intensive und mitreißende Rezension – die Liebe-Hass-Liebe kommt gut rüber. 😉 Bin unfassbar gespannt auf meine Erstpartie. Aufgrund des enormen Zeitbedarfs muss ich noch auf den Pfingsturlaub warten. 😅
Danke. Frostpunk bleibt in meinem Regal. Ich finde es wirklich mega stark, aber ich habe eben auch meine Gruppe oder eben meine Frau, wir spielen es auch zu zweit. Ich denke, es ist für viele Spielgruppen aber weniger reizvoll.
Das Spiel wäre vom sehr komplexen Micromanagment nix für mich und auch ehrlicherweise nix vom Frustpotential.
Was man dem Spiel aber lassen muss, ist die Tatsache, das ein Designer so ein kompromissloses Spiel designt UND auf den Markt bekommen. Das ist heutzutage schon definitv ein Erfolg in sich.
Das Spiel ist auch im Solo sehr zu empfehlen, nehmt dann aber bitte die App mit dazu. Die erleichtert den Überblick über die Phasen ungemein. Ich würde jedem Käufer prinzipiell auch 1-2 Solo-Partien empfehlen, bevor man es der eigenen Spielegruppe erklärt, das macht vieles leichter finde ich.
Und Frust hatte ich noch nie… ich wusste im Nachhinein immer, wo ich so ca. 3 Runden vorher besser eine andere Entscheidung getroffen hätte, aber das hat mich viel mehr motiviert als gefrustet.
Und kauft ein ordentliches Inlay, die Investition ist das Spiel und die Zeitersparnis wert.