Kurzcheck: Darum geht es in Hybris: Disordered Cosmos
Hybris: Disordered Cosmos mischt die griechische Mythologie mit einer Art Techno-Steampunk. Die Olympier haben gerade den Urgott Chronos besiegt und sich seine Reiche und die Welt der Menschen unter den Nagel gerissen. Das vergossene Blut von Chronos stellt sich dabei als mächtige Energiequelle namens Aegis heraus. Fortan wettstreiten die Olympier darum, mit der Aegis Technologie in die Welt der Menschen zu bringen, auf dass sie angebetet werden und als Erstes zum großen Gott aufsteigen. Ein wilder, aber echt geiler Mix, deren thematische Ausarbeitung sich auch in der Spielmechanik abbildet!
Mechanisch besteht Hybris: Disordered Cosmos vorrangig aus Worker-Placement. Lockt euch nur ein Gähnen hervor? Dann lasst euch sagen, hier hat Zeus persönlich seine Blitze eingewoben. Hybris: Disordered Cosmos packt taktische Programmierung dazu und versieht alles mit extrem hoher Interaktion. Ja, es ist am Ende immer noch ein Eurogame, aber es fletscht die Zähne und steht mit erhobenen Chaosklingen wie Kratos im Blutrausch am Tisch. Dazu sind die zu bestreitenden Wege einer Odyssee würdig. Du entwickelst dein Tableau, freust dich über die hohe Asymmetrie durch die verschiedenen Götter und den Ausbau mit Technologien. Du streitest dich zudem um Bauslots bei der Entwicklung und der späteren Platzierung von Technologien, kabbelst dich um Aktionsfelder, erstellst dir ein individuelles Kampfdeck, kannst epische Quests lösen und musst bei all dem noch deine Ressourcen im Blick behalten. Der Tisch platzt nicht umsonst aus allen Nähten. Es ist ein wahrlich fulminantes Fest, bei dem sich die Worker nicht nur bekämpfen können, sondern auch auf zwei verschiedene Arten gewonnen werden kann!
Göttin des Sieges
Hybris: Disordered ist eines der opulentesten Brettspiele in meinem Schrank und so wäre eine vollständige Abhandlung der Mechanik der reine Wahnsinn. So wie dieses Spiel jeden normalen Tisch sprengt, würde der Blog platzen. Ich konzentriere mich deshalb auf die besonderen Perlen des Spielgefühls … und der Blog platzt trotzdem. Den Start bildet dabei der Spielsieg. Zum einen gewinnt man ganz klassisch über die Siegpunkteleiste. Kennt man, spare ich euch.
Du gewinnst das Spiel allerdings sofort, wenn dein Tableau komplett entwickelt ist! Das erzeugt mehr Spannung, als die Theorie es vermuten lässt. Sich Siegpunkte zu erarbeiten ist immer mit spielerischen Aufwand verbunden. Das Tableau entwickelt sich allerdings auch nicht von alleine. Es erinnert etwas an Cthulhu Wars und den Zauberbüchern. Jedes der sechs zu entwickelnden Fähigkeiten wird nur dann freigeschaltet, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind (Tempel bauen, Helden freischalten, Sparklings abtragen). Diese Bedingungen sind dann auch noch zwingend in einer bestimmten Reihenfolge zu erfüllen. Siegpunkt und Tableauentwicklung gleichzeitig meisterhaft beherrschen ist extrem schwierig und du hast nur 6 Runden Zeit! Wie fokussierst du dich? Änderst du zwischendurch deine Strategie? Welche Fähigkeiten taugen zum Freischalten für eine Siegpunktestrategie? Alleine die Frage, wie du dieses Spiel gewinnen willst, ist komplexer.
Gott der Spielreihenfolge
Spielreihenfolge ist nicht gleich Spielreihenfolge. Wer vorne auf einer Leiste ist, darf sich eine von 6 Karten aussuchen, die wiederum die wirkliche Zugreihenfolge bestimmt, das ist ziemlich sexy. Der wirkliche Clou: Jede dieser Karten besitzt sehr mächtige Fähigkeiten! Mit der richtigen Strategie in der Runde kannst du damit Ziele erreichen, die sonst nicht möglich wären. Zweiter Clou: Jede dieser Karten gewährt allen anderen aber auch einen Bonus. Der Kampf um die Platzierung auf der Reihenfolgeleiste wird hier hart ausgefochten! Blöd: Die Karten sind klein und liegen nicht für alle gut zugänglich am Spielfeldrand.
Göttin der interaktiven Entwicklung
Ressourcen sammeln, danach ein Gebäude-Plättchen kaufen und über eine andere Aktion dieses ins Spiel bringen? Solch banalen spielerischen Ketten sprengen die Götter in Hybris: Disordered Cosmos. Zwar musst du am Ende auch Ressourcen ausgeben und Worker für Aktionen platzieren, allerdings gibt es auch hier einen sehr interaktiven und cleveren Kniff, der das Bauen thematisch auf mehrere miteinander verschränkte Leisten verlegt.
Zuerst entwickelt du per Aktion eine Idee, indem du ein Plättchen auswählst und auf eine Leiste legst. Ein begrenzter Pool für alle Spielenden sorgt für knifflige Entscheidungen. Diese Idee soll nun in den Götterschmieden umgesetzt werden. Liegt dein Plättchen auf dem ersten Slot? Bezahlst du den vollen Preis! Entwickeln andere allerdings auch Ideen, werden die Plättchen durchgereicht und der Preis sinkt. Wartest du auf andere? Entwickelt du erst einmal selber mehrere Ideen, um deine eigenen Plättchen durchzureichen? Spart viele wertvolle Ressourcen! Je länger du eine Idee reifen lässt, umso einfach kannst du sie eben umsetzen. Entwickelst du die Idee, bekommst du das Plättchen allerdings immer noch nicht, sondern es kommt jetzt auf die Bau-Leiste und dort müssen über Aktionen die Plättchen bewegt werden. Auch hier kommt eine Verdrängungsmechanik ins Spiel! Erst wenn dort dein Plättchen „rausfällt”, erhältst du dieses.
Timing und ein Gefühl für die Mitspielenden beim Entwickeln von der Idee bis zum Bau sind wichtig! Dabei fungieren die Plättchen am Ende für allerhand unterschiedliche Boni. Du baust hier an deiner eigenen Asymmetrie! Viele Extra-Siegpunkte? Besserer Kampf? Schnellere Entwicklung? Es gibt nicht umsonst für jede Person ein Übersichtsheftchen über die vielen Plättchen. Extra-Thrill: Du wirst davon meist nicht viele bauen können. Strategische Entscheidungen stehen als ganz am Anfang dieser Entwicklungskette.
Gott der Planung
Wäre Dionysos ein Freund von Verzahnung und Planung, er würde bei Hybris: Disordered Cosmos in Ekstase ersaufen. Wir sind nämlich noch nicht am Ende. Erst einmal kannst du dir zusätzliche Worker erarbeiten, die teilweise besondere Fähigkeiten haben. Viele Worker, viel Macht? Nope! Bevor ihr alle eure Worker loslasst, müsst ihr jede Runde verdeckt planen, in welchen Bereich ihr sie stellen wollt. Das geschieht über Ortsscheiben, die ihr, nachdem der Worker eingesetzt wurdet, ablegen müsst und erst in der übernächsten Runde wieder bekommt. Autsch! Jede Runde alles machen? Keine Chance! Und der Arschtritt folgt noch, jeder Worker muss zusätzlich mit Ressourcen bezahlt werden. Wann geht also wer wohin und kannst du dir das leisten?
Göttin der Prophezeiungen
Ein durchaus witziges Spielelement sind Prophezeiungskarten. Erst einmal kostet dich das Ziehen eine Workeraktion, wenn du sie nicht über einen anderen Weg bekommst. Das ist abartig teuer, gerade am Spielbeginn! Auf den Karten steht nun eine Belohnung für eine Bedingung. Die Bedingungen sind Aktionen oder Situationen im Spiel, die man vielleicht (!) eh gemacht hätte. Anderseits sind die Belohnungen oft so praktisch, dass man sein Spiel vielleicht anpasst. Aktionen und Rundenanzahl sind knapp, man nimmt mit, was man kann! Die Mechanik ist also ein unsicheres Investment in eine unbekannte Zukunft, die einen aber Flügel verleihen kann.
Ähnlich dramatisch gesellt sich der Blick in die Zukunft über drei zufällig verdeckt ausliegende Ereigniskarten. Alle zwei Runden wird eine gelüftet und alle Mitspielenden werden von den Launen der Titanen schmerzhaft angegriffen. Du kannst auch hier eine Aktion dafür auszugeben, um unter eine dieser Karten zu schauen. Eigentlich fühlt sich das immer verschwendet an, weil es so viel zu tun gibt. Treffen einen die Ereignisse allerdings unvorbereitet, kann das massiv in die Hose gehen. Meine Frau mutierte hier schon zu Kratos und wollte das Spiel zerreißen. Seid also gewarnt!
Gott des Kampfes
Workerplacement und ein Absatz über Kämpfe? Tja, Interaktion wird großgeschrieben und trieft durch jeden Marker, Karte und Worker. Ölt vorher euren Holztisch, ansonsten werden die zahlreichen salzigen Tränen euren Tisch angreifen! Klar, es gibt einen harmlosen Kampf bei Quests, der auch schmerzen kann, aber dann habt ihr einfach schlechte Kampfkarten gezogen oder wart zu mutig. Die Mechanik basiert auf einer Karten-Puzzlemechanik mit Bonusschaden bei passenden Elementen.
Aber Hölle Hades ist der Kampf der Worker amüsant! Setzt ihr eure Worker nicht in der Götterwelt, sondern in Griechenland ein, weil ihr Ressourcen braucht oder Entwicklungen platzieren möchtet, dann könnt ihr andere Worker verdrängen. Besiegte Worker wandern in den Hades und müssen teuer rausgekauft werden. Abartig! Noch besser, platziert eine Person ein fertiges Entwicklungsplättchen, feiert ihn das gemeine Volk und man bekommt drei Belohnungsarten. Und ihr wisst ja, wie aufwendig es ist, so ein Plättchen zu entwickeln! Nun kann in umgekehrter Zugreihenfolge eine andere Person eine Herausforderung aussprechen. Gewinnt er den folgenden Kampf, klaut er eine der drei Belohnungsarten. Brutal eklig, brutal lustig!
So viel unerzählt!
Ist das noch eine Rezension oder schon ein Roman? Hybris: Disordered Cosmos, ich sage es euch, macht unfassbar viel Spaß! Die Götter sind so verschiedenen und werden im Laufe das Spiel immer unterschiedlicher! Überall lauert Interaktion und kleine frische Nuancen. Ja, der Spieltisch implodiert unter Material, es wirkt bisweilen unübersichtlich, aber wer sich reinfuchst und die fiesen Nackenschläge wie die Götter wegsteckt, der erlebt hier ein grandioses Spiel! Ich könnte sofort wieder mit Poseidon andere vermöbeln, mit Hades herumtricksen und mich an Fehlschlägen anderen nach oben arbeiten oder mit Zeus imposante Entwicklungen bauen und mich im Reichtum wälzen, weil mich alle finanzieren müssen. Durch die hohe Interaktion fällt der Spielspaß zu zweit allerdings etwas ab! Und wer Abwechslung bei den Göttern möchte, braucht zudem die Erweiterungen.
Fazit
Hybris: Disordered Cosmos ist vielleicht eines der größten Überraschung der letzten Jahre und ich ziehe meinen imaginären Hut der Hochachtung. Leute, das ist ein Erstlingswerk! Ja, das Spiel wirkt bisweilen durch seine enorme Ausprägung am Tisch unübersichtlich und nicht jede Sitzposition kann gleichermaßen alle Elemente überblicken. Das kann stören, verpufft aber durch die Stärken. Dich packen hier titanhafte Pranken der Asymmetrie und Interaktion und heben dich in den spielerischen Olymp. So viele Pfade sind zu bestreiten, so viele Synergien zu beachten, die nicht nur innerhalb eigener spielerischer Möglichkeiten entstehen, sondern genauso im Zusammenhang mit den Entscheidungen anderer. Ja, es mag auf den ersten Blick nur ein Worker-Placement-Spiel sein, aber dann sind die Whitsunday Islands auch nur irgendein Strand. Wichtig ist allerdings, dass man die hohe Interaktion, die durchaus ins Destruktive abrutschen kann, wertschätzt. Ich tue das und entsprechend ist es eine persönliche Tragödie, nicht die letzte Erweiterung zu besitzen. Aphrodite, ich vermisse dich!
Info: Aufgrund des Umfangs beziehe ich mich bei dieser Rezension nur auf den kompetitiven Modus.
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich kommentiere selten die Beiträge von Christian. Aber Hybris: Disorderd Cosmos muss kommentiert werden. Ohne Christian hätte ich das Spiel nicht, der Kosmos hatte da seine Finger im Spiel. Er machte mir eine Voice, in der von dem Spiel schwärmte. Diese hörte ich abends im Bett und stöberte sofort los. Und just in diesem magischen Moment erschien ein Angebot auf Ebay Kleinanzeigen. Der Preis? Nebensache…
Habe ich es bereut?
NEIN, verdammt! Wer asymmetrische Spiele mit Enginebuilding, Workerplacement, thematisches Setting, ein innovatives Kämpfen, welches nicht im Vordergrund steht, unterschiedliche Taktiken zum Siegen, schweißnasse Hände, Spannung Spiel und Schokolade mag muss einfach zuschlagen, Probespielen oder sich einladen lassen.
Hybris: Disorderd Cosmos war eine Offenbarung. So viel liebe zum Detail, so gute Ideen und so gut gestaltet. Hier ist eine gute Iconografie vorhanden und das bei einem Erstlingswerk. Da könnten sich manch andere Verlage mal eine Scheibe von abschneiden.
Wennn ich CEO von Pegasus oder einem anderen Verlag wäre, würde ich mir das Spiel sofort ins Portfolio packen.
Ach ja. Die Wertung von mir muss auch noch mit rein. Schaut bitte, dass ihr diese Perle einmal spielt und schreibt, ob ihr auch so angetan seid.
Moin,
gibt es das Spiel irgendwann auf deutsch? Bisjetzt alles mir bekannte versucht das Spiel zu bekommen, aber keine chance gehabt.
Eurer Test liesst sich jedoch sehr cool.
Hallo Simon,
die Wahrscheinlichkeit ist extrem gering. Glaube nicht das es jemals auf Deutsch erscheint.
Du müsstest das Spiel auf Englisch noch hier „backen“ können: https://gamefound.com/en/projects/aurora-game-studio/hybris-disordered-cosmos-rivalry
Liebe Grüße
Christian