Lesezeit: 6 Minuten
Era of AtlantisEra of Atlantis ist ein Prequel zu Galactic Era und das neue Werk von Channing Jones. Ich falle gleich mit der Tür ins Haus. Schon Galactic Era war keiner der unzähligen „Eclipse-of-Twilight-Klone“ und mischte mit frischen Mechaniken das Genre auf. Mir blutet hier immer das Herz, weil gefühlt schon dieses tolle Brettspiel unter dem Radar lief. Era of Atlantis scheint eine Potenzierung zu sein. Area-Control und Worker-Placement sind die Kernaspekte und langweiliger und bekannter könnte es theoretisch nicht sein. Channing Jones hat nur auch hier wieder ins absolut oberste Frischeregal gegriffen und zaubert Besonderes auf den Tisch. Taucht mit mir ein, ansonsten werden ihr wirklich etwas verpassen!

Kurzcheck: Darum geht es in Era of Atlantis

Die Erde als Spielplan vor dir, aus mystischer Vorzeit, auf deren Weltkarte du genauso Atlantis wie Hyperborea oder Aztlán findest. Natürlich hauen die sich die Köpfe bei einem Area-Control-Spiel ein, erobern Gebiete und bauen diese mit diversen Gebäuden für Boni aus. Armeen auszuheben ist ebenso inkludiert wie politische Aggression über Agenten. Nichts gänzlich Neues, aber trotzdem gelungen und kompakt integriert. Nur übernimmst du in erste Linie nicht klassisch eine dieser Nationen. Du bist nämlich eine von fünf asymmetrisch angelegten Geheimgesellschaften, die jeweils zwei (!) dieser Nationen steuern.

Der Clou: Alle Nationen werden dadurch gleichzeitig von zwei unterschiedlichen Personen gesteuert und am Spielende zählt für die Siegpunkteabrechnung nur die schlechter entwickelte. Bäm! Und dieses Bäm wird groß geschrieben, denn es krempelt das Spielgefühl auf interaktivste Art um. Passend dazu kann das Spielende auf drei verschiedenen Wegen enden. Natürlich beeinflusst durch das Verhalten aller am Tisch und weil Era of Atlantis eigentlich Era of Interaction heißen sollte, wettet man auch noch geheim für Siegpunkte auf das einzutretende Spielende. Der Witz, je weniger auf das eingetretene Spielende wetten, desto höher die Beute. Hey Leute, lasst uns alle Tempel bauen, wir wollen das Licht-Ende. Insgeheim arbeite ich aber am dunklen Untergang der Apokalypse. Era of Atlantis pumpt einfach in jede mechanische Ebene Interaktion. Mutig, beeindruckend und so frisch, also wäre der Titel in Frischhaltefolie entwickelt worden.

Achtung: Prototyp-Material. Später gibt es Plastikminis und andere Worker.

Wie viel ist Interaktion³

Aktionen

Erster Punkt wäre das Worker-Placement. Deine möglichen Einsetzfelder definieren sich über deine Geheimgesellschaft und den zwei jeweilig von dir gesteuerten Nationen. Die Grundlegenden Aktionen sind gleich, aber je nach Nation und Geheimgesellschaft gibt es leichte Veränderung. Wichtiger: Die Worker bleiben stehen. Es gibt keine Rückholphase. Era of Atlantis besteht aus einer fortlaufenden Aktionsphase, wo du einen schon platzierten Worker auf ein anderes freies (!) Aktionsfeld stellst. Heißt: Du blockierst dich zum einen selbst und die gleiche Aktion hintereinander ist nie möglich, zum anderen blockierst du eben auch Felder auf den Nationen für deine Partner:innen. Beide Faktoren sind in der Planung zu bedenken und können dich arg blockieren.

Aushandlung

Übrigens ist der Ausdruck Partner:innen so falsch wie als Hamburger Lederhosen zu tragen. Da wären wir nun beim Hauptpunkt der Interaktion. Ich teile mir mit meiner Frau die Nation Hyperborea und die Atlanter mit Babo-Björn. Meine Frau ist vor mir dran und wir fachsimpel darüber, wie jetzt endlich mal Hyperborea ausgebaut werden soll. Ich verspreche ihr mit Engelszunge da mitzuwirken. Sie macht einen echten Power-Zug und Hyperborea steigt von 9 auf 12 Machtpunkte. Mein Problem: „Meine“ Atlanter stehen erst bei 8. Nun bin ich dran und lasse Hyperborea fallen wie eine heiße Kartoffel. Wütendes Schnaufen meiner Frau neben mir. Sie hat ja auch gut lachen, ihre zweite Nation Aztlán steht schon bei 13 Machtpunkten. Jeder Punkt bei Hyperborea wäre so direkt ein echter Pluspunkt für sie, nicht für mich. Ich spreche mich nun mit Björn ab, damit Atlantis endlich aufsteigt. Das wären meine echten Pluspunkte. Soll ich Aktion X machen und du lieber Babo-Atlanter-Björn machst dann Y? Nur macht er das später wirklich? Vielleicht wäre es für mich am lukrativsten, jetzt mit den Atlantern Aztlán anzugreifen und denen Gebiete, ergo Machtpunkte zu klauen? Also der Nation, die meiner Frau gehört und mit der ich eben gerade zusammen gearbeitet habe.

Ihr versteht den Kreislauf? Je nach Spielsituation führe ich vielleicht sogar gegen mich selber Krieg. Und Obacht, wer politische Angriffe mit Agenten gegen die Hauptstadt einer Nation erfolgreich ausführt, darf die Zugehörigkeit zu Nationen verändern. Huch, gehört mir auf einmal das goldene Aztlán? Und du liebster Enno, als vierte Partei am Tisch, mit der ich gar keine Überschneidung habe, dir schiebe ich die Atlanter zu. Wieso machst du denn so ein Zitronengesicht? Da wären wir beim letzten Punkt. Zumindest zu viert sitzt für jede Person eine andere am Tisch, mit der man keine Überschneidung hat. Egal wer was macht, ich will nie das meine Partner:innen mit dieser Person etwas absprechen oder ausführen, weil dies immer verlorene Züge für mich sind, schließlich steigt dabei niemals eine meiner Nationen. Ich versuche also mit Argumenten stets solch Züge zu unterbinden. Und das versuchen natürlich alle am Tisch. Stille hat Hausverbot, zumindest mit der richtigen Gruppe.

Verdeckte Plättchen sind Agenten, Gebäude bringen diverse Boni, zufällig ausgelegte Plättchen verändern die Gebietsstärken immer wieder aufs Neue.
Angriffe

Angriffe werden einfach ausgeführt: militärische oder politische Macht mit Armeen/Agenten und Gebäudeboni summiert, plus die Kampfmacht, die die Beteiligten geheimen auf einer Scheibe investieren. Kleiner Einschub: Das Invest ist schmerzhaft und echt teuer. Leichtfertig ballert man hier keine Punkte raus. Die Seite mit mehr Macht gewinnt und besetzt das Gebiet, die verlierende Seite vernichtet alle ihre Armeen in dem Gebiet. Schmerzhaft, direkt, brutal!

Der Spaß an dieser Sache ist aber auch hier das interaktive Element. Die obigen Absätze sind theoretische Überlegungen, die in der Praxis scheitern können. Bei jedem Angriff den ich ausführe, sind oft alle anderen am Tisch auch betroffen. Entweder, weil sie Teil der angreifenden Nation sind oder weil sie zu der Nation gehören, die angegriffen wird. Mache jetzt nur nicht den Fehler zu denken, dass man das Geschehen einfach in ein Team vs. Team nach der Zugehörigkeit der Nationen aufteilen kann. Wenn ich Teil einer Nation bin und diese durch jemand anderes einen Angriff ausführt, dann kann ich durchaus aufgrund der Spielsituation gegen den Erfolg dieses Angriffs sein. Umgekehrt könnte ich als Angegriffener nichts gegen eine Eroberung haben. Era of Atlantis ist ein politisches und kommunikatives Spiel, bei dem es stetige Aushandlung und das Abschätzen der anderen braucht und die einfache Grundmechanik komplett überlagert. Die Downtime wird so automatisch in den Häcksler geworfen. Interaktion³ ist die Formel dieses Spiels.

Was willst du im Kampf bieten?

Dynamisch

Ich bin nicht so der Typ mit der brachialen Keule. Die geschickte Zunge ist eher mein Stilmittel. Entsprechend feiere ich die politische Ebene der Agenten. Diese möchte ich anders als das eher herkömmliche Bewegen und Angreifen durch militärische Truppen noch kurz in den Fokus stellen. Agenten kannst du auch über eine Worker-Aktion ins Spiel bringen. Kostet Ressourcen wie fast alles andere auch. Das Spannende ist nun, dass du die Agenten als verdecktes Plättchen mit unterschiedlicher Stärke irgendwo in ein Gebiet legen kannst. Wirklich egal wo. Vorteil: Bei Kämpfen bist du involviert, du kannst aber mit Agenten auch Gebiete erobern. Hier wird dann die politische Stärke statt der militärischen genutzt, mit allen anderen Effekten wie schon beim Kampf ausgeführt. Durch die Flexibilität der Agenten ist ein klassisches Einbunkern und eine eher statische Ausbreitung allerdings völlig umgangen. Ich begrüße diese Dynamik total.

Links oben: Manche Gebiete schenken der besitzenden Nation neue Worker-Einsetzfelder

Rasantes Spielende

Wie treibende Elektrobeats eskaliert sich Era of Atlantis selbst. Ich liebe dieses Aspekt. Extrem zügig merkt jede Person am Tisch, wie die Spielrunden zerrinnen. Ja, wie üblich läuft der Rundenmarker weiter, nur von der anderen Seite der Leisten kommen laut rufend und winkend die Marker für das schlechte Spielende und das „normale“ Spielende einen entgegen. Werden in einer Runde durch Kriege z.B. Gebäude zerstört, rückt der Apokalypse-Marker weiter. Eklig. Oder hast du drauf gewettet? Wie schon erwähnt, kann man über das Erspielen von Karten auf das Spielende wetten. Da sich das Spiel aber äußerst dynamisch entwickelt, ist diese Wette gar nicht so leicht. Also selbst die Auflösung des Spielendes ist durch Dynamik und Interaktion verknüpft.

Das Spielende, weil sich unten die Marker trafen. Mir gehörte leider „Schwarz“.

Fazit

Ein flüchtiger Blick auf Era of Atlantis suggeriert ein weiteres Area-Control-Spiel, welches durch Worker-Placement einen vielleicht eher in den Schlaf wiegt und dazu einen nicht einmal mit einer materiellen und visuellen Opulenz erschlägt. Flüchtige Blicke sind nur so trügerisch wie ein Selfie-Filter, der dich 10 Jahre jünger aussehen lässt. Era of Atlantis braucht keine Filter. Es löst seine Versprechen für mich komplett ein und kitzelt meine innere Spieleseele. Ein schlankes mechanisches Grundgerüst getränkt auf jeder Spielebene mit Dynamik und kommunikativer Aushandlung, ohne Downtime und einer überraschend knackigen Spielzeit. Gerade letzteres ist ein Segen. Die 120 Minuten Spielzeit ist kein Versprechen, welches eh gerissen wird, sondern schon in der Erstpartie erreichbar. Ermöglicht durch den Wegfall von Ballast. Keine unnötigen Add-ons, keine Detailmechaniken, keine aufgeblasenen Schlenker im Spieldesign. Komplett fokussiert auf einen möglichst interaktiven und frischen Wettstreit. Gefällt mir! Checkt für weitere Infos gerne die Kampagne aus.

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