Faktor Mensch: Ich bin viele Gruppen
Hans Falck, deutsch-amerikanischer Sozialarbeiter und Begründer des Membership-Ansatzes, spricht in seinen Werken davon, dass es im Prinzip keine Individuen gibt, sondern auch der einzelne Mensch immer als Gruppe auftritt. Erlebtes mit Familie, Freunden, Peer-Group, der erfahrenen Gesellschaft und deren Ansichten prägen uns und diese Erfahrungen legen wir auch nicht ab, wenn wir als Einzelperson mit anderen zusammentreffen und mit ihnen eine neue Gruppe, wie z.B. eine Spielgruppe eröffnen. Nicht ein ich spricht dort, sondern ein wir. Mit Pierre Bourdieu und seinen feinen Unterschieden könnte man nun sogar über den Habitus eine Verschränkung zum angeblichen persönlichen Geschmack vornehmen. Dieser ist auch wesentlich weniger individuell angelegt, sondern auch durch die Gesellschaftserfahrung und die Position im sozialen Raum definiert.
Es sitzen also nicht vier individuelle Personen am Tisch. Sondern vier Menschen mit all der Prägung aus einer Gesellschaftserfahrung im Rücken. Positiv wie negativ. Und diese vier Leute bilden in Aushandlung zueinander und mit bzw. über das Brettspiel eine neue (Gruppen-)Erfahrung. Wir sprechen hingegen am Ende des Tages fast vermeintlich objektiv über das Brettspiel und dies aus uns, dem Individuum. Wir schreiben eine Rezension und werten auf BGG. Die Erfahrung fokussiert sich auf das Brettspiel. Der Faktor, mit wem ich es spiele, wie diese Menschen zueinanderpassen, was diese Menschen über das Brettspiel gesagt haben, welche unsichtbare „Gruppe“ sie mitbringen, wie diese den Geschmack beeinflusst, wie zusammen das Brettspiel gespielt wurde, tritt in den Hintergrund. Wir machen bei einem Brettspiel, einem Objekt der Interaktion und Gesellschaft, all die Punkte wie Spielspaß, Spielreiz und ausgeschüttete Emotionen oft in der Meinungsverkündung am Brettspiel fest. Das Brettspiel ist der Fixpunkt. Dabei kann die Gruppe im doppelten Sinne als Spielgruppe und als unsichtbare Gruppe in meinem Rücken, viel entscheidender sein, wie wir selbst als angeblich „individuelles Subjekt“ ein Brettspiel wahrnehmen. Hinterfragen wir uns? Woher kommt gerade dieser Eindruck vom Spiel? Der Argumentationspunkt, die Kritik, bin ich das mit meiner Gruppe oder ist es innewohnend im Spiel? In Zeiten, in denen viele Menschen nach einer Partie ein Brettspiel schon weglegen, weil die Auswahl so riesig ist, kann so eine Entscheidung noch fataler sein. Aber auch Markus oder ich sprechen zu euch immer durch die Erfahrung mit unseren Gruppen.
Wie bewerten?
Für Udo produziert Hitster Unmut. Ein Wort, welches Markus wohl bei dem Spiel nie in den Sinn gekommen wäre. Hitster produziert dies aber, eben zusammen mit der Gruppe. Ich selbst denke an Boonlake oder New Angeles. Zerredet und angeblich durchdrungen in der einen Gruppe, nach einer Erstpartie und der einzigen Partie innerhalb dieser Gruppe. Gescheitert, zu den Akten gelegt. Was hatte ich allerdings noch für einen Spaß mit beiden Spielen in gänzlich anderen Gruppen. Beim Genre Social Deduction ist der Spielspaß offenkundig sehr vom Gruppengefüge abhängig. Es ist in vielen anderen Brettspielen aber nicht anders. Brettspiele bieten eben Interaktion. Wie passen die Menschen am Tisch zueinander, was haben sie für einen Geschmack und welche Gruppen und damit Spielverhalten bringen alle mit? Wie reagiere ich darauf und wer bin ich in der Gruppe? Wie färbt dies auf den Spielspaß ab?
Wie wir diese Interaktion betreiben, wie „gut“ wir dies gerade zusammen können, ist zweifelsohne ein Faktor der den Spielspaß beeinflusst. Auf den B-Rex-Tagen wollte ich Passengers spielen. Markus riet mir davon ab. Er hatte schon Erfahrungen mit dem Spiel. Wir wagten es trotzdem. Am Ende der Partie hatten wir in der Gruppe auf den B-Rex-Tagen einen höllischen Spaß! Markus war überrascht, wie gut das Spiel war. Ich habe Passengers hier nun im Schrank, begeistert von der Ersterfahrung und verwundert über eine 6.5 auf BGG. Ich spielte es in mehreren Gruppen. Meine Bewertung schwankt seitdem von 6.0 bis 9.0. Schwierig.
Keine Allgemeingültigkeit
Ich möchte meine Aussagen auch nie als allgemeingültig ansehen. Sie sind abhängig von meiner Person, die nichts anderes ist als die Erfahrung aus verschiedenen Gruppen. Ihr kennt meine Gruppen nicht, ich eure nicht. Wie ein Brettspiel am Ende also wirklich ankommt, liegt im Geheimnis der Gruppe. Und auch ein Stück weit vielleicht in der Selbstreflexion, gerade, wenn ein Spiel nicht so zündet und die Kritiker-Keule schon gezückt ist. Wie aussagekräftig wäre ein Fokus dieser Kritik, wenn er die Gruppe, das eigene Selbst mit seinen vielen Gruppen im Rücken missachtet? Wenn wir ein Brettspiel ablehnen, wie sehr hat es dann damit zu tun, dass wir uns manchmal selbst im Weg stehen? Lese ich allerdings nur sporadisch in Betrachtungen zu Brettspielen. Und die Gruppe sollte vielleicht viel mehr wieder Einzug erhalten, auch in meinen Rezensionen. In meiner Wahrnehmung wird von Balance oder Mechanik am Ende einer Partie gesprochen, gerne mit Emotionen gewürzt, weniger über die Menschen am Tisch und noch viel weniger, dass womöglich vermeintlich negative Aspekte des Brettspiels eher in einem selbst zu suchen sind.
Fazit
Vor kurzem schrieb ich Folgendes an anderer Stelle schon einmal: Ich spiele lieber ein mittelmäßiges Brettspiel, vielleicht sogar ein schlechtes, mit den besten Leuten an meiner Seite, als ein Arche Nova mit Menschen, die ich nicht leiden kann oder Spielmaterial anlecken. Manch überschwängliche Rezension meinerseits, manch gelungenes Abenteuer, das explodierende Kopfkino, all das liegt auch im positiven Sinne an den Menschen, mit denen ich spiele und mit denen ich bisher gespielt habe. Eben die unsichtbaren Gruppen. Im Negativen zählt dies ebenso. Was ist da am Ende also bewerteter Spielspaß? Ein Cities Skylines mit Atmopshäre-Ben war ein cineastischer Höllenritt als Bürgermeister-Duo. Was hatte ich für einen Spaß. Das gleiche Spiel erlebte ich allerdings auch staubtrocken und spannungsarm. Wir sprechen immer über die Brettspiele, dabei müssten wir vielmehr über die Menschen sprechen, mit denen wir spielen, warum wir etwas spielen und wenn uns etwas nicht oder extrem gefällt, es am Ende nicht nur im Brettspiel suchen, sondern in uns und damit unseren Gruppen. Brettspiele heißen auch Gesellschaftsspiele, das hat seinen Grund.
Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber
- 6. Januar 2025
- 31. Dezember 2024
- 26. Dezember 2024
- 20. Dezember 2024
Im Fokus
Neueste Kommentare
- KK bei Faktor Mensch
- Denny Crane bei Faktor Mensch
- Deanwalk bei Neon Hope
- Christian bei Faktor Mensch
- Christian bei Faktor Mensch
20 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
„…dass es im Prinzip keine Individuen gibt, sondern auch der einzelne Mensch immer als Gruppe auftritt.“
Bei dieser Passage hatte ich sofort meine Lieblingsszene aus „Das Leben des Brian“ wieder vor Augen:
Brian von oben aus dem Fenster zur Menge: „Ihr seid alle Individuen!“
Die ganze Menge unisone ruft: „Ja, wir sind alle Individuen!“
Danach eine einzelne Stimme: „ICH NICHT!“
So wie dem einzelnen Rufer gehts mir oft in öffentlichen Brettspielrunden.
Ich habe inzwischen ein Alter erreicht, wo ich immerhin weiß, was ich NICHT will: Punktesammeln nach immer neuen, möglichst komplexen Regelwerken.
Wenn ich bei Regelerklärungen merke, dass es mir zu viel wird, dann steige ich aus. Ich will lieber spielen als jedesmal für das im Prinzip immer gleiche Punktesammeln erst stundenlang neue Regeln lernen zu müssen. Inzwischen steige ich oft erst gar nicht mehr ein. Wenn es um anderes geht (wie Deduktion, Hidden Role/Movement), dann bin ich durchaus bereit, mich auch mit komplexeren Regeln auseinanderzusetzen. Aber bitte nicht für dieses optimierte Punktesammeln.
Zugegeben, das liegt an mir, nicht an den Spielen – wenn, dann an der schieren Masse an solchen Spielen, die einen jedesmal wieder mit neuen Regeln konfrontiert. Die meissten Spieler haben da offenbar Spass dran.
ICH NICHT! 😉
Ich kenne deine Spielgruppe nicht. Aber alleine, wenn du jetzt in der Verantwortung bist, Spiele auszuwählen, würdest du die Erfahrung deiner Gruppe mitbestimmen.
Mein Hauptgedanke hinter diesem Artikel sind halt typische Diskussionen, oft emotionaler geführt, ob am Tisch oder in Foren, wo Leute sich über Einschätzungen von Brettspielen etwas in die Haare bekommen oder sich nicht einig werden, warum dieses oder jenes nicht passt und dabei über das Brettspiel sprechen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber selbst bei BGG, bei den Bewertungen mit Kommentar, reibe ich mir manchmal verwundert die Augen, über das, was da geschrieben wird. Ich erlebe das auch in einigen Telefonaten mit Markus in Austausch. Spielgruppen haben große Macht über Spielerfahrung aller am Tisch.
Und dann gibt es noch Menschen, die finden dann ein Brettspiel scheiße und erklären es dann allen anderen am Tisch, warum das so ist und warum genau das auch so richtig ist. Mechanik a) und Symbiose c) und überhaupt die Balance und Interaktion. Am Ende mögen sie aber beispielsweise vielleicht einfach so wie du, den Punktesalat nicht. Das sind zwei verschiedene Dinge. Das Brettspiel will so sein und das ist okay, für manche sogar echt geil, aber anstatt sich zu hinterfragen und über die eigene Person und den Geschmack zu sprechen, wird der Fixpunkt das Brettspiel. Meiner Wahrnehmung nach passiert das vor allem bei Menschen, die viele Brettspiele spielen.
Ist ja nicht so, dass ich Punktesammeln generell ablehnen würde. Spiele, die man schnell begreift und schon in der ersten Partie gut mitspielen kann, spiele ich ja durchaus gern mit – nur gibts davon meinem Eindruck nach immer weniger. Vergangenes Jahr habe ich zB „Wikinger“ von Hans im Glück aus 2007 kennen- und sofort schätzen gelernt – und dann auch einem Bekannten mit riesiger Sammlung, der es nicht mehr spielt, für einen moderaten Preis abkaufen können. Oder Project L, das mag ich auch.
Aber meinem Eindruck nach kommt es vielen Spielern heute nicht in erster Linie darauf an, auch bei schlankem Regelwerk knackige Spieltiefe zu erleben – sondern möglichst viele Verzahnungen, komplexe Regeln mit unzähligen Ausnahmen sind die Dinge, die Begeisterung auslösen. Und möglichst immer mehr davon. Was ich mag, gilt bei vielen allenfalls als „Absacker“.
„Meine“ Spielgruppe gibt es daher nicht, die müsste ich mir backen (ACHTUNG, das ist ausnahmsweise KEIN Anglizismus 😉 )
Moin und Frohes Neues!
Das empfinde ich als sehr wichtigen Faktor. Wie Florian es sagt, ist es sehr gut, wenn die Spielgruppe ein bisschen durchscheint, weil es das Erlebnis sehr stark beeinflusst.
Bei mir zB besteht die Runde in der Regel aus meinen beiden Jungs und mir. Meine Frau mag sehr wenige Brettspiele (leider). Meine Jungs sind übrigens unvorhersehbar was den Geschmack angeht…
Einiges kann ich nicht mit ihnen Spielen auch wenn es weit und breit super rezensiert wird. Anderes, dass sie sehr mögen, kann ich nicht auf den Tisch bringen, wenn meine Eltern dabei sind. Und auch die Jungs sind untereinander selten einig – wir verhandeln immer ein Programm für eine Reihe von Spielrunden im Vorraus, damit beide ihre Favoriten unterbringen können.
Am Ende können alles gute Spiele sein, aber sie kommen eben nicht immer und überall an (My lil Everdell, *seufz*). Spiele stehen halt in einer Beziehung zu den Spielenden, und wie bei fadt allen Beziehungen ist es nie die Schuld einer einzigen Seite, ob eine Beziehung funktioniert oder halt nicht.
Frohes Neues dir auch.
Danke in zweierlei Hinsicht für diesen Text. Erstens weil solche Texte viel zu selten zwischen „Top 86 Listen“ und schnell nach Erscheinen rausgehauenen Rezensionen sind.
Zweitens weil ich es auch als sehr wichtig empfinde, wenn ein Spiel so rezensiert wird, dass man herauslesen oder hören kann, in welcher Situation und Gruppierung es auf welche Art ankam.
Udo Bartsch oder Ben Törk gelingt es oft beiläufig auf die Mitspieler einzugehen. Gerade große YouTube Kanäle klingen oft so als gäbe es gar keine Mitspieler. Das halte ich für eine Fehlentwicklung.
Mehr Menschen in den Rezensionen durchscheinen lassen, das wäre doch ein toller Vorsatz für 2025!
Frohes neues alle zusammen.
Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Der Spielspaß oder auch das Erlebnis hängt vom Zusammenspiel des Spiels, der Gruppe und auch noch der aktuellen Situation ab. Wie sind wir gerade in der Verfassung? Haben wir Lust auf ein neues (vielleicht komplexes) Spiel oder sind wir von der Arbeit ausgebrannt und wollen einfach nur entspannt etwas spielen? Dann gerne ein Spiel, welches wir alle schon mal gespielt haben und die Regeln nicht komplett neu gelernt werden müssen.
Wir hatten mal einen Abend, da wollten wir voller Euphorie mit zwei neuen am Tisch unser geliebtes Tsukuyumi spielen. Das ist aufgrund der Umstände, dass man sich soviel zu erzählen hatte und die Köpfe eher in die Gläser, denn in die Anleitung, gesteckt hatte, grandios gescheitert. Wir haben nicht mal die Regelerklärung geschafft. Das war einfach too much. Am Ende ist es dann „Don´t drop the soap“ geworden. Mit einer Komplexität von 1,06 auf BGG war es für diesen Abend genau das richtige Spiel. Ist es daher ein objektiv „gutes“ Spiel? Mit Sicherheit nicht. Subjektiv für den Abend war es das. 🙂
Anderes einfaches Beispiel: Schummel Hummel mit meinen Kindern. Haben die zu Weihnachten bekommen und finden es grandios. Ich ebenso mit denen…..wenn sie denn nicht übermüdet oder hungrig sind. Dann fange ich das lieber gar nicht erst an…..jedenfalls, wenn ich das VORHER merke und nicht erst während des Spiels.
Nur eine Note auf BGG oder hier kann das alles natürlich nicht abbilden. Als Orientierung kann die aber schon gut dienen, finde ich. Ebenso die Meinung von bestimmten Youtubern, Bloggern oder anderen Buddies. Wenn man da welche findet, die einen ähnlichen Geschmack haben, ist das super im Dschungel der ganzen Neuheiten. Und wenn man dann noch die Situation in der Runde berücksichtigt und ein passendes Spiel auf den Tisch bringt, steht einem wundervollen Spieleabend nichts mehr im Wege.
Mir fällt da anhand von Alfs 😉 Beispielen gerade noch ein Beispiel ein: CRYPTID, eigentlich derzeit mein Lieblingsspiel.
Ich liebe das Spiel – aber wenn mal wieder jemand dabei sitzt, der/dem man zigmal – vor und noch während des Spiels aufgrund auftretender Ungereimtheiten – erklärt, dass eine im Hinweis genannte Geländeart IMMER mit zu den Gebieten gehört, wo das Cryptid versteckt sein kann (ja, es geht eigentlich nur um die leichten Szenarien, die anderen kommen eh nur mit verlässlichen Spielern auf den Tisch), und die trotzdem permanent falsche Hinweise geben (wollen? – denn so beratungsresitent, wie mir schon mehrfach untergekommen, kann man eigentlich gar nicht sein!), die das Spiel torpedieren, dann wird selbst ein Lieblingsspiel zur Qual.
Vielen Dank für eure Gedanken, die sich sehr interessant gelesen haben. Ich bespreche ja öfters Spielsituationen aus Brettspiele, in denen auch andere Menschen vorkommen. Oft eben für besagte Spielsituationen. Vielleicht gehe ich das auch auch noch etwas tiefer an. Letztendlich soll es am Ende ja meine Sicht bleiben, nur die kann ich hier vertreten. Und falls Diskrepanzen auftauchen, wird das ja ebenfalls schon thematisiert.
Wichtig ist die Nachvollziehbarkeit. Hier hat Gordon etwas wichtiges angesprochen. „Man muss“ seine Leute finden, wo eine gleiche Schwingung besteht, ansonsten sind Bewertungen schwierig einzuordnen. Darum darf am Ende eine Rezension aus meiner Sicht auch nicht zig Meinungen abbilden. Woher die eigene Meinung kommt, werde ich vielleicht noch stärker thematisieren.
Der Faktor Mensch wird in unserer schnell-lebigen Zeit einfach zu gerne rausgenommen oder sogar (bewußt) ignoriert. Daher finde ich diesen Artikel super.
In der Brettspielwelt geht es bei vielen Influencern eher um Aktualität. Mit dem Hintergedanken kannst du keine x-fach verschiedenen Spielegruppen im Test einfließen lassen. Daher lese/schaue ich gerne Rubriken mit älteren Spielen…Da kriegt man oft zwischen den Zeilen viel besser raus unter welchen sozialen Gegebenheiten das Spiel funktioniert oder nicht.
Auch wie schon oben angesprochen können Tagesformen einunderselben Gruppe dazu führen das ein Spiel rockt und genau durchfallen kann. Diese Aussage von Gordon würde ich 100% so unterschreiben. Manchmal ist ein „Flick of Faith“-Niveauspiel die situativ bessere Auswahl als irgendein BGG Top 10 Spiel.
Trotzdem gibt es auch Spiele, die (auch wie schon geschrieben) gut begründet sehr leicht als mechanisch schwach/falsch aussortiert werden können.
Als Beispiel hatte ich mal eine Lizenzgurke wie Monopoly Mario-Kart, wo man verschiedene Cups fährt. Die haben Punkte gebracht, aber wer den letzten Cup gewonnen hatte, hatte ein xfaches an Punkten bekommen im Vergleich zu den anderen Cups, das eigentlich nur noch dieser letzter Cup DAS zentrale Element des Spiels war. Das Spiel war absolut vertretbar nach 1-2 Spielen als schlechtes Handwerk zu definieren. Selbst mein Sohn hat das nach ein paar mehr Spielen auch bemerkt und kein Bock mehr auf das Spiel gehabt.
Hingegen die Genres die meiner Meinung nach selbst nach vielen Spielen bestenfalls einen Trend zulassem sind alle Genres mit Sozialer Deduktions und geheimen Informationen/Rollen. Gerade wenn aufgrund dieser Informationen andere Spieler Schlussfolgerungen/Reaktioen für ihren eigenen Zug ableiten müssen sind für einen nüchteren Test da einfach zu viele Variablen in der Luft.
Wenn das Spiel nicht „nur“ ein „Werwolf“ sondern ein großes Spiel darum gebaut ist (Feed the Kraken) ist da ein seriöser Test eigentlich nur mit einer groß angelegten Teststudie möglich.
Die Schlussfolgerung bzw Erwartungshaltung die ich daher an Tests habe ist dann eigentlich die:
Jeder liest liebendgerne eine kompletten Verriss…die innere Schadenfreude ist da einfach bei Menschen irgendwie gegenwertig.
Trotzdem lese ich lieber Tests mit Formulierungen wie „bei uns in der Spielegruppe“ uä. Damit erkenne ich gut, das jemand nicht seine Erfahrungen(!) mit Spiel X mit einer fixen Gesetzmäßigkeit gleichsetzt. Formuliert jemand im Test seine Eindrücke klar subjektiv, dann kann ich auch eine ordentliche Breitseite auf das Spiel verstehen oder genauso ein komplett abfeiern und trotzdem eine klare Kante zu einem Spiel fahren.
Daher lese ich hier gerne die Tests. Genau das kommt hier gut durch…Vlt ist das auch eine Stärke eines Artikels im Kontrast zu einem Video, wo man leichter durch das freie Sprechen Gefahr läuft zu generalisieren und /oder plötzlich am Schluss auch wieder mit der eigenen Meinung zurückrudert um nicht einseitig zu wirken. Da ist ein geschriebener Text, der ggf mehrmals gelesen wird, ggf auch mal ein paar Tage zur Reflektion liegen gelassen wird einfach das bessere Medium
Ich hoffe man könnte mein direkt losgetipptes Kauderwelsch irgendwie nachvollziehen
„In der Brettspielwelt geht es bei vielen Influencern eher um Aktualität. “
Leider überträgt sich das auf viele Spieler – zu meinem Leidswesen besonders auch hier in der örtlichen öffentlichen Spielgruppe.
Ja, das ist so. Und ich kann mich davon auch nicht freimachen. Und es ist auch ganz sicher durch die Arbeit am Blog schlimmer geworden. Ich war schon immer ein verdammt neugieriger Mensch … oder sollte ich Opfer schreiben? Mich treibt es durchaus an, neue Brettspiele anzuschauen und zu prüfen, für mich selbst, was sich da andere Menschen ausgedacht haben und ist es besser als das, was ich kenne und besitze? Zum Glück interessiere ich mich trotzdem auch noch viel ältere Brettspiele und habe auch die Zeit dafür. Zumindest meistens.
Und noch eine Sache zu den „Influencern“. Was wird denn von den Konsumierenden angeklickt? Dieser Artikel hier, der gefällt vielleicht den Menschen, die eh hier hereinschneien, aber keiner sucht danach und die Klickzahlen sind ähnlich wie z.B. die Talks oder die Frage des Monats. Direkt nach der SPIEL als erste ne Rezension zum Hype-Titel? Dann dreht Google News und die Klickzahlen durch. Top-Listen, Rezensionen von „Blockbuster-Brettspielen“ und Mainstream-Klassiker (wie Exit, Catan usw.), das sind die erfolgreichen Artikel am Ende des Jahres.
„Ja, das ist so. Und ich kann mich davon auch nicht freimachen. “
OK, ist ja auch Dein Job hier.
Ich hab ja auch nach langer Spielpause mich durch viele Rezensionen geklickt. Hab mir auch einiges angeschafft, was ich aber in den öffentlichen Spielrunden kaum auf den Tisch bringe, weil die den dortigen Teilnehmern meisst alle entweder schon wieder zu alt, zu seicht, zu speziell sind (Hidden Role/Movement muss sich halt jeder vorher mit den Regeln auseinandersetzen, weil Nachfragen im Spiel doof sind und ich komplexere Spiele, die ich noch nie gespielt habe, nicht gut erklären kann – dazu haben die aber offenbar keinen Bock; das sind eigentlich alles Spiele, die ich auch oder wegen Deiner Rezension angeschafft hatte) – oder wir das „ja schon mal gespielt haben“ (ganz egal, ob es dabei gefallen hatte oder nicht, letzteres wäre immerhin ein nachvollziehbarer Grund).
Die wollen alle nur immer wieder neue komplexe Punktesammelspiele spielen, sind aber auch nicht in der Lage, die so zu erklären, ohne dass sich regelmässig im Spiel oder beim Punktezählen rausstellen würde, dass bestimmte Mechanismen/Bedingungen gar nicht erwähnt wurden. Es muss aber jedesmal wieder was anderes sein – mich ermüdet das und nimmt mir inzwischen langsam jede Lust, da noch regelmässig aufzuschlagen.
Das verstehe ich gut! Gibt es keine anderen Menschen aus diesem Treff, mit denen es sich lohnen würde, eine private Gruppe zu öffnen? Ich habe zum Glück den Luxus, viele Gleichgesinnte zu kennen, aber auch da gibt es Nuancen im Geschmack und nicht alle mögen die gleichen Spiele.
ja das Konsumverhalten mit immer neuer schneller höher ist dann auch wieder eine selbst erfüllende Prophezeiung bzw hat was von Henne/Huhn.
Gerade aber Top x von Irgendwas Posts haben sich zumindest bei mir totgefahren. daher tue ich mir auch so schwer mit einer eigenen Top Liste von meinen Spielen 24
Weil du wenige hast oder weil du solche Listen ablehnst? Mir machen sie selbst Spaß, weil ich mich oft frage, was wäre denn jetzt wenn … ich meine Brettspielsammlung verkleinern müsstest … oder ich mein liebsten Mechanik-X-Brettspiel auspacken müsste? Das gedankliche stöbern durch seine Auswahl und diese zu sortieren finde ich spannend. Auch gerade am Ende des Jahres. Welche Spiele wurden für gut befunden, aber trotzdem in der Erinnerung innerhalb eines Jahres fast vergessen, welche Brettspiele wurden vielleicht weniger gut bewertet, aber kommen immer noch auf den Tisch? Ich liebe innere Top-Listen und die Überraschung, die sie mit mir machen. Fast so ne Art Eigentherapie.
Für die eigene Übersicht ist so eine Top-Liste tatsächlich gar nicht doof. da entdeckt man tatsächlich schon Mal vergessene Schätze. Guter Punkt.
zu meiner eigentlichen Liste für 24:
meiner innerer Monk kriegt es nicht so leicht hin Genre-übergreifend da was zu staffeln🫣. Vermutlich wird es eher eine Art honorable Mention top 2 für verschiedene Genres
„…daher tue ich mir auch so schwer mit einer eigenen Top Liste von meinen Spielen 24“
Ich eher nicht, mangels Masse 😉 – denn ich hatte 2024 tatsächlich nur vier aktuelle Spiele, die ich überhaupt in eine Positiv-Liste aufnehmen würde. Und das bereits in 2023 kennen- und schätzen gelernte „Passt nicht!“ ist dann (auch mangels Chancen hier) bei meiner B&P-Leserwahl-Abstimmung leider rausgeflogen.
Ich möchte auch gerne meinen Senf dazu beitragen. Ich liebe meine Spielgruppe, das habe ich schon mehrfach deutlich gemacht. Aber es gibt sehr feine Stellschrauben, die dazu führen, dass auch gute Spiele in dieser Gruppe durchfallen. Das finde ich tlw. sehr ärgerlich, aber ich muss es akzeptieren. Ich selber habe bisher kein Spiel, welches ich nicht gerne Spiele. Mein gehasstest Endeavour spiele ich mittlerweile sehr gerne, ich finde immer mehr gefallen an guten kooperativen Spielen und Undaunted:Stalingrad spielt sich bei mir gerade durch die Decke. Mehr davon später. New York Zoo ist bei mir halt völlig durchgefallen. Aber das ist nur ein Sidekick.
Was ich herausstellen möchte: Für mich ist Brett & Pad seit Anbeginn der Zeit eine gute Anlaufstelle gewesen. Als Fanboy habe ich die Spiele gekauft, die Christian angepriesen hat. Ich konnte mich in die dargestellten Situationen hineinversetzen. Ich mochte das Spiel mit der Sprache und den anschließenden Austausch über die Kommentare. Und dieses Gefühl wird nach wie vor transportiert. Kritischer als je zuvor. Der Austausch mit Christian in den letzten zwei Jahren über die Ausrichtung des Blogs, den Vibe und das Grundgerüst waren sehr intensiv und zielführend. Das kommt hier in diesem Leitartikel von Christian zum neuen Jahr sehr gut rüber. Ich bin also immer noch Fanboy , auch von Christian und seinen Ansichten über die Welt der Brettspiele. Jeder der Brett & Pad liest, weiß, dass er die Persönlichkeit mitbekommt, die Community und die Spielgruppen gleich dazu. Danke an dieser Stelle auch an euch. Der Austausch ist uns so brutal wichtig und danke, dass ihr solche Artikel feiert und kommentiert.
Sehr interessanter Artikel, mir fällt auch immer wieder auf wie sehr doch meine Meinung über bestimmte Spiele davon abhängt mit wem ich diese spiele. Ich würde jetzt spontan einfach mal schätzen, dass 70-80% meiner Brettspielpartien als Duell zwischen mir und meiner Frau ablaufen. Daher ist der Spielspaß insgesamt für mich oft auch sehr stark davon abhängig wie gut ein Spiel zu Zweit funktioniert. Nichts desto trotz spielen wir natürlich oft auch gemeinsam mit anderen Menschen, von denen sowohl die einzelnen Teilnehmer als auch die Beziehungen untereinander einen gewissen Einfluss auf den Spielspaß haben, aber auch darauf welche Spiele es überhaupt auf den Tisch schaffen. Grundsätzlich versuche ich aber jedem Spiel die Chance zu geben mir zu gefallen, in dem ich es in unterschiedlichen Gruppen/Konstellationen auf den Tisch bringe einfach weil ich gemerkt habe, dass es sehr viele Spiele gibt, die was Spielspaß, Spielfluss etc. angeht einfach ganz unterschiedliche Bewertungen von mir erhalten würden je nachdem in welcher Situation, in welcher Gruppe sie auf den Tisch kommen. Natürlich gibt es „leider“ einfach viel zu viele Spiele, sodass es trotzdem garantiert viele Spiele einfach wegen einer miesen ersten Partie nicht ein weiteres Mal auf den Tisch schaffen. Oft liegt ein vermeintlich schlechter Eindruck, den man von einem Spiel hat vllt. auch einfach nur daran, dass es an einem Tag auf den Tisch kam, an dem ich aus irgendwelchen Gründen einfach mies drauf gewesen bin. Es gibt einfach so wahnsinnig viele Faktoren, die die Bewertung eines Spiels beeinflussen, dass man jedem Spiel deutlich mehr als nur eine Note geben müsste…. hat mich gerade doch sehr zum Nachdenken angeregt dein Artikel, danke dafür. Und auch grundsätzlich noch mal Danke für die tollen Inhalte hier, ich lese sehr viel, kommentiere aber nur selten.
Einen schönen Start ins neue Jahr und uns allen auch weiterhin viel Spaß mit vielen tollen Spielen 😀.
Hallo Christian,
ich wünsche dir auch einen tollen Start und viel Spaß mit deinen Brettspielen. Und schön zu lesen, wie sehr dann am Ende Tagensform und Gruppe eben Brettspielerfahrung verändern.
Liebe Grüße
Christian