Essen, Herbst 2015, bei fast sommerlichen Temperaturen schlagen die erbarmungslosen Zeit-Agenten auf der SPIEL‘ 15 zu! Übernahme des Wirts Christian Jacob. Ein ahnungsloser Brettspieler, ohne Blog, mit niedrigen Attributen, strauchelte er als verwirrter Mittdreißiger durch die Regale. Sekunden später geht der Plan der Agenten auf. Der Wirt reißt voller Elan die edle Spielverpackung des Grundspiels von TIME Stories in die Höhe! Der Rest ist Brett & Pad-Historie. Erst Huldigung am heimischen Spieltisch, danach die inbrünstige Anpreisung des Spiels in der bekannten Spielerschaft. Doch die Agenten hatten ganze Arbeit geleistet, denn Christian wurde zum Brettspiel-Blogger. Er musste der Welt mitteilen, wie begeistert er von diesem Spiel war. Selbstverständlich gehört zu solch einem persönlichen Brettspiel eine spezielle Rezension, die mehr ist, als eine Besprechung des Hadal-Projekts.
Kurzcheck: Das Fazit zum weißen Zyklus
TIME Stories prangt immer noch auf dem ersten Platz meiner Top 10 und nur wenige Brettspiele haben über 5 Jahre so viel Zeit gefressen. Ich stehe noch immer zu meinem Fazit des Grundspiels, wenn auch ein zweiter Artikel aufzeigte, das nicht alles perfekt war. Nach dem kleinen Downer im Mittelteil der Kampagne folgten aber z.T. wieder spielerische Highlights. Daher bleibt es dabei, mit der richtigen Gruppe, die etwas mehr Rollenspiel einfließen lässt, ist der weiße Zyklus eine grandiose Spielerfahrung, die für mich ihresgleichen sucht. Ich habe den Zeitdruck geliebt und die damit einhergehende Optimierung der Route, auch wenn es einen Reset des Spiels zur Folge hatte. Anders als andere Gruppen empfand ich dies nicht als frustrierend, sondern als zusätzlich Motivation. Täglich grüßt eben das Murmeltier!
Während man im ersten Durchgang ahnungslos durch die Panoramen stolperte und den gefräßigen Zeitdruck im Nacken spürte, rutschte man in späteren Durchgängen perfekt durch die Locations. Absoluter Heldenmodus! Zusätzlich hielten alle Addons spielerische Überraschungen parat. Einziger Kratzer im weißen Spielkarton war die übergeordnete Geschichte, die alle Erweiterungen verbinden sollte. Etwas zu wirr präsentiert und auch zu unstet. Ich rieche enormes Verbesserungspotential! Nutzt der blaue Zyklus dies?
Kurzcheck: Der Beginn des blauen Zyklus
Das Offensichtliche zuerst: Es gibt kein Spielbrett mehr! Das Grundspiel des weißen Zyklus kann auch im Schrank bleiben. TIME Stories Revolution: Das Hadal-Projekt und alle weiteren Episoden sind komplett eigenständige Spiele. Da wären wir gleich beim ersten Vorteil, denn das Spielmaterial passt nun thematisch. Vorbei sind die Zeiten der bunten neutralen Chips und hieroglyphischen Markern. Alle Marker im Stanzbogen, den man sich vorher nicht anschauen sollte, sind nun passend gestaltet. Das steigert direkt die Atmosphäre! Auch spielerisch sorgt dies für größere kreative Freiheit. Panoramen können viel individueller gestaltet werden, da kein Raster sie in eine Abfolge und feste Anzahl an Karten zwingt. Ebenso verhält es sich mit den Plankarten. Ich will hier nicht zu viel verraten, freue mich aber auf die kreativen Möglichkeiten in weiteren Episoden.
Ansonsten basiert das Spiel auf den gleichen Grundprinzipien. Ihr seid Zeit-Agenten, besetzt Wirte der jeweiligen Epoche und habt einen Auftrag zu erfüllen. Es werden wieder Panoramen ausgelegt, man wandert von Ort zu Ort und sammelt Hinweise, checkt Vermutungen und kommt so der Lösung immer näher. Die Wirte haben wieder unterschiedliche Stärken und es gibt unzählige Objekte zu finden. Ortskarten dürfen wieder nicht vorgelesen werden, sondern werden mit eigenen Worten wiedergegeben. Wer mit erzählfreudigen Rollenspielern an seiner Seite gesegnet ist, fördert noch mehr Spielspaß an die Oberfläche. Als Veteran der Serie kennt man das und entsprechend findet man sich schnell zurecht! Wie gesagt, der Kern ist gleich, aber die Frucht schmeckt trotzdem anders.
Willkommen bei den Veränderungen
Das blaue Wunder
Liebe Agenten, jetzt kein Herzinfarkt bekommen, aber die Zeit ist weg! Nein, es wurden keine grauen Herren gesichtet, dafür aber blaue Kristalle, Azrak genannt. Blau ist ab sofort keine Farbe für einen Zustand, sondern für Veränderung. Die neue Agency verabreicht das kostbare Mineral den Zeit-Agenten, womit diese ihre Zeitreise antreten und in einen Wirt transferiert werden. Nicht für eine bestimmte Zeit, sondern bis die Kristalle ausgehen. Spielerisch bedeutet dies, dass jeder Agent eine bestimmte Anzahl an Azrak in seinem Vorrat hat, die er für Aktionen ausgibt. Da wäre zum Beispiel die Reise zu einem Ort, das Ausführen einer Probe oder Anschauen weitere Karten. Der Spielablauf ist somit wesentlich freier! Wer seine eigene Ortskarte schon abgehandelt hat, kann anderen nun direkt zur Seite springen. Es gibt de facto keine Runden mehr oder irgendwelchen Zeitverlust, alles ist im Fluss, je nachdem wie die Gruppe spielen möchte.
Gehen den Spielern die Kristalle aus, können sie am Ende einer Erkundung ein Update ausführen. Dabei gibt man ein Azrak aus dem Vorrat dauerhaft ab und verteilt die übrigen wieder unter die Spieler. Je häufiger man dies macht, umso weniger ist im Umlauf. Da zum Start aber eine ganze Menge Azraks auf die Charaktere verteilt werden, ist das Spiel extrem entschleunigt. Wem der Reset beim weißen Zyklus wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt vorkam, darf nun aufatmen. Es gibt sie schlicht nicht mehr. Meine Partien verschluckten ungefähr 3 bis 4 Stunden Zeit. Einzige wirkliche Daumenschraube ist die Endwertung, bei der die Anzahl der dauerhaft ausgegeben Azraks eine Einstufung darstellt.
Wo sind die Würfel?
Auch wurde der Zeit-Würfel beim Ortswechsel in die Schublade der aussortierten Spielelemente gepackt. Gut so, der war einfach nervig! Eigentlich gibt es gar keine Würfel mehr. Die Proben haben ein völliges Redesign erfahren. Herausforderungen geben nun einen Wert für einen Erfolg vor, den man versucht zu erreichen. Dazu gibt man ein Azrak ab, addiert den passenden Fertigkeitswert mit der Anzahl an zusätzlich abgegebenen Azrak. Danach zieht man eine der sechs Schicksalskarte ( -2 bis +2) und summiert die Werte. Erreicht man den Wert, erhält man die entsprechende Belohnung. Spannend: Ist der erreichte Wert höher oder niedriger, erhält man andere Objekte. Nur bei einer der Schicksalskarten mischt man den Stapel neu, ansonsten bleiben diese offen liegen. Ergo kann ich mir viel besser ausrechnen, wie meine Chancen stehen.
Die Wirte: neu und anders!
Legen wir den Finger in die Wunde – verdammt, die gibt es ja nicht mehr! Kämpfe mit Gegnern fügen den Wirten nämlich keinen Schaden mehr zu. Die Auseinandersetzungen kosten einfach nur Azraks. Je länger ein Kampf andauert, weil Proben nicht geschafft werden, desto mehr Kristalle verpulvert man. Auch hier vernichtet Time Stories Revolution: Das Hadal-Projekt für ein Plus an Zugänglichkeit und weniger Druck fesselnde Spannung und Atmosphäre.
Toll gelungen sind die geheimen Missionen (Flashback-Karten) von jedem Wirt, die konträr zu den Zielen der Gruppe ausgerichtet sein können. Zwar torpediert nichts den tatsächlichen Ausgang des Hadal-Projekts, aber kleinere Auswirkungen könnt ihr schon erwarten. Highlight sind die neuen Interaktionskarten! Treffen die Wirte auf Personen im Spiel, können Gespräche mit diesen aufgenommen werden. Manchmal nur Plauderei, stecken hier oft Details zur Lösung der Geschichte drin. Je nach Wirt und Person verlaufen Gespräche unterschiedlich. Die Interaktionskarten ermöglichen also nicht nur individuelle Kommunikation im Spiel, sondern erhöhen auch die Planung am Tisch unter den Spielern.
Spielgefühl
Die erlebte Geschichte und ihre Aufmachung sind das Highlight des Spiels und hält auch einem Vergleich zum weißen Zyklus stand! Es gibt gerade zum Ende hin etwas zu knobeln, dazwischen muss man aufmerksamer spielen als man denkt, ansonsten wird es am Ende schwerer. Es gibt einen herrlichen Twist, extrem schöne und atmosphärische Zeichnungen, einen starken Einstieg, mit wechselndem Panorama und sogar einen Epilog, der mehr Hintergrundstory bietet, als die meisten Fälle im weißen Zyklus.
Allerdings sorgen die Neuerungen für ein wesentlich zwangloseres Vorgehen! Es ist nicht nur die Zeit verbannt, sondern auch der Druck. Der Wegfall des zeitlichen Scheiterns und die damit verbundene Wiederholung sorgt für weniger Planung. Intensive Diskussionen zum Vorgehen sind weniger vorhanden, weil falsche Entscheidungen keine zeitliche Konsequenz nach sich ziehen. Die Endwertung über die ausgegebenen Azraks ist leider kein Ersatz für den fehlenden Zeitdruck und erzeugen nur wenig Motivation. Hier kommt die Experience-Erweiterung ins Spiel, die ich dringend empfehle! Nicht falsch verstehen, wer schlecht spielt, der scheitert auch in Time Stories Revolution: Das Hadal-Projekt. Zwei schlechten Enden warten dann auf euch.
Fazit
Wer bisher mit TIME Stories nicht warm geworden ist, der sollte jetzt einen Blick auf den blauen Zyklus werfen! Die Grundstärken des atmosphärischen Erzählspiels sind geblieben. Noch immer spielt man sich kooperativ durch wunderbare visuelle Welten, erlebt Twists, kleine Rätsel und ganz viel Kommunikation. Allerdings sind die kontroversen Elemente verschwunden. Keine Kämpfe mit Würfel und Lebenspunktverlusten, dafür planbare Aktionen mit festen Werten. Die Zeit-Mechanik, die unterschiedlich hart zuschlagen konnte, ist ebenfalls verschwunden. Time Stories Revolution: Das Hadal-Projekt ist mit seiner Kristall-Mechanik so wesentlich planbarer und entspannter zu spielen und Spielwiederholungen kamen nicht vor. Wer etwas Zeit mitbringt, schließt das Abenteuer an einem Abend ab! Die neuen Interaktionskarten, wie auch die Flashbacks, sind zudem eine absolute Bereicherung. Wer allerdings den Zeitdruck ebenso geliebt hat, wie die damit einhergehende Planung des optimalen Wegs, der verliert Spielspaß auf der Strecke zum Ziel. Die belanglose Schlusswertung passt zum glatt gebügelten Hemd der Zeit-Agenten des blauen Zyklus. Time Stories Revolution: Das Hadal-Projekt bleibt trotzdem empfehlenswert, erreicht aber erst durch die Experience-Erweiterung den maximalen Spielspaß!
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