Blackout: Hong Kong ist das neue Brettspiel von Alexander Pfister, der mit Great Western Trail und vor allem mit Mombasa ein Meeple in meinem Herzen hat. Somit war die Vorfreude groß, gerade auch aufgrund des ungewöhnlichen Themas: totaler Blackout in einer Metropole! Genau gesagt in Hongkong, allerdings würde Gotham City besser passen. Denn Blackout: Hong Kong ist wie Two-Face! Es kommt ganz darauf an, von welcher Seite du dich dem Brettspiel näherst. Begeisterung und Enttäuschung wechseln sich stetig ab. Die Frage ist, welche Seite zeigt dir Blackout?
Kurzcheck: Darum geht es in Blackout: Hong Kong
Dauerhafter Stromausfall in Hongkong! Bevor die Region im absoluten Chaos versinkt, trommelst du eine Gruppe von Spezialisten zusammen, bildest eine Task-Force und versucht in den Bezirken wieder für Ordnung zu sorgen. Spielerisch sammelt man durch Helferkarten (in vier Farben) Ressourcen (drei Farbwürfel), die in jeder Runde unterschiedlich schwer zu bekommen sind, erfüllt Aufträge, für eine bessere Kartenhand und erspielt sich dauerhafte Sonderaktionen. Wer Zielkarten erfüllt, sammelt Einfluss auf dem Spielbrett und versucht sich dadurch Bezirke zu sichern. Dazwischen schickt man seine Helfer noch auf Erkundungstour, um weitere Boni zu sammeln.
Herzstück des Spiels ist das Auslegen von drei Karten in drei Reihen, ähnlich wie in Mombasa. Den richtigen Kompromiss zu finden, aus passenden Helferkarten für erwürfelte Ressourcen, Spezialaktionen auf Karten und dem Planen von Farbreihen für das Erfüllen schwieriger Ziele, lässt den Strom im Hirn auch öfters mal ausfallen. Wer am Ende auf der Kramer-Leiste die meisten Siegpunkte erspielt hat, ist der Gewinner von Blackout: Hong Kong und darf sich… Bürgermeister nennen?
Thematisch brennt der Reaktor!
Bürgermeister? Keine Ahnung. Deine Gruppenmitglieder sind auch keine Spezialisten, sondern Helferkarten. Die Häuser die anfänglich auf dem Spielertableau stehen und in Bezirke gestellt werden können, sind Kopien aus Siedler von Catan und heißen Bezirk-Gesichert-Marker. Läuft der Strom wieder? Nur die Versorgung? Keine Antwort! Ressourcensteine sind gleichzeitig Notfalllager, darum heißen sie schlicht Markiersteine. Praktisch, spart man Material und alles sieht gleich aus. Auch Flufftexte auf Karten sind vom Blackout betroffen und extreme Mangelware. Thematisch sind wir kurz vor der Kernschmelze!
Die Einleitung in das Spiel besteht aus drei winzigen Absätzen. Ich mag ja Weißraum Schwarzraum, aber das wirkt verloren. Die Kampagne versucht es etwas besser zu machen, spendiert dann aber nicht mehr als zwei Sätze und die Missionen sind thematisch kaum greifbar. Ja, in vielen Eurogames ist die Thematik aufgesetzt, aber das hier ist harter Tobak für jeden Spieler, der es etwas thematischer mag. Blackout: Hong Kong macht keinen Hehl daraus und versucht es eigentlich auch gar nicht zu vertuschen. Dabei geht es mir nicht einmal um die Gestaltung, die ist Geschmacksache und anders als bei Carpe Diem, zumindest qualitativ in Ordnung.
Größeres Problem: Die fehlende thematische Einbindung mit seiner abstrakten Art unterstützt viel zu wenig die Mechanik. Einsteiger hatten es oft schwer Spielzüge und Zusammenhänge zu verinnerlichen, weil sie eben nicht abgeholt werden. Setze hier ein Stein ein, dann kriegst du dort ein Kreissymbold und schaltest eine Häkchen-Aktion frei. Mittelprächtig! Auch ist bis zum Ende nicht klar, was der Gewinner eigentlich erreicht. Wer sich mit anderen Spielern über Blackout unterhält, wird schnell merken, jeder strickt sich hier irgendetwas zusammen. Kann man machen, für mich ist Blackout: Hong Kong das thematisch schlechteste Spiel von Eggertspiele bzw. Alexander Pfister – leider mit sehr großem Abstand.
Kompletter Stromausfall?
Ihr kennt jetzt das eine Gesicht von Blackout: Two-Face und ehrlich gesagt, egal wie oft mich die schöne Seite von Blackout: Hong Kong noch anlacht, die fiese Fratze kann ich nicht vergessen. Aber während man grummelnd am Tisch sitzt und sich echauffiert, stimmt einen jede weitere Runde milder. Die Spielmechanik streichelt die Seele. Je weniger man sich am Thema stört, umso stärker fällt die Begeisterung aus. Das hier ist am Ende eben doch ein Brettspiel von Alexander Pfister und in seiner Spielmechanik gelungen!
Die Spielrunden laufen, wenn einmal verstanden, sehr geschmiert. Jedes Spielertableau ist Spielhilfe zugleich, die Runden extrem gut strukturiert. Man hangelt sich für jeden erkennbar auf dem Spielertableau durch die Phasen und zack ist die Runde vorbei! Das macht man ein paar Mal und jeder weiß was Sache ist. Zumindest theoretisch!
Die Stille
Das die Praxis eine andere Sprache spricht, merkt man am Anfang jeder Runde. Praxis bedeutet in Blackout: Hong Kong absolute Stille. Während jeder Spieler am Tisch seine Ressourcenkarten auf der Hand checkt, mit den Ressourcenwürfeln vergleicht und dann schauen muss, welche Ressourcen er für seine Ziele braucht, könnte man denken, man ist auf einem Schweigeseminar. Am Ende dieser Denkzeit fängt dann manchmal das Fluchen an. Spätestens dann freue ich mich über Blackout: Hong Kong. Denn es zeigt, dass es verdammt knifflig ist die Karten auszulegen, gerade je länger das Spiel andauert. Das liegt vor allem an den Kartenreihen, die Ähnlichkeiten zu Mombasa aufweisen und der Verzahnung zum Erhalt von Ressourcen.
Hirn unter Strom
Jede Runde werden die drei farbigen Ressourcenwürfel geworfen und zeigen an, mit welcher Helferkarte gleicher Farbe, man welche Ressorce erhält. Die Würfel haben dabei eine unterschiedliche Gewichtung bei der Verteilung der Ressourcen, was strategisch interessant sein kann, wenn man sich neue Helferkarten kauft. Nach dem Wurf spielt jeder eine Karte von der Hand in jeweils einen Slot unterhalb seines Tableaus. Ich tausche also Karten gegen Ressourcen.
Das Problem, die Karten kommen erst wieder auf die Hand, wenn ich eine der Reihen abreiße. Das darf ich anfänglich erst, wenn ich unter fünf Handkarten falle. Bis dahin sind die Karten gesperrt. Wenn ich eine Reihe abreiße, die dabei zwingend die längste sein muss, erhalte ich die Karten und kann wieder neue Ressourcen damit sammeln. Es liegt auf der Hand, das ich meine Karten so verteile, das ich bei der Aufnahme einer Reihe, möglichst viele verschiedene Farben erhalte.
Das weiß auch Herr Pfister und so viel No-Brainertum gefällt ihm nicht. Wir sollen schwitzen! Also gibt es Zielkarten und mächtige Fähigkeiten zum Freischalten auf dem Tableau, die ganz bestimmte Farbkombinationen in den Reihen vorgeben. Und plötzlich ist alles durcheinandergewirbelt! Beim Aufnehmen von Reihen habe ich zu wenig rot und viel zuviel lila. Ich brauche jetzt für das gewürfelte Benzin, blaue Helferkarten, aber die liegen alle noch in im ersten Slot. Abreißen geht nicht, zu viele Handkarten und die Reihe, die ich abreißen muss, hat viel zu viele lilafarbene Helferkarten. Äh, wie kriege ich jetzt nochmal Nahrung? Mist, Ressourcenmangel in Sicht. Warte, kurz noch einmal überdenken. Stille.
Frustvernichter
Wer Mombasa kennt, der weiß um die Herausforderung die Alexander Pfister mit Kartenreihen aufbauen kann. Aber während ich in Afrika wirklich stellenweise am Verzweifeln war, was mir gefallen hat, ist Blackout: Hong Kong handzahmer. Das senkt den Frust merklich. Das liegt in zweifacher Hinsicht an der Mechanik der Lieferwagen.
Jeder Spieler startet mit fünf Lieferwagen und kann später für die Abgabe von Siegpunkten weitere kaufen. Thematisch passend, kann ich einen Helfer damit auf dem Ressourcen-Rondell zu nicht erwürfelten Ressourcen schicken. Jeder Schritt vom Würfel weiter weg kostet mich einen Lieferwagen. Diese Mechanik ist zwingend notwendig, sonst würde bei einem so anspruchsvollen Spiel zu viel vom Glück abhängen. Wer allerdings schlechter mit seinen Karten plant und versucht dies mit Lieferwagen zu kompensieren, wird wohl kaum Bürgermeister von Hongkong werden.
Kommen wir zur zweiten Möglichkeit. Wer Ziele erfüllt, erschafft damit Notfalllager. Wer einen Bezirk damit umschließt, schaltet dauerhaft Aktionen frei und belohnt sich mit vielen Siegpunkten. Allerdings ist jedes Notfalllagerfeld wieder den bekannten Farben zugeordnet. Ich muss also auch hier die Farben im Blick haben, denn ich darf mich nur angrenzend ausbreiten. Passt die angrenzende Farbe nicht, darf ich wieder Lieferwagen einsetzen und weiter entfernte Punkte ansteuern. Das doppelte Sicherheitsnetz für den Spielspaß ist also ausgebreitet.
Interaktion
Ihr könnt jetzt sicher den Vergleich zu Mombasa nicht mehr hören, dann nehmen wir Great Western Trail. Oder beide! Für ein Eurogame sind beide Vertreter ziemlich interaktiv, Mombasa hat da wohl seine größte Stärke. Blackout: Hong Kong ist im Vergleich dazu sehr eigenbrötlerisch. Karten beim Handel wegschnappen? Geht, ist aber eher der Rundenreihenfolge geschuldete. Ja, man streitet sich etwas um die Sicherung der Bezirke. Durch Startmissionen (Notfallpläne) ist es aber so, das jeder Spieler meist nicht in der Nachbarschaft anderer startet. Bei meinen Partien hat sich jeder seine Lücken gesucht. Die meiste Zeit hat man eher mit der perfekten Planung der Kartenauslage und Ressourcenbeschaffung zu kämpfen. Mir ist hier definitiv zu wenig Pfeffer drin! Wer es ruhiger mag, wird aber seine Freude haben. Die Solistenatmosphäre tut dem Wiederspielwert aber auch nur bedingt gut. Die Spiele gleichen sich sehr, jeder optimiert auf oft ähnliche Weise vor sich hin. Mit zunehmenden Partien sank der Spielspaß schneller als bei den letzten Pfister-Brettspielen.
Die Kampagne
Überraschenderweise ist die Kampagne besser. Erwartet aber keine Geschichte. Man kann die Partien der Kampagne einzeln spielen. Ich würde es daher auch eher Szenario nennen. Der große Unterschied zum normalen Spiel: Erstens kann ich es alleine spielen und zweitens gibt es spezielle Siegbedingungen und Änderungen im Spielaufbau. Das führt dazu, dass man viel mehr in Konkurrenz zueinandersteht und sich Blackout das Mäntelchen eines Rennspiels anzieht – zumindest teilweise. Das macht es nicht leichter und dadurch insgesamt spannender. Durch eine Verknappung der Zielkarten wird die Spielzeit knapper, man muss fokussierter spielen. Das tut Blackout gut!
Fazit
Um bei Two-Face zu bleiben, ich müsste bei Blackout: Hong Kong wohl eine Münze werfen, bei der Frage, ob ich es spielen möchte. Das wird ganz sicher nicht jedem so gehen, aber ich bin einfach enttäuscht über die thematische Umsetzung eines spannenden und eigentlich frischen Themas. Und wenn ich Lust auf verzwickte Kartenauslagen habe, greife ich zu Mombasa, welches auch noch interaktiver ist. Das macht Blackout: Hong Kong allerdings nicht zu einem schlechten Spiel! Gerade für Spieler denen anspruchsvolle und gut verzahnte Mechaniken wichtig sind, die werden beim Stromausfall in Hongkong ordentlich Spaß haben, wenn sie Interaktionsarmut umarmen können. Die von mir erst als nette Dreingabe abgestempelte Kampagne ist am Ende sogar das bessere Spiel! Hier zieht die Interaktion an, es spielt sich fokussierter, etwas abwechslungsreicher und gleichzeitig hat man auch als Knobler und Punkteoptimierer Solo seinen Spaß. Trotzdem rettet für mich auch die Kampagne den Spielspaß nicht endgültig, dafür ist mir das Spielerlebnis über die Partien hinweg zu monoton.
Blackout: Hong Kong
44,99 €Kurzfakten
- Frisches Setting, thematisch schlecht umgesetzt
- Wenig Interaktion
- Strategische Kartenauslage
- Kampagnenspiel möglich
- Spielzeit für das Gebotene zu lang
Spielinformationen
- Genre: Expertenspiel
- Spieler: 1 - 4
- Alter: ab 14 Jahren
- Dauer: 75 - 150 Minuten
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Ui, ich würde es gerne mal mit spielen mit dir!