Lesezeit: 6 Minuten
Virtual RevolutionVirtual Revolution ist eine Geschichte über Verrat und den Untergang der Gesellschaft, die am besten von dir wie eine reife Orange ausgepresst wird. Du stehst als multinationaler Konzern im Zentrum und trägst hier keine weiße Weste. Dein Ziel: Die Gesellschaft durch Flucht vor der traurigen Realität in deine virtuellen Realitäten zu treiben und ordentlich Cash zu machen. Im Kampf um die Vorherrschaft in Neo Paris im Jahr 2047 mischt natürlich noch die Konkurrenz mit. Zusätzlich nerven Interpol mit Firmendurchsuchungen und fiese Cyberterroristen, die Hass auf euch Kapitalisten haben. Es geht in diesem Cyberpunk-Brettspiel von der Board Game Box also nicht nur interaktiv gegeneinander, sondern auch gegen das Brettspiel selbst. Klingt super? Hat aber zumindest einen Haken!

Kurzcheck: Darum geht es in Virtual Revolution

Durch die Einleitung solltest du nun wissen, worum es in Virtual Revolution thematisch geht. Neo Paris. 2054. Virtuelle Welten. Cyberpunk. Wer tiefer einsteigen will, schaut sich den Film zum Brettspiel an. Ach verdammt, es ist ja eher das Brettspiel zum Film. Regie und Drehbuch: Guy-Roger Duvert. Autor des Brettspiels: Neben Cyril Villalonga auch Guy-Roger Duvert. Kann das gut gehen? Cyberpunk ist aber meine verbotene Frucht. Ich kann da nicht widerstehen. Werde ich den Biss bereuen?

Mechanisch ist in Virtual Revolution nichts gänzlich revolutionär, aber es ist auch weit weg von einem uninteressanten Einheitsmix. Es kombiniert Workerplacement mit Area-Control, Set-Collection, Engine- und Aktionsbuilding mit zwei wunderbaren Strafmechaniken (Interpol & Cyberterroristen). Letzteres ist ein guter Kniff, sorgt er dafür, dass aggressive und/oder einkommensstarke Konzerne jede Runde abgestraft werden. Trotzdem, die Aneinanderreihung von bekannten Mechaniken, die ich jetzt hier mit der Info Punktesalat am Spielende noch weiter „abschmücke“, könnte für ein Gähnen oder für ein Ignorieren des Spiels sorgen. Macht es nicht! Warum? Weil euch die Verschränkung in diesem interaktiven Kennerspiel überraschen wird.

Virtual Revolution
Neo Paris in seiner Pracht.

Workerplacement mal anders

Virtual Revolution geht über 5 Runden. Du hast pro Runde 3 Direktoren (Worker). Macht im Regelfall 15 Aktionen. Verdammt wenig und damit ziemlich reizvoll. Der Witz ist aber, dass die Direktoren als Worker von den Aktionen an sich abgekoppelt sind. Du stellst also nicht typischerweise deine Figur auf ein Feld, um dort die jeweilige Aktion auszulösen. In Virtual Revolution bestimmt der Direktor nur von welchem Bezirk aus du deine folgende Aktion ausführst. Die möglichen Aktionen befinden sich auf deinem persönlichen Tableau. Eine Aktion könnte die Generierung von Kapital sein, was losgelöst vom Ort ist. Es könnte aber auch die Errichtung eines Servers sein oder die Anheuerung von Agenten. Hier spielt der Ort eine große Rolle, weil diese Aktionen je nach Spielsituation nur in ganz bestimmten Bezirke ausgelöst werden können. Warum ist das nun ein interessantes Dilemma?

Die fünf Aktionen auf deinem Tableau.

Bevor du die Aktion ausführst, hast du jedes Mal eine optionale, aber sehr wirkungsvolle und wichtige freie Aktion: Einfluss. Darüber vernichtest du gegnerische Einflussscheiben aus Bezirken, platzierst eigene in freie Bezirken oder verstärkst deine Bezirken mit weiteren Einflussscheiben. Aber eben nur da, wo du den Direktor platzierst! Du willst Bezirke besitzen, weil diese am Ende Siegpunkte einbringen. Du willst aus Distrikten alle Bezirke besitzen, weil du so Distrikt-Titelkarten erhältst. Ergo Extra-Siegpunkte am Spielende und jede Runde eine fette Sonderaktion, wobei jeder Distrikt hier andere Möglichkeiten schenkt. Und auch nur da, wo du Einfluss hast, kannst du Server errichten, die dein Einkommen erhöhen. Dilemma verstanden? Der Clou: Oft willst du für bestimmte Aktionen einen Direktor in einen anderen Bezirk setzen als du es für das Spiel um Einfluss eigentlich bräuchtest. Eine unscheinbare, aber spannende Verschränkung.

Fettes Gerangel!

007 geht in Rente!

Großes Herzstück sind die Agenten und Agentinnen in Virtual Revolution. Vor jeder Runde erscheinen nämlich zufällig 5 verschiedene in 5 zufällig gezogenen Bezirken. Durch eine Aktion kannst du angrenzend zu deinem Direktor und etwas Bargeld solch eine Agenten-Karte anheuern. Erste Instanz, die rekrutierte Agentenkarte kann nun pro Runde getappt werden, um je nach ihrer Art (Gewalt, Mechanik, Nachrichten) für einen netten Bonus zu sorgen. Du hast allerdings nur Platz für drei dieser Karte. Jetzt kommt der Kniff! Du kannst diese Agenten-Karten in Rente schicken. Dabei generieren sie einmal einen Powerbonus und danach kannst du sie a) entweder unter eine Aktion schieben und diese Aktion dauerhaft verbessern oder b) du schickst sie auf deinen Rentenstapel. Dort gibt es keinen Bonus, aber die Karte kann nicht mehr vernichtet werden und bringt so sicher Siegpunkte ein.

Klingt vielleicht auch weniger spektakulär, aber ich liebe diese Mechanik wirklich! Es ist so dermaßen befriedigend, sich eine der echt schicken Karten über einen gut platzierten Direktor zu kaufen, danach zunächst die Rundenboni mitzunehmen, um im richtigen Moment aus Powerbonus und verbesserter Aktion der eigenen Engine seinen strategischen Stempel ins Tableau zu knallen. Die Asymmetrie baust du dir hier selber und das macht einfach irre Spaß!

Klatsch! Klatsch! Klatsch!

Wer applaudiert denn hier? Falsche Frage! Es ist der Sound, wenn dir Interpol in Zusammenarbeit mit den Cyberterroristen mit der flachen Hand deinem imaginären Brettspiel-Popo zeigen, wer der Babo ist. Mechanisch ist die Sache einfach. Immer wenn du deine Macht ausweitest, weil du z.B. Einfluss in Neo Paris gewinnst oder eine fette Serverfarm baust, ziehst du eine Korruptionskarte. Die sind Scheiße. Ich muss das so schreiben. Björn fragte mich in einer Partie, warum ich so schwer atme. Verdammt, ich hasse einfach diese Karten! Denn hast du davon am Rundenende mindestens fünf, dann besucht dich Interpol. Du musst dann alle (!) Karten aufdecken und die negativen Effekte abwickeln. Manchmal hat man Glück und nicht alle Karten treffen einen. Habe ich keinen Server im blauen Bezirk, dann kann ich da auch keinen abreißen. Aber glaubt mir, die Karten sind zum Kotzen. Diese Angst vor Interpol gibt dem Spiel aber gerade im Zusammenhang mit dem Area-Control einen sehr interessanten Drive. Ich will berserkern, ich will Einfluss, aber kann ich mir die Korruptionskarten leisten? Gut, dass man sich mit Schild-Markern schützen oder über Aktionen auch Korruptionskarten abwerfen kann. Beides muss aber auf Kosten anderen Dinge erspielt werden. Schaffe ich nicht immer!

Ich atme schwer …

Dauer-Klatscher!

Die Cyberterroristen blasen ins gleiche Horn. Am Rundenende wird eine zufällige Angriffskarte aufgedeckt, die drei Stufen hat. Die unterste Stufe ist eine Belohnung für den Konzern, der am wenigsten Einkommen generiert. Die mittlere Stufe trifft alle. Ja, auch hier ist die Bestrafung oft heftig. Die schlimmste Bestrafung, also Stufe 3, trifft nur den Konzern, der am meisten Einkommen generiert. Hart Leute, wirklich! Aber es erzeugt auch cooles Geschacher, weil du es dir schon überlegst, wie hoch du dein Einkommensgewinn pusht. Auch hier kannst du dich durch Schild-Token schützen. Ach Mist, die hab ich ja schon alle für Interpol ausgegeben. Ich atme schon wieder schwer.

Ich atme schw … äh ich weine!

Bau dir deine Wertung

Der Rest von Virtual Revolution ist grundsolide. Punktevergaben über geheime Missionen fürs Spielende, abwechslungsreiche und zahlreiche zu kaufende virtuelle Welten (Verse-Karten), die erst eine Grundbedingung zur Erfüllung besitzen, dann aber am Spielende für unterschiedliche Elemente Siegpunkte einbringen. Man könnte auch sagen, man baut sich seine Vergabe der Siegpunkte ein gutes Stück weit selbst zusammen. Macht Spaß, keine Frage! Löblich ist übrigens die Symbolsprache, die extrem gelungen ist und auch die Anleitung ist stark. Jede Karte wird erklärt. Fragen gibt es keine.

Größtes Manko ist die Anpassung an zwei Spielende. Es gibt eigentlich kaum welche. Zudem ist Virtual Revolution ein interaktives Spiel um Mehrheiten, um Timing- und Platzierungskonflikte wie auf der Einkommensleiste und das taugt zu zweit einfach nicht. Ich sage das nicht oft, aber zu dritt oder vielleicht sogar zu viert ist das Cyberpunk-Brettspiel durchaus gerne auf dem Tisch, aber zu zweit spiele ich es nicht mehr. Ganz verkopfte Eurogamer könnten auch die Glückskomponenten erzürnen, für mich ist es aber die passende Zumischung Ameritrash in dieses interaktive Eurogame.

Virtual Revolution
Verses: Bau dir deine Wertung!

Fazit

Virtual Revolution setzt sein Cyberpunk-Thema gekonnt um. Auch wenn die Verse-Karten in spielmechanischer Auswirkung etwas aufgesetzt wirken, beweist der Rest Stimmigkeit. Stylische Cyber-Agentkarten mit charmanten Onelinern, eine gelungene Einbettung von drangsalierenden Mechaniken wie Interpol und den Cyberterroristen, ja, ich bin hier gerne in Neo Paris unterwegs. Spielerische Motivationstreiber sind für mich die gekonnte Verknüpfung aus Area-Control und Aktionsausführung, die sich öfters beißen, als es einem lieb ist und der asymmetrische Aktions- wie Wertungsausbau. Sich geschickt die richtigen Agenten-Karten sichern, um dann im richtigen Zeitpunkt einen Powerzug abzureißen, ist einfach eine schöne Sache. Abstriche beim Spielspaß muss beim Spiel mit zwei Personen gemacht werden und die Glückskomponente bei Interpol- und Cyberangriffen muss man auch abkönnen. Trotzdem, ich besuche Virtual Revolution als Cyberpunk-Fan gerne.

Virtual Revolution

56 €
8.4

AUSSTATTUNG

8.8/10

SPIELIDEE

7.8/10

SPIELSPASS

8.5/10

Kurzfakten

  • Schönes Material
  • Asymmetrischer Aktionsausbau
  • Cooler Twist beim Workerplacement
  • Fiese Cyber- und Interpolangriffe
  • Sehr interaktiv
  • Zu zweit weniger zu empfehlen

Spielinformationen

  • Genre: Workerplacement
  • Personen: 2 - 4
  • Alter: ab 14
  • Dauer: 90 Minuten
  • Autor: Guy-Roger Duvert, Cyril Villalonga
  • Rezensionsexemplar erhalten
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

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