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Was entsteht wenn Manuel Rozoy, ehemaliger Chefredakteur des Spielemagazins „Jeux sur un plateau“ und nun leitender Spieleentwickler bei Ubisoft, ein Brettspiel entwickelt? Das beste Brettspiel aller Zeiten! T.I.M.E. Stories hat in unserer Spielgruppe wie ein Orkan alles andere vom Tisch gefegt. Selten haben wir in so kurzen Zeitabständen so viele Termine zustande bekommen. Jeder wollte unbedingt weiterspielen. Warum, weshalb wieso? Nicht ganz einfach zu erklären, denn man sollte T.I.M.E. Stories eigentlich gar nicht erklären. Vergleichbar mit einem Film. Erklärt man ausführlich warum dieser einen so begeistert, verrät man gezwungenermaßen Teile des Inhalts. Und T.I.M.E. Stories ist ein Film für den Kopf, auf dem Brett. Oder noch besser, ein PC Adventure alter Tage als Multiplayer für den Tisch konzipiert. Wem das als Info reicht, nicht weiter lesen und einfach kaufen.

Die T.I.M.E Agency

Kommen wir zum geschichtlichen Rahmen von T.I.M.E. Stories. Jeder Spieler, maximal vier an der Zahl, übernimmt für die T.I.M.E Agency die Rolle eines Agenten. Die Aufgabe? Nichts geringeres als die Rettung der Welt! Ermöglicht wird dies durch Zeitreisen. In jeder Epoche oder sagen wir sogar Dimension gibt es Schurken die durch Zeitrisse oder andere Allmachtsphantasien nichts anderes wollen, als das das universale Kartenhaus zusammenbricht. Die Zeitreisen sind aber anders konzipiert als man nun vermuten könnte. Denn als Agent reist man nicht selber, sondern besetzt nur einen Wirt am Ziel der Zeitlinie. Was man nicht vergessen sollte, Zeitreisen sind verdammt teuer. Selbstverständlich oder? Ein scheitern ermöglicht zwar einen nächsten Versuch, der Vorteil des Zeitreisens ohne eigenen Körpertransfer, allerdings sieht das die  T.I.M.E Agency aufgrund der immensen Kosten nicht so gerne.

Was bedeutet das spielerisch?

T.I.M.E. Stories ist eine Mischung aus kooperativem Brettspiel, Rollenspiel und PC Adventure. Das Szenario gibt am Anfang einen Ort vor, das wäre im Basisspiel eine Nervenheilanstalt im Jahre 1921 und ein Ziel, welches ich hier nicht verrate. Das Spiel bietet diverse Charaktere aus dieser Nervenheilanstalt an, die alle besondere Fähigkeiten und verschieden ausgeprägte Talente haben. Grob kann man dies einteilen in Kampf, Geschick und Konversation. Wobei sich auch die Lebenspunkte und der Widerstand gegen Schaden unterscheiden. Es ist eine Art Rollenspiel light. Es gibt wesentlich mehr Wirte als Mitspieler, so dass man bei den verschiedenen Durchläufen auch etwas variieren kann. Hier stehen vor dem eigenem Start des Spiels schon erste strategische Entscheidungen der Gruppe an, denn am Ende kann man mit einer gut harmonierenden Gruppe das Spiel wesentlich leichter meistern. Im ersten Durchlauf allerdings steht man wie der Ochs vorm Berg. Und das hat definitiv seinen Charme.

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Was passiert auf dem Brett?

Nun wird es interessant und bisweilen absolut innovativ. In der oberen Ecke des Spielbretts hat man eine Art Minimap wie man sie aus jedem Pen & Paper Rollenspiel kennt. Du spielst kein Pen & Paper? Dann zieh den Vergleich zu modernen Videospielen. Auf dieser Karte ist der Startpunkt vorgegeben. Dies wäre, so weit darf ich hier wohl spoilern, der Aufenthaltsraum der Nervenheilanstalt. Dieser Raum wird im unteren Bereich des Spielbretts mit Karten dargestellt. Die Spieler haben also visuell eine Vorstellung von diesem Raum und erkennen auf den Teilabschnitten Personen und Dinge. Es ergibt sich aus den Vorderseiten der Karten ein absolut grandios gestaltetes Panorama.

Für jedes dieser Panoramen – jeder Raum hat ein eigenes – gibt es einen stimmungsvollen Einleitungstext der einen mit der Situation vertraut macht. Dann sind die Spieler gefragt! Welche Karten wollen Sie mit wem untersuchen? Der geschickte Charakter zum Schrank? Die Plaudertasche zur Krankenschwester? Grundsätzlich kann das untersucht werden was vorne auf der Panoramakarte zu sehen ist. Entscheidet man sich für eine Karte, dreht man diese um und auf der Rückseite erfährt man dann ob man Proben ablegen muss, ob Gegenstände zu erhalten sind oder eine geheime Informationen auf einen wartet – die Vielfalt ist fast grenzenlos und die Spannung am Spieltisch förmlich greifbar.

Denn das Problem ist die Zeit. Die Agenten haben nur ein gewisses Zeitfenster bevor sie aus ihren Wirten zurückgeschleudert werden. Diese Zeit wird durch eine Tickleiste auf dem Spiel dargestellt. Jede Untersuchung der Karten kostet Zeit, Kämpfe kosten ebenfalls Zeit, das Aufsuchen anderer Räume auf der Karte, ja auch das verbraucht wertvolle Zeit. Da nicht alles zielführend ist was man unternimmt, ja das meiste eher nachteilig ist und viele Informationen die man am Anfang erfährt null Sinn machen, ist es wirklich schwer voranzukommen. Und das ist gewollt!

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Der Reiz der Wiederholung

Man wird am Anfang scheitern! Wir sind zumindest kläglich gescheitert. In unserem ersten Durchgang sind wir eher gestolpert, ohne Ahnung wie oder was wir eigentlich lösen müssen. Als wir eine erste Ahnung hatten war die Zeit um. Was macht man? Genau, ab in die Zeitmaschine. Neue Wirte aussuchen, vielleicht zielführendere? Man kennt jetzt einige Orte und Personen schon, hat hier und da Informationen erhalten. Meine Spielgruppe hatte am Ende mehrere DINA5 Seiten mit Informationen voll gekritzelt, wie in den 90er, bei Adventure Games oder Rollenspiele am PC. Herrliches Gefühl! Mit jedem Durchlauf deckt man mehr auf, wird besser um doch wieder zu scheitern. Man diskutiert am Tisch, wie gehen wir vor? Was lassen wir bleiben? Eine Sackgasse die Zeit kostet? Oder wartet genau dort am Ende der entscheidende Hinweis. Ich werde hier nichts verraten und denke das der Grundaufbau klar ist, alles weitere bitte selbst erleben! Es gibt für Rätselfreunde wirklich was zu leisten, für Würfelfans was zu würfeln und wer Rollenspielen mag der kann sich auch austoben.

Brillante Qualität

Es. Ist. Zum. Niederknien. Das ist natürlich immer etwas Geschmacksache, aber das futuristische schlichte und klare Design gepaart mit den atmosphärischen Grafiken des jeweiligen Themas ist wirklich etwas für die Augen! Wirklich ganz wenige Brettspiele in meiner großen Sammlung sind von solch hoher Qualität! Gerade die Panoramen haben absolute Poster Qualität. Die Porträts der Wirte fügen sich dem ein! Und bitte nicht vergessen, die Texte sind von großartiger Atmosphäre. Ich spiele seit über 20 Jahren Pen & Paper Rollenspiele und habe so einige Abenteuer gelesen, T.I.M.E. Stories besteht einen Vergleich locker. Es macht absolut Spaß die Texte zu lesen und sie haben einen nicht geringen Anteil daran das man hier sehr tief eintauchen kann.

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DLC-Charakter

Man kennt das aus der Videospielbranche, stetige Ausgaben durch kostenpflichtige Erweiterungen. Damit hat T.I.M.E. Stories zu kämpfen. Vor der Messe in Essen, der SPIEL2015, war für mich T.I.M.E. Stories das Spiel welches teuer ist, man ein paar mal spielt und dann neu investieren muss, weil die Geschichte ja nun mal erlebt wurde. Es war so ein wenig der dunkle Fleck auf dem weißen Cover. Ich bin froh darauf nicht gehört zu haben! Klar, das Grundspiel ist nicht günstig und beinhaltet nur ein Abenteuer, das je nach Spielgruppe zwischen 3 bis 4 Durchläufen hält. Weitere Abenteuer schlagen mit ungefähr 20 Euro zu buche. Das ist auch nicht wenig. Aber am Ende hatte ich mit T.I.M.E. Stories so viel Spaß, wie schon lange nicht mehr. Da lege ich bei der Qualität gerne 20 Euro auf den Tisch und weiß, in den nächsten zwei Monaten habe ich wieder irrsinnig viel Spaß mit meiner Gruppe.

Fazit

Es taucht in meinen Top 10 der Brettspiele nicht umsonst auf dem ersten Platz auf. Dieses Spiel ist von absolut hoher Qualität was das Spielmaterial anbelangt und ist dabei ausgesprochen innovativ. Irgendwie hat im Bereich der Brettspiele ein absolut neues Genre geschaffen. Heißt, für Brettspielsammler ein Pflichtkauf. Der DLC-Charakter mag vielen sicher nicht gefallen, aber es sollte wirklich kein Grund sein T.I.M.E. Stories links liegen zu lassen. Wer Fan von atmosphärischen Brettspielen ist, die ihren Sog aus der Gruppendynamik, dem Rätseln und Rollenspielen zieht, für den führt kein Weg an dieser Perle vorbei. An die Videospieler, wer von euch früher Day of Tentacle oder Monkey Island gespielt hat und Brettspiele mag – nicht lesen, kaufen! Zack zack!

T.I.M.E. Stories
Spielinformationen
Genre: Kooperativ | Personen: 2 - 4 | Alter: ab 12 Jahren Dauer: 90 Minuten pro Durchgang | Illustration: Ben Carre, Vincent Dutrait, David Lecossu, Pascal Quidault | Autor: Peggy Chassenet, Manuel Rozoy
Spielspass
9.5
Ausstattung
8.5
Spielidee
10
Positive Aspekte
Innovatives Spielkonzept
Grandiose Atmosphäre
Extrem Interaktiv
DLC-Problematik
Negative Aspekte
Es braucht ein Pen & Paper-Mindset
Spätere Erweiterungen halten die Erwartungen nicht
9
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8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Was für eine Genre denn?

    Antworten
    • Hallo Manuel,

      ich habs mit „Kooperativ“ gelabelt (unter der Subline oder am Ende des Textes), wobei das dem Spiel auch nicht so richtig gerecht wird. Es ist aus meiner Sicht keinem herkömmlichen Genre zuzuordnen, es erzählt ja ähnlich wie ein PC Adventure vor allem eine Geschichte.

      Ich werde mir weil bei Dir die Genre Frage aufgekommen ist aber überlegen das Genre noch einmal klarer zu kennzeichnen (vielleicht im Wertungskasten).

      Viele Grüße,
      Christian

      Antworten
      • Mich hat der Satz „ja hat im Bereich der Brettspiele ein absolut neues Genre geschaffen“ Irritiert. Finde das Spiel der Hammer aber so innovativ ist es dann doch auch wieder nicht 🙂 und das mit dem Zeireißen ist zwar etwas besonderes aber leider auch nicht neu. Tragedy Looper zeigt in großartiger Manier wie das funktioniert.

        Dennoch Top Spiel. Kaufen und spielen.

        Antworten
  • […] T.I.M.E Stories herrscht unangefochten auf dem Platz an der Sonne in meiner Top 10. Kein anderes Spiel konnte in diese Wertunsgregionen auf meinem Blog aufsteigen. Ich war verliebt in dieses Spiel, welches ich 2015 in Essen auf der Messe erstand. Das lag sicher auch an meiner Gruppe, die viel Rollenspiel rein bringt und fast jede Karte mit Begeisterung vorträgt – einfach vorlesen ist hier nicht! Drama, Baby, Drama! Wir alle waren uns einig, T.I.M.E Stories ist etwas Besonderes und wir hatten hier unser Brettspiel! Nach dem Abschluss des ersten Abenteuers in der Nervenheilanstalt war die Vorfreude groß! Weitere Abenteuer waren angekündigt. Wieder tolle Rätsel? Weiteres Einsinken in atmosphärisch dichte Geschichten? Was steckt hinter der Agency und wozu  sind die gefundenen Würfel oder der geheime Code? […]

    Antworten
  • […] Laufe der nächsten Woche wird das Demo-Szenario Santo Tomàs de Aquino für T.I.M.E Stories erscheinen. Hierbei handelt es sich um ein Kurzabenteuer in der Südsee, welches als Vorbereitung […]

    Antworten
  • Matthias
    7. Mai 2022 9:59

    Haben das Spiel wieder auf ebay verkauft. Unsere Gruppe war sehr enttäuscht. Ein extrem langweiliger Mechanismus, der nichts anderes besagt, als das man mehrfach durch das bisher erlebte Abenteuer laufen muss. Die Charaktere simulieren ein Rollenspiel mit der Möglichkeit zu kämpfen, welche de facto nicht zum tragen kommt.
    Die Rätsel in der Nervernheilanstalt sind enttäuschend, Exit und ähnliche Spiele zeigen, wie gute Deduktion wirklich geht.
    Das ist sehr schade, eine gute Grundidee, ähnlich wie bei Eclipse, wurde nicht zu Ende komponiert.
    Wenn sich hier mal ein gutes Autorenteam, plus Verlag, ranmacht, dann wird das ein richtig gutes Spiel.

    Antworten
    • Hallo Matthias,
      ich habe es genauso empfunden wie du. Michael hat mir T.I.M.E Stories damals ausgeliehen und der Beitrag auf Brett und Pad war damals auch toll. Aber ich fand es auch nur zufällig und beliebig. Manchmal ist das so. Christian hat mir dann später oft von seinen Erlebnissen erzählt und ich war echt traurig, dass ich das in dem Spiel nicht erlebt habe, Vielleicht habe ich auch zu früh aufgegeben, aber es ist ja auch toll, dass es andere Meinungen gibt.

      Antworten
    • TIME Stories ist halt schwierig zu betrachten und du findest von mir auf Brett & Pad auch weitere Artikel, die das Spiel und seine Probleme behandeln:

      https://brettundpad.de/2017/07/25/quo-vadis-t-i-m-e-stories/

      Dazu kannst du gerne meine Rezensionen zum blauen Zyklus lesen. Ich sehe das heute alles wieder anders. So eine Meinung ist ja nicht in Stein gemeißelt. Ich z.B. kann keine Exit-Spiele mehr sehen. Ich habe keine Lust auf irgendwelche unlogischen, mechanisch gut gemacht Rätsel. Ich brauche mehr als diesen „mechanischen“ Rätselkern. Wenn einer Exit auspackt, verlasse ich den Tisch. Ehrlich. TIME Stories will kein Exit sein, kein wirkliches Escape Game und das ist gut so. Es mag dann nicht für diese Zielgruppe sein, aber die hat ja nun Unmengen an Auswahl. TIME Stories lebt auch nicht von der Mechanik. Oder wie bei Markus, vom Erfolg oder Ziel. Ich kenne seine Erfahrungen zu diesem Spiel und wie er es gespielt hat. Er nennt es Zufall und beliebig. Ich nenne das Spannung. Ich feiere Sackgassen. Das Try & Error in der Gruppe. Das Rätsel ist der Weg und dazu gehören Sackgassen. Dazu ein nettes Getränk, ein paar Snacks und Freunden lauschen, was sie auf den Karten erleben. Fantastisch.

      TIME Stories lebt von der Gruppe. TIME Stories lebt von seinem rollenspielerischen Ansatz. Es lebt vom Gefrotzel am Tisch, davon, dass es keinen Alpha-Spieler gibt, keinen Rätsel-Guru, sondern jede sich mit seiner Karte einbringt. In seinen Worten erzählt, was er erlebt. Vielleicht sogar durch die Rolle die er einnimmt. Bilder z.B. beschreiben, niemals zeigen. Ich habe TIME Stories mit Leuten gespielt, die Pen & Paper spielen. Statt Rätsel ist die Triebfeder den optimalen Weg zu finden. Sich immer wieder thematisch in Szenarien zu verlieren. Es ist die Spannung auf neue Überraschungen. Kein Fall spielt sich ähnlich, alle haben ihre Alleinstellungsmaßnahmen und ihre neuen Rollen.

      Der letzte Punkt, heute mag es zig narrative Spiele geben, hunderte von EXIT-Boxen, Krimi-Spiele oder solche Erzählbuch-Klopper wie Tainted Grail. Aber all das ist so richtig erst nach TIME Stories gestartet. Es gab zwar schon vorher Spiele dieser Art, trotzdem war TIME Stories eine sehr frische, für mich geradezu innovative kooperative Erfahrung. Es will kein Dungeon Crawler sein, kein Kampfspiel, kein Exit-Game, sondern ein Rollenspiel ohne Spielleiter. Noch heute sind einige meiner besten Spielabende mit Abenteuern aus diesem Universum verbunden.

      Ich habe TIME Stories übrigens auch mit anderen Gruppen gespielt und ausgeliehen, ich habe also selber erlebt, wie es für manche Runde floppen kann. Das kann aber ein Twilight Imperium, ein Wasserkraft oder Arche Nova ebenso.

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