Kurzcheck: Darum geht es bei Destinies
Als Soldat schnüre ich meine Stiefel in der App, um eins meiner Schicksale zu erfüllen. Auf meiner Heldenkarte steht aber Krieger. Ach so, der Soldat ist plötzlich ein Krieger, so wie im ersten Szenario die wechselnde Übersetzung des Wortes Misstress für Verwirrung sorgen kann. Details aufgrund von Spoilergefahr werden jetzt ausgelassen. Egal, lassen wir die Übersetzungs/Formulierungsfehler außen vor und schenken uns auch an dieser Stelle die Code-Schnipsel in der App. Fokussieren wir uns auf die Story, dafür bin ich hier. Damit ist aber angemerkt, dass die Übersetzung nicht vollständig überzeugt.
Also noch einmal von vorn! Destinies ist ein Erzählspiel für drei Personen, die allerdings gegeneinander spielen. Nur eine Person kann das Schicksal pro Kapitel zu seinen Gunsten wenden. Das ist wirklich frisch! Dabei muss ich gestehen, dass die Welt an sich gefällt. Es ist eine raue, düstere Welt, durchzogen von mystischen Orten und Ereignissen. Es steht vom Weltenbau in der Ecke von The Witcher oder Tainted Grail. Die Aufmachung des Spiels und der App ist zudem wirklich cool! Du willst hier eintauchen, du erahnst die epische Geschichte und bist wirklich motiviert dein Schicksal in die Hand zu nehmen. Ein abgeschlossenes Szenario als Tutorial und eine Kampagne über vier Kapitel warten auf dich. Du siehst die tollen Spielertableaus, weißt um die witzige Entwicklung über Erfahrungspunkte und die spannenden Würfelproben. Vor jeder Partie war ich wirklich hoffnungsvoll, weil mich die Einführungsgeschichte des Kapitels ebenso wie die innere Motivation meines gewählten Helden abgeholt hat. Leider besitzt Destinies eine Abrissbirne in Sachen Atmosphäre.
Wo fange ich an?
Steigen wir im ersten Zug ein. Ich werde alle (!) dargestellten Ereignisse abwandeln, damit kein echter Inhalt verraten wird. Ich stehe auf dem Marktplatz und weiß um meine zwei Schicksale. Eines davon muss ich erfüllen, um das Spiel zu gewinnen. Ich muss z. B. Gegenstände finden und mit ihnen bestimmte Dinge vollbringen, die in einem persönlichen Finale enden. Rings um den Marktplatz wartet die weite offene Welt. Ich darf mich nun auf den Landschaftkacheln bewegen und einen Ort meiner Wahl aufrufen. So treffe ich NPCs, erkunde Orte wie alte Ruinen, Bauernhöfe oder Höhlen und erweitere die Spielwelt ähnlich wie in The 7th Continent.
Ich begebe mich zum Schlachter am Dorfplatz, logge dies in die App ein und habe nun verschiedene Optionen. Ich kann Waren kaufen, eine Unterhaltung führen, über eine Probe auf Geschicklichkeit Fleisch klauen oder den Schlachter über QR-Codes über Gegenstände in meinem Inventar oder mein Schicksal befragen. Vielleicht verrät er mir ja etwas über meine zu findenden Gegenstände. Wirkt wie die versprochene Symbiose aus App, Brettspiel und Rollenspiel. Bei anderen Orten erwartet mich vielleicht ein Abenteuer. Ich muss klettern, danach kämpfen oder kann Gefahren durch Gegenstände in meinem Besitz abwenden. Auch in Gesprächen können Proben verlangt werden. Manchmal kommt man nicht weiter, weil etwas fehlt. Richtig gut wird es, wenn eigene Aktionen dazu führen, dass sich die Welt verändert. Das klingt nicht nur alles sehr positiv, das ist das geballte Potenzial in diesem Spiel!
Tiefe Risse
Das Problem ist der Spielleiter als App. Diese hält die Welt nicht immer gekonnt zusammen, sondern ist zu oft die stumpfe Axt, die den mühsam aufgebauten Wald der Atmosphäre fällt. Ein paar exemplarische Beispiele. Als ich dem Müller seinen vermissten Sohn wiederbrachte, verschwand nicht die Dialogoption, dass er seinen Sohn vermisst. Jeden neuen Tag, was einem Zug in der App entspricht, konnte ich den Müller nach seinem vermissten Sohn befragen und erhielt sogar eine Belohnung. Meine Frau suchte einen Weg durch ein Dickicht. Das erforderte mehrere Proben, weil der Weg eben Abzweigungen bereit hält. Sie verpatzte erst die dritte Probe. Trotz des Wissens um die zwei ersten richtigen Abzweigungen musste sie jeden Tag alle drei Proben machen. Du kannst hier an Orten für Belohnungen auch jeden Tag den gleichen Traum träumen oder für Leute eine Rede schwingen.
Ich traf einen Pastor. Über eine Gesprächsoption konnte ich Partei und somit ein gutes Wort für den Bauern einlegen. Äh, welcher Bauer? Welcher Streit? Keiner am Tisch wusste etwas davon. Man wird einfach reingeworfen. Wieso muss ich nicht erst den Bauern finden? Wieso erzählt mir der Pastor nicht zuerst von seinem Problem? Ich legte ein gutes Wort ein, klärte das Problem mit dem Pastor, nicht weil ich wusste warum, sondern weil man ja irgendwie weiterkommen will. Als ich den Bauern fand, konnte ich ihm nicht erzählen, dass ich mit dem Pastor alles geklärt hatte. Die App tat so, als würde ich den Bauern und das Problem das erste Mal treffen. Zusammenhang herstellen? Ausverkauft! Eine Probe folgte und ich bestand die Prüfung, erst danach checkte die App, dass ich mit beiden gesprochen hatte und fügte einen sinnvollen Questtext ein. So irrt man öfters durch die Welt, merkt schnell, das die App für alle Helden, die durchaus sehr unterschiedlich sind, trotzdem die gleichen Texte parat hält und einfach ihr Programm runterspult.
Rollenspiel in Destinies?
Der Text wird heute länger, Kritik braucht Platz! Was schimmert nach den Erfahrungen durch? Ganz klar, der Rollenspielpart ist stellenweise dünn wie Esspapier, darunter lauert eine fette Schicht Hol- und Bring-Mechanik. Such Y, bringe es zu X, erhalte Z und das oft gebaut auf purem Glück. Schlüssel-Schloss-Mechanik untermalt mit Texten und Proben. Mach das drei Mal und dein Finale wartet. Erwartet dazwischen keine großen Geschichten, die euren Helden wirklich betreffen. Wer andere narrative Brettspiele nicht kennt, den holt das vielleicht ab. Aber es ist schon erschreckend, wenn ein komplett analoges Spiel wie Tainted Grail besser Konsequenzen und Veränderungen in einer Welt abbildet. Müsste eine App da nicht mächtiger agieren?
Wer sich eher berieseln lässt, hier und da Fünfe gerade sein lässt, so wie man Transformers im Kino schaut, der wird hier vielleicht sogar richtig Spaß haben. Wer aber gerade mit Rollenspielerfahrung und entsprechender Erwartung nur etwas an der atmosphärischen Schicht knabbert, beißt schnell auf einen harten Mechanik-Kern. Was doppelt enttäuscht, denn stellenweise ist das Spiel durchaus wuchtig passend in der Atmosphäre und zeigt sein Potenzial.
Bist du bereit?
Destinies ist kompetitiv und kann sogar konfrontativ gespielt werden. Gerade zu dritt überschneiden sich die Schicksalspfade der Charaktere stark. Wer Glück hat, steht nur mit einem anderem Helden in Konflikt. Wer Pech hat, wird in die Zange genommen. Es ist durchaus geschehen, dass ein Held oder Heldin keine wirklich Chance auf den Sieg hatte, weil beide eigenen Schicksalspfade meist durch pures Glück bei den anderen schneller vorwärtsliefen. Mehr noch, wer eine Ahnung hat, was andere in der Welt erledigen müssen, kann dies bewusst sabotieren. Du brauchst drei heilige Talismane? Ich nicht, aber als ich beim Druiden über einen stolpere, nehme ich den einfach mit. Jetzt musst du noch länger suchen, ätsch! Muss man mögen. Destinies verkommt so mit Pech zu einem wirklich frustrierenden Wettrennen, bei dem nur einer die Geschichte zu Ende lesen darf.
Fazit
Ich wollte Destinies lieben und in seinen guten Momenten tue ich das sogar. Es ist nicht alles schlecht und manch Quest bot überraschende und spannende Momente, die Hintergrundgeschichte der Kampagne und die Motivationen der Helden überzeugen. Man kann hier zu dritt in eine Welt eintauchen, deren düsterer Anstrich durchaus gefällt. Potenzial ist ohne Ende vorhanden und wir haben aus gutem Grund die Kampagne nie abgebrochen!
Es ist aber eben nur ein Anstrich, weil die App in zu vielen Momenten atmosphärisch patzt. Damit ist nicht einmal die Übersetzung gemeint, die trotzdem hätte besser sein können. Die Helden sind einfach innerhalb des Spiels zu gesichtslos, die Interaktionen mit Orten und NPCs zu losgelöst vom Rest und diverse unnötige Brüche in der Spielwelt trüben das Gesamtbild. Das reicht mir als großer Fan narrativer Brettspiele, gerade bei den vorher vollmundig getätigten Werbeversprechen, nicht! Wissen sollte man zusätzlich um den harten, kompetitiven Charakter zu dritt. Frust kann bei zu verbissener Einstellung extrem schnell entstehen. Schade Destinies, du hattest so viel Potenzial für mehr.
Destinies
49,99 €Kurzfakten
- Hohe Materialqualität
- Tolles Weltendesign
- Übersetzung nicht ausgereift
- Wenig Rollenspiel, viel Glück
- Diverse Logikpatzer
- Kann sehr frustrierend sein
Spielinformationen
- Genre: Storybrettspiel
- Personen: 1 - 3
- Alter: ab 14 Jahren
- Dauer: 90 - 150 Minuten
- Autor/in: M. Gołębiowski, F. Miłuński
Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Moin Christian,
da sich unser Geschmack meist sehr ähnelt, finde ich die Rezi natürlich ernüchternd, da ich mich auf das Spiel doch recht gefreut habe. Leider habe ich damals das Schmiedeprojekt verpassst. Und da Geschmäcker manchmal doch abweichen, möchte ich dem Spiel trotzdem eine Chance geben, da mir „simple“ Spiele mit App Unterstützung oft gut gefallen (Villen des Wahnsinns, Herr der Ringe, Chronicles of Crime). Bei dir liest es sich jetzt nicht so als ob du das Spiel behalten willst. Daher frage ich hier mal ganz dreist 😉 ob du es an mich abgeben möchtest (falls nicht schon verkauft)? Scheint ja sowieso so zu sein, als wärst du mit Cloudspire erstmal beschäftigt 😉
Liebe Grüße aus dem fernen Süden
Hallo Marc,
Tja, wie geschrieben, ich bin All-In gegangen. Heißt, ich habe noch 2 Erweiterungen, wovon eine in der App noch gar nicht drin ist. Ja, ich bin (herbe) enttäuscht über Destinies, aber meine Hoffnung ist noch nicht ganz verschwunden, vor allem weil es ja auch ein Community Baukasten geben soll. All das würde ich mir halt doch noch gerne anschauen und vielleicht sogar drüber schreiben wollen.
Wenn du geduldig bist und das nicht sofort brauchst, können wir in einem halben Jahr noch einmal drüber reden. 😉
Viele Grüße
Christian
Wie heißt es in unseren „Fachkreisen“ so schön: „über brauchen sind wir lange hinaus“ 😉
Ich brauche es natürlich nicht sofort. Der POS ist groß genug und auch die bereits gespielten Spiele freuen sich über weitere Aufmerksamkeit.
Ist es deiner Meinung auch solo gut tauglich? Dann wäre es was für die kommenden Coronawellen.
In erster Linie wünsche ich dir und auch dem Spiel, dass die Erweiterungen mehr Spielspaß generieren und die App verbessert wird.
Falls du dich irgendwann doch entscheiden solltest es abzugeben, denke gerne an mich 🙂 Dann aber bitte per PN.
Wünsche dir nen schönen Sommer und immer weiter so mit dem Blog.
Reingehauen
Marc