Kurzcheck: Darum geht es in Dragon Dale
In Dragon Dale treffen bis zu vier asymmetrische Fraktionen aufeinander. Asymmetrisch bedeutet hier nicht nur, dass Fraktionskarten und Aktionen unterschiedlich sind, sondern auch der Spielsieg. In Dragon Dale wachsen nämlich mystische Bäume. Zwei Fraktionen wollen sie fällen und das Holz in ihre Basis bringen, die Druiden wollen die Bäume beschützen und segnen, die bösen Feen wollen sie zwar auch beschützen, aber letztendlich vergiften. Der erste geile Kniff! So spielen zwar alle gegeneinander, aber übergeordnet haben jeweils zwei Fraktionen das gleiche Ziel. In letzter Instanz, nur anders ausgeführt. Genauso cool ist die Idee des Verhaltens von Einheiten. Einfach losziehen und die Schwerter kreuzen? Nope. Jede Fraktion hat drei Einheitentypen und jeder Einheitentyp mehrere Verhaltenskarten, wobei immer nur eine pro Einheit aktiv ist. Verdeckt natürlich. Treffen feindliche Einheiten aufeinander, werden die Verhaltenskarten aufgedeckt und aufgelöst. Verhalten heißt hier weniger oft Kampf im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr das Auslösen von Sondereffekte wie Wegbewegen von Einheiten. Das ist spannend und erzeugt Lebendigkeit. Weitere Besonderheiten: Verdeckte Einheiten und damit Hidden Movement, thematische Bewegungsregeln und der NPC-Drache. Heißt: Du weißt oft nicht, was die anderen am Tisch herumschieben, musst für jede Geländeart bei der Bewegung Restriktionen beachten und ein mehr oder weniger vom Spiel gesteuerter Drache sorgt für Chaos. Dazu gesellt sich noch Deckentwicklung und ein Ressourcensystem, welches über die Erkundung der Gebiete gesteuert wird. Und das sind nur die Hauptelemente. Keine Frage, Dragon Dale ist ein Expertenspiel. Und dazu ein verdammt schickes!
Es darf aber die Frage gestellt werden, ob Dragon Dale bekannte Mechaniken anbietet. Grob gesagt: Alles ist hier irgendwie anders. Das macht es nicht nur komplex und frisch, sondern anfänglich auch kompliziert, aber auch mutig. Es ist nicht einfach nur Area-Control, weil die Bäume aktiv bespielt werden müssen, die Bewegung ist dabei ein spannendes Puzzle, das Verhalten der Einheiten ungewohnt, weil es mehr ist als nur ein Kampf und die vielen unterschiedlichen Karten mit umfangreichen Effekten und Bedingungen brauchen oft einiges an Vorbereitung. Klingt cool. Nur wie war die Stimmung am Tisch?
Unzugänglich
Mein Ziel: Dieses Spiel mit den gleichen Leuten mehrmals in kurzer Zeit zu spielen, damit auch eine Entwicklung über die Partien hinaus beurteilt werden kann. Wer sich für die Erstpartie verpflichtete, musste (!) weiterspielen. Die Anleitung fand ich okay, ich hatte zudem auf dem Presse-Tag das Spiel erklärt bekommen. Entsprechend war eine Basis für erfolgreiches Spielen gelegt. Dann brach aber die Praxis von Dragon Dale über uns hinein. Ich nehme das Fazit der Erstpartie vorweg. Im Austausch war die Bewertung zwischen frustrierend, echt scheiße bis hin zu unzulänglich und wenig belohnend einzuordnen. Das Problem: Maximale Überforderung und eine Dynamik als würde ich versuchen einen 18-Tonner ziehen zu wollen. Einordnung: Ich habe schon Rücken beim Heben einer Milchtüte aus dem Kühlschrank.
Du willst dich bewegen, ach so, das geht hier so ja gar nicht. Die vielen verschiedenen Bewegungsrestriktionen sorgten immer wieder für langsames Vorwärtskommen. Ich will eine Karte spielen? Mir fehlten die Ressourcen. Wo bekomme ich die nun her? Ach, über die Bewegung. Die ist aber immer noch schwierig. Und die Plättchen, ergo Ressourcen, die eingesammelt werden, wenn man ein neues Gebiet erkundet, sind verdeckt. Oft braucht es aber ganz bestimmte Arten. Viel Spaß beim Suchen. Ich will mein Deck entwickeln, das kostet mühsam eine von zwei möglichen Aktionen pro Zug. Die Karte kommt dabei auf den Ablagestapel. Es kostet noch eine Aktion, den Ablagestapel auf die Hand zu nehmen. Mehrere, neuere und stärkere Karten auf die Hand zu bekommen, ist ein Akt des gefühlten Aussetzens. Die Kämpfe ungewohnt. Das Verhalten der Einheiten ohne Erfahrung schwer abzuschätzen. Ja, das war definitiv lebendig. Andere nennen es unkontrolliert. War hier nicht auch was mit Area-Control? Das Ding sieht doch aus wie Blood Rage.
Abbruch
Meine Frau ging mit den Druiden völlig unter. Nach 4,5 Stunden war sie das erste Mal überhaupt an einem Baum im Zentrum angekommen. Vorher rieb sie sich mit der Wikinger-Fraktion auf. Jede Fehlplanung, jede Aktion, die nicht sitzt, wirft dich wirklich hart zurück. Du gehst hier nicht schnell wieder irgendwohin, du erkaufst dir nicht auf die schnelle mal kurz was mit deinen Ressourcen. Selten habe ich meine Frau so entnervt am Tisch gesehen. Und hey, die spielt durchaus fiesere Brettspiele wie Wasserkraft, Kemet oder Cthulhu Wars. Mir erging es mit den Feen etwas besser. Öfters stand ich kurz vorm Spielsieg. Habe 4 Siegpunkte, entweder durch das Halten von Gebieten mit Obelisken, durch die Beherrschung des Drachen und/oder durch dein individuelles Baumziel. Ich hatte sie oft, aber immer nur am Ende meines Zuges. Es zählt aber nur der Zuganfang. Natürlich machten mir alle Kackbratzen am Tisch dies stetig kaputt. Eigentlich eine bekannte und gelungene Mechanik. Wir brachen hingegen nach fast 5 Stunden die Partie ab. Wir hatten uns gefühlt in eine Endlosschleife gespielt. Zwei Fraktionen hatten zudem ihre Ressourcen verpulvert. Keiner hatte mehr Lust. Ende Gelände.
Was war passiert?
Ungelogen, über drei Tage tauschten wir Sprachnachrichten aus. Nicht über 2 Minuten. Das waren stundenlange Gespräche. Bei all dem Frust, irgendwie war da etwas in Dragon Dale, dass einen bewegt. Ich machte drei kritische Punkte fest: Erwartungshaltung, Erfahrung und Belohnungsreiz.
Die Erwartungshaltung war falsch. Das hier ist kein typisches, klassisches Area-Control-Spiel, wo man sich schnell um Gebiete zofft, seine Einheiten über das Spielbrett jagt und immer Herr ihrer Lage ist. Dragon Dale ist ein langsames, sehr strategisches Spiel, bei dem alleine die optimale Bewegung über mehrere Runden hinweg geplant werden sollte. Fehlende Erfahrung ist dann das größte Manko. Hidden Movement, Verhaltenskarten, unbekanntes Deck, unbekannte Fraktionen, es fehlt einfach überall an Gefühl für die Elemente, auch weil sich das Spiel eben so anders gibt. Am Ende der fast 5 Stunden wussten wir so ungefähr, was wir alles falsch gemacht hatten. Ich hatte ein Gefühl für meine Feen. Die Spieler:innen von Wikinger und Druiden waren sich selbst da hingegen noch nicht so sicher. Hey, du kannst hier am Anfang nicht einmal abschätzen, wie sich deine eigenen Einheiten verhalten. Knackpunkt für die Spielmotivation kann auch die fehlende Belohnung sein. Du musst viel und mit Geduld deine Power-Züge vorbereiten. Eine langsame, dafür nachhaltige Ausbreitung ist viel wichtiger und stabiler, als ein schnelles rushen nach Siegpunkten. Du brauchst eben auch nur vier, um zu gewinnen. Ein Baum gefällt, verflucht oder gesegnet bringt dir 2 Siegpunkte. Das sind 50% vom Spielsieg! Natürlich machst du diese 2 Punkte nicht jeden zweiten Zug. Dragon Dale ist kein Spiel, wo du ständig etwas bekommst. Im Gegenteil, es passiert immer etwas, aber spürbar vorwärts zu den 4 Siegpunkten bringt es dich nicht oft.
Einfach anders
Schon die zweite Partie fühlte sich wie ein anderes Spiel an. Ich plante meine Bewegung anders. Steuerte mein Verhalten der Einheiten besser, lies sie zielgerichtet in bestimmten Gruppen laufen. Versuchte abzuschätzen, wie der Drache sich bewegt, damit er mich nicht angreift. Ich drückte innerlich auf die Bremse. Sparte Karten und Ressourcen, positionierte über mehrere Wellen von Bewegungsaktionen meine Einheiten. Ja, am Ende steuerte ich sogar den Drachen. Ich gab meine Ressourcen effektiver aus und war viel schneller bei meinem ersten vergifteten Baum. Auch die anderen Fraktionen konnten nun ihre Stärken besser ausspielen. Ein interessanter und spannender Wettlauf begann. Ich lernte den Puzzle-Charakter des Bewegens genauso schätzen wie das anpassbare Verhalten der Einheiten oder deren Versteckspiel. Auch in der zweiten Partie gab es immer noch Aha-Erlebnisse, gerade beim Austarieren des Verhaltens von Einheiten oder dem Einsatz der Karten. Wo in der ersten Runde die Raben des Wikingers noch ohne Verstand herumflatterten, wurden sie indessen perfekt für die Erkundung in weit entfernten Landstrichen eingesetzt. Schneller hatte zudem jede Fraktion ein oder zwei Siegpunkte.
Dragon Dale blieb aber ein langsames Spiel, welches viele Aktionen für wenig fühlbaren Ertrag braucht. Auf seine Art ein Mangelspiel. Es ist kein Blood Rage, es ist eher ein Dame oder Schach in seiner Bewegung und ein komplexes Optimierungs- und Planungsspiel beim Karten- und Aktionsmanagement. Welches zudem wenig Downtime generiert und sogar Aktionen bereithält, wo andere ebenfalls etwas ausführen dürfen. Nach 3 Stunden war der Zauber vorbei und die Feen trugen den Sieg davon. Schlecht fand es nun niemand mehr, im Gegenteil. Die Frische und Thematik wurde gelobt und auch das fühlbare Herzblut, welches in dieses ungewöhnliche und damit auch mutige Spiel geflossen ist.
Quo vadis?
Nach dem weiteren Austoben kann festgestellt werden, Dragon Dale braucht enorme Einarbeitungszeit und ein sich bewusstmachen, was für eine Art von Spiel dies überhaupt ist. Innerhalb der dritten Partien erreichte ich den Status, den ich sonst innerhalb der ersten Partie im letzten Drittel erreiche. Für manche in meinem Spielkreis ist es dadurch verbrannt. Bei der Übersättigung von Brettspielen in der heutigen Zeit haben es Brettspiele schwer, die solch eine Anlaufzeit brauchen. Ich empfehle euch zudem eher mit einer 2-Personen-Partie zu starten. Extrem vorbildlich wird das Spielfeld angepasst und in kürzerer Zeit ist eine Fraktion dann spielerisch einverleibt. Ich ziehe inzwischen durchaus Spaß aus Dragon Dale, allerdings mit einer Einschränkung: Das Entwickeln des eigenen Decks in fester Reihenfolge über viele, viele Aktionen ist und bleibt für mich ein großes spielerisches Manko, weil es einen ausbremsenden und spannungsarmen Charakter besitzt. Allgemein hätten die Karten auch etwas mehr Symbolsprache und grafischen Wumms vertragen können.
Fazit
Kann ich euch Dragon Dale bedenkenlos empfehlen und rockt es den Tisch so weg, wie es aussieht? Niemals. Dragon Dale ist aber ein Spiel, welches wächst, je mehr man sich damit beschäftigt. Es wird dich anfänglich herausfordern, mit der falschen Erwartungshaltung an Spielgenre, Ausschüttung von Belohnungen und Dynamik sogar ziemlich sicher Frustration ernten. Dieses Spiel ist anders. Das fängt bei Offensichtlichem wie den verdeckt agierenden Einheiten und deren Verhaltenskarten an, bei dem die Figuren fast eine Art Eigenleben entwickeln und gipfelt dann im persönlichen Highlight, dem Bewegungspuzzle. Die optimale Route für seine vielen Einheiten in Einklang mit dem zu erreichenden Ziel, der Erkundung, den Gebietsrestriktionen, den eigenen Karten und der Gefahr durch andere Fraktionen zu bringen, ist ein fantastischer und motivierender Tanz. Die Optimierung für zwei oder drei Personen sind zudem ebenso gelungen, wie die Asymmetrie und thematische Aufmachung der Fraktionen. Größtes Manko bleibt die langsame Spielgeschwindigkeit, die in Teilbereichen durchaus motivierend Teil der Strategie sein kann, im Bereich Deckentwicklung und Ressourcengenerierung für mich aber mehr Hemmnis denn Spielspaßausschüttung ist. Am Ende ist Dragon Dale ein mutiges Stück analoge Unterhaltung, die viel Einarbeitungszeit für Spielspaß braucht, deren Partien aber aufgrund seiner Andersartigkeit definitiv nicht vergessen werden.
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7 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
was ein schön launiger Test zum Lesen…und es freut mich, das es kein einfacher Verriss wurde, sondern schon ein differenziertes Review an Ende steht. wir rotieren zu sehr die Spiele durch als das wir da uns sinnvoll die Regeln antrainieren könnten. aber es liest sich halt schon mega ansprechend, wenn man so eine Spielrunde hat, die sich da gemeinsam so ein Spiel erarbeitet
Hallo Denny,
vielen Dank für die netten Worte. Freut mich sehr. Ich habe echt mit mir gerungen. Es war eine intensive Zeit mit dem Spiel und ich bin da wirklich dankbar, dass sich meine Leute da so reingebissen haben. Ich bin gespannt, ob weitere Erfahrung über das Spiel von euch allen noch irgendwann eintrudelt. Ich glaube, Dragon Dale wird es sehr schwer am Markt haben, weil es anders als die Optik es vermuten lässt, gespielt werden will. Es braucht sehr viel Weitsicht beim eigenen Planen und dies ist in den ersten Partien gar nicht möglich. Das „Problem“ sind nicht einmal die Regeln, ich denke, die hättet ihr schnell drauf, sondern fehlende Erfahrung. Die muss man sich erspielen und das kostet Zeit ergo Partien. Es ist definitiv kein Spiel, welches man auspackt, Spaß hat und dann direkt zum nächsten hüpft, um es dann nach 2 Monaten mal wieder auf den Tisch zu bringen.
Liebe Grüße
Christian
Ja, in der Tat. Ich bin beeindruckt von Christians Artikel. Wirklich. Ohne Sarkasmus, Ironie und zwielichtige Untertöne. Ich habe mit Christian am Tisch gesessen, als wir auf den B-Rex Tagen Dragon Dale und das dazu entworfene Einstiegs- bzw. Erklärungsszenario spielen durften.
Ich bin ehrlich: Ich hatte nach der Partie keine Sekunde Bock gehabt, mich weiter in dieses Spiel zu vertiefen. Und ich vertiefe mich liebend gerne in Spiele: Cloudspire. Stunden mit dem gleichen Charakter, Dinge ausprobieren, reagieren. Gerne. Aber das? Das war mir schlicht zu langweilig.
Ich verstehe Christians Argumentation und bin begeistert, dass er sich die Mühe gemacht hat. Und ich freue mich wirklich, dass für das wunderschöne Dragon Dale dafür eine so dezidierte Rezension herausgekommen ist.
Danke Markus 🙂
Wir hatten uns nach den B-Rex-Tagen ja auch intensiv über das Spiel ausgetauscht. Du hattest definitiv Recht mit der Spielgeschwindigkeit und der kritischen Spielzeit. Das Demo-Szenario war aber halt einfach unglücklich, weil wenn Dragon Dale eines nicht ist, dann ist es langweilig. Dafür schüttet es einfach zu viele Emotionen aus (negativ wie positiv). Ich verstehe deine Einschätzung aufgrund des Demo-Szenarios trotzdem.
Die Anleitung in den Vorab-Boxen sind zwar mechanisch soweit richtig, aber nun wirklich alles andere als optimal geschrieben und strukturiert. Dadurch wird der Einstieg unnötig heftig und der Fokus ist die die Spieler schwerer zu finden.
Wir haben daher die Transitzeit der Hauptlieferung genutzt, um das nun zu finalisieren. Alle Exemplare werden die neue Anleitung und ein auch überarbeitetes Maeve (Feen)-Tableau dabei haben.
Hier habt ihr Zugriff auf alle Änderungen inklusive dem vollständigen Hauptregelheft:
https://www.dropbox.com/scl/fo/6114z1l6dorm8gzrv43uj/AMahR8moU5HxvCg1lCxrhkE?rlkey=5t6ro7ekg8eycr5cadd22y21s&st=cxkeerk0&dl=0
Es wird dazu auch noch eine News geben 😉
Sehr gut 🙂 .
Btw: Bei den Core-Testern laufen die DD-Runden immer noch weiter. In der internen Statistik haben derzeit die Druiden die Nase ganz leicht vorne. Allerdings wird der Stamm auch bisher von den beiden erfolgreichsten Spieler*innen vorrangig gewählt. Was aber verraten werden kann, dass sich früh und sich zügig ausbreitende Druiden wohl zu einer der größten Gefahren für die andere Stämme zählt.