Kurzcheck: Darum geht es bei Burncycle
Die Welt, in der Burncycle spielt, ist einfach abgefahren. Kurze Geschichtsstunde. Die Welt ist am Arsch. Natürlich! Bevor die Erde nun aber wirklich ein lebensfeindlicher Planet wurde, hat die Menschheit ihre DNA intelligenten Bots anvertraut. Die autarken Bots sollten die Erde auf Vordermann bringen und danach die Menschheit wiedererwecken. Toller Plan, hat nur einen Haken und das wären die machthungrigen Menschen á la Bezos-Musk van der Gates. CEOs an der Spitze der Nahrungskette, die dafür sorgten, dass die Erde unterging, sind nun Spender der DNA. Kaum war der Plan ausgeführt und die Erde wieder bewohnbar, rissen die neuen CEOs mit altem DNA-Mindset die Kontrolle wieder an sich und die Bots sollten Geschichte sein.
Nix da! Die geheime Gruppe #404 aus Rebellen-Bots wurde gegründet, um der Menschheit das Handwerk zu legen und den Robotern die Selbstbestimmung zu schenken. So spielt ihr kooperativ eine Gruppe von Bots mit sehr individuellen Fähigkeiten, die in eine der drei im Spiel befindlichen Corporations einbrechen und versuchen, die vorher ausgewählte Mission zu erfüllen. Neben den abwechslungsreichen Zielen und den verschiedenen Bots warten unterschiedliche Gebäudelayouts, eine kniffliger Aktionsmechanik und modulare Gegner auf euch. Ihr rüstet euch aus, versucht unentdeckt zu bleiben, startet Ablenkungsmanöver und hackt euch sogar in Netzwerke. Das kommt einem Spiel im Spiel gleich. Alle Aktionen werden dabei über Aktionspunkte ausgelöst, deren Erhalt durch Würfel bestimmt werden. Kurzum, die Zutaten für ein thematisch dichtes und spielerisch großartiges Brettspiel sind vorhanden!
Das Mainboard von Burncycle
In Burncycle spielt ihr alle nacheinander eure kompletten Züge durch. Bist du an der Reihe und möchtest auf ein Terminal zugreifen, deinen Bot bewegen, eine Tür hacken oder einen Guard angreifen, dann greifst du auf den Burncycle zu. Das ist ein Tableau, auf denen Slots in einer Reihenfolge angelegt sind, auf denen wiederum Chips liegen. Jeder Chip gibt dir eine Aktionsmöglichkeit. Die Farbe des Chips gibt dir dabei Boni auf bestimmte Aktionen. Du willst dich bewegen? Lila schenkt dir zwei zusätzliche Schritte. Easy, oder?
Der spielerische Kniff besteht nun aus mehreren Ebenen. Der Burncycle muss immer in Reihenfolge von links nach rechts abgewickelt werden und nach dem Zug eines Bots wird ein zufälliger Chip inaktiv. Ihr verliert also eine Aktion und eine Farbe. Du darfst allerdings aus eurem begrenzten und kostbaren Vorrate inaktive Chips gegen neue tauschen. Doch wie tauscht du? Was willst du für Aktionen in welcher Reihenfolge ausführen und wie sollen die Farben liegen? Und ist deine Planung der Chips und die Anordnung der Farben für die nach dir spielende Person auch passend? Ihr spielt alle mit dem gleichen Burncycle! Wollt ihr überhaupt neue Chips auslegen? Gehen die euch aus, müsst ihr den Burncycle resetten. Heißt, ihr bekommt wieder den vollen Vorrat an farbigen Chips. Ihr verliert aber alle farbigen Chips im Burncycle und ersetzt diese durch schwarze, die keine Boni bringen. Als letzte Schelle geht es auf einer Ereignisleiste abwärts. Das löst nicht nur fiese Aktionen der Corporations aus, sondern kann euer Spiel beenden. Nur habt ihr dann verloren! Der Burncycle ist also eine kooperative Aktionsplanung mit Daumenschrauben.
Spiel im Spiel
Der Burncycle ist aber noch für eine zweite Sache relevant! Das Netzwerk-Spielfeld. Hier hackt ihr euch mit eurer IP durch Netzwerkknoten, versucht dem gegnerische ICE auszuweichen oder wagt den Kampf, um beim Erreichen von Knotenpunkten fette Boni abzugreifen. Vor allem ermöglicht euch das Netzwerk auf der Ereignisleiste wieder zurückzulaufen. Das kann lebensnotwendig sein! Interessant: Die Bewegung im Netzwerk hat ebenfalls mit der Anordnung der farbigen Chips im Burncycle zu tun. Heißt, eure Aktion- und Farbplanung hat nicht nur Einfluss auf die Aktionen im Gebäude, sondern auch im Netzwerk. Ich finde diese Verknüpfung genial! Vor allem weil man das Netzwerk nicht ignorieren sollte. Gerade das ICE kann zur Gefahr werden, weil es im schlimmsten Fall deinen Bot im Gebäude aufspürt und die Guards dich dann jagen.
Ist das geil!
Der Einstieg ist zwar heftig, aufgrund vieler kleiner Details und zwei dicken Anleitungen, aber das schluckt man gerne. Unzählige Missionen, eingebettet in thematische Hintergrundgeschichten, warten auf die Entdeckung. Finde den geheimen abtrünnigen Guard und eskortiere ihn nach draußen. Breche durch Lüftungsschächte ein oder arbeite einen Arbeitstag Undercover. Du sammelst Daten, bewegst dich durch Stockwerke, hackst Türen, um am Ende Daten in der Kommunikationszentrale zu verschicken. Du hast hier definitiv einen Film im Kopf. Die Planung beginnt schon bei der Zusammenstellung eures Teams vor Spielbeginn! Brauchen wir Feuerkraft? Wollen wir durch Wände brechen oder schauen? Wie wäre es mit einer Aufklärungsdrohne oder einem Akrobatikkünstler? Burncycle ist dann Mission Impossible im Kopf.
Die Planungsspiele wiederholen sich dann in jedem Zug. Gemeinsam wird die Spielsituation analysiert. Wie wollen wir den Burncycle planen? Was werden die Guards unternehmen? Wie viele Aktionschips haben wir, bis wir resetten müssen? Kann jemand vielleicht den Guard aus dem Flur locken, damit ein anderer in die Abstellkammer kommt und das Datenpaket abholt? Und wie agieren wir im Netzwerk? Haben wir vielleicht passend zur Situation mächtige Gegenstände im Inventar? Bevor hier eine Aktion ausgeführt wird, plant man gemeinsam die gesamte Runde. Erst am Ende der Runde agiert dann der Konzern und Guards verfolgen entdeckte Bots oder patrouillieren durch Flure.
Spannung
Das ist schon geil! Epische Momente, wo verloren geglaubte Partien gewonnen werden schenkt einem das Spiel definitiv. Zwingend ist hierfür der Spaß am Bewegungs- und Aktionspuzzle, welches die meiste Zeit des Spiels in Anspruch nimmt. Das Ausführen von Aktionen oder gar Kämpfe stehen im Hintergrund. Dabei erzeugt auch das Aktionssysten für Spannung. Am Anfang deiner Runde besitzt du einen Pool aus Aktions-Würfeln. Jede Aktion kostet Aktionspunkte. Wie viele Würfel benutzt du nun für die Aktion? Du weißt halt nicht genau, wie viele Punkte du würfelst. Risiko oder auf Nummer sicher gehen? Problem: Geworfene Würfel sind für die Runde und damit für andere Aktionen weg. Chip Theory Games macht wirklich viel richtig, um mich Kooperation-Junkie und Hobby-Agenten zu unterhalten. Leider haben sie nicht auf dem Regiestuhl platzgenommen.
Nicht die Hausaufgaben gemacht
Eigentlich gibt es nicht einmal einen Regiestuhl. Statt ausbalancierte und perfekt abgestimmte Szenarien überlässt Chip Theory Games diversen Variablen die Gestaltung. Eine Missionskarte gibt Ziele und die Corporation vor, das war’s. Als würde der Regisseur am Filmset seine Crew mal machen lassen. Welcher Guard beim Spielaufbau platziert wird? Zufall! So kann es sein, dass Guards mit Fähigkeiten an Positionen stehen, wo sie absolut harmlos sind. Der Captain, eine Art Endboss mit Spezialfähigkeiten, welche durchaus das Spielgefühl merklich verändern kann, wird auch zufällig bestimmt. Warum?
Wer im Spiel Räume betritt, wirft einfach einen Würfel, um zu schauen, was ihn erwartet. Es kann sein, dass ihr in ein Hochsicherheitsbereich einsteigt und durch Würfelwürfe nie ein Guard in Räumen auftaucht. Gefundene Gegenstände, gezogene Netzwerk-, Terminal- und Tür-Hack-Karten und auch die Aktionspunkte unterliegen dem Zufall. Der Spannungsaufbau innerhalb einer Mission unterliegt diversen Schwankungen. Und da sind wir wieder bei den eingangs erwähnten Videospielen. In einem Metal Gear Solid oder Dishonored zermartern sich Entwickler:innen nicht umsonst die Köpfe über intelligentes Leveldesign, Positionierung der Wachen und deren Fähigkeiten, damit ein ausgewogenes Spielgefühl entsteht.
Burncycle in der Praxis
Eine auf dem Papier spannende Mission kann ein absoluter Rohrkrepierer werden. Ich hatte beispielsweise mit meiner Frau aufgrund des Grundlayouts der Gebäude zwei akrobatische Bots ausgesucht. Sie fetzten beide durch die Gänge. Die zufällig gezogenen Guards für die Mission kamen nicht hinterher. Das wir entdeckt wurden, war so egal. Beim Betreten der Räume erschien beim Ereigniswurf nicht ein einziges Mal ein Guard. Es passierte in der Partie wirklich gar nichts. Keine Action, keine Eskalation! Eine Partie wie Erbrochenes auf eingeschlafenen Füßen.
Andere Mission genau das Gegenteil. Eine Sonderregel des Szenarios sorgte beim Öffnen einer Tür jedes Mal für einen Alarm und wir rutschten auf der Ereignisleiste weit nach unten. Spannend! Wir zogen beim Spielaufbau einen Captain, der mit seiner Fähigkeiten zu offenen Türen patrouillierte und diese wieder schloss. Die verdeckt gezogenen Guards hatten ebenfalls diese Fähigkeit. Die Mission wurde dadurch wesentlich (!) schwerer, weil man ständig einen Alarm auslöste und dem Ende der Ereignisleiste gefährlich nah kam. Beim Betreten neuer Räume war uns diesmal das Glück auch nicht hold. Unzählige Guards nahmen uns in die Zange! Es war ein geiler Höllenjob. War aber eigentlich nicht als schwere Mission deklariert.
Und dann das…
Auf der anderen Seite gibt es im Grundspiel viel zu wenig abwechslungsreiche Guards. Zu schnell hat man alle gesehen, die auch meistens nicht besonders kreativ in ihren Fähigkeiten sind. Und bei einer zweiten Sache war Chip Theory geizig. Zwar hat man unzählige Missionen für jede Corporation, aber nur einen festen Grundriss ihrer drei Etagen. Gleiche Corporation, gleicher grundlegender Aufbau der Räume. Wo auf der einen Seite zu viel Zufall im Spiel ist, fehlt es dann an anderer Stelle trotzdem an Abwechslung.
Fazit
Ganz ehrlich, ich will Burncycle so viel mehr lieben, als ich es kann. Thematisch holt es mich ab, das Material will man mit unter die Kuscheldecke nehmen und die kooperativen Planungsspiele können wirklich interessant sein. Ich liebe die vielen verschiedenen und liebevoll umgesetzten Bots und die damit einhergehenden taktischen Möglichkeiten. Die Missionen sind abwechslungsreich gestaltet, die Mechanik des Burncycle mit seinen mehreren wirkmächtigen Ebenen ist reizvoll und die spielerische Umsetzung eines Schleichspiels passt!
Nur leider ist Burncycle auf der anderen Seite zu beliebig. Mit seiner ungesteuerten und riesigen Masse an zufälligen Variablen ist die Abwechslung zwar groß, das Ergebnis in Sachen Spielspaß aber wankelmütig. Von packendem Agenten-Thriller in geheimer Mission bis zur absoluten Schlaftablette ist alles möglich, ohne das man es vorher abschätzen kann. Andere Mechanik-Platinen wie Grundlayouts der Corporations oder Fähigkeiten der Guards sind gleichzeitig zu sparsam bei der Abwechslung gelötet. Das Potenzial für einen echten Mega-Hit wäre da gewesen, doch Chip Theory Games hat es sich mit der Regie leider zu leicht gemacht. Epischer Spielspaß ist erlebbar, aber für eine bessere Bewertung zu inkonstant vorhanden!
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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Schade eigentlich. Wenn CTG jetzt noch die Level a la Cloudspire entwickelt hätte, dann wäre da wohl wirklich ein weiterer Brecher herausgekommen. Der Rest hört sich ja sehr interessant an. Der Glücksfaktor ist mir dann aktuell aber zu hoch. Da bleibe ich bei Cloudspire. Hab da ja noch genug zu tun. 🙂 #VorfreudeaufdenWinter
Definitiv. Also es ist kein schlechtes Spiel, aber ich hätte lieber ein viertel der Missionen und dafür dann ein individuelles Layout aus Räumen, Gegnern und einen passenden Captain. Auch hätte ich bevorzugt, dass in noch nicht betretenen Räumen ein verdeckter Ereignischips gelegt wird, ähnlich wie in Cloudspire die Chips auf den Source Feldern. Vorab hätte man dann als Entwickler der Mission steuern können, wie viele Gegner wirklich ins Spiel kommen, wie oft die Chance auf Heilung besteht und wo das dann auftaucht ist immer noch zufällig. Das hätte eine gewisse Steuerung ermöglicht, die mit einem reinen W6 nicht möglich ist.
Für mich eines DER Spiele 2022. CTG liefert wieder ab. Ja ich hätte mir auch mehr Floorpläne gewünscht, aber durch die zig Bots oder CEOs etc ist mehr als genug Abwechslung drin. Den Glücksfaktor finde ich überhaupt nicht hoch. Ein super Spiel. Mit Dead Reckoning und Oathsworn meine absoluten Lieblingsspiele 2022,vllt sogar 2020 bis 22. Perserverance noch weit oben im Ranking
Abwechslung ist definitiv mega viel drin. Keine Frage. Beim Glücksfaktor und der Abwechslung an Guards haben wir dann ein anderen Gefühl. Alleine wenn ich mir anschaue, was in der Grundbox in Cloudspire an Fähigkeiten bei den Einheiten abgefackelt wird, sind die Guards sehr schmal aufgestellt. Ohne nachzuschlagen, ich glaube es sind nur 5 oder 6 verschiedene Typen. Und beim Zufall mag es eben auch Zufall sein, wie viel störende Elemente im Spiel auftauchen. In den ersten 8 Partien fand ich nur 2 wirklich mega spannend. Ich drücke mir jedes Mal die Daumen, dass in einem Raum ein Guard auftaucht, damit Spannung entsteht. Alleine das ist strange 😀 Am Ende spielt halt auch Erwartungshaltung mit rein. Ich bin halt ein Stealthgame-Fan und habe da einfach im Detail mehr erwartet. Wirklich schlecht ist es am Ende ja auch nicht. Und super das es dir so gut gefällt.
Ich find es tatsächlich ganz gut dass die Guards keine zig Eigenschaften haben. Muss man nicht dauernd nachlesen und durch die einzelnen Elemente wie Contracts gibt es ja auch verschiedene Settings. Aber verstehe den Grundgedanken der Kritik schon und wie gesagt, etwas enttäuscht war ich auch von den wenigen Floors.
PS: Die neue Kampagne bringt soweit ich weiß Missionensaufbauten für alle CEOs. Wie das genau aussieht weiss ich grad nicht und klar muss man dafür auch wieder löhnen…allerdings deutlich weniger als ich erwartet hatte…