Lesezeit: 7 Minuten
Heat: Pedal to the MetalHeat: Pedal to the Metal ist nach Rallyman: Dirt ein weiteres Brettspiel, welches Motorsport auf meinen Wohnzimmertisch fräst. Mein Herz hatte es eigentlich schon erobert, als ich Christian von Spielstil auf dem Asmodee Presse-Event auf der SPIEL‘ 22 in der letzten Kurve demonstrierte, was der Unterschied zwischen Chabo und Babo im Rennsport ist. Entsprechend schnell wanderte dieses Formel-1-Rennspiel in mein Regal. Nachdem selbst komplette Meisterschaften im Pro-Modus absolviert wurden und mich fan made Strecken erreichten, fühle ich mich nun gut geölt, den Spielspaßmotor zu zerlegen. Ebenso möchte ich die oft auftauchenden Vergleiche zu Flamme Rouge thematisieren. Also, Helm aufgesetzt, rein in den Boliden und durch den Text geballert!

Kurzcheck: Darum geht es in Heat: Pedal to the Metal

In Heat: Pedal to the Metal willst du mit deinem Boliden nach mehreren Runden auf der gleichen Strecke vor allen anderen die Ziellinie überqueren. Das gelingt dir nur, wenn du dein Kartendeck beherrscht wie Phil Hill 1961 seinen legendären Ferrari 156. Die Grundmechanik aus Karten und Deckmanagement ist extrem schnell verinnerlicht. Die Community bei BGG steht für eine Altersempfehlung ab 8 Jahren. Die erste Phase spielen alle gleichzeitig und die definiert die Geschwindigkeit. Schaltest du einen Gang hoch oder runter? Je nach Gang musst du entsprechend Handkarten verdeckt ausspielen. Die Karten besitzen unterschiedliche Zahlenwerte für die Geschwindigkeit und damit die gefahrenen Felder deines Boliden. Du weißt natürlich nicht, wie schnell die anderen fahren.

Die weiteren Phasen werden dann je nach Position auf der Strecke nacheinander ausgeführt. Wer vorne steht, fährt zuerst und deckt seine Karten auf. Thematische Ergänzungen bringen Spannung ins Rennen. Da wäre der mächtige Windschatten, denn wenn du am Ende deiner Bewegung am Arsch von anderen klebst, ziehst du an ihnen vorbei. Weiter wäre da die Königsdisziplin: die Kurven! Ballerst du über den Scheitelpunkt einer Kurve, musst du deine Geschwindigkeit mit dem Limit der Kurve vergleichen. Bist du zu schnell, droht der Kontrollverlust! Gut, dass du deinen Motor für das Meistern dieser Situationen zum Schwitzen bringen kannst. Damit wären wie bei der elementaren Mechanik, deren Name im Titel verewigt ist: Heat.

Heat: Pedal to the Metal
Hört ihr die Motoren?

Heat ist Mathe

Bevor ich zum glühenden Motorblock und dem Kurvenverhalten komme, ein nicht ganz unwichtiger Einschub. Heat: Pedal to the Metal hat im Vergleich zu Flamme Rouge einen mathematischeren und etwas verkopfteren Ansatz. Am Streckenrand ist neben jedem Feld ein Wert angegeben, der den Abstand bis zum nächsten Scheitelpunkt einer Kurve entspricht. Wie einleitend erklärt, ist es enorm wichtig, seine Geschwindigkeit so abzustimmen, dass man aus der hohen Geschwindigkeit auf einer Geraden nicht in eine Kurve ballert. Wer vorne mitfahren will, muss den Abstand zur nächsten Kurve, Handkarten und deren Werte und seinen Gang immer wieder aufeinander abstimmen.

Da du jede Runde nur einen Gang runterschalten oder hochschalten kannst (Sonderregeln außen vor), ist Handkartenmanagement gefragt. Im vierten Gang auf der Geraden so hohe Karten wie möglich ausspielen, um dann vor dem Scheitelpunkt einer Kurve zu landen, wäre nur die halbe Miete. Denn selbst wenn du nun runterschaltest, musst du nächste Runde 3 Karten ausspielen. Hallo Kiesbett! Vielleicht hast du aber auch niedrige Werte gesammelt, dann passt der dritte Gang. Hieraus zieht Heat: Pedal to the Metal einen Teil seiner Spannung. Wie schnell spielst du dein Deck durch, welche Karten behältst du am Rundenende zur Vorbereitung zukünftiger Streckenabschnitte auf der Hand? Und wie kombinierst du dies mit deinem Gang? Nicht kompliziert, aber durchaus etwas anspruchsvoller als Flamme Rouge, welches nur Deckdestruction besitzt. Die nun eingangs erwähnte Hitze macht das Spiel nicht einfacher, aber durchaus spannender!

Heat: Pedal to the Metal
Das Kurvenlimit von 2 hat das Fahrerfeld aufgesplittet.

Lass den Motor glühen!

Es ist ganz einfach, fährst du wie Victor „Al“ Pease oder aber gehst heftiges Risiko ein, weil du vielleicht durch zu viel Geschwindigkeit in der Kurve Boden gut machen willst, kommen die Heat-Karten ins Spiel. Dabei haben alle am Anfang gleich viele Heat-Karten in einem separaten Deck. Für mich ist das einfach der Zustand des Motors. Kurzum, diese Karten ermöglichen dir ein schnelleres Durchfahren von Kurven oder sie erlauben dir das Gaspedal so hart zu treten, dass du mehr Karten spielen kannst als dein Gang hergibt. Dafür nimmst du Heat-Karten vom Deck und legst diese in den Ablagestapel deines Spieldecks. Heißt, irgendwann wandern diese Karten auf deine Hand. Leider darfst du diese Karten nicht ausspielen oder am Rundenende unbenutzt abwerfen. Sie verstopfen also deine Hand! Eklig wie Ölverlust, zerfetzen sie deine fahrerischen Handlungsmöglichkeiten. Wer seinen Motor also zu hart massiert, der bekommt Probleme. Hier greift nun eine letzte Hauptmechanik: Die Abkühlung.

Dritter Gang, drei Karten gespielt (exkl. Stress).

Kurze Abkühlung

Fährst du in niedrigen Gängen und damit meist entsprechend langsam, darfst du Heat-Karten von der Hand wieder in das Heat-Deck zurücksortieren. Dein Motor kühlt ab, deine Kartenhand erholt sich. Fast wichtiger, du hast wieder die Möglichkeit, den Motor zu treten. Das Wechselspiel aus Entspannung und feuriger Überhitzung sorgt für ungemeinen Spaß! Du hast hier wirklich das Gefühl, den Motor zum Kochen zu bringen, die Reifen bei zu hoher Kurvengeschwindigkeit quietschen zu hören und zeigst anderen  im imaginären Rückspiegel den Stinkefinger, wenn Kartenhand, Windschatten und Gang dafür sorgen, dass du an allen vorbeiziehst.

Blau und Gelb ziehen durch Windschatten an Silber vorbei.

Stress vermeiden!

Schwitzige Hände hingegen bekommst du bei Stress-Karten. Diese schlummern, je nach Strecke unterschiedliche viele, in deinem Startdeck. Auch diese darfst du nicht einfach abwerfen, sondern musst sie ausspielen. Besonderheit: Stresskarten haben keinen Wert, sondern du ziehst einfach nach dem Ausspielen eine weitere Karte vom Nachziehstapel. Deine Geschwindigkeit ist also dem Zufall unterworfen. Wer masochistisch veranlagt ist, spielt Stress-Karten vor engen Kurven. Viel Spaß beim Dreher auf der Strecke! Aufsparen also für die Gerade? Freu dich, wenn du dann eine niedrige Geschwindigkeit ziehst und dich alle überholen. Ergo, Stress stinkt, wenn man Glück hasst!

Schickes Inlay!

Ist Heat: Pedal to the Metal thematisch?

In Rallyman: Dirt und auch Flamme Rouge habe ich das Thema absolut gefeiert, vor allem auch weil eine mehr oder weniger simple Grundmechanik den Kernaspekt des jeweiligen Sports ziemlich gut abbildet. In Rallyman: Dirt schmeckte ich den Staub, den Kampf um jede Sekunde und lernte Strecken zu meistern. Flamme Rouge hingegen zeigt Teamsport, das Einschätzen seiner Kräfte und die Spannung um den richtigen Zeitpunkt eines Ausbruchs im Rennradsport. Mechanik und Thema geben sich die Hand. Bei Heat: Pedal to the Metal ist das Gefühl, abseits des fantastischen Materials und dem Feeling am Tisch durch Table-Talk, rein durch die Mechanik schwächer ausgeprägt. Wieso ist ein überhitzender Motor die Rettung in einer Kurve? Wo es doch eher um Grip, Abtrieb bzw. Aerodynamik geht. Und warum kühlt sich so ein Motor im ersten Gang ab, auch wenn ich eine 4 spiele und nicht auch im dritten, wenn ich insgesamt vielleicht trotzdem nur auf 3 Geschwindigkeit komme? Bremspunkte oder Kurveneintritte sucht man auch vergeblich. Trotzdem verzeihe ich dies dem Spiel und das liegt nicht nur an seiner launigen Spielbarkeit, sondern auch an seinem Weltmeisterschaftsmodus.

Heat: Pedal to the Metal
Wer mehrere Rennen fährt, notiert sich die Siegpunkte nach Plätzen.

Die Königsdisziplin

Lade sechs Leute ein, mache ihnen Formel-1-Cocktails (geht auch alkoholfrei), verteile die tollen Boliden und dann starte in die Weltmeisterschaft! Drei verschiedene Strecken, wechselhaftes Wetter, Streckenveränderungen und dazu ungeheuer viele neue Karten! Vor jedem Rennen wählt ihr jetzt nämlich neue Karten fürs Deck, die euren Rennwagen individuell verändern. Mehr Aerodynamik für die Kurven? Andere Reifen? Neue Bremsen? Grenzenlose Möglichkeiten. Nach jedem Rennen verändern sich die Rennwagen mehr. Dazu warten am Rand der Strecke Pressevertreter:innen. Wer im Rennen dort spektakulär fährt, zieht weitere mächtige Sponsorenkarten in sein Deck. Spezialmanöver durch neue Karten lassen andere Staunen, wenn du in der Kurven doppelten Windschatten genießt oder auf der Geraden den Super-Turbo startest.

Die Tuning-Karten sind einfach cool!

Hier kommt jetzt doch wesentlich mehr Thema mit rein. Beherrschen alle das Spiel, fackelst du an einem Abend locker ein komplettes Turnier ab. Einfach beste Brettspielunterhaltung. Je mehr Personen, desto besser! Spätestens jetzt ist in Sachen Spielspaß Heat: Pedal to the Metal mit der Konkurrenz gleichauf und überholt es vielleicht sogar. Rennen können übrigens auch mit starken und einfach zu händelnden Bots ergänzt werden. Sollte man tun, denn mit weniger Autos auf der Strecke sinkt der Spielspaß ganz massiv! Ich fahre nur noch in Vollbesetzung.

In der Meisterschaft kommt alles zusammen: Presse, Wetter, Streckenveränderungen!

Fazit

Heat: Pedal to the Metal raste direkt in mein Herz und das hat es auch nicht mehr verlassen. Weder dadurch, dass bei weniger Mitspielenden in Sachen  Spaß Geschwindigkeit auf der Strecke bleibt, noch durch manche Mechanik, die einer möglichen gelungenen thematischen Einbettung  davonrast. Motoröl drüber, das ist hier trotzdem Racing pur! Je mehr Cockpits mit zu rasierenden Opfern besetzt sind, desto besser. Wobei die Bots ihre Sache zur Not gut machen. Heat: Pedal to the Metal gibt sich grundlegend wunderbar simpel, grenzt sich zu Flamme Rouge aber ab, weil es sich mit seinem Kartenmanagement, der etwas verkopfteren Planung und dem Deckbuilding im Meisterschaftsmodus trotzdem komplexer gibt, aber mechanisch auch andere Spannung erzeugt. Das Lesen der Strecke, das Wechselspiel aus Gang, Handkarten und Streckenabschnitte erzeugt mit dem riskanten Überhitzen des Motors über Heat-Karten in kurzer Spielzeit ohne Downtime abnormal gesellige Abende in großer Runde. Für mich eines der Highlights der SPIEL ’22 und auch noch jetzt der Knaller!

Heat: Pedal to the Metal
Spielinformationen
Genre: Rennspiel | Personen: 1 - 6 | Alter: ab 10 Jahren | Dauer: 30 - 45 Minuten | Autor: Asger Harding Granerud, Daniel Skjold Pedersen
SPIELSPASS
8.5
AUSSTATTUNG
8.5
SPIELIDEE
8
Leserwertung0 Bewertungen
0
Positive Aspekte
Grundmechanik sehr einfach
Spannende Partien
Weltermeisterschaftsmodus grandios
Bots einfach zu händeln
Je mehr Spielende, desto besser
Negative Aspekte
Glück spielt eine Rolle
Für die Familie können die Partien zu lange andauern
8.5
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6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Denny Crane
    24. April 2023 21:56

    Immer noch verlockend, aber weiterhin nichts was ich in meiner Spielrunde auf den Tisch bekomme….
    Das Spiel selbst liest sich aber mega und spielt in der Rennepoche, wo auch wirklich noch das Rennen auf der Strecke gewonnen wurde. Hinzu kommt das schöne Artwork. Was will man eigentlich mehr. Trotzdem wäre es ein Staubfänger bei mir. Und ich will einfach nicht mehr Spiele nur haben, sondern auch wirklich spielen

    Antworten
    • Wenn es nicht auf den Tisch kommt oder nur in kleinen Runden, dann kann man es wirklich lassen. Mit Bots und zu zweit kann man es wagen, wenn beide absolute Rennsport atmen und nichts anderes zur Hand ist. Für mich persönlich ist das Spiel aber vor allem zu sechst und dann in der Meisterschaft interessant. Da glänzt es absolut!

      Antworten
  • Ich empfinde die „Bots“ absurd stark. Wir haben in vielen Runden noch nie einen Bot schlagen können… wie ist deine Erfahrung?

    Antworten
    • Dazu eine kleine Info. Die Autoren spielen gegen die Bots mit +2 auf die Endgeschwindigkeit pro Runde. Die Bots sind durchaus stark, allerdings kann man sie schlagen. Es braucht dafür neben etwas Glück auch ein gutes Händchen für die Strecke. Ich denke, als Einsteiger:in hat man gegen die eher keine Chance und mit dem Startdeck sicher noch weniger.

      Was man aber beachten sollte und das ist auf manchen Strecken elementar, die Bots fahren nie durch 2 Kurven, selbst wenn die Reichweite ihrer Schritte ausreichen würde. Das vergisst man am Anfang vielleicht?

      Ansonsten weiter üben und vor allem im Meisterschaftsmodus fahren bzw. mit den Pro-Regeln!

      Antworten
      • Danke für die Tipps. Ich habe als Gelegenheitsspieler bisher 3 Runden Heat gespielt (mit den einfachen Regeln) und wir hatten keine Schnitte gegen die Bots. +2 werden wir bei Gelegenheit mal ausprobieren.

        Antworten
        • Da habe ich mich wohl unklar ausgedrückt. Die +2 bekommen die Bots! Heißt, die Autoren fahren so gut, das die Bots keine Chance haben. Damit wollte ich ausdrücken, dass man sich in Heat durchaus verbessern kann.

          Antworten

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