Kurzcheck: Darum geht es in der Viticulture: Essential Edition
Wir übernehmen die Rolle von Weingutsbesitzern, die in Jahreszyklen Weinreben pflanzen, die Trauben ernten und am Ende zu Wein keltern. Dazwischen bauen wir unser Weingut aus, locken für Spezialaktionen Besucher an und wollen natürlich auch den produzierten Wein verkaufen. Trauben wie auch Wein kann man über die Spielrunden reifen lassen, um deren Wertigkeit zu erhöhen. Die richtigen Besucher, manch Gebäude auf dem Weingut und natürlich der Wein selbst bringen Siegpunkte ein. Wer 20 Siegpunkte erreicht, läutet das Spielende ein, bei dem die aktuelle Runde noch beendet wird und dann der Sieger gekürt wird. Viticulture: Essential Edition ist ein absolut klassisches Arbeitereinsetzspiel mit etwas Kartenmanagement, das vor allem durch schnell zu begreifende Abläufe auftrumpft. Die Zielgruppe ist entsprechend groß! Schnell will man dieses Brettspiel in sein Herz schließen. Nur, bleibt das so?
Daktulosphaira vitifoliae
Muss ich unter uns Weinkenner die Überschrift erklären? Ich denke nicht. Die gemeine Reblaus müsst ihr hier zum Glück nicht fürchten, aber dafür euer gegenüber. Du hast in diesem Spiel immer einen Plan und der wird mit großer Sicherheit durchkreuzt. Die möglichen Aktionenfelder sind natürlich begrenzt und überhaupt nicht ausreichend für alle Personen am Tisch. Die typische Kombo aus Pflanzen, Ernten, Keltern und Wein verkaufen dürfte so gut wie nie in einer Runde funktionieren. Anfänglich möchte man natürlich auch weitere Arbeiter erhalten, denn mehr Aktionen ausführen zu können ist immer charmant. Das wollen aber auch alle anderen. Ich könnte nun noch mehr Beispiele aufzählen, wie Probleme beim Bauen von Gebäuden und dem Verdienen von Geld, aber ihr habt das Problem verstanden.
Die Interaktion ist nicht aktiv aggressiv, aber schon ziemlich hoch. Das ist Teil des Spielspaßes und kein Grund dem Weinanbau den Rücken zu kehren. Damit wir seriöse Weinbauern bleiben und zu keinem Hottenträger mit Frust im Korb mutieren, gibt es noch den großen Arbeiter. Davon hat man immer nur einen und diesen darf man auf eine Aktion platzieren, auch wenn alle Felder schon besetzt sind. Egal wie man auch blockiert wird, eine Aktion kann man pro Spielrunde immer ausführen.
Spielerreihenfolge
Aufgrund der Kappelei um Aktionsplätze ist die Spielerreihenfolge extrem wichtig und die Wahl der Position ein Spiel im Spiel. Vor Rundenbeginn, angefangen beim Startspieler, setzen alle Personen ihren Hahn-Meeple auf eine Leiste, wobei jedes Feld nur einen Hahn aufnimmt. Je weiter ich oben stehen, desto früher bin ich am Zug. Der Kniff ist nun, das jede Position einen Bonus erhält und die wirklich mächtigen Boni, wie Siegpunkte oder Extra-Arbeiter, am Ende der Skala zu finden sind. Welchen Bonus brauche ich also und was werden die anderen wählen, damit ich am Ende trotzdem so weit wie möglich oben stehe? Eine Frage, die sich jede Runde stellt und für Spielspaß sorgt.
Dann schlägt es zu…
Wie ein guter Wein natürlich nach Sonnenuntergang schmeckt, könnte nun dieses Spiel auch für absolutes Wohlbefinden stehen. Denn es motiviert ungemein seine Trauben anzupflanzen und reifen zu sehen, was übrigens elegant mit Glasperlen gelöst ist. Thematisch wird man wirklich voll abgeholt. Nur dann besucht der Zufall dein Weingut und plötzlich brennt es lichterloh!
Es gibt mit Besuchern im Sommer und im Winter, den Weinaufträgen und den Rebsorten, ganze vier verschiedene Kartentypen, die dann auch noch innerhalb ihres Typs sehr unterschiedlich sind. Wer Weißwein-Aufträge zieht, aber gleichzeitig nur Merlot und Cabernet Sauvignon angepflanzt hat, wird wohl eher nicht glücklich. Besucherkarten passen manchmal perfekt zur Spielsituation und ermöglichen herrliche Power-Züge, anderseits ist so manche Karte aufgrund der eigenen Strategie völlig sinnlos. Viele Besucherkarten bieten deswegen eine zweite Option, trotzdem kann es innerhalb einer Partie zu einem Ungleichgewicht kommen. Während man vielleicht selbst mühsam seine letzte Ausbaustufe des Weinkellers erspart hat, spielt dein Gegenüber einen Besucher und darf dies stark vergünstigt oder vielleicht sogar gratis ausführen. Fair ist Viticulture: Essential Edition sicher nicht, doch dieser Zufall sorgt auch dafür, das man innerhalb eines Spiels seine Strategie überarbeitet. Wichtiger noch, es entscheidet nicht nur die beste Planung über Sieg und Niederlage. Das ist vor allem für Gelegenheitsspieler und gemischte Gruppen in Sachen Spielerfahrung motivierend.
Spielgefühl
Zweiter Grund, der eine perfekte Wohlfühlatmosphäre untergräbt, ist das Wettrennen um die 20 Siegpunkte. Das ist höchst subjektives Spielempfinden, aber mich stresst es immer, nicht zu wissen, wie lange ein Spiel noch andauert und das die in Führung liegende Person immer Druck macht. Was ich auch erst lernen musste: Es gewinnt nicht unbedingt derjenige, der besonders viele Trauben anpflanzt oder Wein produziert. Das Thema ist eben nicht nur Weinanbau, sondern das Verwalten eines Guts.
Ich habe einige Partien gewonnen, in denen ich nur zwei hochpreisige Weine verkauft habe. Man generiert je nach Strategie auch in anderen Bereichen Siegpunkte. Wer früh eine Windmühle baut, erhält beim Pflanzen von Rebsorten Siegpunkte. Pflanze ich nun weniger wertvolle Rebsorten, kann ich davon mehr auf meinen Feldern unterbringen. Ergo ist sind meine Trauben erstmal weniger wert für die Herstellung von Wein, dafür generiere ich direkt viele Siegpunkte. Dazu vielleicht noch ein Tasting-Room, der plötzlich bei der Aktion Weintour, die eigentlich Geld einbringt, ebenfalls einen Siegpunkt aufs Konto transferiert.
Viele Besucher ermöglichen zudem durch völlig unterschiedliche Aktionen, wie Abwurf von Karten/Trauben, dem Weinverkauf und Spielerinteraktionen, den Erhalt von Siegpunkten. Der Weinanbau ist also nur ein Teilaspekt! Weitere legitime Strategie ist der Verkauf seiner Felder, denn das bringt ordentlich Geld, welches direkt in andere Infrastruktur gesteckt werden kann. Wer braucht schon drei riesige Felder für den Weinanbau? Ohne zu überfordern, schenkt einem Viticulture: Essential Edition verschiedene Wege zu den 20 Siegpunkten, wenn auch durch den Zufall einige ungeplante Abzweigungen genommen werden müssen.
Fazit
Viticulture: Essential Edition ist ein schönes Spiel. Klingt fast so schlimm wie nett, ist aber nicht so gemeint. Mechanisch ist der Weinanbau so wunderbar gelöst, das man atmosphärisch fast den Abgang Nachall seiner Ernte am Gaumen spürt. Es motiviert ungemein bekannte Rebsorten auf seinen Feldern anzupflanzen und am Ende als Wein reifen zu lassen. Die unkomplizierten Spielregeln und die klare Mechanik der Arbeitereinsetzaktionen sorgen zudem für eine große Zielgruppe. Allerdings ist Viticulture: Essential Edition kein Spiel, welches den besten Weinverkäufer zum Sieger kürt. Die richtige Verwaltung des Weinguts und der Zufall bei den Besucherkarten haben ein großes Wort mitzureden. Planungsfanatiker riechen plötzlich vergorenen Spielspaß, alle anderen schätzen den Zufall als Garant für spannende Partien, trotz möglichem Ungleichgewicht bei der Spielerfahrung. Viticulture: Essential Edition ist in seinen fünf Jahren seit der Veröffentlichung gut gereift! Auch wenn das Material heute nicht mehr ganz so außergewöhnlich ist, bleibt es ein wirklich empfehlenswertes Arbeitereinsetzspiel.
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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Christian! Ich habe auch erst seit Juli Viticulture in meiner Sammlung und finde es sehr schön. Vorallem das Thema Wein war für mich der Kaufgrund. Um im Spiel den Fokus mehr auf den Weinbau zu rücken, bietet es sich an die Erweiterung „Besuch aus dem Rheingau“ anzuschauen. Diese enthält neue Besucherkarten, deren Funktion auf den Weinbau zugeschnitten sind. Leider sind sowohl diese Erweiterung als auch die Tuscany Essential Edition aktuell schwer zu kriegen. Nachdruck ist aber für September geplant.
Vielen Dank für deinen Kommentar und die Info mit September! Ich habe nämlich genau aus dem Grund auch ein Auge drauf geworfen. Wollte es erst sogar direkt kaufen, dann aber gesehen, dass dies nicht so einfach ist.
Lässt sich das Spiel mit Vinhos von Lacerda vergleichen? Rein thematisch scheinen beide voll ins Schwarze zu treffen, könnte mir vorstellen, dass Viticulture einsteigerfreundlicher ist. Ich werds mir auf jeden Fall näher ansehen.
Die Einsteigerfreundlichkeit und das die „perfekte“ Strategie durch den Zufall oft eben nicht aufgeht, ist eben genau das, was Viticulture ausmacht. Alleine das „Gewicht“ auf BGG zu Vinhos… das sieht nicht nach Einsteigerfreundlichkeit aus. Ich kenne das Spiel leider nicht. Von Vital Lacerda habe ich nur On Mars und das reicht mir glaube ich.
Auch hierüber nochmal frohes Neues und ein kurzes Update! Ich habe einmal die Rheingau-Erweiterung gespielt und man stellt fest, dass dadurch das Spiel etwas verlängert wird. Trotzdem finde ich das nicht schlimm. Nun kann man entscheiden wie lange das Spiel gehen soll und ob es thematischer mit dem Fokus auf Weinbau sein soll oder nicht 🙂
An Weihnachten ist nun auch die Tuscany Erweiterung dazu gekommen. Die kam bisher nur einmal auf den Tisch, aber die hat uns schon mal echt gut gefallen. Nun kann man sich nicht mehr beschweren, dass man ja nur Pech beim Kartenziehen hat und man deshalb nichts machen konnte. Nun gibt es so viele Möglichkeiten seine aktuelle Situation zu beeinflussen. Daumen hoch dafür!
Auch gut zu wissen: Sowohl die Rheingau als auch Tuscany Erweiterung passen perfekt in die Grundbox 🙂