Lesezeit: 5 Minuten
Texas Hold ItTexas Hold It ist eine verdammt schmutzige Kost, zumindest für die Verlierenden. Entsprechend wird es hier jetzt derb, infantil und ein Stück weit auch eklig. Wem beim Thema Natursekt, der Zielgenauigkeit beim Ablassen und dem ein oder anderen „Dampf“ bei unsachgemäßer „rektaler“ Benutzung eines Pissoirs ein warmer „Gänseschauer“ über die Schenkel läuft, bitte Abstand halten. Oder besser weitergehen. Denn beim Abstandnehmen wären wir nämlich direkt beim Thema, ist der Abstand in öffentlichen Toiletten durchaus auch im Wilden Westen wohl schon ein Problem gewesen. Diese Story erzählt zumindest Texas Hold It. Lasst uns also über volle Blasen und ihre Auswirkungen sprechen!

Kurzcheck: Darum geht es in Texas Hold It

Fangen wir mit einer persönlichen Geschichte an. Gefährlich bei dem Thema, aber ich bin ein Gefahrensucher. Sommermärchen 2006. Sonne & Bier. Public Viewing in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld. Gönnt euch für die Vorstellung der Menschenmasse dieses Foto. Ich stehe da mit brutal voller Blase. Super-GAU und kurz vorm Entbindungsschmerz! So stelle ich mir das zumindest vor. Also durch die Menge zum Toilettenbereich geprügelt. Toilette? Ein naives Bürschen war ich. Es hieß Bauzaun mit Plane als Sichtschutz und daran eine endlose Urinale gehängt, die an Masttierhaltung und Futtertrog erinnerte. Pro Meter Urinale standen da zehn Erwachsene und rangelten darum, abzulassen und gleichzeitig den frischen Spritzern der anderen auszuweichen. Meine Blase? Ich weiß nicht, wie das physiologisch möglich war, aber mein Harndrang war beim Anblick dieses Schauspiels schlagartig fort. Die Autoren von Texas Hold It Matt Fantastic und Brandan Parsons müssen auch vor Ort gewesen sein, schließlich haben sie aus diesem Szenario ein Kartenspiel gemacht.

Texas Hold It ist im Grund eine einfache Geschichte. Je nach Personenanzahl liegt eine bestimmte Menge an verdeckten Pissoir-Karten aus. Zwischen diesen besetzen Pissoirs werden nun weitere Karten gelegt, die freie Pissoirs darstellen. Wir alle verkörpern jetzt einen Cowboy oder Cowgirl, deren Blase verdammt voll ist. Ziel pro Runde ist es, sich einen Platz an einem freien Pissoir zu sichern, bei dem man sauber bleibt. Der Kniff: Die schon besetzten Pissoirs zeigen auf der verdeckten Rückseite Personen, die entweder regelkonform in das Pissoir pinkeln oder links oder rechts mit großer Freude daneben. Stehst du nun im Natursektschauer, erhältst je nach Menge an zielsicheren Danebenpinklern Schmutz-Marker. Und Vorsicht, einer der Cowboys erledigt sein großes Geschäft im Pissoir, da hagelt es nach beiden Seiten Schmutz. Hast du innerhalb einer Partie drei Schmutz-Marker, bist du raus! Bleibst du hingegen sauber, erhältst du einen Pluspunkt. Hast du davon drei, hast du den größten Respekt verdient und das Spiel gewonnen. So wäre das natürlich eine sehr stumpfe und glückslastige Sache, darum finden wir unter einer Lupe noch etwas Mechanik …

Der Start: Vier „müssen“ mal, aber nur drei freie Plätze.

Die Vorsicht vor dem Pissoir

Bist du am Zug, hast du nämlich ein paar Optionen, von denen du eine pro Zug auswählst und die du auch nutzen solltest, bevor du dich für ein freies Pissoir entscheidest. Je nach Fetisch darf sich natürlich auch direkt irgendwo hingestellt werden, aber das wäre spielerischer Selbstmord. Du kannst als Aktion unter eine verdeckte Pissoir-Karte schauen und musst allen dann sagen, was du siehst. Dabei darf natürlich gelogen werden. Als zweite Option kannst du zwei Pissoir-Karten vertauschen, sofern angrenzend sich noch niemand hingestellt oder im Fall eines Cowgirls hingesetzt hat. Eine weitere Option ist logischerweise die Auswahl eines freien Pissoirs. Die letzte Möglichkeit wäre das Anhalten.

Hierbei wird die Spielfigur mit ihrer Vorderseite und schmerzverzerrtem Gesicht ausgelegt und ab da an müssen alle anderen nachfolgenden Personen entweder auch Anhalten wählen oder sich für ein freies Pissoir entscheiden. Anschauen von Karten oder deren Austausch ist dann nicht mehr möglich. Das Anhalten ermöglicht keine Punkte, sofern man in allen freien Pissoir angepinkelt worden wäre! Gibt es allerdings einen sauberen Platz des fröhlichen Ablassens, pinkelt man sich vor Schreck in die Hose. Dann heißt es Schmutz-Marker incoming! Um die Blasenschrauben etwas anzuziehen, gibt es nie genügend Pissoirs für alle Spielenden. Ich sage nur Kindergeburtstag und Reise nach Jerusalem. Durch den Platzmangel erhöht Texas Hold It den Druck, vielleicht doch ein gewisses Risiko einzugehen. Gerade je nachdem, wo du in der Spielreihenfolge sitzt, schaust du sonst sicher besudelt aus der Hose.

Zwei haben sich platziert und zwei halten am Rundenende an.

Nur ein Partyspiel?

Der Star ist das ungewohnte, infantile und lustig präsentierte Thema. Der Stil der Cyanide & Happiness-Comics passt hier ebenso vortrefflich. Und es ist nun auch keine Überraschung, dass Texas Hold It niemals mehr als ein Party- oder Energizer-Spiel sein will. Eine Erstpartie ist also immer möglich und die Lacher steigen im Wohnzimmer sicher an die Zimmerdecke, zumindest wenn dieser Humor im Entferntesten anspricht. Ansonsten gestaltet sich die Beurteilung schwieriger. Das Bluffen ist witzig und mit der richtigen Gruppe erwächst hier vielleicht der größte Spielreiz. Allerdings fällt das Lügen hier denkbar einfach und fast substanzlos aus. Glaubt man mir, wenn ich erzähle, dass dort ein sauberer Pinkler steht? Lässt du dich darauf ein? Das war es, du hast keine weiteren Informationen und als Lügner brauche ich auch kein Konzept, um mich glaubwürdiger zu machen. In sehr kommunikativen Runden kann das Geschnatter um Pissoirs im Einklang mit der Optik auch im Bereich Mindgame zugegeben etwas mehr zünden.

Letztendlich ist Texas Hold It aber ein Wettrennen um die wenigen Plätze und wenn alle am Tisch erst ein Pissoir auswählen, wenn alle gecheckt wurden, hat die Startperson alle Vorteile auf ihrer Seite. Das ist deswegen ein Problem, weil entsprechend mit Risiko agiert werden muss, damit dieser Kreislauf durchbrochen wird. Verlieren kann ich dadurch trotzdem. Es ist also ein eher chaotisches Spiel, welches vom charmant präsentierten Thema und der kurzen Spielzeit lebt, als vom spielerischen Thrill aus echten Entscheidungen. Dazu braucht es dann auch besser mehr als zu wenig Personen.

Fazit

Texas Hold It ist ein Kartenspiel, welches fast eher Merch-Charakter besitzt. Sofern es gefällt, ist der Star hier nämlich das Thema, welches durch die bekannte Cyanide & Happiness-Optik überzeugt. Aufgrund dieser Einzigartigkeit besitzt es definitiv Aufforderungscharakter. Eine erste Partie ist schnell erklärt und gespielt, weil die Aktionsauswahl einem Partyspiel entspricht. In größerer Runde ist dabei der Reiz beim Wettrennen mit all den verschiedenen, vielleicht erstunkenen Informationen um einiges spaßiger. Eine Partie kann durchaus gewagt werden. Aber nach einer Partie ist es dann auch erst einmal ausgelacht. Ich hätte mir etwas mehr spielerische „Kniffe“ im Spiel um Plätze und dem Bluffen gewünscht. Die Spielreihenfolge ist zu markant, sodass am Ende die Risikofreudigkeit und damit auch das Glück um Sieg oder Niederlage zu viel Einfluss nimmt. Texas Hold It ist damit kein völliger Rohrkrepierer, aber leider auch kein Party-Spiel-Kracher.

Texas Hold It
Spielinformationen
Genre: Kartenspiel | Personen: 2 - 6 | Alter: ab 14 | Dauer: 10 - 15 Minuten | Autor/in: Matt Fantastic, Brandan Parsons | Illustration: - | Rezensionsexemplar erhalten
SPIELSPASS
6
MATERIAL
8.5
SPIELIDEE
6.5
Positive Aspekte
Sehr schnell zu lernen
Thema ist schon sehr witzig umgesetzt
Für Fans von Cyanide & Happiness
Sehr kommunikative Gruppen können beim Bluffen mehr rausholen
Als lustiger Absacker oder Aufwärmer zu gebrauchen
Negative Aspekte
Wenig wirklich echte Entscheidungen
Ohne Risiko der Spielenden ist die Spielreihenfolge zu wirkmächtig
Bluffen erfordert keine besondere Spielkenntnis
Als Absacker bleibt es trotzdem bei nur einer Partie
6
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website |  + Letzte Artikel

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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • „Texas Hold It ist ein Kartenspiel, welches fast eher Merch-Charakter besitzt.“

    Wieviel SERWAYS-Bons kostet das denn? 😉

    Boah, selten über so ein anrüchiges Spiel gelesen; da hab ich prompt eine Filmszene in den Ohren:
    „Hat Dir Deine Mutter nicht beigebracht, Dir die Hände zu waschen, nachdem Du auf der Toilette warst?“
    „Nein, sie hat mir beigebracht, mir nicht auf die Hände zu pinkeln.“

    Antworten
    • Tja, ich bleibe mir dieses Jahr meiner Linie treu. Hatte ich da am Jahresübergang nicht auch versprochen? Mehr ungewöhnliche, mehr unbekanntere und etwas andere Brettspielen vorzustellen? Das dabei dann solche Sachen rauskommen und bisher die meisten ungewöhnlichen Brettspiele nicht so ganz zünden, ist dann natürlich Pech. Ich glaube, mein Wertungsschnitt war seit Anbeginn des Blogs noch nie so niedrig.

      Und deine Idee ist gar nicht so schlecht! Das Spiel sollte definitiv an Raststätten angeboten werden.

      Antworten
      • „Mehr ungewöhnliche, mehr unbekanntere und etwas andere Brettspielen vorzustellen?“

        Hattet Ihr nicht vergangenes Jahr Eure Leser aufgefordert, hierzu Ideen zu liefern? Ich kann mich da noch an eine romanhafte Ausfertigung meinerseits erinnern, aber auch andere aussergewöhnliche Vorschläge 😉

        Andere, die mir spontan einfielen und vielleicht sogar mehr als eine 6er-Wertung versprechen, wären zB 12 Chip Trick, Cat In The Box, Mantis Falls oder Quest (der auch auf deutsch erhältliche Avalon-Nachfolger) – oder nur für zwei Spieler Dracula vs. van Helsing oder Romeo & Julia (koop, durch das ich noch nicht durchgestiegen bin). Sind natürlich alles keine oppulenten Klopper, die einen Riesentisch brauchen 😉

        Antworten

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