Kurzcheck: Darum geht es in Andromeda’s Edge
Andromeda’s Edge sieht nach Eclipse oder Twilight Imperium aus und wirkt auch irgendwie so. Coole, asymmetrische Sci-Fi-Fraktionen, Ausbreitung über Hexfelder, Erkundungen von galaktischen Nebeln, Reichweite, Kampfkraft und die Verbesserung von Raumschiffen sind elementar, Würfel beim Kämpfen und unzählige zu erforschende Technologie. Ist alles drin, aber nur eine ansprechende Legierung. Auf einer gewissen Kopfkino-Ebene versprüht Andromedas Edge diese klassischen 4X-Vibes und das ist beeindruckend, betrachtet man den Kern. Dieser Kern ist nämlich ein hartes, hoch interaktives Eurogame, deren Fokus Workerplacement mit Timing-Konflikten verschränkt und Fans von Optimierung abholt. Also überhaupt kein Eclipse oder Twilight Imperium.
Das Grundgerüst ist einfach: Reihum setzt ihr eure Worker aka Raumschiffe auf Systeme, um dort eine Aktion auszuführen, um beispielsweise Raumschiffe zu bauen, Technologie zu kaufen oder Monde zu besiedeln. Dazu später mehr. Dabei darf jedes weitere Raumschiff nur in seiner Reichweite zu einem anderen eigenen Raumschiff platziert werden. Sind am Ende eines Zuges im aktiven Sektor mehr als ein Raumschiff von einer Fraktion, wird gekämpft. Zweite Möglichkeit: Du rufst alle deine Raumschiffe zurück. Dabei stellst du sie auf deine erspielten Technologien, die an deinem Tableau anliegen und aktivierst diese. Einfach gesagt, erhältst du so Siegpunkte und Ressourcen. Zusätzlich läufst du aufgrund der gekauften Technologie auf verschiedenen Leisten wie Kultur, Wirtschaft, Kampf, Produktion oder Forschung hoch, was Boni und Siegpunkte einbringt. Am Ende stellen noch Ereignisse, ausgepielte Taktik-Karten und feindliche NPC-Bedrohungen das Spiel dynamisch immer wieder auf den Kopf. Kennt man irgendwie alles. Wichtiger ist, warum Andromeda’s Edge trotzdem bei all der Konkurrenz im Schrank begeistern kann.
Timing & Optimierung
Ich sitze am Tisch, habe meine Armada an Raumschiffen durch fetten Ausbau ins Maximale gepusht, erfreue mich an deren Sonderfähigkeiten und liege sogar auf der Punkteleiste in Führung. Meine eigentlich komfortable Situation: Ich habe viele Module, die mir perfekt Ressourcen und Siegpunkte zuschustern und mich sogar über Tauschgeschäfte auf den wichtigen Leisten hochlaufen lassen. Mein Problem: Um die ganzen fetten Module zu aktivieren, brauche ich verdammt viele Raumschiffe. Die habe ich eigentlich. Nur muss ich die auch alle erst einmal ins Spiel bringen, damit ich sie beim Zurückholen auf die angesprochene Module platzieren kann. Meine Engine ist somit langsam geworden. Und anfällig! Während ich meine ganzen Raumschiffe ins Spiel bringe, können feindliche Mitspielende ihre Raumschiffe auf meine ganzen besetzen Felder platzieren. Oder es kommen die Bedrohungen als eine Art NPC-Schiffe angerast. Jeder verlorene Kampf schickt meine Raumschiffe auf den Schrottplatz und damit scheiden sie für die Aktivierung der Module beim Zurückholen aus! Da kann eine Engine zusammenbrechen. Zudem killen die verlorenen Raumschiffe meine Kette der geplanten Ausbreitung. Ich habe ja einen Plan, nach welchen Aktionsmustern und Reichweiten ich meine Raumschiffe platziere. Die anderen Fratzen am Tisch haben stellenweise viel schnellere und kleinere Engine. Muss ich umschwenken? Wie optimiere ich meine Züge? Wann fliege ich mit meinen Raumschiffen los, wohin oder hole ich sie zurück? Einfache Mechanik, die enormen Spielreiz aus dem Timing und der Optimierung von Spielzügen in Verschränkungen zu den Aktionen anderer am Tisch ausübt.
Interaktion
Das Timing ist aufgrund des interaktiven Charakters von großer Bedeutung. Aber nicht nur beim Platzieren von Raumschiffen und dessen Zurückholung. Interaktion ist, hier offenbaren sich besagte Anleihen zu Eclipse oder Twilight Imperium, an vielen Stellen zu finden und Garant für Kopfkino und Tabletalk. Da wird groß angekündigt, wie heftig der folgende Kampf wird und wie man sich danach vom Sektor ausbreiten wird. Harharhar, der Siegpunktepirat hat gesprochen. Ich werde alles reinschmeißen. Ich drohe mit erhobener Faust. Was machen meine armen Brettspiel-Bagaluten? Natürlich machen sie von der Option gebrauch, nach der Aktionsphase einer Person, ihre Raumschiffe mit in den Kampf zu befördern, falls die Reichweite der Raumschiffe dafür langt. Was ist meine Vorgehensweise? Vor dem Würfeln spiele ich in der Diplomatiephase eine Taktik-Karte. Was passiert? Ich bekomme einen Siegpunkt pro Raumschiff im Sektor. Harharhar.
Gerade die Taktik-Karten sorgen in vielen Spielbereichen immer wieder für Überraschungen. Andere aktivieren plötzlich deine Module. Skandal im Andromeda’s-Bezirk! Sie tauschen die von dir vorher sortierten Ereigniskarten und plötzlich wird eine völlig andere Leiste gewertet. Ganze 80 Taktik-Karten bringen das Spiel gekonnt durcheinander. Raumschiffe fliehen plötzlich für Siegpunkte, obwohl du sie alle plattmachen wolltest. Schaden wird vorm Kampf verteilt. Du wirst von einer Übermacht angegriffen? Dann wandere doch dank Karte auf der Kampfleiste nach oben. Nimm dir abgeworfene Monde, erhalte alle Raumschiffe vom Schrottplatz wieder oder bewege die NPC-Raumschiffe. Ihr versteht das System. Andromeda’s Edge ist ein Eurogame, wer es aber drauf anlegt, Karten mit Table-Talk garniert und in den richtigen Momenten seine passenden Taktik-Karten auf den Tisch drischt, spielt ein verdammt interaktives und hochbrisantes Spiel. Dazu gesellt sich dann natürlich die Interaktion alleine durch die Möglichkeit des Kämpfens.
Weniger Glück!
Gekämpft wird eigentlich ständig. Entweder gegen die Bedrohungen oder eben ganz bewusst ausgelöst, weil miese Ehefrauen und Schmierbacken von Freunden natürlich ihr Raumschiff auf ein Feld platzieren, wo ich schon stehe. Manchmal geschieht dies, weil die gleiche Aktion ausgelöst werden will. Oft genug hat es aber destruktiven Charakter, weil eben die Bewegungsketten durchbrochen werden oder so verhindert wird, dass man ein Kolonieschiff in einer späteren Aktion in einen Großkomplex umbaut. Der Kampf wird dabei zwar über W6 ausgefochten, mildert aber durch die Mechanik des Zielcomputerwerts den Zufall massiv. Heißt: Jedes eigene beteiligte Raumschiff erhöht den Zielkomcupterwert und gewürfelte Ergebnisse unter dem Zielcomputerwert werden immer wieder neu gewürfelt. Hast du z.B. einen Wert von 5, liegen am Ende zwingend nur Fünfen und Sechsen auf dem Tisch. Das höchste Ergebnis gewinnt. Fertig. Verlierst du und deine Schiffe haben keine Schilde, sind sie einfach alle zerstört und kommen in die Reparaturbucht. Heftig! Der Kampf ist hier definitiv deterministischer angelegt. Gefällt mir.
Lebendigkeit
Weiteres Element für Spielreiz ist die Abwechslung. Die vielen Taktik-Karten, Ereignisse, Bedrohungen und vor allem auch die Fraktionen bringen enorme Lebendigkeit ins Spiel. Innerhalb der Partien ist das hier alles andere als ein trockenes Eurogame. Ich spielte eine Fraktion, die durch das Verlieren von Kämpfen auf der Kampfleiste nach oben wanderte, deren stärkstes Kampfschiff als Sondereffekt bei Flucht ebenfalls auf der Kampfleiste nach oben lief. Ich bastelte mir einen Kampfbonus, bei dem ich als Trost beim Verlieren gratis reparieren konnte. So versuchte ich mich in jeden Kampf zu stürzen, mit dem Ziel zu fliehen und zu verlieren. Ich spielte Fraktionen, die auf beschädigte Module setzten, die ständig auf der Wirtschaftsleiste nach oben sprinteten oder sich über die Spezialisierung auf einen einzigen Rohstoff alles bauen konnten. In Verschränkung mit den vielen Taktik-Karten und den ultrafiesen Bedrohungen sprüht Andromeda’s Edge vor Lebendigkeit. Und hey, die Bedrohungen sind wirklich arschig. Da sitzt man als Gruppe manchmal am Tisch und philosophiert zusammen, wie man die jetzt bitte mal vom Spielbrett bekommt. Fast kooperativ. Fast, weil ganz sicher nach der Absprache alles ganz anders kommt.
Ohne Leiste geht es nicht
Bei all der Begeisterung, die übrigens mit jeder Partie wuchs und auch nicht nachließ, als ich es zu zweit ausprobiert habe, es gibt einen nicht übersehbaren trockenen Kern und ein thematisch aufbereitetes Element, welches gleichzeitig übersehen wird. Ersteres trifft auf die Leisten zu. Du gewinnst dieses Spiel nicht ohne ständigen Blick auf die Leisten. Diese bringen Boni, aber vor allem am Spielende und in Zwischenwertungen durch Ereignisse massiv viele Siegpunkte. Andromeda’s Edge ist ein Leistenspiel. Punkt. Der zweite Aspekt sind die Module. Ich habe jetzt mehr als eine handvoll Partien und ich kann dir hier, während meine Finger die Tastaur streicheln, nicht eins der thematischen Funktion der Module sagen, die sogar jeweils eine passende Gestaltung besitzen. Was zählt ist die Farbe für Sprünge auf den Leisten und deren Symbole für Boni und Aktionen. Es beißt sich an diesen Stellen das Eurogame durch den Immersions-Table-Talk-Atmosphäre-Mantel an die Oberfläche.
Fazit
Ihr habt es vielleicht geahnt, aber es ging doch alles gut bei Andromeda’s Edge. Der Hype-Train war nicht umsonst gebucht. Überraschung: Die Partien wurden besser und besser. Mit zunehmender Spielerfahrung, den ganzen erlebten interaktiven Situationen und dem zielgerichteten Ausnutzen von asymmetrischen Fähigkeiten, Bedrohungen und den abnormal genialen Taktik-Karten, wurde der Ritt mit den Raumschiffen weit mehr als nur ein Brettspiel mit frischem Workerplacement. Andromeda’s Edge schenkt mir bestes Kopfkino, geniale Momente mit meinen Leuten am Tisch und spielerisch abwechslungsreiche wie spannende Partien. Die Materialqualität und visuelle Opulenz behrrschen zudem jeden Tisch. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass der Warpkern im Hypetrain auch aus dem Material „Eurogame“ besteht. Das Spielbrett wird trotz toller Präsenz zu einem Drittel aus Leisten beherrscht und das entspricht am Ende auch dem Spielgefühl. Trotz der thematisch passenden Boni für die verschiedenen Bereiche wie Kultur, Wirtschaft & Co., sie sind immer großer eher nüchterner Bestandteil durch End- und Zwischenwertungen. Entsprechend nehmen sie sehr viel Raum ein. Das ist aber eine Mini-Kritik, die nur so präsent wirkt, weil der Rest des Spiels einfach ein phänomenal atmosphärisches Eurogame ist.
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8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Mega Rezension. Und danke, dass du es dir nicht einfach gemacht hast wie viele andere und nur mit dwellings verglichen hast.
Jetzt bin ich auch gehyped es zu spielen, wenn es dann endlich mal da sein wird. Und gespannt auf den solomodus.
Hallo Sven,
vielen Dank für deine netten Worte. Freut mich 🙂 Zu deiner Aussage bezüglich Dwellings: Wer das Spiel nicht kennt, hat von einem Vergleich nichts. Vergleiche anbieten kann manchmal Sinn ergeben, aber oft genug ist es schwierig für Menschen, die sich weniger auskennen. Und auch wenn man es kaum glaubt, viele, die unseren Blog lesen, kommen nicht immer unbedingt aus der harten Brettspiel-Bubble.
Liebe Grüße
Christian
Hi,
sehr schön zu lesende Rezension. Macht Bock auf das Spiel, da ich ja eh ein Verfechter von Workerplacement-Spielen bin. Hast du Dwellings denn auch mal gespielt und kannst bzgl Zugänglichkeit und Komplexität eine kurze und grobe Einschätzung geben? Schwanke zwischen beiden Spielen und meine Spielerunde lehnt komplexe Spiele (leider) eher ab.
Gruß,
Achim
Hallo Achim,
was heißt denn „komplexe Spiele“? Da gehen die Meinungen ja auseinander. Grob sind sie beide ähnlich komplex, wobei Andromeda’s Edge wohl etwas komplexer ist. Grundsätzlich würde ich das aber eher nach Feeling entscheiden. Ich finde Raumschiffe dann doch wesentlich cooler als Drachen. Es sind aber eben beides keine Familienspiele und eher Kennerspiel+, für Wenigspieler am Rande des Expertenspiels. Wobei es nach „komplexer“ aussieht als es dann ist. Es ist halt eben nur sehr interaktiv.
Liebe Grüße
Christian
Mit komplex sind hauptsächlich die Regeln gemeint. In der Runde, in für die das Spiel in Frage kommt, wird zumeist nach „easy to learn, hard to master“ entschieden (Lords of Water deep, Mindbug, Crown of ash, Fantastische Reiche sind Spiele die gut ankamen) . Daher sind viele Detailregeln eher nichts…
Alle deine genannten Brettspiele sind wesentlich leichter. Ein Mindbug ist ja geradezu ein No-Brainer in der Erklärung. Fantastische Reiche ein Absacker. Diese Spiele sind definitiv gar nicht vergleichbar. Lords of the Waterdeep (ich mag das Spiel überhaupt nicht :D) geht schon eher in die Richtung, ist aber am Ende durchaus noch eine Stufe unter Andromeda’s Edge. Crown of Ash ist immerhin so interaktiv, wer das gerne spielt, der dürfte mit der Interaktion von Andromeda’s Edge keine Probleme haben. Ist von der Komplexität aber auch eine Stufe darunter. Diese Spiele von dir rangieren alle auf dem Niveau von Familienspiel bzw. leichten Kennerspiel. Andromeda’s Edge ist eher Kennerspiel+ und Frosted Games selber listet es als Expertenspiel.
Andromeda’s Edge ist aber nun auch kein Elcipse, Twilight Imperium oder On Mars. Es ist kein sehr komplexes Spiel, bei dem man mit Details erschlagen wird. Im Gegenteil, die Grundstruktur ist sehr einfach: Raumschiffe als Worker platzieren, Aktion ausführen, fertig. Oder Raumschiffe (aka Worker) zurückholen und auf die gebaute Engine platzieren, um eben Ressourcen/Boni zu bekommen. Der Grundaspekt ist absolut schnell begreifbar. Es ist dann aber eben „hard to master“, weil du mit wenigen Ressourcen auskommen musst und diverse Elemente interaktiv angelegt sind. Wer es nicht mag, wenn seine Planungen zerschossen werden, wer es nicht mag, sich von Runde zu Runde an veränderte Situationen anzupassen, der sollte eher die Finger davon lassen. Es ist ähnlich komplex wie ein Scythe oder Terraforming Mars (Grundspiel),
Hi Christian,
vielen Dank für die Rückmeldung. Ich werds einfach mal versuchen und teste das Spiel mal mit der Gruppe. Ich persönlich fand Lords of Waterdeep im Übrigen immer sehr gut, weil es für mich oft als Gatewayspiel funtioniert hat. Hat sich dann aber doch igendwann abgenutzt…
Spielerische Grüße,
Achim
Die einzelnen Regeln sind jeweils nicht kompliziert. Es greifen häufig mehrere Mechaniken und Bonuseffekt ineinander, sodass doch ein großer Rules-overhead entstehen kann. ich habe es ca. 10 mal gespielt (habe schon vor Release auf dem TTS gespielt) und muss sagen, dass es schon 3-4 Partien gedauert hat, bis ich es fehlerfrei gespielt habe. Häufig habe ich positive Effekte für mich vergessen. Ein Mal war ich mit dem abhandeln einer Eventkarte so beschäftigt, das ich glatt vergessen habe einen neuen Raider zu platzieren. Ich bin aber seit dem ich Vater bin auch dauermüde und nicht gerade der König der Konzentration. Dennoch würde ich jedem raten gnädig zu sich zu sein und zumindest die erste Partie auch als Lernpartie zu nehmen und sich und den anderen Mitspielern Fehler nicht anzukreiden. Man muss ja nicht das Ergebnis jeder Partie im Leben auf BGG tracken.