Kurzcheck: Darum geht es in Stronghold Undead
Stronghold Undead hat alles, was ein atmosphärisches Expertenspiel braucht. Da wäre eine extreme Asymmetrie, denn beide Fraktionen spielen sich mechanisch völlig unterschiedlich. Die Aktionen sind dabei absolut atmosphärisch integriert. Als Nekromant musst du die Burg vor Sonnenaufgang einnehmen, wirkst mächtige Zauber und Flüche, erstellst allerhand übles Kriegsgerät wie Schädelkatapulte und schickst deine schweigenden Legionen aus Vampiren, Geistern und Skeletten unentwegt gegen die Mauer. Als Ass im Ärmel versuchst du immer wieder die Panik der Menschen zu schüren, auf das sie lethargischer agieren oder von ihren Stellungen flüchten.
Als Mensch in der Burg schwitzt du aufgrund der Übermacht an Feinden von der ersten Runde an. Es heißt Ärmel hochkrempeln und geschickt die Mauern zu bemannen. Schützen kämpfen verzweifelt gegen anstürmende Skelette, Veteranen halten eisern die Mauern im Nahkampf und Priester predigen unentwegt gegen die Finsternis! Du benutzt die Aktionsmöglichkeiten deiner Burg auf vielfältige Weise, um bis zum Morgengrauen durchzuhalten, denn dann zerfällt die Armee der Untoten. Kurzum, Stronghold Undead zaubert eine epische Belagerung auf den Tisch und zelebriert atmosphärisch gekonnt den Kampf zwischen Leben und Licht gegen die absolute Dunkelheit.
Die Zeit als Zwickmühle
Als Nekromant bist du in Stronghold Undead in der aktiven Rolle. Jede Runde erhältst du Mana, welches du für mächtige Zauber aufbrauchst. Die Krux: Jede Runde wird der Manafluss weniger, weil die Sonne langsam aufgeht. Wie du dein Mana ausgibst, sollte also gut geplant sein. Weiter kannst du deine Zauberbibliothek jede Runde anpassen. Die Anpassung möglicher Zauber, was ich als leichtes Deckbuilding bezeichnen würde, ist ein Baustein zum Sieg. Das Problem, Zauber aussprechen und die Bibliothek umbauen generiert dem Verteidiger Zeit. Je mächtiger ein Zauber an Manakosten, desto mehr Zeit. Es dauert eben, bis du als Nekromant die Rituale ausgeführt hast. Es wird aber noch schlimmer!
Jede Runde erhältst du zufällig Nachschub an Einheiten, die du langsam aus dem Lager in die Vorgebiete, über die Schutzwälle bis hin zur Burg schickst. Je mehr Einheiten du bewegst und umso häufiger, desto mehr Zeit erhält auch hier der Verteidiger. Spätestens wenn du einmal gesehen hast, was damit angestellt werden kann, willst du eigentlich gar keine Zeit mehr generieren. Auf der anderen Seite, wenn du zu vorsichtig und langsam agierst, fallen deine Einheiten durch Fernkampfangriffe, bevor sie zur Mauer kommen. Eine atmosphärische wie spannende Zwickmühle!
Rock ’n Roll
Ist das geil, wenn der Verteidiger viel Zeit hat! Du reagierst in dieser Rolle. Du weißt, was der Nekromant gemacht hat und investierst danach deine Zeit, um passende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Möglichkeiten auf deiner Seite sind so vielfältig, spätestens jetzt wird klar, Stronghold Undead ist ein Expertenspiel! Erstellst du Kanonen, um Massen an Gegnern zu zerstören? Oder lieber die riesige Armbrust, um die schlagkräftigen Vampire zu dezimieren? Wie wäre es mit einem Ritual, welches drei Geister verscheucht? Oder du schickst Kundschafter aus, die Fallen legen oder Skelette aus dem Hinterhalt zerstören! Denke auch an die Ausbildung neuer Truppen! Verstärke dein Spital, damit verwundete Krieger nicht endgültig sterben. Ich zähle hier jetzt nicht alle Möglichkeiten auf, es sind aber so viele, dass im Spiel eine echt große Spielhilfe beiliegt und diese auch gebraucht wird.
Wer seine Verteidigung geschickt aufbaut und Aktionen des Nekromanten antizipiert, der rasiert die ersten Runden die Armee der Untoten. Zack, Undercut! Das ist aber zwingend erforderlich, denn wer zu früh unter Druck gerät, dem fällt die Mauer in den letzten Runden sicher. Da sollte man als Nekromant locker durch seine Robe atmen, auch wenn man manchmal der Verzweiflung nahe ist. Glaub mir, das kippt und dann weint die Gegenseite bittere Tränen des möglichen Untergangs.
Also alles mega?
Klingt nach einem atmosphärischen und strategischen Leckerbissen, oder? Kommen wir zur Einleitung zurück und den zwei weiteren Zeitfaktoren. Bis ich das Spiel so genießen konnte, wie ihr es euch nach meiner Beschreibung ausmalt, sind drei ziemlich lange Partien vergangen, inklusive tiefer Recherche im Netz. Man schaue sich nur die Regelfragen bei BGG an. Die deutsche Anleitung wirkt erst einmal gut, weil das Spielprinzip schnell begriffen wird. Im Detail fällt sie dann aber zusammen wie ein morsches Skelett. Begriffe sind nicht oder ungenügend erklärt.
Was heißt Platzieren? Nehme ich Einheiten aus dem Beutel, vom Lager oder aus dem Stapel besiegter Untote? Werden verbrauchte Fallen aus dem Spiel entfernt? Landen entfernte Einheiten im Spital oder kommen sie in die Schachtel zurück? Außerdem gibt es Widersprüche über die Verteilung von Schaden. Es nervte gewaltig! Ganz ehrlich, nur weil das Spiel so episch wirkt und die Mechanik aus Mana gegen Zeit so viel Spaß macht, bissen wir uns in das Spiel rein. Zweiter Faktor? Natürlich die Spielzeit. Stronghold Undead verschlingt gerade als Einsteiger wesentlich mehr als die angegebenen 90 Minuten. Verdoppelt das lieber…
Ungelenk
Wenn die Probleme mit den Regeln beseitigt sind, bleibt nur noch eine problematische Sache: die Ermittlung der Kampfergebnisse. Es geht als Nekromant darum, am Ende eines Gefechts mehr Schaden verursacht zu haben als die gesamten Stärke des Verteidigers auf dem jeweiligen Mauerabschnitt. Was passiert also? Du addierst für die 9 Mauerabschnitte die jeweilige Stärke der Untoten. Nun rechnest du die Stärke der Verteidiger dagegen. Jetzt musst du schauen, um wie viel übersteigt die Stärke, die Lebenspunkte der Einheiten.
Alles im Blick behalten! Denn jetzt musst du als Verteidiger Zeit für Aktionen verplanen, um die Stärke so anzupassen, dass am Ende überall die Mauer hält oder sogar Einheiten des Angreifers vernichtet werden. Bevor du nun Aktionen ausgibst, musst du eruieren, wie sich die Gesamtsituation verändert. Ob die restliche Zeit noch für Mauerabschnitt 5, 8 und 9 reicht oder ob es bessere Möglichkeiten gibt? Wie verändert sich die Angriffsstärke, wenn ich dort nur einen Vampir vertreibe, der den Geistern die Stärke verdoppelt oder vertreibe ich die Geister und vertreibe die Vampire auf Abschnitt 2. Wo baue ich Mauern? Wo agieren die Priester? Fragen plus Rechnen plus Fragen plus Nachrechnen gleich Kopfplatzen. Etwas relativiert wird dies dadurch, das es so kompliziert meist erst am Ende des Spiels wird. Trotzdem schlaucht das und lässt die epische Atmosphäre reinem Kopfrechnen weichen.
Fazit
Stronghold Undead ist in seinen besten Momenten ein wirklich episches Brettspiel, bei dem das Spielbrett in Atmosphäre getränkt ist. Schnell versinkst du als Nekromant in die Rolles eines mächtigen Generals, der wirklich Horden von Untoten befehligt. Auch als Verteidiger wird man wunderbar gefordert und sieht sich schnell Befehle brüllend auf der Mauer flanieren. Die Asymmetrie ist hoch, die besondere Mechanik der Zeit ist hundertmal frischer als jeder miefige Vampir. Es passt so viel in dieser Belagerungsschlacht! Du brauchst aber MitspielerInnen, die sich richtig einarbeiten wollen. Strongold Undead ist ein Expertenspiel. Leider aber auch eines mit suboptimaler Anleitung. Das erschwert die Einarbeitung ungemein. Was immer bleibt, ist die fordernde, bisweilen nervige Rechenaufgabe, wenn am Spielende die Belagerungsschlacht ihren Höhepunkt erreicht. So kann ich Stronghold Undead nicht uneingeschränkt empfehlen, es bleibt aber definitiv als epischen Spiel für zwei Personen in meinem Schrank.
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Klingt sehr interessant. Wisst ihr, inwiefern sich die deutsche Undead-Ausgabe von der 2. Edition von Stronghold (ohne Undead) unterscheidet? Im englischen Original ist Undead ja viel älter.
Nein, da muss ich leider passen.
Habe das Spiel mittlerweile auch und es treten tatsächlich viele Detailfragen auf.
Habt ihr euch hier eine Übersicht gemacht? Falls ja würde ich mich darüber sehr freuen.
Nein, wir sind über die Partien hinweg einfach so reingekommen. Muss man sich etwas reinfuchsen.