Lesezeit: 6 Minuten
D.E.I.In D.E.I. hat die eisige Faust in Form einer dauerhaften und meterdicken Frostschicht London fest im Griff. Mit purer Verzweiflung plündern Menschen die Ruinen der Stadt, während am Himmel monströse Drohnen der autokratischen Regierung mit technischem Gejaule ihre Bahnen ziehen. Das Terrorregime herrscht mit harter Hand. Erinnerungen an die martialischen Helghast kommen hoch. Und doch versuchen die übrigen Menschen sich in Fraktionen zu organisieren, um Gebiete und Außenposten in dieser unwirtlichen Umgebung zu erobern und ihr Überleben zu sichern. Was folgt daraus spielerisch? Habt ihr euer Kopfkino angeschaltet? Dann schaltet es ab. D.E.I. ist anders!

Kurzcheck: Darum geht es in D.E.I.

Beim beschriebenen Szenario denke ich zumindest an Eroberungs- und Verteidigungskämpfe, an kreischende Feuergefechte und fette Drohnenschlachten. Wer sich das Cover des Brettspiels und das allgemeine Artdesign anschaut, wird darin bestätigt. Beim Blick auf die Figuren (zumindest in der Deluxe-Ausgabe) erscheint vorm geistigen Auge beinhartes und kampfbetontes Area-Control. Dann fällt allerdings auf, dass die ganzen Einheiten der Fraktionen keine Waffen tragen, sondern Werkzeuge. Schaut man sich die Regeln der imposanten Sci-Fi-Drohnen an, kann nur eine einzige überhaupt Gefechte ausführen. Ich greife vor, aber in den meisten meiner Partien von D.E.I. gab es nicht einen einzigen Kampf. Was also ist dann die DNA von D.E.I.?

Die Antwort ist das spannende und gleichzeitig einzigartige an diesem Brettspiel. D.E.I. ist reduziertes, aber durchschlagendes Deckbuilding, knallhartes wie taktisches Gerangel um Ressourcen oder Bauplätze und mischt dies mit einem innovativen Missions- und Siegpunktekonzept. Omnipräsent ist das Bilden von Mehrheiten, denn ohne Mehrheiten bist du Hans ohne Wurst. Gebiete betreten? Ressourcen abbauen? Außenposten besetzen? Ohne Mehrheit? Never ever. Da du wie angesprochen kaum oder gar nicht kämpfen kannst, weißt du warum ich von taktischem Gerangel spreche. Wer seine Bewegungen schlecht plant, klebt so spektakulär in Gebieten fest wie Zungen im Sommer an Wassereis. Das Aktionssystem ist dabei recht simpel. Jeder hat eine Palette an Handkarten und spielt pro Runde dreimal zwei Karten abwechselnd in Personenreihenfolge aus, wobei die Karten über ihre Verteilung von Symbolen unterschiedliche Aktionen auslösen. Das spielerische Gerüst ist schnell begriffen. Gewonnen wird über Siegpunkte, wo wir schon bei dem nächsten wirklich coolen Punkt wären.

D.E.I.
Start zu dritt, daher ist das modulare Spielbrett etwas kleiner.

Planung ist die ganze Miete

In D.E.I. turnt ihr in vier Runden über das imposante 3D-Spielbrett. Am Ende jeder Runde wird eine Wertung ausgelöst. Dafür gibt es ein Tableau, bei dem vorm Spielstart zufällig zwei Karten in jeder der vier Spalten verteilt werden. Die Spalten stehen für die Rundenanzahl. Die Karten bestimmen, womit Siegpunkte generiert werden können. Halte so viele rote Außenposten wie möglich, bekomme Siegpunkte für Einheiten im Spiel oder gesammelte Ressourcen. Man kennt solche Ziele. Nichts wildes, ich schenke mir Details.

Der Clou besteht in der flexiblen Reihenfolge. Du bist nicht gezwungen, in der ersten Runde eine der Karten aus der ersten Reihe ergo Runde zu werten. Allerdings ist es nicht ganz so einfach. Wertest du später im Spiel eine Karte aus einer zurückliegenden Runde, verschlechtert sich der Modifikator. Darum besitzt jede Karte zwei Bedingungen. Beispiel: Bekommst du  in der ersten Runde 3 Siegpunkte für jede Mehrheit bei blauen Außenposten, wären es später nur noch 2 Punkte. Gleichzeitig darfst du nur vier Karten werten, aber zwingend eine pro Spalte. Das sorgt für wahnsinnig interessante Planungsspiele direkt vom Spielstart weg!

D.E.I.
Unscheinbar, aber geil!

Zurück in die Vergangenheit

In der ersten Spalte liegen Karten aus, die von roten und blauen Außenposten abhängig sind. Björn bringt über seine erste Karte neue Einheiten ins Spiel und mit der zweiten Karte bewegt er seine Einheiten Richtung blauer Außenposten. Martin macht es ihm ähnlich, allerdings zielt er auf die roten Außenposten und schickt nur einen kleinen Trupp Richtung blau. Er will Björn ärgern. Soll ich da jetzt in den Kampf um Mehrheiten einsteigen? Ich könnte auch einfach die grünen Außenposten einnehmen. Die entsprechende Siegpunktekarte liegt in der dritten Spalte. Wenn sich aber keiner darum kümmert, werde ich jetzt viel mehr ungestört einnehmen, als wenn sich in der dritten Runde alle anderen auch drum prügeln. Wenn sich später Björn und Martin um die grünen Außenposten gegenseitig drangsalieren, hole ich mir die roten Außenposten über den Auftrag aus der ersten Spalte. Klar, ich bekomme dann pro Außenposten weniger Punkte, werde ohne Konkurrenz aber insgesamt mehr halten und so vielleicht insgesamt mehr Punkte machen?

Ihr versteht das Prinzip? Natürlich sind Björn und Martin auch nicht auf den Kopf gefallen und so versuchen alle von Anfang an ihren großen Plan zu schmieden. Schon in der ersten Runde versuchst du in D.E.I. grob zu planen, wie du in der vierten Runde agieren willst. Das wird natürlich immer wieder durch Aktionen anderer torpediert und Anpassungen oder erbitterte Mehrheitskämpfe sind dann die spannende Folge.

Deine Schaltzentrale.
Deine Schaltzentrale.

Kämpfe nur anders

Und wie schon gesagt, denkt bei Mehrheitskämpfe weniger an Waffengewalt. Es gibt nur wenige Karten im Spiel, die es einem ermöglichen, andere Figuren vom Spielfeld zu nehmen. Mehr noch, attackierte Mitspielende bekommen sogar in Form eines zufälligen Aktionsplättchens eine starke Entschädigung. Gewalt ist meistens eher Verzweiflung! Es geht in D.E.I. um das geschickte Errichten von Nachschubpunkten für neue Einheiten, um taktische Bewegungen, damit Schlüsselpositionen mit Figuren besetzt sind, sodass nachfolgende Spieler:innen nur mit großem Aufwand in die Gebiete eindringen können. D.E.I. ist Area-Control für Gruppen, die das Motto mitten in die Fresse rein eher ablehnen. Und natürlich spielt das 3D-Spielfeld ebenso eine Rolle! Einfach irgendwo hochklettern und Abkürzungen über Dächer nehmen ist nicht. Dafür braucht es die Aktion Bauen, davon hat jeder nur eine Karte auf der Hand. Und damit wären wir beim Deckbuilding.

D.E.I.
Streit um Außenposten. Deins? Ne, meins!

Deckbuilding und Asymmetrie

Jede Fraktion hat ein leicht asymmetrisches Deck aus 12 Karten. Es gibt aber eine große Anzahl an alternativen Karten im Spiel. Die Kosten hart erarbeitete Ressourcen, bringen aber eben dann nicht nur individuelle Vorteile, sondern auch Siegpunkte am Ende. Also einfach fett Karten kaufen? Bätsch. Da rennt der Gedanke gegen die eisige Wand. Um Karten zu kaufen, musst du eine der sechs Aktionen pro Runde aufbringen, was sich wie aussetzen anfühlt. Auch deshalb, weil das Spiel eher als knackig zu bezeichnen ist und du nicht in Aktionen badest. Zusätzlich musst du eine andere Handkarte dauerhaft aus deinem Deck entfernen. Dritte Daumenschraube, der Kartenmarkt hängt mit den Außenposten der drei Farben zusammen. Je nach kontrollierter Anzahl ist der Markt eingeschränkt. Happy Shopping? Nope, D.E.I. ist kein Black Friday.

D.E.I.
In der erste Phase der Runde wurden zwei Karten gespielt (drei Bewegungen und eine neue Einheit).

Die Asymmetrie besteht allerdings nicht nur aus den neu gekauften oder den Startkarten, sondern auch über eine kleine Tableauentwicklung. Vorm Spielstart erhält man für jede Außenpostenfarbe geheim eine Fähigkeit, die man freischaltet, wenn man zwei Außenposten der entsprechenden Farbe nach vier Aktionen in einer Runde hält. Glaubt mir, die Fähigkeiten sind extrem stark! Und freigeschaltete Fähigkeiten geben zusätzlich Siegpunkte am Ende. Allerdings ist die Freischaltung oft schwerer als gedacht! Alle versuchen natürlich zwei gleiche Außenposten pro Farbe bei anderen zu verhindern.

Drohnen ermöglichen mächtige Sonderaktionen, sind ohne den gezielten Kartenkauf aber kaum einzusetzen.

D.E.I. – Kickstarter, Retail und Erweiterungen

Im Retail gibt es nur das Basisspiel mit Holz-Meeple. Ich bin dazu etwas ambivalent eingestellt. Ich besitze die Erweiterungen aus dem Kickstarter und die sind durchaus stark. Da wären weitere Fraktionen, die wirklich brutal asymmetrisch aufgebaut sind! Vom Wolfsrudel über Faune, die das Spielfeld hart beeinflussen bis hin zu Psionikern, die nur 5 Figuren besitzen, es sind außergewöhnliche und tolle Konzepte. Dazu gibt es spannende Wetterkarten, die pro Runde Aktionen beeinträchtigen und neue 3D-Spielfeldern. Du hast auch einen alternativen Kartenmarkt, die Kampfmaschinen einführen oder weitere Spielmodi. Das Basisspiel wirkt dagegen abgespeckt. Allerdings ist es dafür ausbalanciert. Die Elemente aus dem Kickstarter können falsch gemischt, das Spiel ins Chaos stürzen, schlimmstenfalls ruinieren. Probieren geht hier über studieren. Schade, hier wäre eine vorgebende Struktur seitens des Verlags cool gewesen.

D.E.I.
Die stärkeren Ressourcen (lila) findet man nur auf den Dächern.

Fazit

D.E.I. ist das Area-Control-Spiel für Leute, die mehr auf taktische Bewegungen und strategische Planungen abfahren als auf aggressive Kämpfe. Punktuelles Deckbuilding, eine Prise Tabletalk, asymmetrische Fraktionen und eine wahnsinnig starke Tischpräsenz bilden die Grundlage für Interaktion im Dauerfeuer. Fast ganz ohne direkte Gewalt, auch wenn dies je nach Spielstrategie temporär möglich ist. Es steht damit mehr in der Ecke von Eurogames und straft seiner Optik Lügen. Nein, das hier ist kein Ameritrash. Es ist auch kein in Spielzeit ausuferndes Monster und ist in seiner Knackigkeit und der genialen Siegpunktemechanik eine planerische Herausforderung. Damit grenzt sich sich D.E.I.  gekonnt von den vielen herkömmlichen Schlachtplatten ab. Die größte Frage ist nun, bringt Pegasus Spiele auch die tollen Erweiterungen auf den Markt? Zu wünschen wäre es diesem tollen Brettspiel auf jeden Fall.

D.E.I.

89,99 €
8.7

AUSSTATTUNG

8.9/10

SPIELIDEE

8.5/10

SPIELSPASS

8.8/10

Kurzfakten

  • Fettes Spielbrett
  • Einfache Grundregeln
  • Frisches Siegpunktetableau
  • Taktische Bewegungen statt Kampf
  • Asymmetrisch
  • Erweiterungen stark, aber unstrukturiert

Spielinformationen

  • Genre: Area-Control
  • Personen: 2 - 4
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Dauer: 60 - 90 Minuten
  • Autor: Tommaso Battista
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website

Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber

5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • AUSSTATTUNG

    8

    SPIELIDEE

    8.5

    SPIELSPASS

    8.5

    Danke für die ausführliche Review, der ich nur zustimmen kann. Eine kurze Nachfrage, da ich nur die Grundversion besitze: welche Erweiterungen sind deiner Meinung nach am lohnenswertesten und bereichern das Spiel am meisten, ohne das elegante Grundprinzip aus der Bahn zu werfen? Es gibt da ja doch einiges und auf Verdacht kaufen ist schwierig.

    Antworten
    • Das ist nicht so einfach zu beantworten.

      The Citadel: neue Anführer und damit neue Fähigkeiten für die Fraktionen. Dazu ne neue Drohne.

      White Death: hat drei neue Fraktionen, die extrem anders als die aus dem Grundspiel sind, dazu Wetter und einen neuen Markt

      Old London: eine neue Fraktion (allerdings eben die „bösen“), dazu ein neuer Spielmodi und zwei neue 3D-Gebäude

      Es ist also alles sehr gut verteilt. Das Problem besteht aus den vielen Spezialregeln, die nicht immer gut zusammen passen. Als Beispiel: Spielst du die Faun, wird eine Drohne aus dem Grundspiel mit einer Barke ersetzt, die nur die Faun benutzen können. Wähst du die Wilden als zweite Fraktion, wird dort eine Drohne durch einen Bär ersetzt, den auch nur die Fraktion steuern kann. Nimmst du nun die Psioniker, haben die einen Charakter, der auf die Drohnen zugreift. Der wird z.B. geschwächt. Genauso wie die Purebred Fraktion. Die Fraktionen verändern eben das Spiel für alle und daraus ergeben sich dann mit Pech merkwürdige Konstellationen, wo Vor- in Nachteile umgewandelt werden oder umgekehrt.

      Wir hatten eine Partie mit 3 Fraktionen aus den Erweiterungen und einer Standardfraktion und es war unheimlich zähl, fast kompliziert zu spielen. Kann man sicher auch mögen, wir spielen lieber mit maximal zwei, eher nur einer Spezialfraktion.

      Ich finde thematisch die Purebreads und den neuen Spielmodi durchaus cool. Vom Inhalt ist die Stretchgoalbox (White Death) natürlich der größte Mehrwert.

      Antworten
  • Danke für die ausführliche Antwort! Dann werde ich mich mal nach der Citadel-Erweiterung zusehen. White Death klingt zwar nach viel, aber so richtig harmonisch scheinen die Fraktionen ja nicht miteinander zu agieren. Und die alternativen Anführer klingen nach einem kleineren Tweak, der aber für interessante Varianz sorgt. Und die Drohne dort ist regulär von allen nutzbar?

    Und noch eine allgemeine Wahrnehmungsfrage zum Spiel: kann’s sein, dass das ziemlich untergegangen ist? Ich meine das Ding ist doch innovativ, hat den abgefahrenen modularer Spielplan und durchaus interessante Mechaniken – und das alles noch vom Wasserkraft-Macher. Dennoch tauchte es auf nur wenigen You-Tube-Kanälen auf, bei der SPIEL habe ich es auch kaum gesehen. Pegasus präsentierte es meiner Erinnerung nach garnicht, ansonsten habe ich es nur beim französischen Publisher gesehen. Wie hast du das wahrgenommen?

    Antworten
    • Bei Pegasus habe ich das durchaus gesehen, insgesamt stimme ich dir aber zu. Ich vermute, dass das Spiel es nicht ganz leicht hat, noch mehr in der Meeple-Version. Es spricht vom Cover und den oberflächlichen Inhalten Spielgruppen an, die im Spiel dann aber anderes Erwarten und die Holz-Meeple auch nicht abfeiern. Es sitzt mit Optik und Spielinhalten zwischen einigen Stühlen. Ich finde das Spiel aber genau deswegen interessant, weil man es als Kennerspiel mit einer großen Schnittmenge spielen kann. Wer Area-Control wegen den oft implizierten Kämpfen nicht mag, kann sich D.E.I. trotzdem angucken und wer Area-Control mag, wird trotzdem abgeholt.

      Zu den Erweiterungen. Ich finde Old London durchaus auch empfehlenswert und vielleicht am besten. Man hat dann wenigstens eine Fraktion, die größere Asymmetrie bietet, damit auch das Spiel der anderen verändert und hat thematisch die „bösen“ auf dem Spielfeld. Der Alternative Spielmodus ist auch ganz witzig. Man kann dann andere „Anschwärzen“ über eine Art von Gesetzes/Ereigniskarten. Hier kannst du dir das anschauen: https://drive.google.com/file/d/1_jkbW_IiQpSfK3A4GX3g-oJQnixKj6kq/preview

      Antworten
  • Das mit den Holz-Meeple stimmt wahrscheinlich. Persönlich finde ich es sehr erfrischend, endlich mal ein „Big Box“-Spiel zu sehen, dass von dem ewigen Plastik weggeht und stattdessen teils individuelle Holz-Meeple bietet. Aber stimmt schon, dass viele eher auf Bling und Minis gehofft haben.

    Bei uns hat es gerade dadurch gepunktet, dass es Euro-/Area-Control-Hybrid ist und so beide Fraktionen abholen kann. Hoffen wir, dass es evtl. nochmal einen kleinen Push erlebt und Pegasus belohnt wird für seine Mut zur Nische.

    Old London sieht tatsächlich interessant aus, vor allem die Kampagne könnte ich mir durchaus lustig vorstellen in einer festen Runde.

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