Lesezeit: 6 Minuten
Sanctum ist wohl so nah dran an dem Videospiel Diablo, wie es nur sein könnte. Als einfacher Abenteurer metzelt man sich durch Gegnerhorden für Loot – ja, Beute passt in dem Kontext einfach nicht – und levelt dabei seinen Helden auf. Neue Fähigkeiten gelernt, fette Schwerter und Rüstungen angezogen und auf zur Kathedrale und zum teuflischen Endboss! Man kennt das, die Umsetzung als Brettspiel so aber nicht. Mein neunjähriger Sohn war schon beim Auspöppeln in Ekstase verfallen und ich gebe zu, als Diablo-Fan seit 1997 war meine Endorphinausschüttung auch nicht gerade im Keller. Nach einigen Partien setzte das Heldenschwert aber Rost an und in Sanctum brüllte der Boss ganz ohne Heldenbesuch. Was war passiert?

Kurzcheck: Darum geht es in Sanctum

Die Reise beginnt!

Jeder Teilnehmer an der Hatz auf den Erzdämon in Sanctum schnappt sich einen von vier typischen Helden (Barbar, Schurke, Windtänzerin, Waldläuferin) und macht sich auf eine Reise über wunderschön gestaltete Spielbretter. Ja, Sanctum ist definitiv etwas fürs Auge. Die Aktionsmöglichkeiten sind dabei übersichtlich. Entweder bewegt man sich und löst dabei die Verfolgung von niederen Dämonen aus, man kämpft gegen die Verfolger und erhält dadurch neue mächtige Gegenstände und schaltet Fähigkeiten frei oder man rastet, um seinen Helden auszurüsten und erschöpfte Fähigkeiten wieder aufzufrischen. Der Kampf basiert dabei auf einfacher Würfelmanipulation.

Da jeder für sich kämpft und Sanctum keinerlei kooperative Aspekte besitzt, ist es eher eine Art Wettrennen zum Endboss. Dort angekommen startet die finale Schlacht! Diese ist eine Art Spiel im Spiel und fordert einem alles ab. Gewonnen hat derjenige, der den Oberdämonen besiegt und noch am meisten Lebenspunkte besitzt. Das klingt nicht nur komisch, sondern schüttet nach all der Strapaze ordentlich Demotivation aus. Aufgrund des einfachen Spielprinzips ist Sanctum nach meiner Erfahrung schon für brettspielerfahrene Grundschulkinder ab der dritten Klasse zu meistern.

Einfacher Kampf

Der normale Spielablauf in Sanctum startet mit der Aktion Bewegung, bei der ich mir ausliegende Monsterkarten auf meinen Heldentableau lege. Jedes Monster besitzt dabei unterschiedlich viele Würfel und Augen. Danach folgt als nächste Aktion meist der Kampf. Man muss nämlich gegen alle Monster gleichzeitig kämpfen und eine weitere Bewegung würde nur noch mehr Dämonen anlocken. Der Kampf ist schnell abgewickelt. Würfelpool werfen und geworfene Augen mit denen der Monster abgleichen. Passt es, hat man die Widersacher besiegt. Ansonsten nutzt man nun seine Ausdauer- und Fokusmarker um damit Ausrüstung zu aktivieren, mit denen man die Würfel so manipulieren sollte, das alle Monster besiegt sind. Falls dem nicht so ist, kann man weitere Marker ausgeben um mit Rüstungen Schadenspunkte zu blocken. Dieses Prinzip wird im Laufe des Spiels nie komplexer und man findet Fernkampf- wie Nahkampfkonflikte ebenso wenig wie Sonderfähigkeiten bei den Dämonen wie Gift, Konter oder Block.

Simpel: Würfel das was auf den Monstern steht.

Ein großartiges Grundgerüst

Werfen wir einen Blick auf das Highlight von Sanctum: die Charakterentwicklung. Wenn ich Dämonen erledige, schalte ich damit Schritte mit Edelsteinen auf meinem Tableau frei. Es gibt rote, grüne und blaue Dämonen und entsprechend Edelsteine, wobei weiße Edelsteine als Joker gelten. Die Fähigkeiten der Helden sind in drei Stufen gestaffelt und beim Spielaufbau werden diese mit Edelsteinen besetzt. Erst wenn ich alle Edelsteine von einer Fähigkeit geschoben habe, ist diese erlernt. Die Edelsteine werden dabei von unten nach oben geschoben. Möchte ich eine Fähigkeit der Stufe drei freischalten, schiebe ich die darauf befindlichen Steine auf die Stufe zwei darüber. Dort liegen nun noch mehr Edelsteine, entsprechend schwieriger ist das Freischalten dieser Fähigkeit. Wo und wie ich meinen Charakter entwickel liegt also an der Dämonenart (Farbe) plus der Bewegung der Edelsteine auf dem Skilltableau.

Das ist aber nur der halbe Spaß! Besiegte Dämonen-Karten beeinflussen nicht nur die Bewegung der Edelsteine, sondern schenken auch neue Gegenstände. Auch hier weiß ich vorher durch ein Icon welche Gattung mich erwartet und anhand der Farbe kann ich beurteilen welche Marker (Fokus oder Ausdauer) die Benutzung der Waffe mich später kostet. Das Wichtigste aber, um in der Aktion Rasten einen Gegenstand auszurüsten, brauche ich seinem Level entsprechend ein bis drei Edelsteine der Gegenstandsfarbe. Die brennende Feueraxt braucht z.B. drei rote Edelsteine. Die Edelsteine erhalte ich sobald Edelsteine von Stufe 1 in den Vorrat geschoben werden. Wer also auf eine starke Fähigkeit der dritten Stufe schielt, der weiß, dass er temporär weniger Edelsteine im Vorrat hat, weil es länger dauert bis er Steine in den Vorrat schieben kann. Die Verzahnung aus Dämonenfarbe, Gegenstandsbelohnung und den Edelsteinen ist wirklich mega motivierend und eine absolut frische Mechanik!

Das Freischalten der Fähigkeiten ist motivierend.

Steinige Reise?

Der Endkampf ist schon recht episch inszeniert.

Die Charakterentwicklung ist wirklich der Knaller! Hier bastelt der erfahrene Spieler genauso gerne wie der Grundschüler. Man schielt auf praktische Fähigkeiten, hadert mit der Auslage an Dämonen und blickt mit Spannung auf seine Edelsteinpositionierung. Abseits dessen entsteht aber wenig Spannung. Die Kämpfe vor der Begegnung mit dem Erzdämon sind keine Herausforderung, sondern zielen einzig auf die Charakterentwicklung. Von seinen 10 Lebenspunkten verliert man auf der Reise keinen. Ich habe es zumindest noch nicht erlebt. Langweilig! Auf der anderen Seite wichtig, weil der Endboss einem die Lebenspunkte wie ein Schluckspecht absaugt. Beim Endboss folgt Schelle auf Schelle! Mehrere Runden hintereinander, dazu fiese Sonderfähigkeiten des Erzdämons und kein Rasten mehr für die Helden. Wer davor Lebenspunkte verliert, der hat wenig Chancen auf den Sieg, vor allem weil man während des Spiels keine Lebenspunkte regenerieren kann. Die lange Reise ist also eine reine Ausrüstungsphase, um möglichst optimal vorm Erzdämon zu stehen. Zugegeben, der Kampf ist dann episch.

Dazu ist das Spiel von Anfang bis Ende absolut solitär. Man tauscht keine Gegenstände, kann sich im Kampf nicht helfen und selbst der Endboss mit seinen Kampfkarten wird für jeden Helden separat ausgelegt. Bei vier Spielern sitzt man hier schon gute zwei Stunden nebeneinander, ohne das man irgendwelche direkteren Berührungspunkte hat. Ja, man kann sich bei der Monsterauslage die Karten klauen, aber das ist Pillepalle. Insgesamt fühlt sich Sanctum hier falsch an.

Was ich vermisse

Wer nun den Fokus weg vom Familienspiel nimmt und mehr Diablo- und Dungeon-Crawler-Fan ist, der wird vom Anspruch auch enttäuscht. Die Helden taugen für ein paar Durchgänge, aber am Ende bleibt das Spiel zu ähnlich. Das der Weg an sich keine Herausforderung bietet und nur einfache Würfelmanipulation bietet, rächt sich. Bei der coolen Charakterentwicklung ist das liegengelassene Potenzial schmerzhaft. Warum haben normale Dämonen keine Sonderfähigkeiten oder mehr Variabilität? Wieso ist die Anordnung der Dämonen auf dem Spieltabelau irrelevant? Auch wird nicht bei Fern- und Nahkampf unterschieden! Wo sind weitere Spezialwürfel oder Set-Items für die Helden? Wieso hat man bei den Heldenfähigkeiten keine austauschbaren Fähigkeiten zum Spielstart, um die Abwechslung zu erhöhen? Sanctum fühlt sich für Vielspieler unnötig beschnitten an. Ein kooperativer Modus wäre auch schön gewesen. An dieser Stelle ein Stoßgebet an den Verlag CGE, auf das sie mit Erweiterungen das Spiel durchgängig auf das Niveau der tollen Charakterentwicklung bringen.

Kurz vorm Finale.

Fazit

Sanctum lässt mich verzweifelt zurück! Der einzigartige wie motivierende Umgang mit dem Heldentableau, mit all seinen Fähigkeiten und dem motivierenden Edelstein-System, lädt mich immer wieder in die Welt um Sanctum ein. Wunderbar reduzierte Aktionsmöglichkeiten, eine grandiose Gestaltung des Materials, ein kniffliger Bosskampf und das all ohne nervigen und aufwendigen Dungeon-Crawl. Sanctum zeigt sich als kampflastiges Abenteuer für Familien im Diablo-Gewand! Fast könnte ich den Heldenhut ziehen, wenn da nicht die scharfen Krallen der ungenutzten Möglichkeiten das Tuch des Spielspaßes malträtieren. Vor allem, wenn man mehr erwartet als einfache Würfelmanipulation auf Familienspielniveau. Hier wäre so viel mehr drin gewesen. Flexiblerer Aufbau der Charaktere zum Spielstart, kniffligere Dämonen und eine herausfordernde Reise, die in Sanctum nie mehr als eine überlange Ausrüstungsphase ist. Ich hoffe auf gelungene Erweiterungen, denn das Grundgerüst ist zu gut als das Sanctum in diesem Status verharren darf! 

Sanctum

64,95 €
7.3

AUSSTATTUNG

8.0/10

SPIELIDEE

7.0/10

SPIELSPASS

6.8/10

Kurzfakten

  • Schickes Material
  • Motivierende Charakterentwicklung
  • Edelsteinsystem frisch
  • Während der Reise zu monoton
  • Extrem solitär

Spielinformationen

  • Genre: Kampfspiel
  • Spieler: 2 - 4
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Dauer: 60 - 120 Minuten
  • Rezensionsexemplar erhalten
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

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