Berlin Brettspiel Con ’22
Alles ist Highlight
Das letzte Wochenende bestand aus zwei Elementen: Berlin Brettspiel Con ’22 und die Verleihung zum Spiel des Jahres. Von beiden Erfahrungen möchte ich berichten, wobei ich mich bei der BerlinCon vor allem auf die Brettspiele fokussieren möchte, weil ich ein fettes Gewitter aus echten Highlights erlebte. Trotzdem ein kleiner allgemeiner Einblick auf die Veranstaltung, die ich das letzte Mal 2019 besuchte. Die Convention ist gefühlt etwas größer geworden, hat jetzt zudem zwei Außenbereiche, was ich sehr begrüße und weiterhin massig viele Spieltische. Anders als die SPIEL in Essen, ist das hier ein Hybrid aus etwas Shoppen, Neuheiten bei Verlagen anspielen und dann über eine extrem umfangreiche Spielausleihe ganz viel Spielen. Ein gut gefüllter Flohmarkt rundet das Erlebnis ab. Letztes Mal hat mir ein Tag gereicht. Dieses Jahr war ich zwei Tage vor Ort und hatte nicht das Gefühl, am Sonntag nach Hause zu wollen. Kann es ein besseres Kompliment geben?
Brettspiele im Detail
Nanolith | Woodpecker Games
Die Autoren Marc Schwämmlein und Maximilian Witt bezeichnen ihr Nanolith als Cyberpunk RPG Board Game. Ich nenne es meinen feuchten Traum aus der Jugend. Jugend heißt Shadowun plus Bubblegum Crisis. Wir wurden äußerst sympathisch von Marc in die Welt von Nanolith eingeführt und man merkte an jeder Stelle absoluten Feuereifer. Hier brennt eben nicht nur das Cyberpunk-Design, sondern auch die Autoren-Seele. Nanolith ist ein Mix aus wunderbaren Comics, einer wilden und abgedrehten Geschichte, knackigen Kämpfen in einem Spielbuch und der Entwicklung des eigenen Charakters. Das alles wird unter anderem durch den Künstler August Graham Nakamura, den ich durch Infinity schätzen gelernt habe, zum Leben erweckt. Wir haben ein Einführungsszenario gespielt und schon hier setzte einen das Spiel gekonnt unter Druck. Spielerisch hat mir der Ansatz gefallen, den ich aus Death May Die auch kenne und liebe. Nur wenn du dich hart antreibst und deine Naniten im Körper zum Glühen bringst, wirst du Superattacken auslösen können. Jede Attacke kostet dich aber auch Lebensenergie und verkürzt die Zeit bis zur nächsten Superattacke. Ein Kreislauf der gefährlichen Eskalation! Ich werde Mitte August den Prototyp erhalten und euch dann ausführlich darüber berichten können. Für mich aber schon jetzt ein Instant-Buy!
Kleine Völker, großer Garten | Board Game Circus
Wichtig für den Witz des Spiels ist das Verstehen der Spielbrettarchitektur. Das Spielbrett besteht aus sieben Bereichen, wobei jeder dieser sieben Bereiche wiederum sieben Bauplätze besitzt. Die Anordnung der Bauplätze entspricht genau der Anordnung der sieben Bereiche. Man könnte also sagen, dass das Spielbrett im Großen das Spielbrett im Kleinen ist. Bist du am Zug, darfst du etwas bauen oder abreißen. Eine Schildkröten-Kran-Miniatur steht in einem der Bereiche, wo du das ausführen darfst. Nach der Aktion wird die Schildkröte auf den neuen Bereich gestellt, wo du vorher im Kleinen gebaut hast. Wurde also in z. B. im Mittelteil im Norden gebaut, setzt du die Schildkröte danach in den Bereich im Norden und dort darf nun gebaut oder abgerissen werden.
Weiter darfst du bestimmen, wer nach dir dran ist. Die Spieler:innenreihenfolge ist also nie fest, sondern definiert sich aus den Entscheidungen der Personen. Dein Ziel ist die Erfüllung von offen ausliegenden Karten, die angeben, wo und wie welche Felder und mit welcher Etagenhöhe bebaut sein müssen, um Siegpunkte zu erhalten. Bezahlen musst du Bauaktionen über deine Bevölkerung. Neue bekommst du über Gebäudemehrheiten in den Gebieten. Gebietskontrolle steckt also auch noch drin. Kleine Völker, großer Garten ist so simpel in seiner Mechanik, aber so herrlich knifflig und interaktiv. Ein wunderbar abstraktes Bauspiel!
Die Tiere vom Ahorntal | Board Game Circus
Ich hatte schon etwas vom Spiel gehört, es aber weder gespielt noch anfassen dürfen. Bevor das Anfassen losging, lag mein Herz schon auf dem Tisch. Ich bin wohl doch irgendwie ein verkappter Baumschmuser. Wie schon in Everdell liebe ich dieses Artdesign. Schicke Tiermeeple, ein tolles Spielbrett und thematische Karten erobern auf maximal charmante Art Spieler:innen. Dabei ist das Spiel kein fettes Brett, sondern eher ein Familienspiel. Mechanisch ist es als Dice-Placement einzuordnen, allerdings mit einem Kniff. Du kennst nur die Augenzahlen deiner eigenen Würfel, bevor du deine Worker platzierst. Erst danach werden die allgemeinen Würfel geworfen. Dazu gesellte sich etwas Tableauausbau und das Sammeln von Ressourcen für den Bau von Karten. Nach dem Motto, warmes Brot bringt 4 Siegpunkte, hast du noch Suppe, bekommst du zwei zusätzlich. Gefällig und unheimlich süß, ohne jetzt mega innovativ zu sein. Passt für die Familie und musste gekauft werden!
Discordia | Irongames
Discordia ist ein anspruchsvolleres Kennerspiel, das einiges anderes macht und durchaus das Potenzial zum Geheimtipp hat. Ich konnte den Prototyp anspielen und werde es mir definitiv für den Kickstarter vormerken. Obwohl von den Elementen wie Thema, Mechanik und Material her Discordia ein wirklich klassisches Eurogame ist, geht es hier nicht um Siegpunkte. Deine Aufgabe ist es nämlich alle deine Worker loszuwerden. Erfrischend!
Du musst eine Stadt für die Römer am Rhein entwickeln. Das Problem: Gebaute Gebäude ziehen am Ende einer Runde Worker an, nämlich für jeden unbesetzten Slot. Da du Häfen, Handelsplätze, Garnisonen gegen die Germanen und Bauernhöfe baust, strömen die Leute nur so zu dir. Nur wer die Würfelaktionen pro Runde geschickt mit den Bauoptionen einsetzt, kann Worker auch auf den Gebäuden platzieren. Lasst mich lügen, aber ich startete mit um die 15 Workern und hatte nach der ersten Runde 27. So gewinnt man das Spiel nicht! Dazu gesellen sich diverse Verzahnungen wie Boni über Entwicklungsleisten, erreichte Meilensteine in Konkurrenz zu anderen und eine clevere Würfel-Aktionsmechanik. Unbedingt anschauen. Ich war wirklich begeistert!
The Fog: Escape from Paradise | XOLLOX Games
Leider konnte ich das Spiel aus Zeitgründen nicht anspielen, sondern nur kurz zuschauen und einer Einführung lauschen. Das Spiel erscheint im August auf Kickstarter und hat nicht nur famoses Material, sondern auch die Thematik kommt gut rüber. Aus dem Süden der Insel schiebt sich eine einwohnerverschluckende Nebelwand gen Norden, wo am Strand Boote warten, die die Einwohner, dargestellt durch hochwertige Chips, aufnehmen können. Das Spiel besteht aus zwei Phasen. In der ersten wählt man „seine“ Einwohner auf der Insel nacheinander aus, in der zweiten Phase geht dann das Gedränge los.
Es ist ein absolut taktisches Bewegungsspiel ohne jegliches Glück. Verschieden Bewegungsaktionen wie Drängeln, Sprinten und Bocksprünge stehen auf dem Plan. Fähigkeiten der Einwohnerchips ermöglichen Boni je Bewegungsart und die Platzierung auf den Booten ist auch mit Sonderregeln verschärft. Dazu verschlingt die Nebelwand natürlich immer wieder Personen. Sah echt gut aus und klang auch ziemlich stimmungsvoll. Ist aber durchaus ein Spiel für Grübler!
Earthborne Rangers | Frosted Games
Nun kam Rosa von Frosted Games und erklärte uns Earthborne Rangers. Das Spiel, welches bei mir im Pledgemanager aufgrund des Preises immer noch nicht abgeschlossen ist. Ich war ja echt am Hadern. Als Mischung zwischen Arkham Horror: Das Kartenspiel und Tainted Grail habe ich nach wenigen Augenblicken gemerkt, dass ich mit meiner Skepsis auf dem Holzweg war. Es spielt sich elegant, bietet Story, aber vor allem beeindruckt die Weite des Spiels. Das hier ist eine echte Open World, eine absolute Sandbox! Alleine der Einstieg des Spiels mit dem Treffen eines Kochs bot Entscheidungen. Lassen wir ihn stehen und wandern weiter? Wir hätten ihn auch angreifen können oder versuchen, Freundschaft zu schließen. Was will der überhaupt von uns? Er kann sterben, er kann aber auch Gefährte werden. Wir können Orte verlassen und entscheiden wohin wir gehen. Entsprechend ändert sich immer wieder das Begegnungsdeck. Etwas Verwaltungsaufwand, aber aus meiner Sicht im Rahmen. Es wird klar, wer das durchgespielt hat, der hat definitiv nicht alles gesehen. Aus einem Wackelkandidat wird eine Vorbestellung werden. Definitiv!
Cryptid | Skellig Games
Ich kenne einige, die das Spiel nicht mögen. Da wäre z. B. dieser Blogger Markus. Ihr kennt ihn vielleicht. Schreibt komische Texte auf Brett & Pad. Und ganz ehrlich, die Diskrepanz zwischen Cover und Spielmaterial ist so groß, da will ich fast wegrennen. Am Ende war es eine extrem unterhaltsame Partie. Wer Deduktion mag und gerne seinen Kopf etwas mehr anstrengt, checkt das Spiel unbedingt aus. Es war göttlich zu sehen, wie einigen vor lauter Ratlosigkeit die Augen aus dem Kopf fielen, andere sich siegessicher die Lippen leckten und trotzdem daneben lagen. Extrem unkomplizierte Regeln, die wirklich die reine Deduktion in den Fokus stellt. Für Kinder zu denklastig und auch erst ab drei Personen spielbar. Ich hätte es sonst als Andenken von der Berlin Brettspiel Con ’22 mitgenommen.
Spiel des Jahres | Verleihung
Am Abend des Samstags wartete dann noch die aufregende Verleihung zum Spiel des Jahres und Kennerspiel des Jahres. Losgelöst von der Berlin Brettspiel Con ’22 und auch in einer ganz anderen richtig schicken Location direkt an der Spree. Cascadia als Spiel des Jahres hat aus meiner Sicht verdient gewonnen, bei Living Forest, dem Sieger zum Kennerspiel des Jahres, verstehe ich es zumindest, allerdings bin ich selbst nicht so der Fan. Dune: Imperium ist da eher mein Spielgeschmack. Da die Titelträger eh durch alle Kanäle sausen, möchte ich etwas anderes thematisieren. Als Gast war nämlich der Autor von Sagaland, Spiel des Jahres 1982, vor Ort und erzählte aus dem Nähkästchen. Auf YouTube kann man sich das wunderbare Interview anschauen. Mega interessant, wie damals der Preis verliehen, aber auch wie das Spiel entwickelt wurde. Ich selbst war ganz ergriffen. Erste Klasse und dort im Gruppenraum durfte ich das Spiel kennenlernen. Es hat mich durchaus geprägt. Mehr als ich vielleicht zugeben wollen würde. Es war auf jeden Fall eine wunderschöne Veranstaltung, weil man endlich einmal wieder so viele Gesichter aus der Szene gesehen hat und auch die Plauschereien direkt an der Spree waren herrlich. Die vor Glück und Begeisterung besoffene Einleitung dieses Textes wurde durchaus auch mit den positiven Emotionen der Verleihung mitgetragen.
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