Det is Berlin
Ich bin Hamburger. Von daher ist Berlin in die Ecke Kulturschock einzuordnen, selbst wenn ich schon öfters dort war. Meine Kinder und meine Frau Inga kennen Berlin eher weniger und die wollten diesmal mit. Ich ölte deren Gehörgänge vorab mit dem erlebten Lifestyle auf Berliner Straßen. Die Kinder dachten wohl, ich spinne. Papa hat wieder seine infantile Übertreibungsphase.
Nun … Ankunft, erste S-Bahn und ein Anzugträger schrie herum, dass alle mal endlich in den scheiß Zoo verschwinden sollten. Beim Döneressen erlebten wir einen Polizeieinsatz mit entsicherten Waffen, weil crazy Dudes auf der Straße mit ihren Smartphones Gangwars spielten. Danach schrie ein Wohnungsloser rum, schubste Passanten, warf Glasflaschen durch die Gegend und erlebte seinen ganz eigenen Film. Bei Sonnenuntergang an der Spree, wie herrlich eigentlich, trat ein Mann alle 50 Meter wutentbrannt gegen Laternenpfähle. Erwähnte ich den Typen am Radfahrweg mit nacktem Oberkörper, der alle Radfahrer unter Gejohle abklatschen wollte? Det is Berlin, Kinder! Inga hingegen war vorm Reichstagsgebäude so ergriffen, dass sie den Kniefall probte. Blut vorm Reichstagsgebäude und ein übles aufgeschlagenen Knie. Das hat man davon, wenn man am Freitag Sightseeing mit der Familie in Berlin betreibt.
Die Kraft der Doppelköpfigkeit
Kommen wir mit der Berlin Brettspiel Con zum Kern unseres Besuchs. Was mir wahnsinnig an der Berlin Brettspiel Con gefällt, ist seine Doppelköpfigkeit. Es ist gerade durch die weitere Vergrößerung und die neuen großzügigen Räumlichkeiten durchaus mehr Messe nach Art der SPIEL, aber eben aufgrund der hohen spielerischen Möglichkeiten, den Events und seiner insgesamt kleineren Ausmaße auch ganz klar eine Convention. Wer die riesige Halle vollgestopft mit Tischen rein für das Spielen das erste Mal sieht und dazu die enorm umfangreiche und mit aktuellen Brettspielen gesegnete Ausleihstation, hat vielleicht den Vorteil und Unterschied zur SPIEL direkt vor Augen. Das macht einfach enorm Laune! Trotzdem mausert sich die Berlin Brettspiel Con aber zur echten Aufwärmphase für Neuheiten zur Pre-SPIEL-Phase. Einige Verlage hatten, wenn auch manchmal nur in kleinen Kontingenten, ihre Neuheiten dabei oder sie konnten zumindest angespielt werden. Das hat schon echt Laune gemacht!
Zudem ist es in den Gängen weniger voll, die Luft besser und damit insgesamt der Aufenthalt echt angenehm. Bedenkt man, dass die Außentemperatur schätzungsweise 50°C entsprach, ist das Wort angenehm, wirklich richtig hoch zu hängen. Zwei kritische Punkte gab es trotzdem. Zum einen war das Catering teilweise überfüllt und die Preise … äh … erwartbar hoch, aber eben vom Mond. Leider. Ich nehme da lieber Butterbrote mit. Zum anderen ist die Flohmarktsituation schwierig. Wer nicht im Zelt vorm Eingang übernachtet, darf sicher drei Stunden anstehen. Pro zwei Meter. Denkt gar nicht erst an den Einlass. Gut, die Übertreibung ist mit mir durchgegangen, aber für mich ist die Warteschlange so heftig, die taugt für den Horroschocker Anaconda: Die Bestie aus Berlin. Auch wenn die Convention für den Andrang natürlich nichts kann.
Die Power der Highlights
Ihr wollt meine spielerischen Highlights, ihr sollt sie bekommen. Zunächst aber ein kleiner Rundumcheck. Wir spielten endlich Harmonies, welches Markus rezensiert hatte. Mochte ich sehr. Haptisch auch toll. Inga findet Cascadia besser. Auch gut. Wird nicht einziehen, aber einen Blick ist es wirklich wert. Zudem sind meine Kinder absolut angetan von Marvel Dice Thrones. Der Weihnachtsmann soll es bringen. Was ich mitbekommen habe, äußerst thematisch und vielleicht ein Tick besser als die Vorgänger ohne Marvel in der Schachtel.
Abyss: Die Verschwörung
Klein, aber fein ist das Kartenspiel Abyss: Die Verschwörung für zwei Personen von Grimspire. Hierbei baut man mit verschieden farbigen Karten eine umgekehrte Pyramide. Der Witz ist, bei der Wahl einer Karte legst du oft andere gute Karten in eine Auslage, die dann die andere Person sich greifen kann. Da war ich öfters wunderbar am Hadern. Dazu winken einige mechanische Tiefen wie Farbpuzzle, Kampf um Symbolmehrheiten, Spezialfähigkeiten und das alles in kurzer Spielzeit für zwei Personen. Gefällt mir!
Puerto Banana
Skurril. Verwirrend. Emotionen im Sekundentakt. Pokern. Bluffen. Tabletalk. Was für ein Spiel. Ich glaube, es kann ungemein floppen. Mit der richtigen Gruppe als Absacker oder Aufräumer aber auch DAS Ding sein. Ich war unfassbar schlecht, habe aber ununterbrochen gelacht. Letztendlich ist Puerto Banana ein Auktionsspiel. Am Anfang liegen 10 Bananen auf dem Tisch. Wobei, eigentlich werden sie nur aufgeschrieben. Jeder hat zudem 10 Bananen, auch nur aufgeschrieben auf einem Tableau. Das Spiel gewinnt die Person, die am Ende 200 Bananen hat. Die einzige Mechanik: Wie viele Bananen bietest du, um die 10 zu bekommen? Du kannst geheim aufschreiben, was du willst. Es ist egal, ob du das bezahlen kannst. 27 Bananen? Tu es. 30? Tue es. Bezahlen musst du nämlich nur so viel, wie die Differenz zum zweithöchsten Gebot. Ich biete 10 Bananen. Du bietest 8 Bananen. Ich bezahle dir also 2 Bananen und bekomme die 10 aus der Auslage, habe also 18 Bananen. Es geht also um die Einschätzung anderer Personen und den möglichen Wert an ausliegenden Bananen.
Galactic Cruise
Opulent, tolles Thema, schicke Symbolsprache und ein mega Material-Porno. Aber auch mechanisch wirkte das Expertenspiel nach einem Lacerda aus seiner guten, nicht „übermechanisierten“ Zeit. Galactic Cruise ist für mich ein kommender Pflichttitel. Klar, es ist am Ende nur ein weiteres Worker-Placement-Spiel, aber die Verzahnung war super, dazu ist das Timing der Aktionen wichtig, man kann sich nicht maßlos ärgern und hat eine angenehme Entwicklung in seinem Spiel. Ich gebe zu, mich holt das Thema auch einfach ab: Das Organisieren von Weltraumreisen ist einfach unverbraucht und cool. Einziger Nachteil: Trotz der super Symbolsprache, erschlägt es einen anfänglich. Aber ganz ehrlich, das will ich auch ein Stück weit bei so einem heftigen Eurogame!
Für die Reisezeit
Zudem habe ich nach kurzem Studium noch für die Reisezeit mit Adaptoid und Zwei Zimmer zwei kompakte Spiele eingepackt. Hier werde ich dann in der nächsten Zeit berichten, wie sich beide Titel geschlagen haben. Gerade Zwei Zimmer scheint mir mit seiner ungewöhnlichen kooperativen Mechanik megaspannend. Wo sonst spielt man abwechselnd mit verdeckten Augen und dazu schweigend?
Die Magie der Veranstaltung
Meine Familie kennt nur ganz kleine Conventions auf sehr lokalem Level. Starten wir also das Abenteuer Brettspiel Con in Berlin. Zunächst Aufregung in der Einlassschlange. Wir stürmten dann die Halle mit den Verlagen. Erster Stand im Eingang der Schnäppchenstand der Spiele Offensive. „Man“ kennt ihn. Ich dachte so, die Regale voll, das weiß auch meine Familie, die mir auch in den Ohren hängen, dass wir keine neuen Brettspiele brauchen. Ich wollte also weitergehen, direkt zu den Spieletischen mit den kommenden Neuheiten wie Zwei Zimmer und Adaptoid. Da hat meine Frau schon drei Brettspiele in der Hand und die Kinder werden zu Brettspielwühlmäusen von Schnapperbergen. Ich habe mir den Meeple-Arsch abgelacht. Inga erzählte mir am Ende des Tages, nachdem sie schon diverse Anleitungen ihrer neuen Brettspiele durchgelesen hatte, dass es viel mehr Spaß macht, selber Brettspiele auszusuchen. Ich kenne diese Erzählung und bin ihr seit Jahrzehnten verfallen. Es ist die Magie solcher Veranstaltungen.
Allerdings verzauberten nicht nur die Verkaufsstände, sondern auch die Spielausleihe. Meine Kinder spielten beispielsweise jeden Charakter von Marvel Dice Throne. Das Angebot ist einfach so vielfältig, am Sonntag bezahlen Kinder nicht einmal Eintritt und eine kleine Lego-Ausstellung ist auch an Board. Mega! Die Berlin Brettspiel Con macht für die Zielgruppe Familie echt viel richtig! Und trotzdem kommen Fans von Experten- und Kennerspielen auf ihre Kosten.
Fazit
Ich habe die Berlin Brettspiel Con nun in verschiedenen Phasen erlebt und auch wenn ich die letzte Location gerade von seiner Lage echt mochte, ich würde sagen, so gut wie dieses Jahr war sie noch nie. Sehr professionell aufgezogen, angenehmes Klima und als Hybrid zwischen kleiner lokaler Convention und großer Messe perfekt gewachsen. Das mehr Neuheiten präsentiert wurden, zeigt auch, dass Verlage die Con als wichtig erachten. Dabei ist sie aber nicht nur kommerzielle Veranstaltung, sondern hat mit der Spielausleihe, den vielen Events und den fairen Bedingungen für Familien ordentlich Charme. Ich zumindest freue mich schon jetzt auf 2025!
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Schön geschriebenes Intro…ich habe 6 Jahre Berlin Moabit erlebt, daher konnte ich die Lautstärke deiner Beschreibungen sofort hören 😁
Ja, Conspiracy finde ich super…es gibt dazu ein Miniaddon um nochmal alternativ Punkte zu generieren. Die muss ich mir dringend holen.
In Moabit war unser Hostel. Keine Klima, 45°, weil schwitzende Kinder in der Nacht wie ein Lagerfeuer glühen und die Außentemperatur eh für die Hölle war, Zimmertür direkt an der Lobby, also brutal laut. Am Samstag dachte ich, wie bekomme ich die Augen wieder auf!
wenn es in der Quitzowstraße war, Nähe S-Bahnhof Westhafen wäre das wirklich ein riesiger Zufall. das war mein Kiez 🙂
Dann regenerier dich erstmal wieder