Lesezeit: 6 Minuten
Viticulture WorldAls Expertennase für Brettspieldüfte und den feinen Nuancen des Weins ist das bekannte Viticulture natürlich die pornöse Verbindung zweier Welten, die beide nach fantastischen Sonnenuntergang riechen. Da meine Frau die bessere Nase in Sachen Wein hat und ich eher der Typ bin, der Meeple-Farben am Geruch erkennt, sorgt das natürlich für ein spielerisches Ungleichgewicht und unterschiedlichen Leberwerte. Die Erweiterung Viticulture World ist da nun anders gestrickt, ist sie doch ein kooperatives Vergnügen und alle Nasentypen dürfen sich freuen. Dabei ist ein klassisches Worker-Placement im Mäntelchen der Kooperation noch immer die Ausnahme. Genau darum ist es aber auch einen genaueren Blick wert!

Kurzcheck: Darum geht es in Viticulture World

Thematisch lernen wir in Viticulture World durch verschiedene Kontinentmodule den groben historischen Werdegang des Weinanbaus kennen. Mit all ihren Tücken und Ereignissen. Entsprechend sind alle im Spiel befindlichen Modulen durch einzigartige Kniffe ausgezeichnet. Was allerdings zu kurz kommt und im Prozess der Spielentwicklung auch für Irritationen und einer Umgestaltung eines Moduls sorgte, ist die Aufklärung. Die sehr eurozentristische Sicht auf den Weinanbau und seiner Ausbreitung irritiert. Diese ist direkt mit der Kolonisierung verknüpft und bedient damit durchaus diverse Schattenseiten. Die Ausbesserung scheint geglückt, insgesamt ist der Blick auf die Ereignisse aber zu kurz, wenn man nur Weinreben und nicht alle Menschen dahinter beleuchtet.

Spielerisch ist die Idee unterschiedlicher Module für eine erhöhte Abwechslung aber zu begrüßen. Pro Partie ist übrigens immer nur ein Modul im Spiel. Grundsätzlich spielt man mit dem Material des Grundspiels und auch mit den gleichen Grundregeln. Wer sich also in der Welt von Viticulture gut auskennt, darf hier verdammt schnell loslegen. Natürlich gibt es ein paar Unterschiede. Es gibt einen neuen Spielplan, die angesprochenen Module, die immer einen zwingend zu bespielenden Kniff einstreuen und eine veränderte Worker-Placement-Mechanik. Genau diese ist auch der Grund, warum ich mich ein Stück weit in den kooperativen Modus verliebt habe.

Viticulture World
Ein neues Spielbrett.

Willst du mich verarschen?

Das Ziel im Grundspiel von Viticulture kennst du? Erreicht eine (!) Person 20 Punkte wird das Spielende eingeläutet. Wie viele Runden braucht es dafür in deinen Spielrunden? Die Antwort ist zugleich der Reiz von Viticulture World. Dort müssen nämlich alle (!) Spielenden 25 Punkte nach 6 Runden erreicht haben. Da floppt der Korken aus der Weinflasche, oder?! Dabei habe ich die neue Ruf-Leiste noch gar nicht erwähnt. Hier müsst ihr nach 6 Runden gemeinsam 10 Ruf erarbeitet haben. Ansonsten habt ihr verloren. Zwar ermöglichen innerhalb der Module gewissen Ereignisse das Fortschreiten auf dieser Ruf-Leiste, das reicht aber nicht. Ihr müsst euch über eine Worker-Aktion zusätzliche Schritte erkaufen. Klingt lapidar, kostet allerdings jedes Mal ganze 8 Münzen. Wer Viticulture kennt, der weiß, dass 8 Münzen einem 1945 Romanée-Conti entsprechen. Die Flasche kostet 489.000 Euro. Quintessenz: Wenige Runden, hohe zu erreichende Punktzahlen für alle, weniger Aktionen und Münzen für normale Aktionen aufgrund zwingender Rufsteigerung und dazu die bekannten, raren Aktionsfelder und Worker des Grundspiels. Das Spiel erscheint unmöglich schwer! Wer will mich hier verarschen?

Viticulture World
Der Schlüssel zum Sieg: Aktionsfeldmanipulation.

Kreative Planungsspiele

Natürlich niemand, denn diese spielerischen Daumenschrauben sorgen für spaßige und intensive kooperative Planungsspiele. Klar wollt ihr alle in der ersten Runde Wein anbauen, ein Gebäude bauen oder Rebsorten erhalten. Doof nur, dass es aufgrund der Aktionsfeldbegrenzung nur ein Bruchteil von euch kann. Durch die 25 Punkte am Ende müssen aber alle richtig abliefern! Alleine die Diskussion, wer nun was macht, ist prickelnd wie Schaumwein. Der Clou kommt aber noch. In Viticulture World liegen jede Runde zufällig zwei Plättchen aus, mit denen ihr die Aktionsfelder dauerhaft verändern könnt. Entweder verbessert ihr eine Aktion direkt oder aber ihr verändern die Einsetzfelder. So können dann alle die Aktion nutzen und erhalten bestmöglich noch Boni. Das geschickte Ausbauen der Aktionsmöglichkeiten ist der reizvolle Weg zum Sieg! Da das Verändern der Aktionsfelder ebenfalls Münzen und Aktionen kosten, muss hier zudem verantwortungsvoll geplant werden. Alles geht nicht, überall sind Kompromisse zu machen. Mega motivierend, durchaus schwer und nichts für lockere Bauchspieler!

Viticulture World
So ein verbessertes Aktionsfeld ist GOLD wert.

Über Handel zum Sieg

Allerdings nur der halbe Clou! In Viticulture World könnt ihr nämlich miteinander handeln. Immer wenn du den großen Worker einsetzt und am Aktionsort ein kleiner Worker von einem anderen Mitspielenden steht, dürft ihr jeweils ein Element austauschen. Ich gebe dir z. B. Münzen und du mir eine rote Traube. Wie wäre es mit dem Tausch von Karten? Oder Weinen? Überlegt mal kurz, was das für das Spiel bedeutet. Richtig, Spezialisierung ist möglich! Wer viel Geld scheffelt, der kann dies gegen Wein eintauschen. Du produziert nur Weißwein? Dann gebe ich dir meinen Weißwein-Auftrag. Ich habe den Handel am Anfang von seiner Gewichtung völlig unterschätzt. Macht nicht alle das Gleiche wie im Grundspiel, macht das Beste und teilt das! Wer an seinen Erfahrungen aus dem Grundspiel festhält, geht womöglich hart unter. Handel und kreative Veränderung der Aktionsfelder sind zusammen ein Garant für Kommunikation am Tisch und gemeinsamen Erfolg.

Viticulture World
Viel Spielmaterial aus dem Grundspiel.

Module & Worker

Die Module bringen dann die große Abwechslung. Ich gehe hier nicht ins Detail, aber jeder Kontinent hat seinen speziellen Kartensatz, der ebenfalls modular ist und somit das gleiche Modul über mehrere Partien trägt. Die Mechaniken die sich dahinter verbergen sind sehr unterschiedlich, grundsätzlich wird pro Runde eine Karte aufgedeckt, die ein Ereignis auslöst. Dieses zwingt euch als Gruppe zum Umdenken. Macht diese Runde dies oder schafft das und dafür erhaltet ihr etwas. Oft sind es starke Belohnungen, die aber so gar nicht zu eurer allgemeinen Planung passen. Worauf lasst ihr euch als Gruppe ein? Die vielen Karten und überraschenden Spielelemente werden euch immer wieder vor knifflige Entscheidungen stellen. Was will man mehr?

Ein letzte kurze Erläuterung zu den Workern, da auch diese modifiziert wurden und es für Veteran:innen des Weinanbaus in Brettspielschachteln vielleicht interessant ist. Du hast in Viticulture World nur noch 4 kleine Worker und zusätzlich habe diese blaue und gelbe Hüte auf. Das ist kein geiler Sonnenschutz, sondern ein abartiger Knüppel. Warum? Weil die Worker mit ihren Hüten bestimmen, wann sie arbeiten dürfen. Gelbe Hüte arbeiten nur im Sommer, blaue nur im Winter. Pro Jahreszeit also nur zwei Aktionen. Eine echt fiese, aber coole Veränderung zum Grundspiel. Leider sitzen die Gummi-Hüte etwas zu locker und fallen zu leicht ab. Durch Ausbildung seiner Worker kann man zum Glück in doppelter Hinsicht die Hüte entfernen.

Viticulture World
Ereigniskarten bringen Abwechslung.

Matschige Trauben?

Druck macht in der Presse nicht nur guten Wein, sondern auch Spielspaß in kooperativen Spielen. Der ist ja wie beschrieben vorhanden. Allerdings gibt es da einen Sprung in der Erzeugung des Spielspaßes in Flaschen. Es gibt eine neue Aktion, wo man Wein anhand seines Wertes in Münzen umtauschen kann. Macht man eher weniger, weil man Wein für Siegpunkte ausliefern möchte. Diese Aktion kann man allerdings verbessern. Danach erhält man pro so verkauften Wein die Hälfte des Wertes an Siegpunkten. Ein No-Brainer! Leider. Es gibt kaum einen Weinauftrag im Spiel, der mehr Siegpunkte und Münzen bringt wie diese verbesserte Aktion. Klar, ob die Verbesserung auftaucht und wann ist zufällig, wenn sie aber auftaucht, wird sie bei uns immer gekauft und rettete noch verloren geglaubte Partien. Für meinen Geschmack ist die Aktion leider etwas zu mächtig.

Viticulture World
Die rote Glocke zeigt Ereignisaktionen an.

Fazit

Viticulture World wertet für mich das Grundspiel mit seinem erfrischenden kooperativen Ansatz absolut auf. Dabei verändert sich durch die verschärften Siegbedingungen, dem Handel und der veränderten Mechanik mit den Workern und Aktionsfeldern des Spielgefühl durchaus. Klar, das Grundgerüst ist Viticulture, aber wer Viticulture World so spielt, wie es das Grundspiel einen gelehrt hat, wird verlieren. Es ist also nicht einfach nur eine neue Etikettierung der Marke Kooperation, sondern neuer Wein in neuen Schläuchen. Dabei bleibt der Charme des Weinanbaus absolut erhalten, erhält durch die Module aber einiges an Variabilität. Einzig die etwas unausgeglichene Verbesserung des direkten Weinverkaufs schmälert den Spielspaß etwas. Ansonsten kann ich jeder Weinnase diese Erweiterung nur absolut empfehlen!

Viticulture World

39 $
8.4

AUSSTATTUNG

8.3/10

SPIELIDEE

8.5/10

SPIELSPASS

8.5/10

Kurzfakten

  • Neues Spielgefühl
  • Erfordert ein Umdenken...
  • ...ansonsten sehr schwer!
  • Handel & Aktionsmanipulation super
  • Variabilität durch Module
  • Verbesserung der Aktion etwas unausgeglichen

Spielinformationen

  • Genre: Worker-Placement
  • Personen: 1 - 6
  • Alter: ab 13 Jahren
  • Dauer: 60 - 120 Minuten
  • Autor/in: Mihir Shah, Francesco Testini
  • Rezensionsexemplar erhalten
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Ich akzeptiere die Datenschutzhinweise: