Kurzcheck: Darum geht es in Oltréé
Es gab eine Zeit, da führte das große Kaiserreich gegen den Herr aller Monster einen fürchterlichen Krieg. Das Kaiserreich gewann, aber bezahlte einen hohen Preis. Seitdem sind die Ländereien zerschlagen, durchzogen von Streitereien, diabolischen Kulten und unheimlichen Monstern. Die Bastion des Wiederaufbaus ist die Burg im Zentrum des Reichs. Die Spielenden übernehmen die Rollen von Helden mit einzigartigen Fähigkeiten und versuchen nicht nur das Land um die Burg herum zu schützen und den Bewohnern mit ihren Befindlichkeiten zu helfen, sondern auch die Burg auszubauen. Neben zufälligen kleinen Quests im Stile eines Arkham Horrors oder Zona und Ereignissen, die abwechslungsreiche Spezialregeln ins Spiel bringen, folgen alle einem großen Hauptplot. Dieser schenkt nicht nur stetig neue Aufgaben, sondern hält auch mit coolen Wendungen die Spannung oben. Hier wird und darf nicht mehr verraten werden.
Jede Partie besteht dabei aus einem abgeschlossenen Szenario, verschiedenen Sets aus allgemeinen Quests und einem variablen Schwierigkeitsgrad. Oltréé gibt sich hier sehr modular. Das Spiel besitzt eine dynamische Ereignisleiste, bei der ein Würfel entscheidet, wie schnell und in welcher Art sich das Spiel entwickelt. Dieser Zufall sorgt für Spannung, weil nicht alles im Vorfeld geplant werden kann. Allgemein wird viel gewürfelt, denn die meisten Herausforderungen für die Helden sind Proben über vier verschiedene Attribute. Dazu gesellt sich Aktions- und Ressourcenmanagement. Du hast bei Oltréé nur zwei Aktionen pro Zug. Das ist verdammt knapp! Und das ist ein Segen, weil es immer wieder Absprache erfordert, all die Probleme gemeinsam zu lösen. Hier erinnert Oltréé an Pandemie, weil es mit einem überschaubaren Regelkatalog, stetiger Eskalation und einem beschnittenen Aktionsradius die Daumenschrauben anzieht.
Der Plan
Der Plan ist einfach. Das Bauchgefühl sagt uns, dass uns die Chronik mit einem Angriff auf die Burg überraschen könnte. Fällt der Marker auf der Verteidigungsleiste auf den Nullpunkt, haben wir verloren. Gleiches passiert auf der Ruhmleiste, aber da stehen wir etwas besser da. Also will ich mit meiner ersten Aktion in den westlichen Weiler reisen und dort mit der zweiten Aktion Steine sammeln. Meine Frau steht nämlich in der Burg und könnte in ihrem Zug dann mit meinem gesammelten Steinen und den zuvor gesammelten Brennstoffressourcen einen Turm bauen. Das schützt die Weiler und verbessert unsere Verteidigungsleiste.
Die Daumenschrauben
Meine Runde beginnt mit dem Wurf des Aktivitätswürfels. Ich würfle einen Pfeil und bewege mich einen Schritt auf der Aktivitätsleiste und lande auf dem Ereignisfeld. So kommen neue Quests ins Spiel. Ich werfe den Ortswürfel, um zu bestimmen, in welchem angrenzenden Weiler die Quest gelegt wird. Es ist der südöstliche. Nun liegen dort viert Quests. Heißt, das Gebiet ist gefährdet. Verdammt! Pro gefährdeten Gebiet wird bei der Auslösung eines Ereignisses auf der Aktivitätsleiste uns ein Ruhm abgezogen. Können wir uns das leisten? Kurzes Nägelkauen. Wir entscheiden uns für ein zaghaftes Ja. Der Turm ist wichtiger. Ich ziehe meinen Zug durch. Meine Frau ist dran. Sie wirft mit dem Aktivitätswürfel einen Punkt. Heißt, der Marker bleibt beim Ereignis stehen. Verdammt! Wir verlieren einen Ruhm und ziehen noch eine Quest. Der Ortswürfel bestimmt als Ziel den Nordwesten. Wieder liegen vier Quests aus und der nächste Gefährdet-Marker wird ausgelegt. Unser aufgebauter Ruhm ist in Gefahr! Es eskaliert. Kann meine Frau jetzt eine Aktion aufs Bauen verschwenden oder muss sie die Weiler retten?
Zwickmühlen
Diese kleine Zwickmühle ist die Essenz des Spiels. Statt eines weiteren Ereignisses hätte auch der Aktivitätsmarker ein Feld weiter gezogen werden können und ein Problem erscheint. Dies sind Karten, die offen in einen Weiler platziert werden und dort das Aktionsfeld sperren. So lange sich z. B. die Einwohner darum sorgen, wo der vermisste Holzfäller ist, kann dort kein Holz gesammelt werden. Vielleicht wurde der Weiler auch ausgeraubt und deshalb kann ein anderer Weiler gerade keinen Tauschhandel ermöglichen. Auch diese Probleme muss man aktiv lösen! Und dabei haben wir doch nur zwei Aktionen pro Mitspielenden. Bleibt der Aktivitätsmarker auf der Leiste auf dem Hindernisfeld stehen, hätte es sein können, dass ein Gewitter die Burg weiter beschädigt, eine Flut einen Weiler nicht betretbar macht oder Dauerregen die Aktionen Bauen blockiert.
Viele unterschiedliche Kleinigkeiten summieren sich und müssen geschickt gelöst werden. Als Spielgruppe verewigt man seine Kauleiste manchmal gemeinsam in der Tischplatte. Die Burg ausbauen, um weitere Würfel für Proben oder Spezialfähigkeiten als Gruppe zu erhalten, und gleichzeitig die Weiler retten und Probleme zu lösen, erfordert ein flexibles Vorgehen und ständige Anpassung.
Tolles Eintauchen
Ihr merkt schon, es wird eine coole Immersion erzeugt. Überall lauern kleine, hübsch illustrierte Geschichten. Die Provinzen erwachen so am Spieltisch und eine coole Atmosphäre unterlegt das Spiel wie eine fein gewebte Tischdecke. Als Gruppe genießt man dabei die ganzen schwierigen Momente. Spielerische Herausforderung, die einen atmosphärisch Eintauchen lässt und dabei niemals überfordert oder in mathematische Rechenübungen wie in Die Legenden von Andor ausartet. Und genau deshalb kann man auch nach einem stressigen Tag, wo die energetische Kurve schon durch den Kellerboden gebrochen ist, eine Runde Oltréé genießen.
Auch die Quests mit ihren kleinen Entscheidungsmöglichkeiten sind von guter Machart. Es gibt je nach Chronik unterschiedliche Sets, die zusammen gemischt werden. Das erhöht die Abwechslung. Aber auch innerhalb der Sets weiß man nicht so schnell, was einen erwartet. Ähnliche Ausgangssituationen, mit gänzlich anderem Ausgang. Nicht immer ist der vermeidlich glorreiche Weg, der bessere.
Etwas unglücklich
Trotzdem gibt es eine Sache, wo ich in Oltréé etwas zwiegespalten bin. All die Aufgaben im Spiel und die gemeisterten Herausforderungen durch die Hauptchronik sind oftmals so angelegt, dass sie auf unterschiedliche Art im Finale eine entscheidende Probe beeinflussen. Von dieser letzten Probe hängt der Ausgang der Geschichte ab. Wer nicht gut spielt, der braucht wahnsinniges Glück, was ich absolut in Ordnung finde. Dann probiert man das Szenario gerne noch einmal! Wer allerdings wahnsinnig schlecht würfelt, obwohl er gut gespielt hat, verliert trotzdem. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber durchaus vorhanden. Ich hätte es besser gefunden, wenn es in den Chroniken davor schon etwas mehr Verzweigungen gegeben hätte und nicht erst im Finale. Das erhöht für mich auch den Wiederspielreiz, gleichzeitig ist die Fallhöhe im Finale geringer. Wer weiß, vielleicht ist das etwas für Erweiterungen?
Fazit
Den Umstand des Finales verzeihe ich Oltréé aber locker. Ich spiele nicht für den letzten Würfelwurf im Finale, sondern für die Geschichten und immersive wie kommunikative Verzauberung, die in dieser Spielschachtel lauert. Das kooperative Spiel ist vielleicht kein Innovationsmotor, wenn auch die dynamische Aktivitätsleiste durchaus als frisch empfunden werden kann, aber die Zusammenstellung der Mechaniken lässt mich gerne in die Szenarien galoppieren. Ja, es bedarf gemeinsamer Planung, um mit wenigen Aktionen all die spannenden Aufgaben zu meistern, aber Oltréé hält die Balance aus Herausforderung, Spielzeit und Abwechslung. Keine ausufernde Kampagne, keine mathematisches Planungsspiele, keine Spielschachtel in der ein Kleinwagen geparkt werden kann und trotzdem gute Unterhaltung. Das macht Oltréé gepaart mit seiner Tischpräsenz durch sein enorm wertiges Material zu einem Spiel, das man einfach gerne aus dem Regal zieht.
Information: Im Spiel ist ein Bonus-Szenario als Überraschung enthalten, welches nicht in der Anleitung aufgeführt ist.
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Ach cool! Ich hatte es auf meiner SPIEL`22-Liste und stand sogar davor. Aber es war spät, ich müde, das Messe-Personal hatte schon diesen panischen Blick „fragt er etwa noch“. Ich wollte uns allen einen Gefallen tun und das auf morgen verschieben. Aber der nächste Tag war dann doch wieder mit ganz viel anderen tollen Sachen belegt. Umso schöner jetzt euer schönes Review zu lesen … „leider“ bleibt es damit ja doch nur auf der „muss ich mal irgendwann spielen“-Liste und kann nicht aussortiert werden.
Danke 🙂