Kurzcheck: Darum geht es in Carpe Diem
Thematisch baut man in Italien, wohl vor einigen hundert Jahren, sein Grundstück aus. Mit Brunnen, Häusern für Bedienstete, Villen und allerhand Feldern für Rohstoffe. Ganz ehrlich, das Thema passt, aber es interessiert nicht wirklich. Ich möchte nicht sagen, dass Carpe Diem seelenlos ist, nur steckt die Seele hier größtenteils in der Mechanik. Der Spielablauf ist schnell erklärt und die Grundregeln sind denkbar einfach. Eine sehr gute Ausgangslage! Ist man am Zug, zieht man seinen Spielstein in einer sternförmigen Form einen Schritt weiter. Zur Auswahl gibt es immer zwei Felder in unterschiedlichen Richtungen. Auf diesen Feldern liegen bis zu vier Plättchen aus. Eines dieser Plättchen muss man dann in seinem Spielertableau verbauen. Ist jeder sieben Mal gezogen, ist die Auslage leer. Dann gibt es eine Zwischenwertung und das Ganze wird viermal wiederholt.
Ein wenig erinnert das an Burgen von Burgund. Aber ähnlich wie in Burgund, ist auch in Carpe Diem das Brettspielleben durch einschneidende Mechanismen höchst interessant und weit mehr als die Summe seiner Aktionsmöglichkeiten. So interessant, dass dieses Spiel noch viel brauner, grüner, hässlicher oder sonst wie sein könnte und ich würde immer noch grinsend am Tisch sitzen.
Das Offensichtliche
Was jedem schnell klar sein dürfte, das Puzzeln der Teile ist nicht ganz so einfach! Es liegen nicht immer passende Teile aus, man streitet mit Mitspielern, je nach deren Auslage, um Plättchen und blockiert sich mit Pech selber Bauplätze. Um die Ecken bauen ist schwierig, Randfelder müssen immer mit Gras abschließen und es gibt nie mehr als zwei Gebäudeteile auf einem Plättchen. Gerade passende Endstücke sind heiß begehrt. Durch das vorhandene Schachbrettmuster ist die Gestaltung des eigenen Reichs wesentlich unflexibler als man meinen mag. Hatte ich erwähnt, dass man immer nur an ein schon liegendes Plättchen anlegen darf? Tricky! Aber all das erzeugt Spannung, weil ich eben nur ganz bestimmte Teile ergattern möchte. Diese Elemente kennt man allerdings von jedem halbwegs gutem Puzzlespiel.
Ein Rand dich zu verlocken
Zeit das Puzzeln etwas schwieriger zu gestalten! Jedes Spielertableau wird mit einem Rahmen umgeben. Dieser wird jedes Mal neu zusammengesetzt, ist also modular. Auf diesem Rahmen sind, passend zu den Reihen auf dem Spielertableau (Baufeld), bestimmte Gebäude oder Rohstofffelder abgedruckt und mit ihnen eine Punktzahl. Wer es am Ende des Spiels geschafft hat, in den passenden Reihen mindestens einmal das Gezeigte zu puzzeln, sahnt Extra-Punkte ab. Da die Menge nicht gerade gering ist, kommt man teilweise arg ins Schwitzen! Denn du willst ganz sicher die Vorgaben erreichen.
Die Schriftrolle – der erste Schritt
Carpe Diem finde ich aber vor allem aufgrund der Wertungsmechanik spannend. Erster Baustein dafür ist die Schriftrollenleiste. Jeder Schritt ist am Ende ein Siegpunkt wert. Ich gebe zu, wenig spektakulär. Nach vorne wandern können wir durch bestimmte Gebäude und wenn man vorher begrenzte, fest definierte Plätze auf dem eigenen Tableau überbaut. Und hier wird es interessant! Denn neben dem Rahmen und dem passenden Bauteilen, muss ich nun auch noch versuchen, so schnell wie möglich die Schriftrollen zu überbauen. Denn die Schriftrollenleiste steht für die Spielerreihenfolge! Ich will also möglichst vorne sein. Richtig fies, wer auf ein gleiches Feld nachzieht, setzt sein Plättchen obendrauf und ist vor demjenigen unter sich dran. Wer also nur ein Feld vormarschiert und alle anderen ziehen nach, ist plötzlich letzter. Das Timing, wann ich Schriftrollen überbaue, ist also auch noch wichtig.
Wertungsreihenfolge – Fiese Sache!
Langer Anlauf, aber nun sind wir da, wo Carpe Diem richtig Spaß macht. Es gibt insgesamt 60 Wertungskarten, von denen vor Spielbeginn zufällig bis zu 12 Wertungskarten offen ausgelegt werden. Je nach Spieleranzahl schwankt diese Zahl! Jede Karte ist im Raster so ausgelegt, dass sie mindestens eine andere Karte berührt. In der Mitte des Rasters gibt es entsprechend mehr Berührungspunkte. Meistens winken Siegpunkte als Belohnung, manchmal Rohstoffe. Als Siegpunkte werden z. B. Kombinationen aus Waren oder eine bestimmte Anzahl an Gebäuden verlangt. Bin ich an der Reihe, suche ich mir einen Schnittpunkt der Karten aus und lege dort meine Wertungsscheibe ab.
Jetzt erhalte ich die Belohnung, optimalerweise auch in mehrfacher Anzahl. Jetzt einen imaginären Tusch – Tasching, Tasching! Denn, diese Wertung ist nun bis zum Ende des Spiels blockiert. Jede Kombination ist nur ein einziges Mal aktivierbar! Da ich weiß, was ausliegt und ich auch sehe was meine Mitspieler vorhaben, die Wertungskarten eine unterschiedliche Stärke haben, ist hier von der ersten Runde ordentlich Pfeffer im Spiel! Wer Karten nicht werten kann, erhält als kleine Nackenschelle sogar Minuspunkte. Ich kenne kaum ein Spiel, bei dem ich so ungern in der Spielerreihenfolge auf den hinteren Plätzen stehen möchte.
Spielgefühl
Von der ersten Runde an gibt es Druck! Ich muss geschickt bauen, um möglichst zügig die Schriftrollen zu überbauen. Darf dabei aber nicht vergessen, das einigermaßen sinnvoll für die Bonuspunkte im Rahmen abzuwickeln. Gleichzeitig müssen die Gebäude und deren Belohnung auch zu den ausliegenden Wertungskarten passen. Dabei bitte die Mitspieler nicht aus den Augen verlieren! Sonderpunkte gibt es durch Brunnenkarten, dazu versucht man Rohstoffe durch das Händler-Gebäude immer in Gold umzuwandeln. Denn das kann ich in der Wertung flexibel einsetzen. Hatte ich Brot erwähnt? Ein Brot erlaubt eine freie Bewegung auf dem Rondell. Ach, den Platz hattest du dir ausgeguckt? Pech gehabt! Drei Brote erfüllen automatisch jedes Wertungsplättchen – ein mächtiger Joker. Also doch keine freie Bewegung und Brot sparen? Nur wer sagt, dass ich das Bäckerei-Plättchen erhasche? In Carpe Diem kämpft man stetig mit seinem eigenen Unvermögen beim Bauen und den Aktionen der Mitspieler – Herrlich!
Fazit
Carpe Diem ist nicht nur ein gutes Spiel, sondern, trotz seiner zugegeben diskussionswürdigen Gestaltung, sicher eines der besseren Brettspiele von Stefan Feld. Wer dessen Portfolio kennt, weiß um das Gewicht dieser Worte. Es ist einfach grandios, wie viel Spannung und auch Anspruch, sich in zwei festen Aktionen wiederfinden können. Einfach zu lernen, lange zu knobeln! Die Merkmale eines Brettspiels, an dem viele unterschiedliche Spielertypen zusammen Spaß haben können. Viele Kickstarterspiele, die oftmals laut gefeiert werden, bieten meist ein fast unübersichtliches mehr an Aktionsmöglichkeiten und Material, und werden am Ende von Carpe Diem mit einem müden Lächeln einbetoniert. Da muss das Spiel nicht mal den Tag nutzen, das wird noch vorm Frühstück erledigt. Eine wirklich clevere Wertungsmechanik, hohe Interaktion und ein geschickt verzahntes Puzzeln, machen Carpe Diem für mich zu einem der schönsten Brettspielerlebnisse dieses Jahres. Für Kennerspieler mit einem Faible für Lege-Action ein absoluter Pflichttitel von Alea, trotz schwacher grafischer Umsetzung!
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Sehr schöner Testbericht, kann dem nur zustimmen!