Das kooperative Soul Raiders hat mich durch mein enormes Interesse an narrativen Abenteuerspielen schon im Kickstarter hart entflammt. Ganze 800 schick illustrierte Karten versprachen über 30 Stunden fetzige Action in einer charmanten Mischung aus Asia-Samurai-Fantasy und mystischer Magie. Ich spürte einen Hauch von Onimusha. Mit sabbernden Augen liebkoste ich das famose Deluxe-Material. Oder war es ein stierender Mund? Egal. Mein Körper spielte verrückt und schrie „haben-wollen“. Wenn dann in der Kampagnenbeschreibung auch noch von gewichtigen Entscheidungen, verschiedenen Wegen und motivierenden Wiederholungen à la T.I.M.E Stories die Rede ist, schlägt der Hype-Angelhaken schon durch die Gaumendecke mitten ins Hirn. Und dann kam die Post …
Kurzcheck: Darum geht es in Soul Raiders
Bevor wir zur Post und damit zur Paketannahme kommen, ein kurzer Faktencheck zu Soul Raiders. Wir befinden uns in einer mystischen Welt und beginnen unseren Tag als Auszubildende, die kurz vor ihrer Abschlussprüfung stehen. Wir wollen nämlich erst noch coole Soul Raider werden. Also schnappen wir uns eine Figur, ein Tableau, ein Kartendeck und starten das erste Szenario. Das ist zwar kein klassisches Tutorial, denn ihr müsst die Anleitung schon vorher lesen, aber es führt in die Welt ein und ist kürzer gehalten als die folgenden drei Kapitel. Darum verrate ich zum Hintergrund an dieser Stelle nichts, ich würde euch einen Teil der Spielerfahrung nehmen.
Mechanisch ist Soul Raider einfach gestrickt und lehnt sich an bekannte Konzepte wie Adventure Games, The 7th Continent oder T.I.M.E Stories an. Es gibt große Ortskarten, auf denen unsere Minis stehen, mit diversen Interaktionspunkten (Zahlencodes). Dort können wir mit unserer Heldenfigur meist über eine Fähigkeitsprobe neue Ereignisse auslösen, neue Orte entdecken oder anderweitig Karten erhalten. Die Fähigkeitsproben oder Bewegungen der Minis werden nicht über Würfel, sondern über Handkarten abgewickelt. Soul Raiders hat nicht umsonst über 800 Karten und erschafft damit eine beeindruckend dynamische Umgebung! Es warten also unzählige Pfade, Ereignisse, Storykarten und Überraschungen.

Gigantismus
Zurück zur Post. Als ich das Paket erhielt, war ich zunächst maximal überrascht. Soul Raiders ist ein Eye-Catcher. Souls Raiders ist aber auch ein Platzvernichter. Die Brettspielschachtel mit Magnetverschluss ist als Buchform gestaltet und ohne Probleme das größte und schwerste „Buch“, welches ich je in den Händen gehalten habe. Jedes Kallax-Regal wird an diesem Spiel verzweifeln. Dieser Gigantismus zieht sich durch das gesamte Spiel. Das Rundentableau, die Marker, die Ortskarten – alles ist eine Spur zu groß. Schon im ersten Kapitel gab es so viele Ortskarten zu besuchen, eine gescheite Anordnung auf einer Spielfläche von 100 × 160 cm war nicht zu denken.
Klingt dramatisch, und als Atmosphäre-Junkie war es zunächst eine Enttäuschung, denn anders als beispielsweise bei T.I.M.E Stories oder Tainted Grail werden die Ortskarten nicht passend aneinandergelegt. Viele Ortskarten sind autark, wenn auch logisch zusammenhängend. Aber nur weil ich eine Tür weitergehe, passt der nächste Raum als Ortskarte eben nicht direkt an den letzten Raum. Entsprechend können die Karten einfach irgendwie auf den Tisch gelegt werden. Da ich zusätzlich durch viele Wege, Ereignisse und massig Ortskarten überall von Zahlen erschlagen werde, ist Soul Raiders stellenweise als unübersichtlich zu bezeichnen. Verstärkt wird dies, weil es durchaus Sinn ergibt, wenn nicht alle Spielenden den gleichen Weg einschlagen. Zu viert gleicht der Spieltisch dann einem Orts-Zahlen-Karten-

Aber das Spielvergnügen …
Klingt jetzt vielleicht nicht nach glänzender Spielspaßklinge, sondern nach schartigem Katana. Ich gebe aber zu, dass Soul Raiders einen schon in seinen Bann zieht. Absprachen wechseln zwischen uns. Wer hat welche Karten für welche Aktionen auf der Hand? Wer steigt in den Brunnen hinab? Wer rennt die Treppe hoch? Später verändert sich durch das Ausgeben von Erfahrungspunkten sogar das persönliche Deck. Die verschiedenen Charaktere spielen sich anders, entsprechend motivierend ist die Aufgabenteilung für alle. Auf kooperativer Ebene macht Soul Raiders zunächst viel richtig.
Und natürlich muss sich gemeinsam um aufkommende Gegner gekümmert werden. Diese fluten meist jede Runde an! Soul Raiders hat dabei ein einfaches System, welches aber überzeugend Druck aufbaut! Je nach Eskalationsstufe und Aufenthaltsort werden bei Ereignissen unterschiedlich viele Monsterkarten an die Spielenden verteilt, die mit ihren gelungenen Fähigkeiten für Herausforderungen sorgen. Dicke Brocken tanken den Schaden, flinke Gegner hindern am Wegrennen. Ihr kennt das, aber auch hier macht es Spaß. Besonderheit: Alle Helden und Heldinnen teilen sich einen Lebenspunktevorrat.

Nicht nur das Leben
Denn der Lebenspunktevorrat definiert unser aller Handkartenlimit. Lebenspunkte zu verlieren, tangiert also immer die ganze Gruppe. Eigentlich ein cooler Kniff. Dazu gesellt sich dann noch eine Art Gefahrenleiste. Ereignisse im Spiel, manche besuchte Orte oder schlechte Entscheidungen lassen die Gefahrenleiste ansteigen. Diese wiederum definiert den stattfindenden Lebenspunktverlust am Ende jeder Runde und die Anzahl an Monsterangriffen. Und sie sorgen letztendlich auch für ein negatives Spielende. „Papa!“, ruft mein Sohn, „Meine Daumen schmerzen so sehr!“ Tja, immerhin hat er noch welche. Meine sind zerquetscht. Ich rede natürlich von der spielerischen Daumenschraube. Soul Raiders weiß ganz formidabel die Spielgruppe von der ersten Aktion an unter Druck zu setzen. Der Spielstart ist nämlich der Höhepunkt der Heldenmacht. Mit jeder Aktion, mit jeder Runde, mit jedem Angriff und mit jeder schlechten Entscheidung siehst du anhand der Leisten dein kommendes Game Over näherkommen. Schnell winkt es dir vom Horizont! Das Spiel wird nach hinten raus immer schwerer. Das ist absolut antizyklisch. Die Frage ist, ob solch eine spielerische Antiklimax dazu taugt, in einem Abenteuer- und Erkundungsspiel für Motivation zu sorgen.
Natürlich sorgt es zunächst für unentwegte Absprache! Ich will als agiler Samurai gerade meine tollen Bewegungshandkarten ausgeben, um noch diese letzte „Klippe“ zu erklettern. Meine Frau hat aber ebenso recht, mich anzumahnen, dies nicht zu tun, sondern lieber die Karten für eine weite Erkundung über möglichst viele Karten anzutreten. Die Gefahr sitzt uns im Nacken! Wir schielen auf die Lebenspunktleiste und wissen, in wenigen Runden werden wir nur noch zwei oder drei statt vier Handkarten besitzen. Dazu kommt, dass wir durch einen narrativen Einstieg zwar immer eine Ahnung davon haben, was wir erreichen müssen, aber diverse Wege, eingestreute Nebenquests und allerhand Überraschungen unentwegt für Ablenkung sorgen. Wir stolpern also eher durch das Dungeon. Der Autor Marc André erklärt auf Kickstarter selbst: Scheitern gehört dazu, damit beim nächsten Anlauf der bessere Weg gefunden wird. Ich liebte diesen Ansatz in T.I.M.E Stories. Liebe ich ihn auch hier?

Der Seelenvernichter
Zwei einfache und fiktive Beispiele, um nichts zu spoilern. Mein Sohn frohlockt mit geballten Fäusten, dass endlich der Orkboss besiegt sei! Einen fetten Schatz haben wir auch schon gehoben. Da winken Erfahrungspunkte und bald die nächste tolle Karte fürs Deck. Der Weg dorthin war lang und schwer. Blöd nur, dass der Orkboss eine Nebenmission war. Nach 2 Stunden intensiven Spielens, nach unzähligen spannenden Diskussionen, in denen wir unsere Hände rangen wie schmierige Händler, sterben wir. Der Tisch voller hundert Karten. Trotzdem verloren. Reset! Wir haben das Questziel einfach nicht gefunden und zwischendurch wohl zu viele schlechte Entscheidungen getroffen. Andere Zeit, ein anderer Ort. Wir haben Kartenglück, nehmen einen schwierigen Weg, direkt weg vom Start. Stolpern durch Zufall bei wenigen dann aufkommenden Entscheidungen direkt zum Missionsziel. Keine Nebenmissionen. Keine epischen Kämpfe. Keine Erfahrung. Aber das Kapitel ist geschafft.
Das Problem: Am Ende sind beide Spielerfahrungen nicht positiv besetzt. Soul Raiders hat ein zufälliges Pacing. Die Spielzeit pro Kapitel ist nicht abschätzbar. Wer scheitert, muss sich überlegen, was er alles wieder auf sich nehmen will und wo anders agiert wird, damit eben das Ziel gefunden wird. Bei all den Wegen, bei der Größe der Kapitel, habe ich allerdings kein schnelles Wiederholen, kein motivierendes Try & Error wie bei T.I.M.E Stories gefunden. Diese große Portion Zufall ist, gerade bei der möglichen Spielzeit und der Üppigkeit der Kapitel, keine gelungene Mischung, gerade bei der eingebauten Abwärtsspirale. Ja, es gibt nur drei Kapitel und diese sind theoretisch episch. Es gibt tolle Erkundungsreize, die aber durch den hohen Druck abgewürgt werden. Praktisch wären kleinere, abgestimmte und in sich dann knackige Szenarien besser gewesen als diese Wundertüte von Erkundungssandbox.
Fazit
Soul Raiders will viel. Gigantisches Material, überbordende Kartenzahl und die Verheißung epischer Abenteuer schüren Erwartungen, die erst einmal tatsächlich Feuer fangen. Kooperative Absprachen, drückende Gegnerwellen, ständige Entscheidungen und ein System, das die Helden von Anfang an mit einer schmerzhaften Daumenschraube fixiert. Ja, das sorgt für spielerische Spannung, für Diskussionen und für Momente echter Begeisterung, gerade dann, wenn sich vor den Augen der Spielgruppe Orte dynamisch passend verändern und wir auf der passenden Fährte zum Questziel wandeln. Soul Raiders zeigt aber noch eine andere Seite. Die harte Abwärtsspirale aus sinkenden Lebenspunkten und fiesen Ereignissen als mechanischer Hauptmotor und der große Einfluss des Zufalls können Spieldurchgänge in purer Frustration enden lassen. Vielleicht durch ein unglückliches falsches Abbiegen nach Stunden oder durch ein zu schnelles, zufälliges Durchstolpern zum Ziel. Statt eines auf dem Pfad der Logik „motivierenden Scheiterns“ wie bei T.I.M.E Stories, bleibt hier eher ein schaler Beigeschmack, auch aufgrund der Üppigkeit des Spiels. So manifestiert sich Soul Raiders zu einem Abenteuer mit zu vielen Widersprüchen: visuell beeindruckend, atmosphärisch teilweise dicht und mechanisch zumindest in der Theorie spannend angelegt, ist es aber zugleich viel zu unausgewogen und mit zu viel Zufall durchzogen. Es kann hier eine packende Geschichte erlebt werden – doch genauso wird dir vielleicht die Spielspaßseele geraubt.

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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Moin Christian,
das Spiel hat mich damals im KS auch so brutal abgeholt. Jetzt steht es auf meinem Schreibtisch, da es in kein Regal passt, und grinzt mich täglich an 😉
Trotz der Kritikpunkte die du schilderst und die ich auch schon von anderen Rezensionen gehört habe, bin ich weiterhin heiß auf das Game.
Aber eine Frage hätte ich: nimmt man aus einem Durchlauf, nachdem man gescheitert ist, etwas in die nächste Runde mit (Ausrüstung, Karten, etc.) oder nur das „Wissen“ über die Welt und den gewählten Weg? Falls Ja, würde mich dies vermutlich trotzdem motivieren möglichst viele Nebenquests zu erleben und sich dadurch weiterzuentwickeln.
BG Marc
Hallo Marc,
grundsätzlich ist es so, dass, wenn du ein wirkliches und damit schlechtes Game Over erreichst, du alles zurücksetzt. Das heißt: alle Nebenquests, alle verdienten Erfahrungspunkte und innerhalb des Kapitels auch erspielte Karten. Du „lädst“ einen neuen Speicherpunkt. Das ist ja das entsprechende Ärgernis. Es gibt viel innerhalb der Kapitel zu entdecken, manches ist auch durchaus nützlich oder emotional packend, aber wenn du verlierst, ist das gar nichts wert.
Liebe Grüße
Christian
OMG….als ich schon gelesen habe: Statt eines auf dem Pfad der Logik „motivierenden Scheiterns“ wie bei T.I.M.E Stories…Sorry, diesen Pfad habe ich nie gesehen. Bei T.I.M.E Stories habe ich mich 90 Minuten durch ein Szenario gekämpft, mit meiner letzten Kraft einen Gegner oder ein Monster besiegt, um dann zu erfahren dass ich in einer Sackgasse war. Und das war der dritte Durchlauf des Szenarios weil das Spiel „angedeutet hat“ dort gäbe es wichtige Dinge zu entdecken. Sorry da bin ich einfach raus. Soviel Zufall ist nicht meins. Warum macht man nicht ein Spiel, in dem man sich für einen Strang entscheidet? Danke für die Rezension, ein Spiel mehr was man links liegen lassen kann.
Hihihi Markus 🙂 Ich hatte genau dich im Ohr und eine ähnliche Aussage, als ich diesen Satz geschrieben habe. 🙂 Ich habe darüber wirklich nachgedacht, weil T.I.M.E Stories sicher ähnliche Tendenzen besitzt. Der Unterschied ist aber die Szenariogröße. In Soul Raiders ist ein Kapitel um ein Vielfaches größer als in T.I.M.E Stories ein „Fall“. Zudem gibt es in T.I.M.E Stories viel mehr Anhaltspunkte. Ja, auch dort wandelt man mal unsicher herum, aber du hast ein viel klareres Ziel, es entwickelte sich bei uns immer ein Gefühl für den Weg. Ja, auch wir scheiterten. Wir haben die Szenarien ca. 2 bis 3 Mal gespielt, um zu einer Lösung zu kommen. In Souls Raider dauert eine Partie mit Pech aber wesentlich länger. Und wenn du Game Over gehst, dann nicht, weil du in eine Sackgasse gelaufen bist (in die du nicht mehr läufen würdest), sondern weil du das Ziel nicht gefunden hast. Das ist eher nervig! Was machst du dann beim nächsten Mal anders? Vor allem, weil du evtl. die gleichen Nebenmissionen schaffen willst? Bei einem Rogue-like stirbt man ja auch immer wieder. Wichtig ist, dass das Leveldesign funktioniert. Das hat es für mich bei Soul Raiders leider nicht.