Kurzcheck: Darum geht es in Revive
Der Einstieg in Revive fiel mir als Mensch mit Multiplex-Kopfkino und XXL-Sitze unter der Kopfrinde schwer. Keine Einstiegsgeschichte. Keine Fraktionsbeschreibungen. Was mache ich hier eigentlich? Warum liegt hier Schnee? Keine Einleitung zu einem Erwachsenenfilm, sondern einfach unbeantwortete Fragen der thematischen Einbettung. Revive löst dies durch eine kleine Kampagne. Fünf Partien verändern nicht nur auf angenehme Weise die spielerischen Möglichkeiten, sondern bieten einiges an Story. Cooler Kniff! Ich lese öfters, dass viele die Kampagne überspringen und direkt mit dem vollen Material spielen. Ich empfehle euch sich auf die kleine Kampagne einzulassen, die unsere heutige kapitalistische Gesellschaft durchaus kritisch in den Kontext einbindet.
Spielerisch ist Revive ein extrem verzahntes und anspruchsvolles Kennerspiel, welches verschiedene bekannte Mechaniken verbindet. Doppelte Tableauentwicklung, trifft auf Karten-, Ressourcen und Slotmanagement und wird flankiert von einem einfachen Aktionssystem, um auf einem zentralen Spielplan sich die Erkundungs- und Area-Control-Klinge in die Hand zu geben. Was fehlt? Asymmetrie. Hat Revive auch. Fehlt noch was? Vielleicht Variabilität? Antwort kennt ihr. Es ist ein ziemliches Best-of, welches unheimlich viel Spaß macht, besonders wenn man Optimierungsaufgaben liebt. Den unerwarteten Kniff habe ich aufgespart. Seid ihr bereit?
Kein Tempolimit
Revive liebt Deutschland. Rasen ohne Tempolimit ist nämlich das liebste Hobby des Spiels. Bei mir machte es irgendwann im ersten Spiel klick. Ich optimierte und rackerte mich ab. Liebkoste die Verzahnung, verzögerte das Passen und versuchte den letzten Rest aus meiner Engine zu quetschen. Irgendwann fragte ich mich aber, wie bekomme ich denn nun Siegpunkte? Tick. Tack. Gehirnzellen ratterten und dann drückten sie ab sofort nur noch brutal aufs Gas. Lamborghini-Countach-Style. Spielspaß ist hier als Fahrtwind spürbar. Oder als fette Backpfeife für die Mitspielenden.
Unter der Haube
Schauen wir in den Motorraum dieses Post-Post-Apokalypse-Flitzers. Vor Spielbeginn bekommst du wie alle anderen verdeckt eine Missionskarte. Darauf stehen drei Bereiche, mit denen du Siegpunkte erhältst. Freigeschaltete Meeple, erspielte Marker oder irgendein anderes Element. Das tut nichts zur Sache und ist ziemlich generisch. Der Witz ist, dass jedes dieser drei Ziele jeweils einem farbigen Marker zugeordnet sind. Die Marker sind irgendwelche Alien-Hirn-Schädel-Dings-Bumms. Egal. Diese Marker liegen offen aus und sind begrenzt. Durch unterschiedliche Meilensteine im Spiel darfst dir einen davon nehmen. Jeder dieser Marker wirkt als Multiplikator für eines der Ziele auf deiner Missionskarte. Eben entsprechend der Farbe.
Sind alle Marker weg, wird das Spielende eingeläutet. Revive ist also ein Wettrennen um diese Marker. Der Kniff besteht darin, so schnell wie möglich die richtigen Marker zu sammeln, dabei das Ziel dahinter zu verfolgen, andere Quellen für Siegpunkte noch mitzunehmen und das Spiel dann so zügig wie möglich zu beenden. Das Spiel ist dabei durch Powerzüge ab dem Mittelteil manchmal wahnsinnig schnell vorbei! Klassiker: Nächste Runde mache ich dies und das, danach noch jenes und dann bekomme ich die … FUCK, du beendest das Spiel? Fahrtwind oder Backpfeife.
Nur zwei Aktionen?
Paradox ist das Spielgefühl, wenn man sich den Umstand der zwei Aktionen anschaut. Pro Zug darfst du eigentlich nur zwei Dinge machen. Vielleicht den Spielplan erkunden und dadurch neue Karten erhalten? Lieber Bevölkerung ins Spiel bringen, Gebäude bauen und das Tableau dadurch weiter entwickeln oder Karten an dein Tableau in Slots stecken, um Ressourcen zu erhalten? Klingt eigentlich easy. Trotzdem kann man in Analyse-Paralyse verfallen, weil du an vielen Stellen vor knallharte Entscheidungen gestellt wirst. Du kannst die Slots für deine Karten für Extraboni mit Artefakten entwickeln. Diese Slots aktivieren je nach Position auf dem Tableau zudem die obere oder untere Hälfte deiner Aktionskarten. Selbstverständlich sind die Karten oben wie unten unterschiedlich aufgebaut und ermöglichen völlig andere Dinge.
Dazu bieten die asymmetrischen Völkertableaus unterschiedliche Kniffe und dann wäre da noch das Maschinentableau. Über deren Entwicklung bastelst du dir im Laufe des Spiels jedes Mal eine neue Engine für Spezialaktionen, die du bis zum nächsten Passen einmalig auslösen kannst. Es ist zu komplex um hier textlich abzutauchen. Du machst hier aber manchmal über drei Ecken Dinge, bei denen anderen die Augen aus dem Kopf fallen.
Die Spielspaß-Presse
Das Geile, du baust dir diese Möglichkeiten jede Partie selbst. Das Ausquetschen des letzten Tropfens an spielerischer Möglichkeit und das brutale Optimieren der selbst erstellten Optionen begeistert einfach immer wieder! Dabei sorgt die hohe Variabilität an ausliegenden Optionen, unterschiedlichen Fraktionsfähigkeiten, gezogener Missionskarte und dem zufälligen Aufbau auf dem Spielbrett für immer neue Wege.
Obacht!
Ihr merkt schon, die Rezension zu Revive wird kein Verriss. Trotzdem hat das Spiel mit dem schicken Cover ein paar Ecken. Keine scharfkantigen, die weggeschliffen gehören, aber man sollte drum wissen. Der Spielaufbau ist so schnell erledigt, wie Kerzen kaufen am Samstagnachmittag bei IKEA. Und wenn man dann bei der Erkundung ein Plättchen auf dem zusammengepuzzelten Spielfeld umdrehen muss, ist das so elegant wie ein Walzer bei 3,7 Promille im Blutkreislauf. Ergo, das Spielfeld mit seinen zig Plättchen verrutscht. Ich bin ein Freund von gleichen Spaltmaßen und da grenzt Revive an Folter. Was tut man nicht alles für tolle Erkundungsreize und Variabilität.
Noch nicht das Ende der Kantenbesprechung. Das Thema ist und bleibt selbst durch die Story teilweise nebulös. Was sind bitte diese Alien-Hirn-Schädel-Dings-Bumms? Und aufgrund der möglichen Analyse Paralyse und einer ab dem Mittelteil vielleicht nicht zu unterschätzender Downtime beim Auspressen von Powerzügen aus dem Spielmaterial, wäre es zu viert nicht meine Wahl. Kann man machen, ich spiele es lieber zu dritt oder zu zweit. Letzteres ist dann von der Spielzeit fast ein Absacker.
Fazit
So langsam wird es mir fast peinlich, aber mit Revive ballert sich ein weiterer Titel in der zweiten Jahreshälfte in Top-Auswahl des Jahres 2022! Ich will hier ja auch nicht ständig Jubelarien zum besten geben, aber dieses Spiel ist der Knaller. Harte und motivierende Optimierung auf vielen möglichen Pfaden, befeuert durch den variablen Spielaufbau und den verschiedenen Fraktionen. Das Karten- und Slotmanagement kann sich ebenso sehen lassen, weil jede Aktion schwer wiegt. Obwohl viele Mechaniken bekannt sind und der Area-Control-Aspekt für Fans dieses Genre fast unspektakulär wirkt, besitzt Revive eine enorme Sogkraft. Das liegt an der charmanten Spielzeit, der enormen Verzahnung und vor allem an dem über allem thronenden Wettrennen. Durch geschickte Fokussierung im Einklang mit der gegebenen Siegpunktemechanik kann wahnsinnigen viel Druck ausgeübt werden. So ist das materialtechnisch opulente Revive am Ende ein spannender und fast als rasant zu bezeichnender Ritt auf der Meeple-Klinge!
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9 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Christian,
das hört sich sehr spannend an und könnte ein Spiel nach meinem Geschmack sein… 🙂 Weißt du schon, ob bzw. über welchen Verlag auch eine deutsche Version rauskommt?
Viele Grüße
Florian
Es erscheint im Sommer bei Pegasus Spiele. Ist sogar schon auf deren Seite gelistet.
Prima, vielen Dank für die Info! Irgendwie hatte ich schon fast erwartet, dass das Spiel bei Pegasus erscheint… 🙂
Mir gefällt es auch sehr gut, mit Bitoku und mMarrakesh kämpft es um meinen 2022 Spitzenplatz.
Ich hoffe es bei Pegasus etwas günstiger zu bekommen, sonst hätte ich wohl schon die 70€ investiert. Leider mittlerweile ein Normalpreis.
Heute die erste Partie absolviert, richtig gutes Spiel. Zu viert mit Erklärung in 3h gespielt
Habe das Spiel zu Weihnachten bekommen und leider muss ich sagen, dass ich keinen Zugang finde. Das Thema spielt ja gar keine Rolle. Es geht nur um Mechanik und Optimierung. Das ist mir zu wenig. Ich werde hier nicht abgeholt. Schade, aber das werde ich gleich bei eBay reinstellen und lieber ein buntes Marrakesh aus dem Regal holen
Hallo Thomas,
ja, dass Thema kommt kaum durch. Allerdings fand ich das nicht schlimm. Hast du die Kampagne gespielt oder einfach gleich alles reingeworfen? Ich fand, dass die kleine Kampagne wenigstens etwas Thema ins Spiel gebracht hat. Letztendlich ist das Spiel aber aus anderen Gründen reizvoll. Gerade wenn man einige Partien gespielt hat, ist die harte Optimierung und wie schnell man hier teilweise spielen kann, der Reiz es immer wieder auszupacken. Neben der natürlich gegebenen Asymmetrie.
Liebe Grüße
Christian
Moin Christian,
deine Rezension trifft es schon sehr gut. Nachdem das Spiel längere seine Zeit im Regal dahinfristete weil mich das Design noch nicht so abgeholt hat, kam es am Wochenende doch endlich mal auf den Tisch und was soll ich sagen, nach den ersten zwei Spielen waren wir schon frenetisch begeistert. Durch dem dynamischen Aufbau und asymetrischen Fraktionen hat das schon sehr viel Wiederspielwert. Allerdings ging es für unsere Verhältnisse manchmal sehr schnell zu Ende.
Was wir etwas kritisch fanden war die etwas unausbalancierten Völker-Skills. Der Heimstadterianer braucht schon recht lange bis er erstmal neben Seeorte gebaut hat und dadurch pro benachbarten See eine Ressource bekommt. Wenn du am Anfang Glück bei Formica hattest und direkt Maschinenplättchen mit Kristallen ziehen kannst, hast du mit dem Volk am Anfang einen Riesenvorteil. Oder wir haben den Skill falsch verstanden… 1 Kristall für 3 Ressourcen und das 3x oder?
Und wenn du am Anfang deine Maschine nicht so gut zum laufen bekommst und als letzter dir Artefakte schnappen kannst, kann es auch schonmal sein, das die Farben weg sind mit denen du viele Punkte bekommen kannst… Das wirkte bei uns sehr glücksabhängig.
Ansonsten mit ein paar Abstrichen sehr gutes Spiel was während des Spiels schon sehr viel Freude macht und es gar keine Endwertung bräuchte 😉
Hallo Stefan,
vielen Dank für den netten Kommentar. Ja, die Völker wirken unausgeglichen und ich hatte anfänglich eine Partie gegen meine Frau, wo sie ihre Synergien so hart durchspielte, dass ich mich verarscht fühlte.
Ich muss aber sagen, dass sich das am Ende nicht wirklich bestätigt. Das Spiel ist wahnsinnig schnell, bietet viele verschiedene Wege und manche Fraktionen muss man lernen bzw. sein Spiel umstellen. Die meisten Partien waren bei mir wirklich knapp. Das spricht für mich gegen eine generelle Unbalance.
Liebe Grüße
Christian