Kurzcheck: Darum geht es in Die Klapperschlange
Die Klapperschlange – Escape from New York behandelt logischerweise die Ereignisse des Kult-Films. Der Präsident der USA ist in seiner Air Force One mitten in Manhattan abgestürzt, mit dabei hat er einen Aktenkoffer, in dem sich ein Tape mit wichtigen Informationen befindet. Das Problem: Manhattan ist die größte Gefängnisinsel der Welt, wo alle Schwerverbrecher:innen in Gangs nach dem Gesetz des Stärkeren herrschen. Ein Ort voller Freaks und Gewalt! Das Brettspiel Die Klapperschlange beginnt von der Handlung allerdings mitten im Film. Snake befindet sich schon innerhalb von Manhattan und trifft in der „Bibliothek” gerade auf die drei kauzigen Charaktere Brain, Maggie und Cabbie. Damit wäre auch klar, welche Figuren im Spiel von euch verkörpern werden. Ob ihr euch schätzen werdet? Schaut in die Gesichter am Tisch. Kennt schon jemand den sicheren Weg durch die verminten Brücken? Wurde das Tape schon gefunden? Wer hat Informationen darüber, wo sich der Präsident befindet? Tipp von Blogger, ihr solltet euch nicht vertrauen, aber müsst trotzdem gemeinsam arbeiten. Hier wird klar, das Brettspiel trifft den Nerv des Films. Wer jetzt empört meint, er verstehe nur halben Bahnhof, weil er den Film nicht kennt, der geht am Rande einer Ohrfeige spazieren. Empörung gibt es hier von mir nämlich nur bei Unkenntnis des Films! Aber im Ernst Leute, auch wenn der Film aus heutiger Sicht nicht mehr ganz frisch ist, schaut ihn euch vorher an, weil es das Spielgefühl ungemein verbessert. Warum? Übt euch noch ein paar Absätze in Geduld.
Mechanisch ist Die Klapperschlange übrigens recht simpel in den Zügen der Spielenden, was dem Flow des Spiels guttut. Im Grunde kombiniert das Spiel Handkarten- und Akionsmanagement, bei dem ausgespielte Karten Aktionen auslösen und das Deck gleichzeitig die Lebenspunkte der Charaktere sind. Dazu gesellt sich Charakterentwicklung, zwingende Erkundung des Spielbretts und eine drangsalierenden Ereignis-Zeit-Mechanik. Letzteres sorgt für ordentlich Druck! Das passt auch hier wieder zum Film. Schließlich schlummert in Snake eine implantierte Bombe! Die wenige Downtime kann gelobt werden, ist aber auch nötig, weil eine etwas aufwendigere Verwaltungsphase die Aktionen der feindlichen Protagonisten in Manhattan steuert und entsprechend auch seine Zeit frisst.
Aller Anfang ist Spannung
Da steht man nun zusammen mitten in Manhattan. Wo ist der Präsident? Wo ist das Tape? Und über welche Brücke können wir fliehen, weil wir den passenden Minenplan besitzen? All diese Ziele müssen erfüllt sein, wenn wir gemeinsam gewinnen wollen. Um uns herum unbekanntes Terrain, wo Gewalt und die Gangs herrschen. Dabei besitzen wir am Anfang nicht viele Waffen und die Munition ist begrenzt! Spannend. Das Ziel sind die 8 besonderen Orte, rot hervorgehoben, die beim Spielstart zufällig verteilt werden. Irgendwo innerhalb dieser roten Orte befindet sich nämlich der Präsident oder das Tape, aber auch Fallen oder gefährliche Gangbosse. Manhattan ist zudem groß! Wohin zuerst? Wer geht mit wem? Welche Route? Absprachen. Spannung. So muss das sein! Erinnert an dieser Stelle wirklich an Nemesis.
Über unsere leicht unterschiedlichen Karten, zum Spielstart hat man das gesamte Deck auf der Hand, aktiviert jede Person pro Runde zwei Karten. Dadurch führst du Aktionen aus und verursachst Lärm. Nach einer Bewegung auf eine aufgedeckte Ortskarte wird angrenzend eine neue Ortskarte gelegt. Natürlich wird diese zufällig gezogen! So entblättert sich Manhattan in jeder Partie neu. Auf den Orten warten Barrikaden, Gegner und zu findende Gegenstände. Gekämpft wird auch über die Karten, wobei erhaltener Schaden dich zwingt, zufällige Handkarten abzuwerfen. Das verringert die spielerischen Möglichkeiten und du musst vielleicht früher deine Karten wieder zurückzuholen. Und das willst du um jeden Preis vermeiden, weil dies die Zeit vorantreibt. So werden nicht nur fiese Ereigniskarten gezogen, die weiter Druck ausüben, sondern ihr kommt eurem Spielende auch näher. Euch steht nämlich nur ein gemeinsamer und begrenzter Vorrat an „Zeit“ zur Verfügung.
Manhattan hat Zähne!
Allgemein zeigt euch Manhattan die Zähne. Die gegnerischen Spielfiguren können, gerade wenn sie in Massen auftreten, weil man sie vielleicht erst ignoriert, einem sehr gefährlich werden. Barrikaden zwingen zu Umwegen. Irgendwas ist halt immer! Dazu wird durch das Aufdecken und Betreten der roten Gebiete, was ja zwingend ist, um den Präsident zu finden, die Partie schwerer. Denn die dort schlummernden drei Gangbosse besitzen nicht nur ordentlich Punch, sondern sie verändern auch das New-York-Deck, welches die Gegner auf dem Spielfeld nach jeder Runde steuert. Der „Charme“ dieser Anführer sorgt so dafür, dass die Gangmitglieder plötzlich mehr Lebenspunkte besitzen oder sich z.B. anders bewegen. Auch erhöht sich durch diese Karten die Wahrscheinlichkeit, dass die Eskalationsanzeige steigt. Die zeigt nicht nur thematisch an, wie sehr auch Manhattan euch an den Arsch will, sondern bestimmt auch, wie viele Ereigniskarten ihr ziehen müsst. Ich sage euch, so wie im Film die Lage sich zunehmend verschlechtert, so wird auch hier aus einer fast gemütlichen Erkundungstour eine echte Hetzjagd.
Kopfkino ohne Kopf
Meine Frau war schon direkt nach der ersten Partie dankbar, dass ich sie zum Schauen des Films überredet hatte. Ohne diese Kenntnis kann man kaum greifen, wie viel Liebe im Detail einem hier ins Gesicht geschmiert wird. Von kleinen unscheinbaren Details wie die orangefarbene Umrandung des Feldes, wo der Vorrat an Verbrecherminis platziert wird, der dann auch noch garniert ist mit dem Text „No talking. No smoking. Follow the orange line to the Processing Area“ bis hin zur passenden visuellen Umsetzung der Karten. Grandios! Als ich in meiner ersten Partie als Snake mit meiner Karte Stachelkeule und der mit der Filmszene garnierten passenden Kampf-Aktionskarte wirklich am Ort des legendären Boxrings im ehemaligen Grand Central Terminal den Schurken Slage zu Brei prügelte, da wollte ich den Autor Kevin Wilson einfach nur abknutschen. Legendär. Im Film und jetzt auch im Brettspiel! Ich war wieder 14 Jahre und Snake mein Held.
Jede verdammte Karte passt wie die Faust aufs Filmauge. Die zu spürende Spannung, die Eskalation in Manhattan, die Zeit, die einem fühlbar im Nacken sitzt, als würde ich den Film auf dem Tisch abspielen. Aber auch ohne die Filmverweise ist das Brettspiel Die Klapperschlange wunderbar immersiv. Ein einfaches Beispiel sind die Fahrzeuge im Spiel. Du kannst damit rumcruisen, bist schneller und kannst Leute mitnehmen. Steigst du aus und gehst zu Fuß weiter, bleibt das Fahrzeug stehen. Jetzt können selbst Gangmitglieder einsteigen. Andersrum geht es auch! Auto mit Gangmitgliedern wegballern und mit dem Teil selber wegfahren. Wir erlebten in einer Partie einen regelrechte Verfolgungsjagd. Thematisch ist Die Klapperschlange somit eine absolute Wucht!
Wo ist das Semi in Kooperativ?
Markus, Inga und ich fighteten wie die Berserker. Ich hatte den Koffer gefunden. Die beiden befreiten den Präsidenten und wir hatten den Minenplan für Brücke drei. Also dort treffen und wir gewinnen gemeinsam. Wir rechneten rum und kamen zu dem Schluss, dass wir noch drei oder vier Runden bräuchten. Allerdings folgten Markus und Inga eine Horde an Gangmitgliedern. Da mein geheimes Ziel, davon bekommt jeder zu Anfang eine Kombination aus Fluchtort und Bedingung ausgeteilt, das Finden des Präsidenten vorgab und ich im Besitz des Tapes sein musste, tat ich erst nur so, als würde ich zur Brücke 3 gehen. Ich bog dann kurzerhand nach Norden ab und erreichte den Heliport der Polizei und haute alleine ab. Ätsch. Ihr habt verloren, ich alleine gewonnen. War das witzig? Ja! War das thematisch? Ja. War das spielerisch der Knaller? Jein.
Ja, das Spiel heizt das Misstrauen an. Jeder hat Angst, dass die Spielsituation zu einem geheimen Ziel eines anderen passt. Man kann auch beim Tape bluffen, weil es auch falsche Tapes gibt. Auch die „privaten“ Fluchtorte abseits der Brücken sind weit auseinander oder müssen erst gefunden werden. Verrat ist also nicht einfach! Er wird auch ein Stück vom Zufall gesteuert und andere Mitspielende können mitunter kaum eingreifen. Zudem ist, anders als bei Nemesis, das Spiel bei einer geglückten verräterischen Flucht sofort vorbei. Das fühlt sich konsequent an, ist spielerisch aber weniger befriedigend. Der semi-kooperative Aspekt ist daher weniger ausgeklügelt und motivierend wie der gute Rest des Spiels. Trotzdem trägt er aber zur Stimmung bei.
Fazit
Die Klapperschlange liefert dank des Autors Kevin Wilson das ab, was ich mir als Fan des Films erhoffte. Vielleicht sogar ein bisschen mehr. Und dem Verlag Pendragon Game Studio gelingt nach The Thing: Das Brettspiel die nächste gute Filmumsetzung. Wer den Film kennt, erlebt hier in Details des Spielmaterials, im Spielgefühl aus Spannung, Verrat, Zeitdruck und einem erbarmungslosen umgesetzten New York ein echt launiges Vergnügen. Dazu besitzt die Spielversion von HeidelBÄR Games schon im Grundspiel einige wichtige Kickstarter-Extras, die die Abwechslung steigern. Abseits der Liebe zum Film gelingt es dem Spiel Spielreize durch eine gelungene Erkundungs- und Deckmechanik zu setzen, zu dem auch die Steuerung der Stadt als Widersacher mit seiner spürbaren Eskalation beiträgt. Im Kern bleibt Die Klapperschlange dabei fluffig zu spielen. Einzig der semi-kooperative Aspekt bleibt etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück. Er trägt zur Atmosphäre bei und ist kein völliger Reinfall, aber von zu viel Zufall und zu wenig Steuerung geprägt und einem harten Ende. Da Die Klapperschlange aber kein Brettspiel ist, welches man für den Spielsieg spielt, sondern für das immersive Eintauchen, die knisternde Spannung am Tisch und eine immer wieder neue Entwicklung, kann das Spiel gerade für Filmfans trotzdem empfohlen werden.
Info: Die Bilder vom Spielmaterial zeigen die Deluxe-Erweiterungen und die Playmat.
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