Lesezeit: 4 Minuten

Hellblade: Senua’s Sacrifice hat mich mit seiner Dunkelheit zerquetscht und den Entwickler Ninja Theory zolle ich meinen ganzen Respekt dafür! Hellblade ist einzigartig und für mich ein neuer Pflichttitel in der Videospielhistorie. Davon gibt es nicht viele! Nicht weil es spielerisch stark wäre, das ist es nämlich zu keiner Zeit. Die Grafik ist wie ein opulent gedeckter Tisch zu Odins Ehren, aber leider nur streckenweise. Also die Story? Nicht ganz. Sie ist ein Teil dessen was begeistert, aber nicht auf inhaltlicher Ebene. Es ist die Erfahrung von Leid. Die Erfahrung von Psychosen.

Senua wird eindruckvoll visuell dargestellt

Neurowissenschaftler, Patienten und Ninja Theorie

Und weil Ninja Theory das Thema wichtig ist, stellen sie vor Spielbeginn per Infoscreen klar was Sache ist. Denn die Entwickler wurden bei der Arbeit an Hellblade von Neurowissenschaftlern und Patienten mit Psychosen begleitet und unterstützt. Ninja Theory erzählt in Hellblade eine Fantasy Geschichte um die keltische Heldin Kriegerin Senua, die sich zu einer Odyssee aufmacht, um die Seele ihres Liebsten Dillon zu retten. Eingerahmt ist das Spiel in die nordische Mythologie. Hier lernt man viel über die Sagen der Nordmänner, und inhaltlich so fundiert, das die meisten Fans von Heavy-Metal-Wikingern noch ordentlich was lernen werden. Der springende Punkt ist aber, das Ninja Theorie diese Narrative nur als Gewand benutzt. Es ist die Kleidung, das Fleisch darunter sind die Psychosen mit denen Menschen tagtäglich leben. Und eben unsere Heldin Senua.

Ich will nicht zu viel verraten, eigentlich gar nichts und so nehme ich als Beispiel etwas inhaltlich harmloses. Es wird dich auf der Reise mit Senua fast ununterbrochen begleiten: Stimmen. Aufwendig abgemischt, in unterschiedliche Tonlagen und Stimmarten. Laut brüllend scheuchen sie dich. Sie flüstern leise, kitzeln dein Ohr. Sie sind hinter Dir. Vor Dir. In Dir!  Sie verfluchen dich. Raten Dir zur Aufgabe, lachen dich spöttisch aus. Manchmal helfen sie Dir aber auch, weisen Dir den Weg, geben einen Tipp. Und das alles oft gleichzeitig und andauernd. Der Anfang des Spiels, der erste Kontakt, am besten über sehr gute Kopfhörer wahrgenommen, ist atemberaubend intensiv und von beeindruckender Brillanz. Was für eine Soundkulisse! Es ist das versuchte Eintauchen in die Welt von Schizophrenen und Menschen mit akuten Psychosen. Macht das Spaß? Nein, irgendwie nicht. Aber es ist ein beeindruckender fühlbarer Wahnsinn.

Das Making Of

Nach dem Spiel ist bei Hellblade vor dem Spiel. Denn dann, und wirklich erst dann, sollte man sich das Making Of angucken. Neben diversen Spoilern zur Geschichte, wird hier eines klar: Ninja Theory hat über Monate absolut eng mit Psychologen und Patienten zusammengearbeitet. Ich persönlich war tief davon beeindruckt wie nah dran die Entwickler an den Lebensumständen der Patienten waren und was alles im Spiel einen Bezug zu Psychosen hat. Oft hat man eine Ahnung, aber meine Berührungspunkte mit dem Thema sind gering – außer einem Fall von Schizophrenie in der Familie. Insofern leistet hier Hellblade sogar Aufklärungsarbeit. Wer dann im Making of die stolzen Gesichter der Betroffenen sieht, die in Hellblade mitarbeiten durften, setzt emotional das Spiel noch ein Treppchen höher.

Optisch zum Teil ein wahrer Leckerbissen

Das Leid erfahren

Hellblade zelebriert das Leid und das Leiden damit außergewöhnlich und hautnah. Man kann nun argumentieren das Leid, Verlust und Drama, genau wie psychotische Störungen, schon oft thematisch in Videospielen behandelt wurden. Ein Silent Hill befeuert den Spieler durch seine Charaktere damit. Genau so wie Eternal Darkness: Sanity’s Requiem. Oft nur durch Schockmomente und/oder Videoeinspieler. Am Ende geht es im Spiel einfach weiter. Der Tomb Raider Reboot hatte auch eine absolut verängstigte und kurz glaubhafte gebrochene Frau präsentiert. Fünf Minuten später schießt sie sich durch Gegnerhorden. In Last of Us verliert Joel seine Tochter. Dramatisch, ein Aufhänger für das Spiel. Aber man merkt hier, es ist ein Spiel und am Ende soll man eben Banditen wie auch Pilz-Zombies bekämpfen.

In Hellblade ist das Leiden und der Kampf bzw. die bewusste Auseinandersetzung mit seiner Angst, durchgängig Thema und vor allem fühlbar. Man kriegt es nicht vorgesetzt, man wird ein Teil davon. Durch das Fehlen eines Interfaces, ja jeglicher Erklärung im Spiel, wird dieses mittendrin noch verstärkt. Es wird auch zu keiner Zeit aufgelockert. Es gibt keine lustige Szene, keine muntere Kletterpassage. Im Gegenteil, mit geringer Laufgeschwindigkeit schleppt man sich durch die Welt und Senuas Dunkelheit. Zusätzlich wird man durch die Erzählweise verwirrt, nur langsam öffnet sich wie verschlungene Pfade die Hintergrundgeschichte von Senua. Und gleichzeitig weiß man nie so recht, ob es nun auch so ist. Wer glaubt schon sich selbst, wenn er Stimmen im Kopf hat!

Wuchtige Kämpfe

Man kämpft nicht oft, vielleicht nehmen die wuchtig brutalen Kämpfe ein viertel der Spielzeit ein. Aber wenn man kämpft, erfährt man die Wut die Leid auslösen kann. Mit wenigen Kombos, dafür hervorragend animiert, ist der Kampf als Hack’n Slay aus der Schulterperspektive brachial umgesetzt. Hier kann man jeden Stoß spüren! Die Bosskämpfe sind zum Teil etwas schwerer, aber grundsätzlich fordert das Spiel ohne zu überfordern. Man sollte, so sehr visuell die Kämpfe auch gefallen, eben auch weil das Artdesign hervorragend ist, dieses Spiel nicht aufgrund der Auseinandersetzungen kaufen – dafür ist es zu sehr Walking Simulator.

Fazit

Es liegt an der eigenen Definition von Spaß, ob man diesen in Hellblade verspürt. Fern ab des Kampfes war die Reise von Senua für mich alles andere als spaßig. Spaß wäre in Hinblick auf das Erlebte der falsche Ausdruck. Hellblade hat mich mit seinem intensiven Leiden und der eindringlichen Klangkulisse gänzlich verschluckt. Es ist mit seiner spürbaren Verzweiflung, dem fühlbaren Wahnsinn und dem Kampf gegen innere Dämonen – wenn es überhaupt welche sind – relativ einzigartig. Wie einzigartig wird einem im Besonderen nach dem Anschauen des Making of bewusst! Danach verwundert es aber um so weniger, dass solche Authentizität erreicht wurde. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass während der Zeit in der ich Hellblade konsumierte, sich eine Düsternis über meine Gedanken legte. Ja, Hellblade ist ein absolutes großartiges Spiel! Kein klassisches GOTY, sondern viel mehr, weil es das Medium Videospiel nur als Werkzeug für etwas Größeres begreift.

Hellblade: Senua's Sacrifice
TECHNIK
88
GAMEPLAY
98
SPIELSPASS
90
Leserwertung0 Bewertungen
0
Kurzfakten
Absolut einzigartige Atmosphäre
Sehr düstere Spielerfahrung
UNbedingt mit Kopfhöhrern spielen
Einzigartiges Konzept (Siehe Making Of)
Spielinformationen
Genre: Action-Adventure
Spieler: 1
Alter: ab 16 Jahren
92
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

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