Überall Blut
Oder drücken wir es anders aus, vor dem Besuch des Mars war die Enttäuschung erst mal groß. Normalerweise kommt jetzt der Text, wo ich die Spielmaterialien lobe. Doch wie soll ich Lob aussprechen, wenn das Erste, was ich erblicke, nach dem Öffnen der Schachtel ein zerrissenes Inlay ist? Und schau mal da, voller Begeisterung lasse ich die vielen bunten Spielsteine über meine Finger rieseln, da zerfetzt es mir fast die Hand. Das ganze Blut besudelt … gut, das war jetzt ein Griff in die Drama-Kiste, aber so scharfkantige, unsaubere geschnittene Spielsteine habe ich noch nie in den Händen gehabt. Die Reise ins Land der suboptimalen Spielqualität ist aber weiterhin nicht vorbei. Die wunderbar glänzenden Ressourcen-Marker sind etwas fürs Auge, zumindest wenn man eins zudrückt. Unzählige abgeplatzte Ecken! Das die Spielertableaus und Spielregeln auf eher zu dünnen Papier gedruckt sind, schenke ich mir jetzt. Ich weiß nicht, ob mein Terraforming Mars ein absolutes Montagsprodukt war, aber das ist den Preis nicht im Ansatz wert! Würde ich so den Mars terraformen, mein CEO würde mich hochkant hinausschmeißen.
Optik ist meinem CEO egal
Mein Hype war also schnell vorbei. Es folgte das Eintüten der über 200 Karten. Das ist natürlich enorm viel und recht sexy! Vor allem deshalb, weil keine einzige Spielkarte doppelt vorkommt. Nur für die Brettspieler unter uns, die etwas für Ästhetik übrig haben, auch hier eine Warnung: Die Bilder der Karten sind ein wilder Mix aus Stockart Fotos, Computerrenderings und Zeichnungen. Kein stringentes Design! Den Preis wieder im Hinterkopf, fange ich mich langsam an zu wundern. Auch dass die Spielsteine auf dem Spielertableau ständig verrutschen nervt, hier hätte man sich ein Beispiel an Scythe mit seinen Vertiefungen nehmen können. Aber zum Glück ist mein CEO nicht so der optische Typ und lässt mich trotzdem auf den Mars los.
Das Ziel
In Terraforming Mars übernehmen ein bis fünf Spieler jeder einen Konzern, der den Auftrag bekommt, den Mars zu terraformen indem Sie den Sauerstoffgehalt und die Temperatur erhöhen und Ozeane anlegen. Die Konzerne haben alle unterschiedliche Startbedingungen und Sonderfähigkeiten, die das Zünglein an der Waage sein können. Doch keine Angst, allzu mächtig sind die Fähigkeiten nicht. Das Spiel wird nicht in Runden, sondern in Generationen gemessen, was versinnbildlicht, wie lange solch ein Projekt dauern würde.
Aus dem Seelenleben eines Projektmanagers
Als Projektmanager von ECOLINE, dem Konzern mit dem grünen Daumen, ist mein Startkapital nicht wirklich hoch, dafür habe ich eine erhöhte Pflanzenproduktion und kann den Mars schneller mit Wäldern besiedeln. Das führt zu mehr Sauerstoff und treibt meinen Terraformingwert in die Höhe. Heißt, mein CEO freut sich über mehr Einkommen und ich am Ende über Siegpunkte. Tja, wir befinden uns mittlerweile am Anfang der vierten Generation (= Spielrunde), theoretisch bin ich also ein Greis. Vergessen wir das schnell! Links neben mir sitzt der freche Typ vom HELION Konzern, rechts von mir der arrogante THARSIS-„Mitarbeiter“. HELION darf produzierte Wärme in Credits umwandeln, THARSIS profitiert mit Mehreinnahmen, wenn Städte auf dem Mars gegründet werden.
Ich ziehe vier Karten und beiße mir in die Faust! Ich will Sie alle haben. Geht aber nicht. Denn jede Karte, die ich auf die Hand nehmen möchte, kosten mich Megacredits. Ich spare aber gerade darauf, die Projektkarte Einwanderungsfähre von der Hand auszuspielen, denn sie ermöglicht mir einen ordentlichen Schub in Sachen Megacredits-Produktion. Ich kann maximal nur eine Karte kaufen, vielleicht zwei. Nur wo quetsche ich finanziell dann die Karte Haustiere rein? Die bringt mir jedes Mal Siegpunkte, wenn jemand eine Stadt baut, und ich vermute, der THARSIS Spieler wird öfter Städte bauen. Hätte ich in der letzten Runde bloß mit dem Astorideneinschlag meine Titanproduktion erhöht, dann wäre jetzt die Einwanderungsfähre billiger zu bauen. Dafür hätte ich auf die Grundwasserpumpe verzichten können, die Aktion der Karte kostet mich ganze acht Megacredits, die ich zurzeit nie übrig habe. STOP, Christian! Bleib fokussiert. Du wolltest auf Pflanzenproduktion gehen, Wälder damit bauen und Symbiosen mit Tierkarten basteln. Terraforming Mars, du kitzelst den Grübler und Kartensammler in mir.
Der Reiz am Terraformen
Der große Reiz bei Terraforming Mars entsteht einfach dadurch, dass man auf vielfältige Art und Weise gewinnen kann. Steigere ich die Temperatur, den Sauerstoffgehalt oder platziere ich ein Ozean, steigt direkt mein Terraformingwert. Dies sind zum einen Siegpunkte, zum anderen mein passives Einkommen an Megacredits. Das macht jeder Spieler ähnlich viel und bei uns ist keiner wirklich davon gerauscht. Abseits des Terraforming-Werts ist es aber interessant! Bebaue ich geschickt den Mars mit Städten und Wäldern? Mit der Gefahr, dass andere Punkte mitnehmen, da Städte nur durch angrenzende Wälder Punkte bekommen, aber Wälder für alle Städte Punkte bringen und nicht nur für meine eigenen. Oder sammle ich bestimmte Kartensymbole und bekomm dafür am Ende Punkte? Setze ich auf Karten, die mir passive Siegpunkte bringen, wenn andere Spieler gewisse Aktionen ausführen oder wie die Mikroben, die so gut zueinander passen, dass sie jede Runde in ihrer Synergie Siegpunkte generieren? Und es geht ja nicht nur um direkte Siegpunkte, das Synergienkonzert lässt sich auch auf die Rohstoffgewinnung übertragen.
Und wo wir schon bei den Karten sind, ich wiederhole noch einmal die Anzahl: über 200! Keine Doppelt, viele mit völlig anderen Fähigkeiten, Sonderregeln und Bedingungen zum Ausspielen. Es gibt unter diesen Karten so viele Synergien und strategische Möglichkeiten, auch aktiv und bösartig gegen andere Spieler, dass es wirklich seine Zeit braucht, bis man alles ausprobiert hat. Ich habe in meinen Spieldurchläufen bewusst meinen Fokus immer wieder auf andere Dinge gelegt und war völlig überrascht, dass die Pläne aufgingen und man trotz des ignorieren vieler Möglichkeiten am Ende vorn liegen kann. Abwechslung ist in Terraforming Mars absoluter Trumpf!
Zwickmühle Megacredits
Neben den vielen unterschiedlichen Synergien gibt es noch einen zweiten Mechanismus, der mir sehr gefällt. Um eine Karte auf die Hand zu nehmen, kostet es mich drei Megacredits. Heißt, habe ich vier gute Karten gezogen, kostet mich dies zwölf Megacredits. Um die Karte in der Aktionsphase auszuspielen, muss ich ebenfalls deren Kosten in Megacredits bezahlen. Hier reden wir von ungefähr 5 bis 30 Megacredits. Die anfänglichen Einnahmen pro Runde belaufen sich auf 20 Megacredits. Die Krux wird, denke ich, klar! Wer viele Karten kauft, kann kaum Karten ausspielen. Wer viele Karten ausspielt, muss sich stark in der Auswahl begrenzen, die er auf die Hand nimmt.
Eine Empfehlung
Im Regelheft zu Terraforming Mars gibt es optionale Ergänzungen, die das Spiel zum Einzelspielererlebnis macht oder den Kartenziehmechanismus ändern. Ich rate dringend, letzteres nicht als optional, sondern als festen Bestandteil einzubauen. Die optionale Regel führt einen Draft Mechanismus ein. Heißt, jeder Spieler zieht zwar seine vier Karten, darf sich aber nur eine aussuchen. Die anderen drei gibt er an seinen Nachbarn weiter. Dies wird so lange gemacht, bis jeder vier Karten hat. Der Vorteil sollte klar sein, in einem Spiel wie Terraforming Mars, in dem Synergien und eine lang anhaltende Strategie zum Spiel dazugehören, ist reines Glück beim Kartenziehen ein Graus. Es kann ansonsten passieren, dass man als Spieler weit zurückbleibt. Man selbst zieht nicht eine nützliche Karte, während andere Spieler Synergien ohne Ende herstellen. Durch das Draften wird dies verhindert. Hier wähle ich aktiv Karten, die mir gefallen, und bin dem Glück nicht völlig ausgeliefert.
Fazit
Fangen wir mit dem Meteoriteneinschlag an: Die Spielqualität lässt zumindest bei meinem Exemplar sehr zu wünschen übrig. Gehört das so oder ist das gebraucht? Auch das Verrutschen der Spielsteine auf den Tableaus nervt. Für den Preis ist das, was man an Spielmaterial bekommt, außer in der Masse der Karten, enttäuschend. Aber durch Meteoriteneinschlägen hat sich bekanntlich so etwas Komplexes wie die Erde entwickelt. Ähnlich verhält es sich mit Terraforming Mars wenn sich der Staub der Enttäuschung legt! Was für ein absolut geniales Spiel, welches so viele verschiedene Möglichkeiten zum Sieg bietet und mit seinen über 200 einzigartigen Karten für wahre Abwechslung sorgt. Wer gerne Symbiosen bastelt und cleveres Ressourcenmanagement liebt, der kommt um das Terraformen des Mars nicht herum. Für mich ist Terraforming Mars einer der Anwärter zu meinem persönlichen Spiel des Jahres.
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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
[…] auf Ende 2017, Anfang 2018 datiert sind. Aber das wir in absehbarer Zeit absolute Hochkaräter wie Terraforming Mars oder Scythe auf Steam, Android und/oder iOS spielen können, ist dann schon ein fettes Grinsen […]
[…] Leser, von denen ich einige sogar nun privat öfters treffe. Es gab Hilfe bei der Beschaffung von Terraforming Mars auf der SPIEL16, extrem viele Informationen zu eher unbekannteren Brettspielen und […]
[…] Auszeichnung Deutscher Spiele Preis 2017 geht an Terraforming Mars! Völlig verdient, ist es auch mein Favorit gewesen. Die weiteren Plätze sind aber mit nicht […]
[…] Hand nur eine Karte ausspielen, den Rest gibt er weiter. Man kennt diesen Mechanismus z.B. aus Terraforming Mars oder Blood Rage. Allerdings spielt man hier wirklich nur eine entscheidende Karte pro Runde und […]
[…] die App die direkte Umsetzung des anaolgen Brettspiels ist, empfehle ich an dieser Stelle meine Rezension. Darüberhinaus wird es in der Terraforming Mars App verschiedene Spielmodi geben. Es gibt einen […]