Interessante Einblicke
Während der Begrüßung durch Ulrich Fonrobert, Verlagschef Rajive Gupta und den Autoren Stefan Feld und Marcel Süßelbeck wird schnell klar, dass hier sind Menschen, die lieben nicht nur Brettspiele, sondern schätzen sich auch als Menschen. Dabei wird auch die Außenwahrnehmung des Verlags angesprochen und ich bekenne mich hier als schuldig in der Anklage. Mal auf der SPIEL gewesen und die großen Stände von Queen Games gesehen? Mein projiziertes Bild im Kopf war immer das eines Verlags, bei dem im Hintergrund hunderte Mitarbeitende herumwuseln und an Brettspielen schnitzen. Mag Queen Games zwar durchaus international agieren und ein traditioneller Player im Brettspielgeschäft sein, so lässt sich der feste Stamm auf wenige Menschen herunterbrechen. Manchmal wird dies vielleicht vergessen, wie familiär die Branche doch ist. Am Ende macht dies aber auch die besondere Atmosphäre aus. Genauso wie das selbst gekochte grandiose indische Essen, das allein im Schärfegrad Geschichten fürs Lagerfeuer produziert. Hitzewallungen verstecken sich auch hier.
Queen Games Neuheiten ’23
Jetzt aber geht es in den Engtanz mit den Neuheiten von Queen Games. Ich habe gespielt, bis mir die Synapsen aus den Ohren hingen. Da mich keiner gezwungen hat, zeugt das von spielerischen Reizen. Freut euch jetzt auf die Details, vorgestellt in gespielter Reihenfolge.
Vienna
Vienna ist eine starke Überarbeitung von La Isla. Da ich diesen Titel nicht kenne, ist der Einstieg denkbar schlecht gewählt. Vergessen wir das also und freuen uns lieber über diesen tollen Titel. Das Material ist hochwertig, die Gestaltung thematisch prägnant und die Symbolsprache erschien mir klarer als bei den Titeln letztes Jahr. Auffällig: Das Spielbrett taugt fast als Stadtkarte von Wien und präsentiert diverse Sehenswürdigkeiten. Dabei versucht man als Geheimorganisation die verschiedenen Besatzungsmächte, die an erwähnten Sehenswürdigkeiten ihren Sitz haben, durch eigene ausgesandte Agenten mit verschiedenen angefragten knappen Gütern der Nachkriegswelt zu bestechen. Aus zwei Gründen macht man dies. Zum einen kann man bei der Nation, zu dem man einen Agenten schickt, ausliegende Aufträge annehmen oder abgeben und so Geld oder Siegpunkte generieren. Zum anderen baut man sich so ein Netzwerk aus Agenten auf, welche an Schnittpunkten geheime Informationen von Informanten abnehmen. Dies bringt Siegpunkte ein, vor allem am Spielende über verschiedene Wertigkeiten, die von den gespielten Karten innerhalb der Partie abhängen.
Spielerische Feinheiten
Spielerisch verplant man pro Runde gezogene Karten auf drei Slots, die für im Spiel bleibende Spezialaktionen, Ressourcengewinnung und Einfluss stehen. Der Clou: Jede Karte bedient theoretisch all drei Optionen, allerdings darfst du jede Karte nur für eine Option benutzen. Wo verplanst du also deine Karten? Passt die Planung zum Einsatz der Agenten und hast du für die Aussendung zu den Orten überhaupt genügend Güter? Welche Aufträge willst du ziehen? Passt das wiederum zum Netzwerk? Dazu gesellt sich Tableauentwicklung durch die Abgabe von Geld, aber dies auch nur in bestimmten Runden und sehr begrenzt. Du musst dich also entscheiden und hoffen, dass in einer Marktphase dann auch Zaster im Beutel ist. Hatte ich erwähnt, dass die Agenten auch ab und an bezahlt werden müssen? Kannst du nicht? Schau, wie sie vom Spielbrett wandern und dein Netz zusammenbricht. Ich gebe zu, anfänglich war ich echt überfordert. Eine Überforderung der guten Art. Vienna besitzt eine angenehme Tiefe auf höherem Kennerspielniveau mit charmant interaktiver Art, ohne wirklich ganz fies zu sein. Vorläufiges Fazit nach dem Anspielen: starkes Teil und ich freue mich auf weitere Partien!
Graffiti
Ich wurde ständig vom Spielen abgelenkt. Schuld war nicht das Smartphone, auch wenn es immer in meiner Hand war. Nein, ich musste Fotos machen. Immer wieder aufs Neue, weil das Thema eben einzigartig hübsches Material auf den Tisch zaubert. Wie der Name es vermuten lässt, dreht sich hier alles um Farben, Spraydosen und dem Sprühen von fetten Graffitis. Vielleicht waren meine Mitspielenden peinlich berührt und ich bin jetzt der Cringe-Blogger, aber ich musste öfters ein paar fette Lines droppen. Thematischer Trash-Talk! Das Brettspiel selbst richtet sich vor allem an Familien. Durch übersichtliches Workerplacement erspielt man sich verschiedene Farben, die dann gegen Teilstücke von Graffitis auf einem gemeinsamen Spielbrett umgetauscht werden. Je mehr oder spezieller die Farben, desto wertvoller das Teilstück und damit die Siegpunkteausbeute. Fertiggestellte Graffitis bringen am Ende pro eigenes Teilstück noch in Abhängigkeit zur Größe des Graffitis Extra-Punkte.
Das Gemeine, du kannst nicht einfach ein Teilstück besprühen. Vorher musst du dir für den jeweiligen Tunnelabschnitt ebenfalls über den Einsatz von Workern die Berechtigung kaufen. Dumm nur, dass der Tunnel in sechs Bereiche aufgeteilt ist und die Auslage immer schwankt. On top können mit dem Einsatz über Worker noch Spezialplättchen für starke Sonderaktionen oder die Macht über den Bobby erspielt werden, der das Sprayen erleichtert. Es ist und bleibt am Ende aber eher seicht, glänzt aber mit einem außergewöhnlichen und frischen Thema.
Future Energy
Future Energy basiert auf dem Spiel Pioneers von Queen Games. Statt Western gibt es jetzt allerdings den Kampf zwischen erneuerbaren Energien. Da ich als Thema mit dem ganzen Western-Setting so viel anfangen kann wie ein Norddeutscher mit Karneval, bin ich erst einmal im Team Future Energy. Spielerisch ist das hier bisschen Tableauentwicklung, vornehmlich aber streitet man sich um den Ausbau von Energietrassen ähnlich wie in Zug um Zug, um kostengünstiger den Bautrupp zu versetzen, wo noch die alten Dreckschleudern wie Gas- Öl-, Kern- und Kohlekraftwerke stehen. Bewegt man den Bautrupp zu so einem Ort in seinem Zug, darf man dort den „Schmutz“ abreißen und seine persönliche Energiegewinnung wie Fusion, Wasserstoff, Wind oder Sonne von einem seiner offenen Projekte stellen.
Der Witz ist, danach darf das in Spielerreihenfolge die erste Person, die es sich leisten kann, ebenso. Da am Ende Mehrheiten in den Regionen entscheiden, gar keine schlechte Idee. Du willst eben mitmischen und daher Nutznießer sein. Da aber der Abriss der alten Kraftwerke je nach Art verschiedene Boni auslöst und dieser Bonus nur dem aktiven Spielenden zusteht, nicht immer die beste Idee. Dazu gesellt sich der Ausbau der Routen, bei dem am Ende durch ein gutes Netz auch noch Siegpunkte winken. Future Energy ist schnell erklärt, sehr zügig gespielt und besitzt eine nicht uncharmante Menge an Interaktion. Ein gutes Spiel für den gehobenen Familienspielbereich.
Finish Line
Äh ja. Wir wetten auf Pferde. Welche Pferde gewinnen, wissen wir nicht. Also das Startkapital auf verschiedene Pferde gesetzt und dann wird gewürfelt. Pferde können disqualifiziert werden, nach vorne preschen, die Position tauschen. Je nachdem wie die gewürfelten Symbole den Pferden zugeordnet werden. Kann vielleicht funktionieren, aber das Highlight bei uns war Stefan Feld am Tisch, der den besten Rennbahnansager aller Zeiten gemacht hat. Ich vermute, er arbeitet in Teilzeit in Hamburg bei der Horner Rennbahn und kommentiert dortige Derbys.
Das Grundproblem mit dem Spiel entstand bei uns aus zwei Elementen. Erstens, man setzt natürlich seinen Gewinn auf verschiedene Pferde. Das Pferd, das am Spielstart ganz hinten ausliegt, hat eine astronomisch hohe Quote. Eigentlich realistisch. Nur, wenn alle da den fetten Braten riechen, dann setzen alle ihre besten Würfe so ein, dass dieses Pferd eben nach vorne kommt. Und das geht ziemlich easy. Es mag am Meta-Game bei uns gelegen haben, aber so hat das Spiel nicht wirklich funktioniert. Zweites Problem: Die Würfel werden frei gewählt und besitzen verschiedene Stärken. So werden zunächst alle starken Würfel aktiviert bis am Ende alle nur noch die schlechten haben und das Spiel zu einem skurrilen, weil oft belanglosen Würfelfest verkommt. Mich hat es ziemlich ratlos zurückgelassen.
Cuzco
Eines der besten Brettspiele von Stefan Feld ist für mich Bora Bora. Nicht umsonst habe ich ein solch in die Tage gekommenes Spiel im Jahr 2023 mit einer Rezension auf Brett & Pad verewigt. Cuzco packt Bora Bora nun in ein anderes Gewand und zeigt im Detail ein paar andere Seiten. Ich mache es kurz, es ist fantastisch! Das Material ist schick und opulent. Es lädt zum Spielen ein, wesentlich mehr als beim Original, wenn auch dessen Kompaktheit je nach Tisch von Vorteil sein kann. Die Symbolsprache ist schnell verinnerlicht, dazu wird das Auge thematisch wie spielerisch passend durch die Wertungskategorien der Runden geführt. In der Frage des Monats wurden vor kurzem noch schlechte Spielbretter kritisiert. Cuzco ist ein wunderbares Beispiel, wie man es besser macht. Dabei behält es seine Stärken aus immenser Verzahnung, einem einfachen, aber verzwickten Würfeleinsetzmechanismus und einer spielerischen Eleganz, weil aus vielen Sackgassen eben doch Wege zum Ziel führen.
Die wohl größte Veränderung ist die Überarbeitung der Götterkarten. Früher hatte jede Kartenfarbe nur eine Fähigkeit und es wurde pro Runde eine zufällige Zusammenstellung verdeckt gezogen. Jetzt gibt es pro Farbe verschiedene Karten und pro Farbe liegt immer eine aus. Damit variieren die möglichen Bonusaktionen der Karten wesentlich mehr, gleichzeitig sind aber alle spielerischen Themenfelder durch die Farben immer abgedeckt. In der Erstpartie hat mir diese Veränderung sehr gefallen. Weitere Partien werden zeigen, ob die Veränderungen langfristig überzeugen. Stand jetzt ist Cuczo eines der möglichen Highlights 2023 und eine Partie auf der SPIEL 23 kann ich euch nur raten! Hitzewallung incoming …
Marrakesh: Camels & Nomads
Ekstase! E K S T A S E. Es ist kein Geheimnis, wie sehr ich Marrakesh liebe, ansonsten werft einen Blick in meine Rezension. Und ihr wisst auch, ich bin kein grundsätzlicher Freund von Erweiterungen. Dann sah ich dieses fette zusätzliche Brett für Marrakesh, mit seinen Kamelen auf der Rennbahn und meine Neugierde war auf 284,78% Wachstum explodiert. Anspielen konnte ich es zwar nicht, aber eine ausführliche Erklärung zeigte mir wirklich jedes Detail. Ich will es spielen. Gestern!
Der Solo-Modus von Dávid Turczi lässt andere vielleicht ausflippen und er sah auch schick aus, aber ist nicht meine Baustelle. Das Kamelrennen hingegen schon! Es winken nicht nur Siegpunkte für die Führenden, sondern man kann sich pro Runde wechselnde Boni gönnen. Der Kniff besteht allerdings darin, dass die Kamele mit Keshis angetrieben werden. Je unterschiedlicher die Zusammenstellung, desto schneller das Kamel. Die Keshis fehlen dann an anderer Stelle! Weiter winken durch verteilten Dunk an die langsamsten Kamele Bestrafungen. Ist das Modul also implementiert, sollte man es nicht gänzlich ignorieren. Finde ich grandios, weil es so in das Grundspiel wirklich implementiert wird und nicht eine optionale Angelegenheit bleibt. Genauso interessant empfand ich die neuen Spezialgebäude. Vor Spielbeginn verteilt, verändern sie die Startressourcen und bieten einmalige Fähigkeiten, die das eigene Spiel in eine spezialisierte Richtung drücken. Das gibt auch Anfänger:innen einen strukturellen Rahmen. Begeistert haben mich auch die neuen Steuerplättchen, die bekanntermaßen jede Runde die Abgabe von Ressourcen regeln. Hier kann man nun neue Plättchen auswählen, die wesentlich mehr Abgaben erfordern, dafür aber mit starken Fähigkeiten locken. Zusätzlich gibt es mit den Nomaden einen neuen Keshi. Dieser ist flexibel einsetzbar, weil er als Joker überall eingesetzt werden und sogar immer wieder versetzt werden darf. Damit das nicht zu mächtig ist, kostet das versetzen Münzen. Aber Leute, was ist da denn bitte spielerisch Neues möglich?! Weitere Luxusgüter und Oase-Plättchen runden das Paket ab. Ich bin echt heiß drauf und auch hier kann ich nur von einem Pflichtkauf sprechen.
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