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Kurzcheck: Darum geht es in Zug um Zug Legacy
Rezensionen über Legacy-Brettspiele sind immer so eine Sache, ich will ja nicht spoilern. Ich beschränke mich daher auf die erste Partie und bleibe beim Rest nebulös und konzentriere mich eher auf das Spielgefühl und die Spielmotivation. Zug um Zug Legacy fängt ganz klassisch an. Die erste Partie spielt an der Ostküste der USA und bringt mechanisch Bekanntes zum Vorschein. Jede Person übernimmt eine Eisenbahngesellschaft und versucht, am Spielbeginn verdeckt gezogene Städte miteinander zu verbinden. Das geschieht über das Sammeln von gleichfarbigen Karten, mit denen dann farbige Teilstrecken gebaut werden können. So verbindet man Stück für Stück die Städte und erschafft ein Netzwerk. Zug um Zug ist ein Klassiker, ich spare mir hier weitere mechanische Ausführungen. Wichtig ist, das Konzept ist schnell verstanden, absolut im Bereich Familienspiel angesiedelt und ein guter Mix aus wenig Downtime und kompakter Spielzeit bei gleichzeitig hoher Interaktion, weil Strecken einmal bebaut, andere dauerhaft blockieren.
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Unfassbar
Was passiert, wenn der Papa mit einer Brettspielschachtel das Wohnzimmer stürmt, welches von der Größe einem Harry Potter bei den Dudleys als Zimmer taugen könnte und gleichzeitig historisch fett angehauchte Eisenbahnen zeigt? Schockstarre und maximale Ablehnung. Es riecht nämlich nach langweiligem Eisenbahnthema und wunden Kinderpopos vom Dauersitzen beim trockenen Expertenspiel. Zwei Partien später, die ganze Familie in Ekstase, als hätte der Papa LSD in seinen legendären Knoblauch-Kartoffelbrei gemischt. Alle wollen mehr! Alle rasten aus! Denn nach jeder Partie wird eine Box geöffnet, die so manch richtig fette Überraschung bereithält. Dazu breitet sich das Spielbrett immer weiter aus. Spoileralarm: Ein Campingtisch reicht am Ende nicht mehr fürs imposante Spielbrett. Die Materialqualität ist dabei zu jeder Zeit als herausragend zu bezeichnen.
Es sind aber vor allem die Inhalte der Schachteln, die zusätzlichen Regeln, die pfiffigen Ideen, die dieses Brettspiel so reizvoll machen. Zwar fällt die Story und Dramatik im Vergleich zu der Pandemic Legacy Reihe extrem ab und das gemeinsame heftige Abschwitzen um die Rettung der Welt wird hier logischerweise nicht erreicht, aber was das Level an zusätzlicher Mechanik und Spiele im Spiel anbelangt, schlägt es die Pandemic-Reihe. Hier staunen nicht nur Kinder, nein, ich werde nach jeder Partie ganz wuschig, weil ich unbedingt jetzt gleich die nächste Partie starten will. Hier muss dann auch angemerkt werden, dass Zug um Zug Legacy nach einigen Partien kein reines Familienspiel mehr ist, vor allem dann, wenn die Familie sonst eher wenig spielt. Zu stark steigt die Spielzeit, zu viele verschiedene Mechaniken greifen ineinander.
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Kompetitiv. Kann das gut gehen?
Ganz ehrlich, ich habe schlechte Erfahrungen mit kompetitiven Brettspielen gemacht, wenn sie einen Legacy-Aspekt besaßen. Hallo Seafall und Charterstone, ihr Pappnasen seid gemeint. Die Balance fühlt sich oft gestört an. Bei Zug um Zug Legacy fällt dies weniger ins Gewicht. Zwar übernimmt auch hier mal der Wutmensch Herr oder Frau Frust die Kontrolle über ein Familienmitglied, wie zuvor erwähnt, das Spiel ist durchaus interaktiv, weil du anderen gehörig (!) in die Parade fahren kannst, aber am Ende wird sich grundlegend über die Erfolge gefreut. Das Spiel bietet zudem Nebenschauplätze für Extra-Punkte und auch die Punktzahlen skalieren. Ein Sieg ist im Kontext der gesamten Kampagne gering und schnell vergessen alle am Tisch, wer eigentlich gerade wie viele Siegpunkte insgesamt hat. Der Clou, der diesen Aspekt gebärt: Seine Endwertung der Partie wird in eine private, bis zum Spielende nicht zu öffnende Box verstaut. Ja, es herrscht gesunde Konkurrenz, ja es herrscht kompetitive Spannung, ja, es knirscht manchmal, aber über all dem steht immer noch die Freunde am gemeinsamen Fortschritt innerhalb der Kampagne. Dazu gesellen sich kleinere Mechaniken der Frustminderungen, weil je nach Platzierungen nach einer Partie verschiedene Belohnungen warten. Fast alle bekommen ihre kleinen Vorteile.
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Zwei, vier, fünf?
Spielt es zu viert. Punkt. Okay, ohne Begründung schwer zu schlucken. Sicher geht es auch zu dritt oder zu fünft ziemlich gut. Aber anders als Pandemic, welches ich gerne zu zweit gespielt habe, lebt Zug um Zug Legacy von der Interaktion und den vielen kleinen Überraschungen, die sich freispielen lassen. Beides nimmt zu zweit ab, weil es weniger Interaktion gibt und gar nicht genug Aktionen vorhanden sind, um all das Material zu bespielen. Wer es nur zu zweit spielen kann, wird sicher auch Spaß finden, aber zu viert erscheint mir als Optimum zwischen Downtime, Interaktion und Materialerkundung. Am Ende der zwölf Partien besitzt man dann ein individuelles Spielbrett, welches für eine Partie Zug um Zug auch noch taugen kann, wenn es auch evtl. nicht ganz so gut gebalanced ist. Hey, dafür ist es euer ganz spezielles Spielbrett!
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Fazit
Meine ersten Gedanken zu Zug um Zug Legacy: zu teuer, zu langweiliges Thema und wenig gefühlten Spielreiz, durch das eher für mich biedere Grundspiel. Während der Abstimmung zum Community-Spiel 2024 ahnte ich aber schon, dass meine Gefühle nach dem ersten Ausprobieren nicht so falsch waren. Ihr habt es in die Top 10 gewählt und hätte ich es nicht erst nach Weihnachten 2024 angefangen zu spielen, es wäre definitiv in meine Top 5 2024 gewandert. Hier stimmt einfach verdammt viel! Ultragutes Material in üppiger und origineller wie thematischer Ausstattung, ein Feuerwerk an spannenden und überraschenden Regelerweiterungen und dabei so konstruiert, dass trotz sehr präsenter Interaktion, nur wenig Frust über die gesamte Kampagne hängenbleibt. Ja, innerhalb der Partien kann es schon knirschen, wenn Karten weggeschnappt, Strecken blockiert oder neue Mechaniken ungleich stark ausgenutzt werden. Aber ehrlich, das ist dann eben auch ein Stück Spielreiz. Und so bleibt es insgesamt ein mega Legacy-Erlebnis, das euch mit Tischpräsenz und Entdeckergeist an den Tisch fesselt, selbst für Leute, die mit dem eigentlichen Grundspiel nichts anfangen können. Das ist beachtlich. Daher eine absolute Kaufempfehlung!
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9 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
„Ein Campingtisch reicht am Ende nicht mehr fürs imposante Spielbrett.“
Ich finde ja, dass neben SPIELERZAHL, ALTER und SPIELDAUER inzwischen auch zwingend die benötigte MINDESTTISCHGRÖSSE auf den Schachteln vieler Spiele prominent angegeben sein müsste! 😉
Lese ich richtig raus, dass nach der legacy reise das Spiel fertig gespielt ist und quasi nicht mehr gespielt wird? Und es auch nicht zurücksetzbar ist? Falls ja, ist mir das Spiel einfach zu teuer für 12 partien.
Nachhaltigkeit darf man bei Legacy-Spielen nicht erwarten 😉
Hallo Sven,
ich habe eigentlich etwas anderes geschrieben. Du kannst es zwar nicht zurücksetzen, was ich auch niemals machen wollen würde, aber du kannst es eben so bespielen, wie es deine Gruppe sich nach 12 Partien erarbeitet hat. Ob das reicht, muss jede Person für sich beantworten. Ich selbst bekomme im Freundeskreis selten bei einer festen Gruppe auf 12 Partien. Das ist, wenn die Partien am Ende 3 Stunden gehen, ganz schön viel Zeit. Grundsätzlich steht für mich bei einem Legacy-Spiel aber die sehr besondere Erfahrung des dauerhaften Veränderns und der individuellen Entwicklung im Vordergrund. Zug um Zug und vor allem Pamdemic als Legacy-Reihe sind extrem besondere Erfahrungen, die ich so nicht missen möchte.
Pandemic Legacy Season 2 ist eines der besten Brettspielerfahrungen meines Lebens, da ist ein einmaliges Spielen von 12 Partien völlig sekundär, weil es nicht um quantitativ, sondern qualitative Erfahrung geht.
Liebe Grüße
Christian
Hallo Sven,
ich verstehe dich total, denn 90€ für ein Brettspiel, welches danach für 12 Partien taugt und danach vielleicht nicht mehr so oft gespielt wird ist auf der einen Seite heftig.
Aber: für die 90 Euro sitzen vier Personen im Schnitt 90 Minuten am Tisch, macht eine Spielzeit von ca. von 18 Stunden.
Platzmiete Badminton in meinem Verein: 18 * 20€ = 36€
Kinofilm Captain America (120 Minuten), 4 Personen à 17€ = 68€ (ohne Essen und trinken). Ich könnte entsprechend der Zeit bei Zug um Zug Legacy diesen Film 9 schauen. 68€ * 9 = 612€. Ach ja, Sprit und Parkgebühren sind nicht eingerechnet.
Brettspiele wirken auf den ersten Blick wie ein teures Hobby. Ich kaufe mir ein Spiel für fast 100€ und danach ist es nach 12 Partien eigentlich erledigt.
Das dachte ich auch. Freunde haben mir Klonk: Legacy geschenkt und ich spiele es mit Lissy und Hannah und ihrem Freund Jakob. Und was soll ich sagen? Es sit eines der schönsten Erlebnisse die ich habe. Wir sitzen, wir lachen, wir reden und ständig suchen wir nach gemeinsamer Zeit für noch eine Partie. Ich glaube es sind in der Summe 10, das Spiel hat 110€ gekostet. Das sind 11€ pro Partie. Geteilt durch 4 Personen macht das 2,75€ für 2h Erlebnis. So ein brutal gutes Preis/ Leistungsverhältnis bekommst du heute kaum noch.
Liebe Grüße
Markus
Dazu noch zwei ergänzende Gedanken:
1) Wie teuer sind so viele Kickstarter und Deluxe-Brettspiele und oft besitzen auch diese eine Kampagne. Schaue ich mich in der Szene um (was nicht repräsentativ ist), sehe ich viele Spielgruppen mit diversen Kampagnenspielen, wovon nur ein Bruchteil aktuell gespielt wird und diese meist nicht einmal durch. Wie teuer ist das?
2) Was ich hingegen verstehen kann, ist der Nachhaltigkeitsfaktor. Ein normales Brettspiel hält für die Ewigkeit. Ein Legacy-Produkt ist im Prinzip Sondermüll. Das kann man durchaus kritisieren. Ich weiß aber, dass ich unser Zug um Zug sicher später mal spielen werden, mit den Menschen, die es zu dem einen Brettspiel gemacht haben und dann auch die Erinnerungen wieder hochkommen.
Der Gipfel mangelnder Nachhaltigkeit sind die EXIT-Spiele von Kosmos und ähnliche. Die kann man nach nur einem Spiel wirklich nur noch in die Tonne kloppen.
Und die sind auch von den Kosten/Partie (und erst Recht Kosten/Spielstunde) idR noch höher angesiedelt als die allermeissten Legacy-Spiele.
Ich hab nix gegen Legacy-Spiele – aber auch leider nichts dafür: eine regelmässige feste Runde nämlich, die sich hinreichend häufig trifft.
Wir haben das Spiel nun schon ein paar Partien gespielt. Mich wundert es allerdings das es mit der Erweiterung der Landkarte nicht vorwärts geht. Bis auf Florida haben wir bisher keine Schachtel geöffnet. Ich finde auch keine Regel dazu bzw es war lediglich einmal die Aufforderung bezüglich Florida. Sprich aktuell gehen wir immer davon aus, dass wir im im Legacy Stapel erneut dazu aufgefordert werden die Landschaft zu erweitern bzw boxen zu öffnen. Ist das richtig? Mache mir gerade Sorgen, dass wir was falsch spielen und schon längst mehr Boxen hätten öffnen müssen.
ACHTUNG für alle anderen SPOILER: Oh nein, vielleicht habt ihr da einen Fehler im Spiel. Die Person, die den ersten Platz belegt, darf immer eine neue Box aka auch Spielplanerweiterung ins Spiel bringen. Das müsste irgendwo auf den Regelsticker stehen bzw. in der Anleitung. Im Legacy-Stapel wird dazu nicht aufgefordert. Oder seid ihr noch nicht so weit? Die ersten 2 oder vielleicht 3 Partien bleibt das Spielfeld noch klein. Allerdings ist es ab Florida eigentlich so, dass das Spiel dann nach jeder Partie wächst. Die Ausbreitung ist einer der Sachen, die nach dem Spielende gemacht werden. Es steht unter Punkt 7 und ist der Regelsticker „DD“