Kurzcheck: Darum geht es in Carnegie
Andrew Carnegie war der Gigant der US-Stahlindustrie und einer der reichsten Menschen der Welt, der nicht nur extrem viel von seinem Vermögen spendete, sondern auch das Gemeinwohl förderte und Infrastruktur entwickelte. Und genau diese Felder beackern die Spieler:innen bei Carnegie. Du versuchst auf verschiedenen miteinander verzahnten Ebenen möglichst viele Waren und Geld zu erwirtschaften. Zum einen wäre da der Ausbau deiner Geschäftsstelle. Hier baust du neue Abteilungen, in denen du Worker ausbildest und einsetzt und einige auch in den Außendienst auf den Spielplan schickst. Zum anderen entwickelst du Baupläne, um letztendlich auf dem Spielbrett diese Pläne in Form von Infrastruktur umzusetzen. Zeitgleich musst du in verschiedenen Teilen der USA die vorhandene Technologie verbessern. Keiner will Kutschen als Transportmittel, die Eisenbahn ist das Ziel!
Mechanisch ist das Spiel sehr frisch aufgestellt. Ein Worker-Placement-Part, der sich durch knifflige Dynamik auszeichnet, ist verwoben mit hartem Ressourcen-Management und einer extrem interaktiven, aber schlanken Aktionsauswahl, die grundsätzlich alle am Tisch einbezieht. Downtime ist so eher Mangelware. Thematisch passend: Geld und Waren, die erwirtschaftet wurden, sind am Spielende nichts wert. Das Spenden dieser Ressourcen steht hier also definitiv im Fokus!,
Geniale Aktionswahl
In Carnegie hat jeder 20 Aktionen. Im Spiel zu viert bestimmen davon 15 deine Mitspielelenden. Bäm. Das ist für Expert:innen ein Backstein zwischen die Kauleiste. Es schmerzt. Bin ich nun Masochist, weil aus meiner Sicht genau das einer der größten Spaßfaktoren ist? Nein. Die Gründe sind einfach und heißen antizyklische Aktivierung und richtiges Antizipieren. Es ist nämlich theoretisch ganz einfach in Carnegie. Eine von vier Aktionen wird in jedem Zug vom Startspieler ausgewählt. Diese Aktion aktiviert alle Abteilung der gewählten Aktion auf dem persönlichen Firmentableau. Es müssen allerdings Worker am Schreibtisch sitzen. Je mehr Worker dort schuften, desto häufiger darfst du die Abteilung aktivieren. Das macht aber eben nicht nur der Startspieler, sondern alle anderen in Spielerreihenfolge.
Da alle Informationen offen sind, ist das eine interaktive Sache. Ich wähle die Aktion Personalabteilung. Was, ich habe drei Personal-Abteilungen mit vier Workern und kann jetzt ganz viel machen und du hast nur zwei Abteilungen und eine davon ist unbesetzt? Schade, Schokolade. Keiner hat gesagt Carnegie wäre fair. Im Gegenteil, es kann hier von Vorteil sein, wenn du eine Aktionsart auswählst, bei dem du selbst nur suboptimal agieren kannst, wenn andere dafür gar nicht agieren können. Sie verlieren eben eine komplette Aktion. Carnegie motiviert ungemein mit seinem Aktionsmanagement. Welche Abteilungen baust du? Wie besetzt du sie? Was machen wohl die anderen? Fantastische Gedankenspiele!
Geniale Verzwickung
Spende
Das war aber nur die halbe Miete! Kommen wir zur Hirnsaft-Presse. Wenn eine der vier Aktionen gewählt wurde, wird der Aktionsstein auf den Zeitplanleisten vorgerückt und vor der gewählten Aktion ein Ereignis ausgelöst. Das wäre zum einen eine Spende. Hier darf jeder nun seine hart verdiente Kohle rausblasen, um im Spendenbereich sich eine Spendenart sichern. Das ist nichts anderes als eine Punkteabrechnung am Spielende für einen Teilbereich des Spiels. Motto: Erhalte pro Personalabteilung, Industriegebäude oder Arbeiter eine gewisse Menge an Punkten. Kennt man. Problem hier, jede Spendenart kann nur ein einziges Mal spielerübergreifend ausgewählt werden und du musst dafür direkt Kohle abdrücken. Mit jeder ausgewählten Spende mehr. Hart, weil du das Geld für andere Sachen im Spiel brauchst. Verzichten? Gefährlich, jemand anderes am Tisch könnte dir eine Spende wegschnappen und dir damit wichtige Siegpunkte klauen. Fieser Trade-off!
Ereignis
Geil, aber noch nicht das Ende! Die Nackenschelle kommt jetzt. Wie ihr auf dem hübschen Bild (Aktionstableau) sehen könnt, gibt es farbige Ereignisse. Diese aktivieren die entsprechende Region auf dem Spielbrett. Nun dürfen alle Spielenden ihre Außendienst-Worker aus der Region wieder in die Zentrale zurückschicken und lösen pro Worker Boni aus, abhängig von deiner Entwicklungsstufe der Region. Zusätzlich winken weitere Dollar und Waren durch die persönliche Tableauentwicklung. Bevor jemand also eine Aktion auswählt und damit eine Region aktiviert, willst du dort eine a) hohe Entwicklung, b) viele Worker im Außendienst und c) dein Tableau entwickelt haben. Funktioniert natürlich so gar nicht, dabei hängt genau davon dein Spielsieg ab. Es ist ein höllischer Spaß der Optimierung. Wer am Tisch wird wohl welches Ereignis und damit Region aktivieren? Wann schickst du vorher deine Worker dort hin? Wer sich das Bild aufmerksam anschaut, sieht auch, dass jede Region nur vier Mal aktiviert wird. Worker, die danach noch in den Regionen stehen, bekommst du nicht wieder! Manchmal musst du das aber…
Zug um Zug
… denn auf dem Spielfeld gibt es ein absolutes Hauen & Stechen! Alle versuchen die großen Metropolen miteinander über Bauaktionen zu verbinden. Das bringt massig Siegpunkte. Aber auch Konfliktpotenzial, denn jedes Verbindungsfeld darf nur einmal besetzt werden. Und wenn du baust, musst du aus der Bau-Abteilung einen Worker in die Region stellen. Da sind wir wieder bei den Ereignissen. Wer dort noch bauen muss, wo Ereignisse nicht mehr oder erst sehr viel später ausgelöst werden, hat seinen Worker verloren oder dort sehr lange geparkt. Sollte man vermeiden! Aber kann man es?
Spielgefühl
Carnegie ist einfach eine derbst verzwickte Sache, die extrem davon lebt, andere einzuschätzen und auf alles irgendwie vorbereitet zu sein. Man sitzt am Tisch, der Kopf raucht wie eine alte Dampflok und gleichzeitig will man die Mechanik abknutschen. Die Gedanken springen von Spenden, zu Abteilungsbau, dann zu der Frage, wie ich meine Mitarbeiter überhaupt verteilen soll. Verteilen? Wie soll ich die undankbaren Faulpelze überhaupt bezahlen, wenn ich mir eine Spende kaufe? Warum bin ich im Süden immer noch auf Postkutschen-Niveau und wehe meine Frau aktiviert gleich die Region. Mein Bonus wäre zu gering. Kann nicht jemand die Entwicklungsaktion aktivieren? Ich brauche neue Konstruktionspläne, weil ich gerade nichts mehr bauen kann. Verdammt, warum grinst der Björn-Brettspiel-Babo so? NEIN. Er aktiviert bauen und baut. Ich baue nicht. Als Bonus setzt er seine Industrieanlage zwischen zwei meiner Steine und zerstört meine mögliche Verbindung. Carnegie ist kein Wasserkraft, aber es geht stellenweise in die Richtung.
Zu abstrakt?
Ich empfinde Carnegie als Managementspiel durchaus thematisch. Vor allem im Detail, wenn man sich die Verzahnung und die Logik hinter Aktionen anschaut. Das Spielmaterial (Deluxe) ist zwar fantastisch, aber ist hier und da einen Tick zu abstrakt. Eine Scheibe ist mal eine Spende, mal ein entwickeltes Projekt und dann eine Industrie- oder Wohnanlage. Auch die Abteilungen sind einfach nur Aktionenplättchen. Das wir es bei der einen Abteilung mit der Qualitätssicherung und bei der anderen mit der Telegrafie zu tun haben, weiß man maximal durch die Anleitung. Durch eine sprachneutrale Gestaltung geht dies auf dem Material selbst verloren. Schade, hier wäre mehr Leben drin gewesen.
Fazit
Der angesprochene Backstein-Schock löst sich schneller als gedacht. Spätestens in der zweiten Partie hat man die Feinheiten der Mechanik begriffen und es bleibt purer Genuss! Elegant wird die Downtime selbst bei vier Spielenden gering gehalten, was bei der vorhandenen Komplexität beachtlich ist. Schuld daran ist die hohe Interaktion. Zum einen willst du immer wissen, was andere gerade machen, gleichzeitig bist du in jeder Aktionswahl selbst involviert. Es ist geradezu fantastisch, wie nur vier Aktionen über so viele Ebenen intelligent miteinander verzahnt sind. Der größte Kniff sind die ausgelösten Ereignisse bei der Aktionswahl, bei denen man nur mächtige Boni abgreift, wenn man gut antizipiert, aber auch das gesamte Aktionstableau vom Start weg mit in seine Planung einbezieht. Das der motivierende Ausbau der Firma über seine individuellen Abteilungen und das damit einhergehende Aktion-Building fast in einer Selbstverständlichkeit untergeht, zeigt einfach nur die hohe Qualität des Spiels auf allen Ebenen. Carnegie ist ein absolut großartiges Spiel, das man so nicht alle Tage erlebt.
Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber
- 3. Dezember 2024
- 2. Dezember 2024
- 25. November 2024
- 18. November 2024
Im Fokus
Neueste Kommentare
- KK bei 7 Wonders Duel – Test
- Tobias bei Dune: Krieg um Arrakis
- Christian bei Das Unbewusste
- Denny Crane bei Das Unbewusste
- Christian bei Dune: Krieg um Arrakis
14 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ist das durch und durch ein Expertenspiel oder kann man sich auch als Kenner reinfuchsen?
Ich würde sagen, man kann sich da durchaus als Kenner reinfuchsen. Die grundlegenden Aktionen sind nur 4, die Anleitung noch relativ kompakt. Die Komplexität entsteht dann eher in der Interaktion.
In Carnegie fuchst man sich definitiv als Kenner rein! Carnegie ist göttlich. Es ist so unfassbar schnell erklärt. Die Symbolsprache einfach nur gut. Klar, man hätte hier auch mehr Thematik reinpacken könne, aber ist es notwendig? Nein. Carnegie lebt von einer unglaublichen neuen und guten Mechanik. Von dieser geilen Interaktion und diesem alle machen alles gleichzeitig. Ich finde nicht, dass es an Wasserkraft kommt. Weil bei Wasserkraft kann man echt fies was verhageln. Bei Carnegie kann man einen Zug blockieren oder aushebeln. Ich würde behaupten, jeder kann Carnegie sehr schnell mitspielen. Aber egal ob Kenner oder Experte. Man kann halt auch echt scheiße spielen. Und das ist so geil. Ich hatte neulich eine Partie, da habe ich so einen Mist gespielt und haushoch verloren. Wer war Schuld? Ich. Ich liebe Carnegie
Na dann will ich mal eine (halbe) Gegenmeinung vom Stapel lassen. Dabei muss ich schon sagen, dass mir Carnegie gefällt. Und es auch zeigt, wie gut relativ simple Ideen (Aktionswahl bzw. Aktionszuteilung) sein können. Und wie innovativ sie wirken.
Ich hab zwei große Probleme mit Carnegie. Erstens: Thematisch? Also bitte! Carnegie ist der Prototyp eines unthematischen Spiels. Es ist insofern thematisch, weil es halt tatsächlich ein Thema hat und nicht nur kommentarlos aus reinen Zahlen besteht. Bei einem kleinen Gedankenspiel kommt man schnell drauf, dass dies sehr leicht möglich wäre. Bzw. ist es ja kein Wunder, dass es „sprachneutral“ daherkommt, weil das ganze Spiel nur aus Zahlen bzw. zahlenbedingten Aktionen besteht. Ich hatte NIE das Gefühl, dass irgendein Mechanismus (nur) dahingehend ins Spiel eingebaut wurde, weil man damit tatsächlich das Wirken von Carnegie simulieren will. Für mich macht das nämlich eine Thematik aus: Dass man das reale Vorbild zumindest zu einem gewissen Grad versucht zu simulieren.
Zweites großes Problem, das auch zumindest teilweise mit der Thematik zu tun hat: Ich finde die Mechanismen ZU verzahnt bzw. verwoben. Carnegie soll ja die Ambivalenz des Charakters darstellen, der einerseits riesige Reichtümer anghehäuft hat und ein knallharter Industriemagnat war. Und gleichzeitig seine philanthropische Seite… Ob ich jetzt aber Arbeiter schinde, Reichtümer anhäufe oder diese für den Anstoß von Sozial- und Infrastruktur-Projekten wieder ausgebe, ist im Spiel keinerlei Widerspruch, sondern quasi aus einem Guß, da gleichermaßen nötig, um simple Siegpunkte zu ergattern.
Da sind dann sicher noch die Spenden, aber dieses Element ist dann von den restlichen wiederum spielerisch komplett isoliert. Ich finde es an der Stelle auch nicht gut gelöst, dass der Zeitpunkt einer Spende quasi vorgegeben wird. Wer sich nicht komplett dumm anstellt, wird normalerweise auch spenden können, ohne dass die Ausgabe ihn spielerisch zu arg zurückwirft.
Mir fehlt bei Carnegie einfach der latente Entscheidungszwang, ob ich ein Industrietyrann sein will oder der Philanthrop mit den jeweils gegenteiligen Auswirkungen. Das Dilemma kommt kaum rüber… es ist mehr ein Optimierungsspiel, bei dem es – eben auch über die Spenden – darum geht, die angesammelten Ressourcen taktisch geschickt und mit dem richtigen Timing in Siegpunkte umzuwandeln.
Und so steht Carnegie prototypisch für eine für mich eher unschöne Entwicklung bei den Brettspielen. Es dreht sich alles nur noch um Mechanik, Mechanik, Mechanik. Je verzahnter und verwobener, je komplexer es insgesamt ist (kompliziert in dem Sinn ist Carnegie ja nun wahrlich nicht), desto lauter jubelt die Expertenspielerschar, weil der dumme Pöbel draußen bleiben muss. 😉
Bei meinem ersten Carnegie-Spiel waren zwei der drei Mitspieler eher von der Sorte „gehobene Familienspieler“. Wir standen kurz vor dem Abbruch, weil sie einfach überfordert waren und es ihnen lange Zeit keinen Spaß machte.
Wie gesagt, gut ist es schon. Aber mir fehlt einfach bei dem Ansatz der Grad an Immersion, zu der gerade ein gutes Brettspiel schon fähig ist. Aber wahrscheinlich bin ich da die Nische. 😉
Es ist eben kein Familienspiel und das finde ich in Ordnung. Es gibt verschiedene Ansätze und wenn ein Spiel sagt, ich möchte etwas komplexeres bieten, dann ist das aus meiner Sicht in Ordnung. Es kommen jedes Jahr weit über 1000 Brettspiele auf den Markt, da muss nicht jedes Spiel in jeden Topf…äh Kopf passen.
Und wie geschrieben, ich finde die Teilbereiche durchaus thematisch (Mikroebene). Gerade all das was im „Büro“ passiert, auch im Hinblick auf die Abteilungen mit Funktion und Namen. Die Makroebene ist allerdings abstrakt. Thematisch wird nicht das Leben von Carnegie dargestellt. Das will es laut Anleitung auch gar nicht und kann es ganz sicher nicht. Es stellt nicht die Frage Industrietyrann oder Philanthrop, schon alleine weil der Tyrann unter den Tisch fällt. Es stellt die Frage, wie viel produzierst du im Vergleich zu anderen und kannst es dabei geschickt spenden. Was du am Ende hast, ist halt nichts wert. Das ist im Prinzip fast ein Zitat von Carnegie.
In meinen Spielrunden ist es auch nicht so, dass da jeder 6 Spenden schafft. Vielleicht sind wir zu dumm oder spielen zu aggressiv, aber bei uns ist schon eine spannende Sache.
Ich kann aber verstehen, wenn einem Carnegie zu unthematisch ist. Ich brauche ein tiefes Thema nicht immer. Carnegie ist aber gerade was Interaktion, Spielzeit und Komplexität angeht für mich durchaus herausragend.
Hallo Michael und vielen Dank für den geilen Beitrag. Ich finde Gegenpositionen toll und gut und ich habe lange über deine nachgedacht. Ich habe manchmal Angst, dass ich betriebsblind bin, wenn mir etwas gefällt. Umsichtiger finde ich deine Meinung.
Generell gehe ich aber bei Carnegie mit Christian. Ich habe mir in der Anleitung alle Abteilungen durchgelesen und ich finde sie durchaus thematisch und das was sie darstellen oder auslösen passend. Viel wichtiger für mich ist aber, dass ich den Bürokomplex liebe. Ich bekomme immer feuchte Hände, wenn ich durchspiele, wo hin ich welche Arbeiter mit wievielen Schritten bewege und was da an Ausbildungskosten auf mich zukommt. Dazu die Fähigkeit den Aufzug zu benutzten. Ich mag das. Klar, man hätte auch noch die Namen der Abteilung einfügen können, aber die Plättchen interagieren für mich eben perfekt mit der Aktionsauswahl und hier wird sprachneutral der Spieler geführt.
Spenden? Sorry ich hatte in der letzten Runde zwei Spenden total verpasst, weil Marco es geschickt ausgehebelt hatte und bei mir leider garkein Geld da war. Schlimmer noch! Da wir beide uns ähnlich aufgestellt hatten, schnappte er mir die entsprechende Spenden weg und ich konnte nur über die passende Abteilung kontern. Leider habe ich dadurch zwei Runden verpasst.
Ich finde es auch wichtig, dass Carnegie kein Familienspiel sein möchte, sondern Kennerspiel+. Für mich kommt jetzt aber ein entscheidender Unterschied. Ich habe Carnegie schon zwei Gelgenheitsspielern erklärt, sie waren schnell drin und haben es verstanden und waren motiviert es nochmal zu spielen. Das gelingt mir nicht mit jedem Spiel dieser Kategorie.
Liebe Grüße
Markus
Hallo Jungs,
natürlich geht es mir nicht darum, euch davon überzeugen zu wollen, dass Carnegie nicht so toll ist. Das wäre dämlich. Es ist halt für mich nicht so toll. Und wollte das auch argumentativ belegen. Mit dieser Einstufung, Kennerspiele und so weiter, hab ich eh meine Probleme. In Carnegie ist mMn nix drin, wofür man jetzt unbedingt Abiturient, Mathegenie oder gar Raketenwissenschaftler sein müsste.
Es ist halt einfach komplex im sehr ursprünglichen Sinne, also aus vielen verwobenen Elementen zusammengesetzt. Wobei die einzelnen Elemente arg unterschiedlich sind. Für mich wirken sie da mitunter fast schon beliebig, Hauptsache ins Spiel reingezwängt. In manchem Aspekt stimmt dann auch die Balance nicht mehr… so hast du einen riesigen Spielplan, der hauptsächlich für die Umsetzung der spielerisch mMn recht saft- und kraftlos konstruierten Projekte dient. Und für was unbedingt noch dieses Zug-um-Zug-Element reinmusste, das spielerisch irgendwie belanglos wirkt, punktetechnisch aber nicht unerheblicher Auswirkungen hat?
In zwei Dingen stimme ich zu: Das Kernelement, dass einem die Gefahr einer „Leer-Runde“ droht ist witzig und erfrischend, obwohl es an sich gar nicht mal so einzigartig wirkt.
Und die Idee, dass bei einem simplen Workerplacement-Gebäude auf einmal jeder Meter Entfernung zählt, ist fast schon wahnwitzig. 🙂
Ich denke mal, dass man es einfach ziemlich oft spielen muss (selbst für seinen Komplexitätsgrad), um es komplett zu erfassen. Dann kommt erst der Übergang vom reinen Abarbeiten der vielen Mechaniken hin zu echtem Spielgefühl. 🙂
Also ich will dich auch nicht überzeugen und schätze deine Kommentare sehr und andere Leser:innen sicher auch. Ich fühle mich da auch nicht angegriffen, sehe manches halt nur anders.
Wie z. B. die Einordnung Familie-, Kenner-, Expertenenspiel. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun oder was jemand nun beruflich leistet, sondern basiert auf Erfahrung und ist eine Skala zur Einschätzung der Komplexität. Suche ich ein lockeres Civ-Spiel, was ich durchaus mag, dann bin ich bei Expertenspielen falsch. Habe ich keine Erfahrung mit Brettspielen, könnte mich alleine die Anleitung eines Expertenspiels überfordern. Eine Einordnung macht da aus meiner Sicht durchaus Sinn. Ich kenne Rezensionen auf Amazon, wo Akademiker:innen entrüstet eine Anleitung zu einem Familienspiel zerreißen, weil das ja alles total unverständlich ist und sie ihren Bildungsgrad als Argument heranziehen. Die Kränkung des nicht-Verstehens kann da groß sein. Die Einordnung Familienspiel oder Expertenspiel soll da kein weiterer Baustein zu sein. Es ist nur eine Einordnung der Komplexität. Ein Scout als seichtes Kartenspiel sich selbst zu erarbeiten, kann sich für einige eben schon als Raketenwissenschaft herausstellen.
Die Anleitung ist eine große Hürde und eines der Probleme für Brettspiele. Es gibt sehr sehr viele Menschen, die steigen bei der Fleißaufgabe aus. Daher basteln Verlage Alternativen (Erklär-Apps, Tutorials, Einführungsszenarien, Module, Videos auf YouTube).
Ich habe zudem in meinem Vielspielerfreundeskreis auch Personen, die lieben Brettspiele, verstehen jedes Heavy-Euro und könnten das locker spielen, haben da aber kein Bock drauf. Auch für die ist so eine Skala wertvoll.
vielen Dank für die Rückmeldung. Das Spiel wird ja hier interessant diskutiert.
Zur Zeit finde ich es einfach nicht leicht passende Spiele zu finden und deswegen ziehen hier auch gerade kaum welche ein.
Das Anforderungsprofil ist auch nicht leicht. Hier hatte ich ein paar Punkte erfüllt gesehen 1. gute Interaktion – alle speilen gleichzeitig. Das gefällt meiner Frau schon bei Space Base sehr gut. 2. Nur 4 grundlegende Auswahlmöglichkeiten bspw wie bei Tapestry. 3. Komplexität darf sich gerne steigern mit den Skills der Spieler.
Dazu sollte es von 2 bis 4 gut funktionieren.
Die Klassiker dazu stehen alle im Regal und daher kommt gerade fast nichts dazu. Iki habe ich mit geschmiedet und schaue wie das klappt.
Carnegie ist ein Kandidat… ich bin noch unentschlossen.
Dass alle gleichzeitig spielen, stimmt nicht. Jeder macht reihum seinen Zug.
Allerdings sind die 20 Runden eher als Phasen zu verstehen, bei denen gerade die passiven Spieler (also diejenigen, die nicht aktiv die aktuelle Aktion gewählt haben) meist relativ schnell durch sind. Umgekehrt kann es bei einer fortgeschrittenen Spezialisierung schon etwas dauern, bis einer alle Aktionspunkte verfeuert hat; besonders, wenn er der aktive Spieler ist.
Da es zudem eine Art Kernmechanik des Spiels ist, aus den Aktionen der Gegner seine Schlüsse zu ziehen und darauf zu reagieren, sollte man auch da hellwach sein. Eine klassische Downtime, bei der es völlig egal ist, ob man den anderen zusieht, aufs Klo geht oder mit seinem Handy spielt, gibt es bei Carnegie so gesehen nicht.
Hier ein schöner Link, der stark in die Richtung meiner anfänglichen Kritik geht. Ich schwöre, dass in den Text zu dem Zeitpunkt aber noch gar nicht kannte. 🙂
https://opinionatedgamers.com/2021/03/25/talia-rosen-the-tyranny-of-the-kitchen-sink/
Der Artikel ist witzig. Er fragt, ob ich mehr Aktionen und Gebäude möchte? Ja will ich, wenn sie gut implementiert sind. Und nein, deswegen ist Le Havre nicht besser oder schlechter, es ist anders. Habe ich El Grande im Schrank? Klar. Ein grandios reduziertes Area-Control. Gehört in jedes Spielregal, neben Tsukuyumi, das genau das Gegenteil ist. Beides sind fantastische Spiele. Es gibt sie, die Spiele, die zu viel Mechanik besitzen und wo diese nur übergestülpt sind. Dazu zähle ich diverse Erweiterungen, die einfach nur mehr Inhalt bieten, ohne etwas besser zu machen. Carnegie gehört für mich nicht dazu. Wäre Carnegie besser mit nur 4 Bürogebäuden? Wäre On Mars besser, wenn es den Tiefgang nicht hätte?
Wieso ist etwas besser, wenn es reduziert ist? Wieso sollte etwas besser sein, wenn es mehr bietet? Interessante Fragen. Einfache Antworten eher nicht. Vielleicht eine tolle Idee für unser Rubrik Brettspiel-Talk.
Aus meiner Sicht liegt das einzig im Auge des Betrachters und der grundlegenden Qualität. Ich kann reduzierte Spiele schätzen und echte Mechanikmonster. Vielen Kickstarter fehlt die redaktionelle Arbeit und es gibt durchaus Mechaniken, die fühlen sich unrund an. Zwei Drittel meiner Kickstarter verkaufe ich deswegen und mittlerweile bin ich kaum noch dabei. Und es gibt auch reduzierte Spiele, die sind so belanglos, die brauche ich auch nicht mehr. Eine pauschale Kritik wie von Talia Rosen teile ich aber überhaupt nicht. Viel mehr erinnert es mich an die Kritiker:innen, die narrativen Spielen ihren Sinn absprechen wollen, weil man ja ein Abenteuerbuch lesen könnte. Carnegie mag ihren Geschmack nicht treffen und aus ihren Sicht verstehe ich den Grund, ich fühle das aber anders und halte gar nichts davon, (alte) reduzierte Spiele auf einen Thron zu hieven. Ich brauche und möchte Spiele von Lacerda, wo manche schreiend davonlaufen. Ich kann mich in diese mechanische Verzwickung wunderbar hineinfuchsen, wenn sie gut gemacht ist. Wer das nicht kann oder möchte, bitte, aber deswegen diese Art der Spiele in Frage zu stellen, halte ich für falsch.
Diese Debatte ist aber eigentlich auch gar nicht so neu. Ähnlich wie die Fahrt zur SPIEL, die ganzen Neuheiten, der Kickstarter-Hype, es gibt da durchaus eine gefühlte Einordnung von älteren Brettspielenden, bei denen neben einer gewissen Müdigkeit, der ganze Zirkus nicht mehr so gefeiert wird.
Ich gehe normalerweise mit euren Bewertungen hier mit. Aber bei Carnegie muss ich leider auch widersprechen.
Obwohl mich das Thema wirklich abstößt und ich es schon im Gefühl hatte, dass es nichts für mich ist, habe ich mich durch Brettspiele & mehr und dem Beitrag hier dazu hinreisen lassen. Zum Glück habe ich nur auf Boardgamearena 2 Runden angefangen. Und die Betonung liegt auf angefangen. Ich habe dort bisher alle Spiele immer durchgezogen, vor allem aus Respekt den anderen Spielern gegenüber. Aber bei Carnegie habe ich mich (oder meine Mitspieler mich) beim 2. bis 3. Zug jedes Mal so ausmanövriert, dass ich in einer Sackgasse gelandet bin und eigentlich raus war. An der Stelle habe ich mir zum ersten Mal Player-Elimination gewünscht.
Mir ist bewusst, dass es ein Expertenspiel ist (Spirit Island spiele ich aus der Hüfte auf Schwierigkeit 14) und dazu noch ein höchst interaktives. Aber so eine uneinholbare Klatsche habe ich noch nicht mal bei irgendeinem Area-Control eingesteckt.
Bei BGA habe ich mit Zombie-Clicks noch zu Ende gespielt und nebenbei die Steuererklärung gemacht, die spaßiger war. Aber wenn ich mir vorstelle, dass das Ding aufgebaut am Tisch vor mir liegt, gäb’s entweder einen Table-Flip oder ich wär wohl durch Langeweile mit der Stirn auf den Tisch geknallt.
Daher gehe ich mit dem Prototyp-Kommentar mit. Aus meiner Sicht sollte eine Sackgasse in einem 2h Spiel nicht vorkommen. Dadurch ist das Spiel auch einfach für mich durchgefallen.
Hate it…
Kann man so sehen. Ich habe das mit Food Chain Magnate. Das ist mir in seiner negativen Interaktion zu hart. Trotzdem ist das ein sehr beliebtes und gefeiertes Spiel. Dem Autor gegenüber finde ich Carnegie einen Prototyp-Status zu attestieren aber etwas zu heftig. Sollte es nicht Spiele für verschiedene Spielertypen geben? Ich mag z. B. auch das eigene Scheitern, wobei ich das in Carnegie so nicht erlebt habe. Ich mag auch ein Wasserkraft, was definitiv noch eine gehörige Spur härter ist. Ist das jetzt auch ein Proto, weil man sich da selbst gegen die Wand spielen kann? Ich verstehe jede persönliche Argumentation, dass einem solche Spiele nicht gefallen und hätte Spaß solch ein Veriss zu lesen. Und man muss nicht immer einer Meinung sein. Vielen Dank auf jeden Fall für deinen Eindruck. Für mich rangiert Carnegie zurzeit in den Top 3 aus 2022.
Lieber Michael,
auch ich habe über deinen Beitrag nachgedacht und teile ihn dahingehend, dass die meisten Spiele nicht vom Thema, sondern von der Mechanik her entwickelt werden. Ich fürchte es liegt daran, dass es weitaus schwieriger ist über das Thema zu kommen, als andersherum.
Ansonsten stimme ich Markus und Christian zu. Carnegie möchte ja gar nicht thematisch, sondern mechanisch überzeugen. Und das tut es mit einer Klasse, wie ich es zuletzt bei Great Western Trail erlebt habe (Koop-Spiele nehme ich in dem Vergleich nicht mit auf).
Das Spiel ist elegant, verzeiht kaum Fehler (aber eben doch ein wenig) und ist so ganz anders, wie alle Spiele die ich kenne.
Für mich ist es auch kein Worker-Mechanismus, sondern eine Rollenauswahl-Mechanik (hierzu gibt es auch andere Meinungen), der die Partie trägt und uns jubeln und verzweifeln.
Für mich eines der besten Spiele der letzten Jahre, dass wohl immer ein kleiner Geheimtipp bleiben wird.
Matze