Kurzcheck: Darum geht es in Pirates of Maracaibo
In Pirates of Maracaibo geht es um den Gewinn von Siegpunkten, die du über drei Runden durch deinen Entdecker, durch deine Schiffsreise, dem Kaufen von Karten und Bedingungen am Spielende sammelst. Dabei baust dir eine Engine über Karten und Schiffsverbesserungen auf und kannst dynamisch über deine Bewegungsoptionen das Spielenende langsamer oder schneller einläuten. Letzteres macht Pirates of Maracaibo zu einem motivierenden Wettrennen, weil du nie sicher sein kannst, wie viele Aktionen du in einer Runde noch hast. Fahren alle wenige Schritte: willkommen bei der Butterfahrt. Heißt aber nur eine Person mit Nachnamen Tempo, dann sind wir hier beim Offshore Powerboat Racing.
STOP, kreischen da Brettspielkenner:innen aus dem Ausguck des guten Brettspielgeschmacks, denn das kennt man doch alles aus dem Expertenspiel Maracaibo. Erzähl uns Neues, du räudiger Hype-Blogger! Contenance Freude, denn Pirates of Maracaibo hat durchaus seine Parallelen, zeigt am Ende aber ein anderes Gesicht.
Wind in den Segeln
Vor mir breitet sich die Karibik aus unzähligen Karten in unterschiedlichen langen Spalten aus. Mein Schiff-Meeple steht ganz links am Startpunkt. Das Ziel ist Maracaibo ganz rechts am Ende der vielen Spalten. Ich will schon „Energie!“ brüllen, aber mein Schiff ist nicht die Enterprise, sondern ein stolzer Schoner. Ich darf das Schiff zu Beginn meines Zuges nun drei Schritte bewegen. Dabei zählt jede Karte als ein Schritt. Wichtig: Ich muss mindestens eine Spalte näher an Maracaibo am Ende meines Zugs stehen und falls ich auf einer Karte stehen bleibe, wo eine versiffte Nussschale von Mitspielenden steht, muss ich diese mit raren Münzen ausbezahlen. Dreckspack!
Der Witz sind nun die Karten. Was liegt in meiner Reichweite aus? Denn dort, wo ich meinen Zug beende, aktiviere ich die Karte. Bei Residenzen erkauft man sich für eine astronomische Summe die Möglichkeit, Siegpunkte über einen Multiplikator am Spielende zu erhalten. Andere Karten kann ich für die persönliche Auslage kaufen und so meine Aktionen im Spiel verbessern. Solch eine gekaufte Karte nehme ich aus dem Karibik-Raster und lege sie in meine private Auslage. Danach ziehe ich eine neue Karte und lege sie offen an den freigewordenen Platz. Das freut oft hinter mir fahrende Schiffe. Letzte Option: Ich kann Insel-Karten ansteuern und dort diverse Aktionen auslösen. Hier kann ich nicht nur mein Schiff verbessern, was mächtige Zusatzaktionen oder Boni auslöst, sondern auch auf Kapernfahrt gehen, Quests annehmen oder mit meinem Entdecker die Hauptinsel erkunden. Alles Wind in deinen Segeln für viele Siegpunkte.
Vollgas durch die Karibik
Und jetzt wisst ihr auch, warum die Schiffe im Spiel Zwickmühle und Vollgas heißen müssten. Ich wollte alles ansteuern, was alleine durch die Auslage durch Spalten und zwingender Bewegung nicht funktionierte. Man muss zudem die Waage zwischen Kartenkauf und damit Engineaufbau und ansteuern der Inseln für Spielaktionen halten. Ich sah das Raster vor mir ausliegen und erblickte meine perfekte Route! Erst zu einer Karte segeln und kaufen, womit mein Entdecker weiter läuft und schneller bessere Belohnungen einheimst. Danach einen weiteren kleinen Schritt und eine Karte für die Ressourcengewinnung einheimsen. Im nächsten Zug eine Insel ansteuern, dadurch den Entdecker über die Insel-Aktion bewegen und eine Schiffsverbesserung freischalten. Darauf folgend nur einen kleinen Schritt segeln, dort auf den Kartenkauf verzichten, 5 Münzen einnehmen, die ich dann beim nächsten Schritt in eine weitere wunderbare Karte … was macht da meine Frau? Sie ballert im ersten Zug direkt drei Felder nach vorne. In ihrem nächsten Zug schon wieder. Bei dem Tempo ist sie gleich in Maracaibo. Panik macht sich breit und meine geplante Route bricht zusammen. Willkommen bei Pirates of Maracaibo!
Kein Kampf, sondern Kaperfahrten!
Anders als in Maracaibo kämpft man in Pirates of Maracaibo nicht, sondern man fährt auf Kapernfahrt. Das ist nicht nur thematisch, sondern ein wirklich gelungenes Teilstück des Spielspaßes. Im Prinzip ist die Mechanik easy. Fährst du auf Kaperfahrt, schnappst du dir die drei farbigen Würfel, wobei jede Farbe für eine Schatzart steht (Gold, Perle und Smaragde). Nach dem Wurf wählst du einen Würfel aus. Aus der Augenzahl und etwaigen erspielten Boni hast du nun eine Gesamtsumme, die du wiederum in Aktionsmöglichkeiten investierst.
Ein Siegpunkt kostet beispielsweise 1 Punkt. Langweilig. Für 5 Punkte darfst du dir aber einen Schatz entsprechend der gewählten Würfelfarbe nehmen. Den Ressourcenstein nimmst du aus einer Auslage und lagerst ihn auf deiner privaten Insel ein. Der Kniff: Die Masse an Ressourcensteinen am Spielende in der Auslage (!) bestimmen die Wertigkeit der erbeuteten privaten Ressourcen. Sorgst du also nicht spielerisch für Nachschub in der Auslage, sind deine erbeuteten Schätze kaum was wert. Ein weiterer Kniff beim Planen deiner Route, denn aufgefüllt werden die Auslagen der drei Schatzarten meist nur auf bestimmten Inseln. Weitere Option, du kannst über Aktionen erbeutete Schätze auf deinem Tableau vergraben, dann bringen sie mehr Siegpunkte ein und beim Vergraben erhält du direkt einen Bonus. Geil, oder? Aber auch hier, eine Vergraben-Aktion musst du meist aktiv mit deinem Schiff ansteuern. Zwickmühlen ohne Ende!
Im Meer der Variabilität
Die größte Stärke von Pirates of Maracaibo ist neben seinem fluffigen Spielprinzip die enorme Variabilität. Die Karibik beim Spielaufbau schwankt in der Art der Karten und der Position. Wenn Karten in der Karibik durch den Kauf ausgetauscht werden, verändert sich auch jedes Mal das Gefüge. Was in einem Spiel als wunderbare Symbiose gefeiert wird, fehlt im nächsten Spiel vielleicht völlig. Dazu lassen einen optionale Module eingefahrene Muster weiter aufbrechen. Dabei glänzen diese weniger durch zusätzliches Material, sondern durch andere Regelfeinheiten. Durch die Kurzweiligkeit entsteht so ein Sog des Ausprobierens und stetigen Spielens. Was will man bitte mehr?
Fazit
Pirates of Maracaibo segelt nicht wie das expertige Maracaibo im Meer des hohen Anspruchs, sondern fährt mit aufgeblähten Segeln in der Karibik des fluffigen Spielgefühls. Die immer wieder andersgeartete Erkundung des Kartenmeers kitzelt stets spannende Entscheidungen hervor und dies nicht nur innerhalb einer Partie, sondern auch partieübergreifend herrscht eine enorme Variabilität. Anheuern kann man zudem aufgrund der schlanken Regeln und der sehr guten Symbolsprache sehr schnell. Spielerisch entsteht aus dieser Schlankheit trotzdem enormer Spielspaß. Schiffsausbau und Kartenkauf ermöglichen das bilden einer Engine, die effektiveres Spielen in den verschiedenen und spannenden Teilbereichen ermöglicht. Leichte strategische Ausrichtungen werden so auch abgefragt, denn überall mitmischen ist schwierig. Über allem thront dann das spannende Wettrennen, bei dem man sich nie sicher sein kann, wie viele Aktionen man noch auslösen kann, weil eine Runde wahnsinnig schnell vorbei sein kann. Vorteil davon ist die wirklich überschaubare Spielzeit, selbst mit mehreren Mitspielenden. Entsprechend ist Pirates of Maracaibo ein wirklich gutes Kennerspiel und weit mehr als ein abgespecktes Maracaibo.
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6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für die Rezension! 😊
Wie spielt sich das Spiel zu zweit? 🤔 Bin am überlegen es meiner Frau zu Weihnachten zu schenken (natürlich vollkommen uneigennützig). Allerdings würden wir es primär zu zweit spielen…
LG Andi
Hallo Andi,
ich finde es spielt sich in allen Besetzungen gut. Klar, du hast zu zweit weniger „Interaktion“, weil Treffen auf Karibikfeldern weniger stattfinden, die Wertigkeiten der Schätze weniger stark schwanken und der Kartendurchsatz innerhalb einer Partie ist geringer. Trotzdem spielt es sich gut. Es bleibt ein schnelles, fluffiges Spiel, bei dem du eh mehr mit dir selbst beschäftigt bist. Wenn du sehr empfindlich auf Interaktionsdefizite reagierst, dann würdest du es zu dritt wohl durchaus besser finden. Wenn dein Fokus auf Enginebuilding und den vielen kleinen, eigenen Entscheidungen beruht, dann passt es auf jeden Fall.
Liebe Grüße
Chriatian
Tolle Rezension die ich komplett so unterschreiben kann. Danke dafür. Der Spielspaß und Wiederspielreiz ist hoch. Viel Spiel für kurze Spielzeit. Auch von mir eine Empfehlung im Kennerspielsektor
Hi 🙂 Schön, dass es auch dir gefällt. Ist irgendwie so ein richtiges Wohlfühlspiel, auch wenn man sich gerade mit einigen Modulen etwas mehr ärgern kann. Ich liebe ja wirklich, wie schon in Maracaibo oder Boonlake, diese flexible „Laufreichweite“ und die daraus resultierende Planung der Route und das Wettrennen. Es ist hier weniger verkopft wie in den beiden anderen Spielen, aber trotzdem eben im Kern vorhanden.
Hallo Christian,
Danke für die Rezession. Klingt vielversprechend, dass du meinst man kommt schnell rein. Es sieht nämlich auf den ersten Blick schon kompliziert aus. Das hat mich bis jetzt etwas abgeschreckt.
Ich bin auf der Suche nach einem neuen Spiel welches nicht zu lange dauert. Zeitangabe ist ja 25 bis 100 Minuten. Schafft man zu zweit, wenn man die Regeln schon gut kennt das Spiel unter 1 Stunde?
LG
Gerd
Hallo Gerd,
solche Empfehlungen zur Zeit sind immer schwierig, weil jede Person unterschiedlich lange nachdenkt und die Einschätzung, ob dies noch im Rahmen ist, auch schwankt.
Die einzige Ersthürde ist die Symbolsprache, man kann aber jedes Symbol nachschlagen. Hat man einmal die Symbole drauf, was bei uns schnell ging, dann ist es ein schnelles Spiel.
Was man beachten sollte, wie schon bei Maracaibo oder Boonlake: es liegt an der Spielgruppe. Es ist ein Wettrennen! Du kannst dich 1 bis 3 Felder bewegen. Wenn ihr beide immer nur 1 Schritt geht, weil alles so attraktiv wirkt, dann verdreifacht sich die Spielzeit, die Siegpunkte explodieren und das Spiel wird vielleicht etwas langweiliger. Das Spiel basiert etwas darauf, dass sich Führende beeilen, dass Spiel zu beenden und Effektivität über Masse stehen sollte. Nicht alles machen, sondern das, was dir innerhalb der kürzesten Zeit die meisten Punkte bringt. So gewinnt man!
Liebe Grüße
Christian