Letzte Woche ist Stellaris, das neue 4X-Strategiespiel („Explore, Expand, Exploit, Exterminate) von Paradox, mit der Boxversion in die unendlichen Weiten des Kosmos aufgebrochen. Es ist das erste Mal, dass sich Paradox in fremde Welten wagt, haben Sie doch bisher eher historische Schwergewichte wie Hearts of Iron oder Europa Universalis auf die Spieler losgelassen. Für mich bedeuteten die neuen Ufer vor allem eines: unendliche Müdigkeit. Warum das ein Lob ist, klärt der Test.
Warum nicht immer so?
Wer 4X-Spiele kennt, der weiß, dass man am Anfang von mannigfaltigen Optionen, textlastigen Tutorialfenstern und hunderten Zahlen zu Dingen von denen man noch nichts weiß, regelrecht erschlagen wird. Während Endless Space den Einstieg in den Aufbau einer Zivilisation zum Beispiel ungemein dröge und mit überladenden Textboxen erklärt und ich bei Europa Universalis nach zig Stunden gerade so rein gekommen bin, ist Stellaris wunderbar interaktiv. Das was man anklickt, wird kurz erklärt, zudem sorgen erste Missionen für Struktur. Man ist in Stellaris nicht verloren, sondern wird an die Hand genommen.
Der Einstieg ist auch deshalb so motivierend, weil nicht gleich die alles verschlingende Alienfraktion an die Tür klopft. Man ist in seinem eigenen Sonnensystem lange genug alleine, um die wichtigen Spielmechaniken zu lernen. Man sendet Forschungsschiffe aus, um andere Systeme und bewohnbare Planeten zu entdecken, baut mit Konstruktionsschiffen erste Bergbaustationen, die wichtige Rohstoffe von unwirtlichen Planeten abtragen oder kolonisiert weitere Planeten. Auf die Infrastruktur der besiedelten Planeten muss man natürlich auch ein Auge werfen. Haben die Bürger genügend Nahrung? Sind sie glücklich oder bereit zur Revolte? Man baut Gebäude, um Erträge zu steigern und erschließt neue Orte, vielleicht setzt man auch ein Gouverneur ein, der so einer jungen Welt einen ordentlichen Wachstumsschub geben kann. Der gelungene Einstieg motiviert ungemein!
Tiefer eintauchen
Ohne Forschung geht in Stellaris nichts und so beackert man die drei Felder Physik-, Sozial- und Ingenieurs-Technologie, am besten noch mit einem eingestellten Forscher, der bringt Boni. Hier finde ich Stellaris etwas unglücklich, da mir die Übersicht, in anderen Spielen oft durch einen Skillbaum dargestellt, fehlt. Ich habe zwar pro Technologie immer unterschiedliche Auswahlen, die von Gebäuden, Waffen, Staatsformen und Diplomatie reichhaltig alles mögliche Abdecken, aber ich kann nicht einsehen, was mich in Zukunft erwartet.
Schwamm drüber, die Missionen und Events manövrieren den Spielspaß wieder auf Lichtgeschwindigkeit. Beides sorgt für ein ungemein lebendiges Universum und damit entfernt sich Stellaris gekonnt von Spielen wie Endless Space, die oft die Lebendigkeit einer Tabellenkalkulation versprühen. Stoßen nämlich die Forschungsschiffe auf neue Systeme, können diese Anomalien aufspüren. Habe ich einen Wissenschaftler an Bord kann dieser je nach Erfahrungsstufe das Unbekannte untersuchen. Wer im trüben fischt, der kann übles zu Tage fördern, oft aber stößt man auf untergegangene Zivilisationen, wertvolle Materialien und Mysterien, die man in einer Missionsreihe weiter erforschen kann. All das unterlegt mit stimmungsvollen Bildern und Texten! Die Missionen und Anomalien sind extrem vielfältig und sorgen für eine enorme Sogwirkung.
Mikromanagement und Schiffsdesigner
Natürlich ist das noch nicht alles! Auf jedem kolonisierten Planeten geht es ins Mikromanagement, denn ansonsten verhungern die Bürger oder man hat zu wenig Credits, um seine Flotte zu bezahlen. Je größer das Reich, umso brutaler schlagen die Fixkosten zu buche. Wer hier nicht aufpasst, dem gehen die einstmals loyalen Bürger auf die Barrikaden. Dazu können die angesprochenen Anführer in Form von Wissenschaftlern, Gouverneuren oder Admirälen, eines natürlichen Todes sterben – ein harter Moment wenn der lieb gewonnene Forscher mit der höchsten Stufe und 89 Jahren, ins Gras beißt. Heißt, man muss für Nachwuchs Sorgen.
Oder man baut mit dem Schiffsdesigner aus erforschten Technologien neue Raumschiffe. Das ist zwar nicht extrem umfangreich, bietet aber trotzdem genügend Spaß, vor allem weil man so seine Stärken und Schwächen der Bewaffnung und Panzerung selber planen und direkt auf Feinde und ihre Ausrüstung reagieren kann. Bevor man kämpft, sollte man sich aber um diplomatische Mittel kümmern. Handelsabkommen oder Allianzen? Vielleicht gleich eine Drohung? Oder die Grenzen schließen? Die Möglichkeiten sind ähnlich anderer Spiele und die KI agiert äußerst geschickt, schon auf niedrigem Schwierigkeitsgrad. Gut so! Im übrigen ist Stellaris ein Echtzeitstrategiespiel, allerdings kommt durch die Möglichkeit jederzeit zu pausieren und in Ruhe Befehle auszuführen, eher das Feeling eines Rundentaktikers auf.
Kurz noch…
Am Ende ist es genau wie es sein sollte: ständig will man noch kurz etwas erledigen. Während dessen ploppen schon nächste Events auf, hier werden die Rohstoffe knapp, dort entdeckt man eine neue Fraktion und der kolonisierbare Planet im Yarak System erst, mit seinen vielen Rohstoffen. Schnell ein Kolonieschiff gebaut, ach und die fertige Forschung „Blauer Laser“ ermöglicht mir jetzt den Umbau meines Zerstörers und wieso erklären mir Urgalak Tribes nun den Krieg? Na gut, bis 23h kann ich noch zocken – am Ende klingelt der Wecker und man wühlt sich mit matschigen Kopf aus dem Bett, weil man doch bis tief in die Nacht Stellaris gezockt hat.
Du bist, was du erschaffst
Richtig gut gefallen hat mir auch der Völker-Editor. Startet man das Spiel, kann man aus den vorhandenen Völkern wählen, oder aber man erstellt sein eigenes. Ich empfehle letzteres, weil die Erstellung einfach großartig ist. Erscheinungsbild und Grundspezies, wie Humanoid, Insekten oder Völker, es gibt die ganze Bandbreite. Weiter geht es mit dem Basteln des Herrschers, den typischen Namen des Volkes und den Eigenschaften der Spezies. Diese sind spielentscheidend und geben dauerhafte Boni oder Mali. Das kennt man vielleicht auch aus anderen Spielen, aber bei Stellaris geht es weiter mit der Ethik und der Regierungsform, welche wichtig sind für die Diplomatie, über das erstellen der Heimatwelt an sich und ihrer Architektur. Das Design der Flagge, das Aussehen der Raumschiffe und deren Starttechnik, runden die Erstellung am Ende ab. Keine Frage, das ist großes Weltraum-Tennis!
Zur Passivität verdammt
Wie erwartet sind die Kämpfe, ähnlich wie bei den vielen anderen 4X-Spielen, nicht gerade die Stärke. Lobenswert ist, dass die Auseinandersetzungen direkt auf der Galaxiekarte ausgetragen werden. Also kein Ladebildschirm und irgendwelche sterilen Gefechtsmaps. Trotzdem kann man nicht mehr machen, als seine Flotten auf die des Gegners zu hetzen und dann darf man sich nett animierte Weltraumschlachten zu Gemüte führen. Der eigentliche Kampf findet eher vorher statt, in dem ich meine Flotte so anpasse, dass sie möglichst schlagkräftig austeilt. Heißt, erstmal viele Schiffe, weil Masse ist immer gut und zusätzlich entscheidet verbaute Technologie über Sieg und Niederlage.
Keine Patchorgie
In aktueller Form läuft Stellaris übrigens sehr flüssig, selbst auf hohen Einstellungen auf Mittelklasse PCs. Die Texte sind auch fehlerfrei und zudem gut übersetzt. Von daher fliegt man technisch angstfrei durch die Galaxie und genießt die gute Grafik, die zwar selten brillant ist, aber atmosphärisch genug, um sich auch hier von manch verstaubt anmutenden Konkurrenten abzusetzen. Einzig die Menüstruktur ist am Anfang etwas zu verschachtelt und die Möglichkeit direkt von der Galaxiesübersicht in ein System zu zoomen wäre schön gewesen. Bevor ich es vergesse, ein letztes großen Lob: der Sound ist zum niederknien.
Fazit
Stellaris, ich bedanke mich für (fast) durchzechte Nächte bei Dir! Ja, das Aufstehen war in den letzten Tagen hart, aber es gibt halt so viel zu tun, wie soll man da aufhören in seiner Galaxie herumzudoktern? Der Einstieg ist für ein 4X-Spiel denkbar seicht und interaktiv. Ehe man sich versieht ist man im Mikromanagement seines Imperium angelangt und tüftelt an der Bebauung der Planetenoberfläche, sorgt sich um Separatisten, und hamstert Ressourcen. Nebenbei erforscht man Technologien, legt neue Raumschiffe im Editor an und erkundet das Universum. Gerade letzteres macht durch die Missionen, Events und das Erforschen von Anomalien unheimlich viel Spaß! Wem das Entdecken wichtiger ist als die nächste Raumschlacht, der wird in Stellaris zumindest bis zum Midgame glücklich. Das die Kämpfe sehr automatisiert sind und die Diplomatie nicht über das hinauskommt was man bereits von anderen Spielen kennt, tut dem Spielspaß keinen Abbruch! Ihr verzeiht, die unendlichen Weiten rufen mich, ich bin dann mal weg…
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