Lesezeit: 5 Minuten
Flamme RougeDas Thema von Flamme Rouge lockt mich als Rennradfahrer enorm, in meiner privaten Blase selbst scheint das aber anders zu sein. Ein grober Fehler, das bestätigen mir die grinsenden Gesichter nach jeder Partie. Und ganz ehrlich, du erlebst hier Rennradsport, ohne das dir dein Arsch vom Sattel brennt, als hättest du mit einer Mundspülung Po-Hygiene betrieben. Auch Krämpfe in den Waden durch Steigungen oder Fliegen zwischen den Zahnlücken bleiben dir erspart. Neben diesen enormen Vorteilen gelingt Flamme Rouge etwas ganz Fantastisches! Also, die Rennradhose tief in den Schritt gezogen und auf gehts zur Erkundung!

Kurzcheck: Darum geht es in Flamme Rouge

Aus diversen modularen Streckenteilen bastelst du vor Spielstart eine Rennstrecke. Wer seine Kreativität schon recycelt hat, keine Sorge, denn es gibt natürlich vorgefertigte Strecken. Die Aufgabe ist simpel. Du hast wie alle anderen auch zwei Fahrer, von denen du einen für den Spielsieg als Erster über die Ziellinie bringen musst. Keine Sperenzchen, keine Siegpunkte, keine Wetten. Nur eine Ziellinie. Die Mechanik zur Fortbewegung deiner Rennradfahrer ist nun denkbar einfach, man rümpft bei dieser Simplizität fast die Nase. Beide Fahrer bringen ihr eigenes Kartendeck mit. Wobei auf den Karten jeweils die Geschwindigkeit angegeben ist. Dein Sprinter ist dabei im Schnitt langsamer, hat aber die höhere Spitzengeschwindigkeit, der Roleur ist dafür ausgeglichener. Pro Fahrer hast du jede Runde vier Karten auf der Hand, von der du eine verdeckt ausspielst. Habe alle am Tisch ihre zwei Karten ausgewählt, wird aufgedeckt. Von der Spitze des Fahrerfeldes bis nach hinten zum Lahmarsch werden nacheinander die Figuren anhand des Kartenwertes bewegt. Klar, einige Sonderregeln erkläre ich gleich noch, aber wir bewegen uns im theoretischen Kern auf dem Niveau eines Kinderspiels!

Flamme Rouge
Direkt nach dem Start sind noch alle beisammen.

Die Details

Es wird jetzt nicht wirklich komplizierter, aber der Rennsport muss ja nun doch noch irgendwie abgebildet werden. Da wäre der erste Umstand, dass du die Karten erst von einem Fahrer ziehst, dann verdeckt eine Karte ausspielst und erst danach vom anderen das Spiel wiederholst. Das Problem, du weißt beim ersten Fahrer nicht, wie schnell der zweite Fahrer in dieser Runde fahren kann. Zumindest nicht, wenn das Deck voller Karten ist. Warum ist das wichtig? Da wären wir beim Windschatten. Ist nach einer Bewegung nur ein Feld zwischen zwei Fahrern frei, schließt der hintere Fahrer auf. Quintessenz, wer geschickt fährt, der gewinnt immer eine Extra-Bewegung, was Gold wert ist, auch oder vielleicht gerade bei Karten mit niedrigem Zahlenwert.

Flamme Rouge
Bereich deiner Karten.

Warum aber sollte man die überhaupt spielen? Ganz entscheidende Sache, eine gespielte Karte kommt aus dem Spiel. Du hast also nur eine geringe Anzahl an schnellen Karten. Wann also fährst du schnell und verbrennst deine besten Karten? Wann sparst du Kraft und spielst eher eine langsame Karten? Schaffst du den Windschatten auszunutzen, entweder durch deinen eigenen Fahrer oder von anderen? Bist du Mal gegen den Wind Rad gefahren? Der Horror. Wer keinen Vordermann in Flamme Rouge vor sich hat, der muss als Strafe deshalb eine 2er-Karte in sein Deck packen. Autsch!

Flamme Rouge
Vorne im Wind? Bediene dich bei den Erschöpfungskarten!

Der letzte Punkt betrifft die Strecke an sich. Es gibt Steigungen, dort kannst du nie schneller als 5 radeln, also wäre eine hohe gespielte Zahl Verschwendung. Hoffentlich hast du dann nicht nur hohe Zahlenwerte auf der Hand. Auf der anderen Seite ist zu langsam auch nicht gut, dann dauert der Anstieg zu lange und andere brettern dir davon! Niedrige Karten spielst du lieber bei Abfahrten, denn da wird jeder Karte auf eine 5 aufgewertet, sollte der Wert darunter liegen. Aber genau hier kann eine gespielte 9 wahre Wunder wirken. Gerade bei einer Abfahrt kurz vorm Ziel, weil damit vielleicht keiner rechnet und man sich so absetzt?

Spitzengruppe am nächsten Berg, Verfolgergruppe brettert gerade die Abfahrt runter. Letzter Fahrer abgeschlagen noch am Hang.

Großartiges Spielgefühl

Es sind in einfacher Art alle wichtigen Aspekte des Rennradfahrens abgebildet, das Spiel wird wirklich zu keinem Zeitpunkt kompliziert und ist trotzdem so enorm taktisch. Immer wieder bin ich davon überrascht, wie sehr dieses Brettspiel den Rennsport simuliert. Wer seine Karten schlecht ausspielt, mit seiner Kraft nicht gut umgeht und das Fahrerfeld und auch die Strecke mit ihren Steigungen und Abfahrten falsch einschätzt, der wird rasiert. Es gibt klassische Ausbrüche, wo kurz vorm Ziel die Kraft ausgeht und man von der Spitze durchgereicht wird. Wer zu brutal in die Pedale tritt, der kann es durchaus erleben, dass sein Deck nicht ausreicht, um ins Ziel zu kommen bzw. durch den stetigen Gegenwind als Einzelkämpfer mit 2er-Karten so aufgebläht wird, dass er einfach zur Schnecke mutiert.

Flamme Rouge ist Rennradsport pur. Es ist so herrlich anzusehen, wie am Berg taktiert wird und plötzlich ein vormals riesiges Pulk aufbricht und sich eine Spitzengruppe bildet. Genauso kann aber eine harmonierende, fast abgeschlagene Gruppe gemeinsam aufschließen und ein beherzter Sprint kann Fahrer ganz nach vorne befördern. Das alles erlebst du in wirklich kurzer Zeit, wo Regelnachfragen ein Fremdwort sind, alle mitspielen können und taktische Überlegungen trotzdem eine Rolle spielen.

Flamme Rouge
Vorne die Ausreißer, gewonnen hat später allerdings der rote Sprinter.

Fazit

Für mich ist Flamme Rouge eine taktische Offenbarung. Klar, mein Herz schlägt für den Radsport und man verzeihe mir hier ein wenig den Blick durch die rosa Sportbrille, aber was dieses Spiel leistet, finde ich in jeder Partie immer wieder beeindruckend. Die Regeln sind so schlicht, es ist geradezu grotesk, wie trotzdem der Rennradsport so passgenau abgebildet werden kann, mein Kopfkino immer wieder anspringt und sich auch nach zig Partien kein spielerischer Muskelkater einstellt. Gegner:innen und Strecke einschätzen und das Wissen um den möglichen Einbruch bei falscher Planung von eigenen Fahrern erzeugt einfach Spannung. Oft ist überhaupt nicht klar, wer gewinnt. Großartig! Ich bin erst sehr spät auf dieses wirklich kurzweilige Brettspiel gestoßen, dafür wird es jetzt immer in meiner Sammlung bleiben.

Flamme Rouge

29,99 €
8.5

MATERIAL

7.5/10

SPIELIDEE

8.8/10

SPIELSPASS

9.2/10

Kurzfakten

  • Sehr einfaches Spielprinzip
  • Sehr taktisch
  • Bildet Rennradsport ab
  • Oft spannend bis zum Schluss
  • Modulare Strecken

Spielinformationen

  • Genre: Rennspiel
  • Personen: 2 - 4
  • Alter: ab 10 Jahren
  • Dauer: 30 - 45 Minuten
  • Autor: Asger Harding Granerud
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

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6 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • JonTheDon
    10. Mai 2022 12:09

    Kannst du einen Vergleich zu „Um Reifenbreite“ ziehen? Und wie ist es mit den einzelnen Spielerzahlen?

    Bin noch auf der Suche nach dem idealen Rennspiel. Bisher hat es noch keins geschafft.

    Antworten
    • Den kann ich ziehen, habe ich mir Um Reifenbreite damals als Kind vom eigenen Taschengeld gekauft. Ich glaube sogar, es war das erste Brettspiel, welches ich mir wirklich selber gekauft habe. Um Reifenbreite habe ich unzählige Male gespielt und vor gar nicht all zu langer Zeit sogar wieder raugekramt, weil ich es meinen Kindern vorgestellt habe. So sehr mein Herz an Um Reifenbreite hängt und so lange ich deshalb auf Flamme Rouge verzichtet habe, ist Flamme Rouge leider besser.

      Es sind für mich vor allem 2 Dinge: modulare Strecke und Kartendecks. Die modulare Strecke ist schon wirklich cool, weil sich die Strecken anders fahren. Man muss wirklich mehr die Strecke abschätzen. Meine Erfahrung ist, dass eine erfahrene Person am Tisch mit Anfänger:innen und einer neuen Strecke die erfahrenere Person höhere Siegchancen hat. Wie fahre ich Berge an, wie agiere ich bei der Abfahrt? Wie lang sind die einzelnen Abschnitte? Mit den Erweiterungen wird dieses Element ja noch weiter ausgebaut. Der größere Vorteil ist für mich aber das Kartendeck. Ich liebe zwar Würfel und es gibt ja in Reifenbreite eine Art Würfelmanipulation durch die Karten, das Fahren über die Decks, mit dem Verlust einer Karte jede Runde, das planen der Geschwindigkeit der beiden Fahrer und die Überlegungen, wie das Deck noch weiter aufgebaut ist, ist spielerisch trotzdem interessanter. Der Windschatten spielt da mit rein, denn es ist eher taktische Abschätzung von Karten, als das man sich nur mitziehen lässt. Und beim Windschatten obliegt es bei Um Reifenbreite mit dem Ausfall/Windschatten beim Führenden, bei Flamme Rouge hängt es davon ab, wie der Hintermann selber fährt. Um Reifenbreite hat den Vorteil, dass es mehr Fahrer hat. Das ist für die Stimmung einfach geiler. Mit so einem fetten Pulk. Wo beide ähnlich sind: Mit mehr macht es einfach noch mehr Spaß. Flamme Rouge finde ich zu viert definitiv am besten.

      Antworten
      • JonTheDon
        12. Mai 2022 11:06

        Vielen Dank. Ich muss zugeben, ich hab es gestern gekauft und schaue aktuell noch nach der Peloton-Erweiterung. Hast du auch die Meteo-Erweiterung schon gespielt und kannst etwas dazu sagen? Und zum Thema Spielerzahl: 4 auch besser als 6 mit Erweiterung?

        Antworten
        • Ich besitze nur das Grundspiel. Erst einmal das auskosten. Ich habe auf das Grundspiel über 1 Jahr gewartet wegen Lieferschwierigkeiten. Ich möchte mir aber die Erweiterungen irgendwann zulegen. Da ich selber Radrennen bestreite ist mir die Erweiterung mit Wetter bzw. Seitenwind wichtiger als die große Erweiterung. Ich weiß nicht, wie oft ich das Spiel mit 6 Personen spiele und wirkliche Touren fahren will. Bei mir ist das eher ein netter Absacker.

          Antworten
  • JonTheDon
    22. Juni 2022 9:57

    Nochmals danke für den Tip! Hab jetzt die erste Viererpartie hinter mir und danach – als eigentlicher NichtSoloSpieler – eine Serie aller 6 Grundstrecken Solo mit den zwei Bots aus der Peloton-Erweiterung gespielt und ich kann all deine Komplimente an das Spiel nur bestätigen.

    Zum Solo-Modus, da du die Erweiterung ja noch nicht besitzt: die zwei verschiedenen Bots sind wirklich klasse, kosten quasi keinen Verwaltungsaufwand und könnten so auch eine Zweierpartie stark aufwerten, denke ich.

    Falls du sie noch nicht kennst, es gibt ja auch eine App, mit der du weitere Strecken (sowie eine Tourwertung) bekommst, ohne Erweiterungen kaufen zu müssen.

    Danke für den tollen Tip. Wir haben ähnlich Geschmäcker (thematisch, kooperativ, etc.) so dass ich immer gespannt mitlese. 👍

    Antworten
    • Ja sauber. das liest sich super. Die Erweiterungen kommen mir sicher ins Haus. Sind gerade nur nicht so wirklich lieferbar. Das die Bots gut mitspielen und jeglichen Spiel verbessern, glaube ich dir sofort. Wurde mir auch schon von anderer Seite zugetragen. Vor allem kann man dann mit weniger Personen ja eigentlich immer mit 6 Teams fahren, oder? Die Tour wird ja fern ab der App mit der angekündigten Erweiterung ausgebaut. Darauf bin ich auch gespannt.

      Antworten

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