Lesezeit: 6 Minuten
ReloadReload bedient sich thematisch beim Battle-Royal-König Fortnite. König? Nun, das Videospiel vermeldete im Mai 2020 350 Millionen registrierte Spieler:innen. Du kennst weder Battle-Royal noch Fortnite? Macht nichts, ich werde aufklären und vor allem ist Reload auch ohne Vorwissen zu meistern. Ich selber habe in Fortnite drei linke Daumen, denn zwei würden meine Unfähigkeit gegen die Kids dieser Welt nicht gut genug beschreiben. Im Brettspiel allerdings ist meine Klinge scharf wie Tabasco und meine Würfel gnadenlos durchgeölt. Hier gibt es keine Mitspieler:innen, sondern Fallobst und ich mache heute Obstsalat!

Kurzcheck: Darum geht es in Reload

Die Hintergrundgeschichte ist wild: Konkurrierende Megakonzerne, kybernetische Klonsoldaten, TV-Shows und eine Insel als Arena. Ich denke, das reicht, um es thematisch zu verorten. Das Spielfeld von Reload sieht aus wie bei Catan. Eine bunte Hexfeld-Insel. Allerdings geht es jetzt nicht um Getreidetausch, sondern darum diverse Waffen einzusammeln, die Mitspieler:innen zu frittieren, Fame einzusammeln und nebenbei Mauern, Fallen und Basen zu bauen, damit du selbst geschützt wirst. In Wäldern versteckst du dich, von Gebirgen wird gesnipert und Häuser nach Ausrüstungen durchsucht. Es ist eben Fortnite. Dabei wird die Insel von Runde zu Runde kleiner, weil von den Rändern giftiges Gas anbrandet. Gesteuert werden die individuellen Helden durch Aktionen, die mit Würfeln ausgelöst werden. Dabei wirst du allerdings selten Würfeln, klassisches Diceplacement erlebst du aber auch nicht. Eine frische Brise weht also über das Inselchen. Details folgen später.

Dein Ziel ist es Fame auf der Insel einzusammeln, ins Zentrum zu bringen und abzuschicken, damit die TV-Zuschauer:innen dich hart abfeiern. Und du dich am Tisch. Küss deinen Bizeps! Als Bonus winkt Fame durch abgeschlossene Missionen oder durch Kills der anderen Klon … äh Obstsoldaten:innen.  Reload ist voller Adrenalin, ohne wie Adrenalin zu sein. Es ist geschicktes Sprinten, taktisches Verteidigen, hinterhältiges Meucheln und immer die Hatz nach epischer Ausrüstung. Nie völlig banal in seinen Entscheidungen und trotzdem seicht zu spielen. Es ist so nah an typischen Multiplayer-Shootern, das ich ständig meinen PlayStation-Controller am Tisch suche.

Reload
Alle sind in Lauerstellung!

Ladehemmungen

Bevor Reload das immersive und frische Spielgefühl wie eine volle Ladung Schrot großzügig verteilt, gibt es massig Ladehemmungen. Wie so oft in letzter Zeit, auch hier ist die Anleitung einfach nicht gut. Das Spiel ist eigentlich simpel, fast ein actiongeladener Absacker. Es ist so thematisch und als alter Shooter-Veteran blähen sich vor begeisterten Druck die Augäpfel auf Kürbisgröße auf, aber verkopfter kann man Regeln kaum präsentieren. Den Nahkampf musste ich gefühlt zehn Mal nachschlagen. Ätzend.

Auch der Spielaufbau ist ein kleines Spiel vorm Spiel. Ich liebe Marker, ich vergöttere den Siegpunktebalken, der an einen Ladebalken aus Videospielen erinnert und eine versteckte Kramerleiste ist, nur eben mit 298% mehr Style. Allerdings ist durch all diese Elemente der Aufbau für so ein kurzweiliges Spiel etwas zu hoch. Die erste Erklärung, gerade der Kampf oder die Planung mit den Würfeln, so geil und frisch dieses Konzept auch ist, erstmals nicht so einfach zu verstehen. Und auch wenn das Spiel Miniaturen besitzt, diese komischen Gummi-Minis begeistern wirklich gar nicht. Hier steht sich Reload insgesamt leider selbst im Weg. Wer diesen aber hinter sich gebracht hat, erlebt powervolle, unfaire, gnadenlose und thematische ACTION! Ja, Caps Lock ist hier Pflicht.

Reload
Beste Siegpunkteleiste aller Zeiten.

Frisches Konzept

Der spielerische Kniff ist jetzt folgender: Jeder deiner 5 Würfel ist nichts anderes als ein Aktionsstein. Auf deinem Tableau hast du verschiedene Aktionen, wie z. B. Laufen, Bauen oder Interagieren. Jede Aktion auf dem Tableau hat einen oder mehrere Slots für Würfel und je nach Slot eine aufgedruckte Augenzahl. Du willst dich bewegen? Erster Slot bei Bewegung ist eine 4. Also legst du einen deiner Würfel mit der 4 nach oben auf dein Tableau. Eine zweite Bewegung wäre dann ein weiterer Würfel mit einer 3. Am Ende deines Zuges, wenn du deine Aktionen ausgeführt hast und somit alle Würfel verteilt sind, schiebst du die Würfel in absteigender Reihenfolge auf eine Art Verteidigungsleiste.

Reload
Wer viel aufhebt, ist ein gutes Ziel… (2er)

Greift dich jemand mit einer Waffe an, dann wirft er Kampfwürfel und vergleicht seinen Wurf mit deiner Verteidigungsleiste, indem er seine Angriffswürfel auch in absteigender Reihenfolge neben deine Leiste platzierst. Jede Zahl die höher als dein Würfel ist, vernichtet einen deiner Aktionswürfel. Das entspricht einem Lebenspunktverlust. Dazu gibt es noch ein paar Sonderregeln wie kritische Treffer, Blutungen und Feinheiten beim Verteidigen zu beachten.

Grundsätzlich aber definieren deine Aktionen im Spiel gleichzeitig deine Verteidigung. Cool, weil du schon beim Ausführen der Aktionen beachten musst, wie anfällig du am Ende gegen Angriffe bist, auch weil jede Wunde deine Aktionsfähigkeit in der nächsten Runde schmälert oder sogar deinen Tod bedeutet. Da wird es plötzlich lukrativ auf Aktionen zu verzichten, weil unbenutzte Würfel aktive Verteidigungswürfel sind. Diese werden bei einem Angriff gewürfelt! Das ist deshalb von Vorteil, weil Aktionen Würfel niemals zu einer 5 der 6 machen. Insgesamt ist diese verzahnte Mechanik aus Aktionen, Würfeln und Lebenspunkten ein wunderbares Magazin zu vielen Entscheidungskitzeleien.

Reload
… und das rächt sich dann!

Ewiger Kreislauf

Ich sprinte aus der gebauten Deckung der letzten Runde, die mich davor bewahrt hat, dass mich Hinterhalt-Enno aus dem Gebirge erwischte. Zwei Maschinenpistolen im Anschlag und eine fette Panzerjacke liebkost meinen athletischen Körper. Die Ereigniskarte lies eine Versorgungskiste mit epischer Ausrüstung in den Norden fallen. Da ist aber schon Gift. Trotzdem riskieren? Ne, ich muss weg von Enno. Seine Reichweite ist brutal. Ein Lebenspunkt habe ich schon verloren. Heißt, eine Aktion weniger. Ich könnte in den Wald rennen, dort liegt noch „die Krone“ aus, wer diese eine Runde trägt, ohne zu sterben, erntet fetten Ruhm. Ich schaue auf das Missionstableau. Geil, eine Kill-Mission, hier Reload genannt, mit Fernkampfwaffen liegt aus. Ich sprinte zu Martin, der letzte Runde viel Ruhm eingesammelt hat und auch schon Wunden von Enno davongetragen hat. Meine beiden Salven durchlöchern ihn, die Menge schreit RELOAD und ich bekomme Fame. Baue zum Schutz vor Ennos Gewehr eine Mauer und strecke ihm die Zunge raus. Leider keine Aktion mehr übrig, um Martins fallengelassenen Fame einzusammeln. Trotzdem, geile Runde! Nächste Runde hole ich mir das Epic. Da kommt Enno aus seinem Gebirge angesprungen, zückt sein Messer und zersäbelt mich im Nahkampf. Verdammt, alle Ausrüstung futsch! Reload, auch für mich.

Reload ist ein ewiger Kreislauf aus Sammeln, Sterben und Durchsieben von Gegner:innen. Es geht bisweilen unfair zu, wenn der Schwächste gejagt wird. Eine Mechanik wie in Adrenalin, die das auffängt, gibt es hier nicht. Dafür streuen verschiedene mögliche Strategien auf der Insel, zufällige Ereignisse, ausliegende Missionen, Glück beim Finden von Gegenstände so viel Ablenkung ins Spiel, dass es sich am Ende durchaus austariert. Trotzdem, Reload erfordert eine gewisse Lockerheit und ist nichts für Strategen die Fairness über den Bauchnabel tätowiert haben.

Erweiterung?

Kurz und knapp, es gibt eine Erweiterung, die den coolen Teammodus Capture-the-Flag einführt und gleichzeitig einem mehr Kämpfer:innen und Inselplättchen schenkt. Es ist für mich eine absolute Pflichterweiterung und gehört eigentlich ins Grundspiel, welches aus meiner Sicht gerade bei den Charakteren echt mau ist.

Reload
Schön die Mauer hochgezogen

Fazit

Das Thema ist das Ass im Scharfschützengewehr! Wer Battle-Royale liebt, vielleicht sogar Fortnite spielt, für den ist Reload ein absoluter Pflichtkauf. Bekannte Mechaniken wie das Sammeln von Ausrüstung, die strategische Bewegung über die Insel und das Verkleinern der Spielfläche ist super umgesetzt. Es hat auch wesentlich mehr Fleisch abseits vom Ballern auf dem Rippen als die direkte Konkurrenz Adrenalin. Die Würfelmechanik ist innovativ, das Material abseits der eher schlechten Minis schick. Leute, was liebe ich die Siegpunkteleiste! Die verschiedenen Klassen machen Spaß, Missionen und Ereignisse lockern das Spielgeschehen abseits vom Töten auf. Einzig der Einstieg ist aufgrund der suboptimalen Regeln zäh und du musst es vertragen können, wenn andere aus dir ständig Obstsalat machen.

Reload

48,50 €
8

AUSSTATTUNG

7.5/10

SPIELIDEE

8.0/10

SPIELSPASS

8.5/10

Kurzfakten

  • Sehr gutes Spielgefühl
  • Viel Abwechslung
  • Innovative Kampfmechanik
  • Zu zweit nicht zu empfehlen
  • Minis nicht gut

Spielinformationen

  • Genre: Shooter
  • Personen: 2 - 4
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Dauer: 60 Minuten
  • Autor/in: F. Rouzé und J. Tribet
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website

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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Gudwiwudi
    4. Juni 2022 8:37

    Als Call-of-Duty-Veteran muss ich mal schauen ob ich den Sohnemann auch (!) analog zermürben kann. Gibts das Spiel schon auf Deutsch oder ist es ohnehin Sprachunabhängig? Deine Probleme mit der Regelkunde liegt vermutlich nicht daran, dass du die französische Version gekriegt hast?😜

    Antworten
    • Das Spiel gab es im Kickstarter auf Deutsch (Anleitung). Ich habe also die deutsche Version, die aber auch inkl. der englischen Variante ist. Das Spielmaterial ist sprachneutral, wenn man von Begrifflichkeiten wie Rifle oder so absieht. Das wurde auch nie übersetzt.

      Antworten

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