Kurzcheck: Darum geht es in Abgrundtief
In Abgrundtief befindest du dich im Jahr 1913 als Passagier oder Besatzungsmitglied auf der S.S. Atlantica, einem Pott der nach Boston unterwegs ist. Mit einem mulmigen Gefühl startest du die Reise, denn lauern da nicht Schatten im Kielwasser? Gibt dein Zimmernachbar in der Nacht gutturale Laute von sich? Deine Träume handeln von gruseligen Landschaften unter Wasser und mörderischen Gestalten. Und dann stirbt noch eine Frau an Bord, vor ihr liegen ein mysteriöses Buch und rituelle Gegenstände. Was du noch nicht weißt, dieses Ritual war der Grund, warum die Schrecken des Meeres das Schiff noch nicht überrannt haben …
… und nun heißt es, die Scharen von Monstern aus dem Meer abzuwehren, Passagiere zu retten, das Schiff zu reparieren, geschickt Gegenstände und Raumaktionen des Dampfers benutzen und heil nach Boston zu kommen. Wäre das nicht schon genug, geht die größte Gefahr von deinen Mitspieler:innen aus. Schau in ihre Gesichter, sind da vielleicht noch mehr Schuppen als sonst? Hat dein bester Freund schon immer solche Glupschaugen gehabt? Und wieso spricht deine Frau mit fremder Zunge? Während du als Mensch die S.S. Atlantica nach Boston bringen willst, wollen die Hybriden und Kultisten das Schiff in den Untergang reißen, indem sie die Ressourcen oder das Schiff vernichten. Wem also kannst du vertrauen? Eine wichtige Frage, schließlich ist Abgrundtief ein Spiel um geheime Abstimmungen!
Alle Kinder über Bord!
Wir springen in die Mythosphase, die jeder am Tisch in seinem Zug durchläuft, nachdem er seine zwei Aktionen abgefeuert hat. Man zieht eine Ereigniskarte und das Kopfkino inklusive hitziger Diskussionen springt an. Eine Edeldame beschuldigt einen Schiffsjungen des Diebstahls. Der bestreitet dies und daraufhin droht die Dame die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Markus, derzeitiger Kapitän, muss eine Entscheidung treffen. Bestrafung des Jungen, das kostet uns eine geistige Gesundheit oder Beweise verlangen, das bedeutet vier Verratskarten im Chaosstapel. Letzteres ist verdammt schlecht für die Menschen bei Abstimmungen, erhöht es die Wahrscheinlichkeit diese zu verlieren. Wir haben aber auch nur noch vier geistige Gesundheit. Bei Null haben die Menschen sofort verloren!
Ich schlage vor, den Jungen nicht zu bestrafen. Thorsten pflichtet mir bei, schließlich sind wir knapp an geistiger Gesundheit. Sören findet die Verratskarten als zu große Bürde. Was?! Der hat doch Kiemen am Hals! „Markus, du darfst den Jungen nicht opfern!“ Markus zögert. Sehe ich da Schuppen auf seiner Stirn?! Er entscheidet sich, den Jungen zu bestrafen. Auch Thorsten ist entsetzt: „Wie jetzt, du schmeißt ihn über Bord für diese verdammte Edeldame? Alle Kinder zuerst über Bord, oder was?“ Gelächter am Tisch. Kapitän Markus zieht es durch. Ich nicke Thorsten zu, wir beide wissen, einer von uns wird versuchen im nächsten Zug dem Kapitän sein Amt zu entreißen, indem wir per Abstimmung Markus in die Brig schicken. Ob wir das schaffen? Wir Menschen müssen zusammenhalten. Dumm nur, dass sich später, kurz vor dem Einlauf nach Boston und dem Sieg für die Menschen, Thorsten als Kultist entpuppt und mit einer gut geplanten Aktion im Kesselraum die letzte Kohle verballert. Die Hybriden und Kultisten haben gewonnen. Willkommen bei Abgrundtief!
Das Salz im Meer
Das Spiel überzeugt durchaus als kooperatives Abenteuer-Kampfspiel in höchster materieller Qualität. Das Auslösen der eigenen zwei Aktionen, bei denen man per Würfelwurf Monster besiegt, neue Ausrüstung findet und durch Absprache versucht, das Schiff zu retten, ist spannend zu spielen. Jeder Charakter hat Sonderfähigkeiten, dazu besitzt man Fertigkeitskarten, um Gefahren antworten zu können. Zwei Aktionen sind nicht viel und meistens muss man eine zur Bewegung aufbrauchen. Absprachen sind also wirklich wichtig! Jedes selbst leicht suboptimale Spielen bringt das Schiff langfristig in Gefahr. Hinter dieser spielerischen Maske verbergen sich Hybrid & Kultist.
Die spielerischen Clous sind aber die oben beschriebenen Ereignisse. Nicht bei allen darf eine Person am Tisch entscheiden. Noch spannender sind die geheimen Abstimmungen bei Ereignissen oder gewissen Aktionen. Je nach Ereignis gibt es einen Probenwert und dazugehörige Fertigkeiten (z.B. Wissen und Stärke). Nun spielt jede Person nach einer meist hitzigen Absprache verdeckt Handkarten aus. Dazu kommen zwei zufällige Karten aus dem Chaosdeck. Jetzt werden alle Karten gemischt, dann aufgedeckt und die Werte der Karten mit den passenden Fertigkeitsarten addiert. Werte mit einer nicht passenden Karte (z.B. Wahrnehmung) subtrahiert. Erreicht man den Probenwert, wird das positive Ereignis ausgelöst, ansonsten das negative.
Die Frage ist dann immer, wer hat die schlechten Karten in den Topf geworfen, weil er die Abstimmung sabotieren wollte? Es gibt also wilde Diskussionen vor und nach jeder Abstimmung. Mit den richtigen Leuten am Tisch ein wahres Fest aus bestem aggressiven atmosphärischen Spielspaß! Spielerisch sind die Abstimmungen noch aus einem anderen Grund interessant. Verbrauchte Karten für die Abstimmung fehlen als Aktionsmöglichkeit im eigenen Zug und neue Karten erhält man nur einmal pro Runde. Leichtfertig will man seine Karten also auch nicht verballern.
Wellengang
Abgrundtief begeistert vor allem dann, wenn sich alle auf diese Art des Spiels einlassen und wildes Tischgebrabbel jedes Ereignis unterfüttert. Das birgt aber auch eine Gefahr durch ausufernde Spielzeit, die durch zwei Elemente verstärkt werden: gut spielende Hybride und die Schiffsleiste. Auf der Leiste wandert das Schiff durch Ereigniskarten oder wenn die Aktion im Kesselraum ausgeführt wird. Vier Schritte muss das Schiff zurücklegen, bis der Kapitän zwei Karten ziehen darf, wovon er eine aussucht und die wirkliche Reise nach Boston vorantreibt. Insgesamt 12 Punkte müssen so gesammelt werden, um nach Boston zu kommen. Auf den Karten sind Werte von 2 bis 4.
Wenn es perfekt läuft, ist der Kapitän Mensch und hat bei zwei Karten immer eine vier. Dann läuft man dreimal die Leiste ab, plus einmal noch für die Ankunft nach Boston. Ihr könnt euch aber ausrechnen, dass die Leiste zwischen 5 und 6 Mal beackert werden kann. Wenn dann die Gruppe enthusiastisch jedes Ereignis auch noch ausgiebig bequatscht, weil es eben Spiel und Atmosphäre hergeben, dann explodiert die Spielzeit. Abgrundtief dauert in der Regel leider etwas zu lange. Optimal ist das Spiel bei 5 Spieler:innen, weil da die Mischung aus Hybrid und Mensch am besten ist und hier muss man in der Regel vier Stunden einplanen.
Seefahrt oder Weltraum
Bleibt die Frage, was sich nun zu dem Vorgänger Battlestar Galactica (BSG) geändert hat. Natürlich das Thema, aber das ist Geschmackssache. Einziger Wermutstropfen, die Charaktere in Abgrundtief sind alle neu. Kein Wiedersehen mit Charakteren aus anderen Arkham Horror/Cthulhu-Spielen. Ich vermisse Joe Diamond! Ansonsten ist Abgrundtief unkomplizierter zu spielen, weil die Rollen der Charaktere freier sind, dafür geht hier für Rollenspieler:innen vielleicht etwas verloren. Es gibt nicht wie in BSG Spezialisten wie Piloten, Politiker oder militärische Anführer, mit ihren Vor- und vor allem Nachteilen. Auch sind die Angriffe der Tiefen Wesen einfacher zu kontrollieren. Insgesamt ist es also weitaus mehr als ein Reskin, auch wenn die Grundmechanik im Kern gleich geblieben ist.
Fazit
Abgrundtief kann seine Tentakel herausholen und dein Sitzfleisch so malträtieren, als würde Cthulhu selbst zur Lomi-Lomi-Massage greifen. Mit der richtigen Gruppe kann so ein Ausflug trotzdem ein kommunikatives Fest werden. Trotzdem ist mir die Reise persönlich zu lang und Pacing leider nicht so ganz gelungen. Damit wäre der größte Kritikpunkt allerdings auch von Bord, denn der Rest ist ein atmosphärisches und materieller Ausflug, der wirklich guten Sorte! Geheime Abstimmungen, wilde Anschuldigungen, tolle Aktionsmöglichkeiten und fieser Verrat auf den letzten Metern. Die Paranoia ist greifbar und wird durch die Spielmechanik auch immer wieder neu entfacht. Wer als Gruppe zudem Spaß am Cthulhu-Thema hat und seine Fantasie in der Mythos-Phase etwas freien Lauf lässt, der taucht die Entscheidungen in wunderbaren Table Talk. Von daher macht Abgrundtief am Ende verdammt viel richtig, nur ein gutes Kissen solltest du haben und die richtige Gruppe am Tisch!
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich habe „Abgrundtief“ auch gespielt. In verschiedenen Konstellationen. Und ich gebe Christian in allem Recht. Es lebt von der Gruppe. Marc hat in einer Runde leider so offensichtlich „schlecht“ gespielt, dass es mir unmöglich war, die Kultisten zum Sieg zu bringen. Uwe roch den Braten und steckte mich in die Brick und tot waren wir. Mein Problem an dem Spiel: In dem Moment, wo die Spielerzahl für das Setting passend ist, wird es zäh. Da reichen auch die gemeinsamen verdeckten Proben nicht. Klar, man ist immer am diskutieren und zieht seine Scharade durch, aber wirkliche Züge oder Aktionen sind leider einfach Mangelware. Auch wenn das Thema so gut ist, gibt es da einfach Spiele die mich deutlich mehr abholen, besonders, wenn ich die Spielzeit betrachte.
Das Problem an der Sache, spielt man kleinere Verräterspiele, dann ist das oft eher ne Partygeschichte oder aber es ist nicht so hart kooperativ und besitzt nicht diesen kommunikativen Abstimmungscharakter (z.B. Nemesis). Wer also etwas Fleisch möchte, dazu politische Abstimmungen und eine gewisse schwere im Brettspiel (Material, Atmosphäre, Tischpräsenz) hat da aus meiner Sicht gar nicht so viele Alternativen. Auf den ersten Blick fallen mir da eben Battlestar Galactica und New Angeles ein. Beide haben aus meiner Sicht die gleichen Stärken und Schwächen, wobei ich New Angeles für wesentlich fragiler halte. Ein schwieriges Genre!