Kurzcheck: Darum geht es in Barcelona
Mitte des 19. Jahrhunderts ist Barcelona die am dichtesten besiedelte Stadt Europas. Der Erfinder des Urbanismus Ildefons Cerdà wird von der Stadt beauftragt, den Stadtteil Eixample umzusetzen, um den Bewohner:innen wieder Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Ziel ist es nicht nur Häuser, sondern auch Straßen und die Straßenbahn zu bauen. Nebenbei verdingt ihr euch für den Modernisme und werkelt am berühmten Kacheldesign der Bürgersteige oder baut die Sagrada Família aus. Beim Bau der Häuser gibt sich das Spielerische dem Mechanischen die Hand. Wer die ursprüngliche Idee von Cerdà beim Bau der Häuser verfolgt, also viel Grünfläche im Verhältnis zum Wohnraum und für alle Bevölkerungsschichten zugänglich, der erhält weniger Siegpunkte, steigt aber auf der Cerdà-Leiste. Wer Wohnraumverdichtung betreibt und eher für die Oberschicht baut, der bekommt mehr direkte Siegpunkte, sinkt aber auf der Cerdà-Leiste.
Die Cerdà-Leiste ist dabei ein Multiplikator für die drei Wertungsphasen im Spiel, die zusammen mit einer letzten Wertungsphase das Spielende einläuten. Am Ende des Spiels gewinnt die Person mit den meisten Punkten. Dabei ist die Anzahl der Runden variabel, weil die Wertungsphasen je nach Bevölkerungsdurchmischung immer unterschiedlich schnell ausgelöst werden. Pro Runde bist du einmal am Zug, der immer gleich strukturiert ist: zwei oder drei Aktionen, eine zwingende Bauphase und die Vorbereitung auf den nächsten Zug. Die Spielzüge sind schlank und schnell begriffen. Trotzdem wird in meinem Kopf wilde Polka getanzt. Der Grund ist die Vermischung aus extrem kniffliger Aktionsauswahl und Interaktion. Kennst du diesen Gedanken, wenn du am Zug bist und einfach nur denkst, dass das alles zum Kotzen ist? Und es deswegen reizvoll findest? Willkommen bei Barcelona!
Hallo Targi!
Kennst du Targi? Falls nicht, nachholen! Befehl von ganzen oben aus dem Regal des guten Brettspielgeschmacks. Die Aktionsmechanik ist sehr ähnlich. Bist du am Zug, musst du zwei zuvor verdeckt gezogene Bewohnerplättchen auf einen freien (!) Kreuzungspunkt platzieren. Jeder Kreuzungspunkt ist in der Vertikalen und Horizontalen mit genau zwei Aktionsmöglichkeiten am Spielfeldrand verbunden. Am Rand ist jede Aktion wie Geld nehmen, Straßen bauen, Projekte nehmen usw. nur einmal aufgeführt. Heißt im Umkehrschluss, jeder Kreuzungspunkt steht in der Partie für eine einzigartige Aktionskombination. Motivierend: Die Aktionen werden vor Spielbeginn zufällig verteilt. In jeder Partie hast du also ein völlig anderes Aktionsraster. Klassiker: Du willst alles machen, wirst durch große Mangelwirtschaft drangsaliert und natürlich blockieren Spielende vor dir Kreuzungspunkte, die du jetzt gerne selbst genommen hättest. Ding Dong, das ist der Gedankengang wieder: Das ist doch alles zum Kotzen!
Hallo Verzahnung!
Nach deinen Aktionen und in dem Moment, wo deine Verzweiflung etwas abnimmt, weil du doch irgendwas Gescheites hinbekommen hast, kommt das verpflichtende Bauen. Die Bauplätze sind auf diesem schachbrettartigen Spielbrett umringt von den erwähnten Kreuzungspunkten, auf denen Bewohnerplättchen liegen. Je nachdem wie viele und welcher Art von Bewohnerplättchen angrenzend liegen, kannst du verschiedene Gebäudearten bauen. Du musst nicht dort bauen, wo du deine Plättchen platzierst hast, sondern irgendwo dort, wo es möglich ist. Bauen bringt Siegpunkte und das Gebäude gehört dir, was wichtig für Projekte sein kann. Weiter wandern an den Kreuzungspunkten, wo gebaut wurde, die Plättchen auf externe Siegpunkteleisten, die besagte Wertungsphasen auslösen können. Welche Plättchen wo liegen, damit man sinnvoll bauen kann, sollte bei der vorherigen Aktionswahl also beachtet werden. Dabei denke nicht nur an dich, sondern auch daran, was andere mit deinen platzierten Plättchen vielleicht bauen könnten. Die Aktionswahl ist also sehr eng mit der nachfolgenden Bauaktion und der Beeinflussung der Wertungsphase ergo Spielrunden gekoppelt. Sagte ich schlanke Aktionsmechanik? Ihr merkt aber, schlank ist was anderes als einfach.
Hallo Kopfnuss!
Ich werde nach diesen zwei Hauptmechaniken vom Detail in einen stakkatoartigen Flow übergehen, um damit einfach meine geistige Situation in Barcelona abzubilden. Ich will in Barcelona auch Tableau-Entwicklung betreiben. Ich will Kreuzungsplättchen ins Spiel bringen, denn liegen diese auf Kreuzungen und es werden dort Bewohnerplättchen platziert, bekomme ich Boni. Für die Platzierung brauche ich Münzen und Tuch. Alles drei erfordert Aktionen. Mein Lagerplatz ist auch noch begrenzt. Das wäre eine vierte Aktion. Dabei lege ich das Plättchen, was meinen Lagerplatz begrenzt, beim Freimachen auf ein externes, gemeinsames Kacheltableau und bekomme von dort einen Bonus. Ich kann auch noch als alternative Aktion öffentliche Gebäude bauen, die mir mächtige Einmal-Aktionen ermöglichen. Die sind aber wirklich teuer! Wie viele Aktionen zur Münzgewinnung soll ich bitte machen? Ich kann aber auch über eine Aktion Straßen bauen. Auf dem Spielfeld gibt es für Straßen Platzierungsboni und damit unter anderen Münzen. Aber eigentlich will ich für Siegpunktegewinnung alle Straßen aneinanderbauen. Welche Aktion jetzt machen? Welche Kombination erscheint sinnvoll, wo sollen meine Bewohnerplättchen platziert werden, damit ich das beste Gebäude für mich bauen kann? Habe ich die Aktion Straßenbahn erwähnt? Mit der darf ich für oft hohe Kosten an einer Straße anhalten und eine dritte Aktion ausführen. Heftig. Brennen im Schädel. Und das wichtigste habe ich noch gar nicht erwähnt …
Hallo Siegpunkte!
Wofür du am Spielende fette Siegpunkte erhältst, musst du dir selber erarbeiten. Da wären wir bei den letzten zwei möglichen Aktionen im Raster. Du hast auf deinem Tableau 5 Slots für Projektplättchen. Von den einzigartigen Projektplättchen gibt es eine ganze Menge, aber nur vier liegen gleichzeitig offen aus. Als Aktion kannst du dir eines der Plättchen nehmen, auf dein Tableau platzieren und ein neues kommt in die offene Auswahl. Das Projektplättchen bestimmt ab sofort, womit du im Spiel Siegpunkte machst. Straßenbau? Straßenbahn? Anordnung eigener Gebäude? Die Vielfalt ist groß. Das Problem: Die Slots auf deinem Tableau haben unterschiedliche Multiplikatoren. Je höher der Multiplikator, desto teurer das Platzieren. Dabei kannst du über eine weitere Aktion den Multiplikator auch noch erhöhen. Auch das kostet alles Münzen und Tuch! Jetzt kommt zu den omnipräsenten Ressourcenproblemen auch noch Timingkonflikte dazu. Wann holst du dir welches Plättchen? Investierst du früh für einen hohen Multiplikator? Das geht nur über Verzicht woanders. Kaufst du später? Vielleicht zu spät? Kommt das Projektplättchen überhaupt für deine bisherige Strategie ins Spiel oder wird es dir weggekauft?
Tschüss Thema!
In Barcelona macht man durch doppelte Multiplikatoren teilweise mit einem Plättchen massiv viele Punkte. Entsprechend im Fokus stehen die Projektplättchen. Habt ihr gemerkt, wie viel ich noch über das Thema geschrieben habe? Auch wenn Barcelona durchaus thematisch die Entwicklung des Stadtteils darstellt und hübsch daherkommt, ich bin gefesselt vom Monster der kniffligen Verzahnung. Welches durchaus manchmal für etwas Analyse-Paralyse sorgen kann. Stört mich nicht, denn deine Downtime ist mein Kurzurlaub fürs Hirn. Trotzdem, so unter uns, es glänzt eher zu zweit oder zu dritt.
Fazit
Gaudí oder Cerdà ist hier nicht die Frage, sondern wie ich meine Zähne wieder aus der Tischkante bekomme. Barcelona gibt sich so schlank in seinen Aktionen und deren Ausführung, wobei auch die Spielzeit nicht ausufert. Ganz im Gegenteil, durch die variable und von den Spielenden gesteuerte Rundenanzahl, kann das hier flott vorbei sein. Entsprechend ist die Grundstruktur auf Kennerspielniveau. Was dann aber trotzdem in den Gassen des Eixample für Entscheidungsvielfalt steckt, ist beeindruckend wie höchst motivierend. Die Aktionswahl allein ist schon herrlich knifflig, aber die Flankierung aus Interaktion, Mangelwirtschaft und der Bauaktion, die wiederum stark mit der Siegpunktevergabe und der Spiellänge verknüpft ist, setzt dem Ganzen die Krone Sagrada Família auf. Thema findet man vor allem in der schicken Anleitung, aber ich werde hier an jeder Straßenecke mechanisch maximal abgelenkt. Stört mich nicht! Entsprechend ist Barcelona für mich ein wirklich starkes Kennerspiel und in seiner Gattung eines der besten Brettspiele 2023.
Barcelona
59,99 €Kurzfakten
- Tolle Aktionsmechanik
- Starke Verzahnung
- Grundgerüst schlank
- Interaktion vorhanden
- Variabel im Spielaufbau
- Neigt zu Analyse Paralyse
Spielinformationen
- Genre: Strategiespiel
- Personen: 1 - 4
- Alter: 14+
- Dauer: 60 - 90 min
- Autor/in: Dani Garcia
- Vergünstigtes Rezensionsexemplar
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für die spannende Rezi. Da ich immer auf der Suche nach Spielen aus der Kombi „Elegant & Thematisch“ bin, hört sich das aber an, als könnte ich es auslassen, oder?
Hehehe, also elegant ist das durchaus. Und die Spielanleitung taugt hier und da als Touri-Führer. Jede Mechanik wird anhand der Vision von Cerdà erklärt, fand ich schon verdammt cool. Und ich erkläre so auch das Spiel, also durchaus thematisch. Nur im Spielgeschehen löst sich das halt auf. Da bin ich voll in der Optimieraufgabe. Welche Eurogames findest du denn elegant & thematisch? So als Vergleich wäre das einfacher. Es ist übrigens kein Expertenspiel, das ist vielleicht auch noch wichtig. Es hat Anleihen, gerade wenn man kopflastiger spielt, aber die Grundstruktur ist übersichtlich. Letztendlich ist es halt aber so, dass du es aus dem Schrank wegen der Aktionsmechanik rausholst und nicht wegen der Stadt Barcelona.
Gute Frage. Ich denke da an Spiele wie Eclipse, Khora oder Flamme Rouge. Sind die das aber wirklich? Oder meine ich was anderes? 😅 Muss noch mal in mich gehen. Ich glaube, das Grübeln schreckt mich ab.
Okay, das sind andere Brettspiele. Barcelona geht eher in die Richtung „Stefan Feld“.