Ich liebe die Nordsee und ihr Umland. Diese absolute Ruhe und gleichzeitige Kraft, zwischen Deich, Schafen, Salzwiesen und windschiefen Bauernhäusern. Ich feier den Norden und als Norddeutscher ist Arler Erde von Uwe Rosenberg der heilige Gral der Atmosphäre. Da gibt es keinen zweiten Vergleich! Im Spiel selber findet sich neben Spielanleitung und Spielmaterial ein Kompendium über diese wundervolle Region. Hier werden mit absoluter Hingabe Spieldetails in den realen Kontext gehoben. Das ist mehr als Fanservice, da liebt jemand seine Heimat. An dieser Stelle für die positive Detailbesessenheit schon jetzt ein herzliches Danke.
Was ist Arler Erde?
Arler Erde ist ein reines 2 Personen Spiel, bei dem jeder Spieler um 1800 herum eine Familie übernimmt und versucht mit dieser seinen Hof aufzubauen, Handel zu treiben, die unwirtliche Gegend urbar zu machen und am Ende jeden Jahres nicht den Hungertod zu sterben. Für Videospieler ist es das ostfriesische Harvest Moon, für mich ist es ein absolut liebevolles, enorm komplexes und großartig facettenreiches Aufbauspiel.
Schwergewicht
Wer Arler Erde aus dem Regal zieht, der wundert sich erstmal über das enorme Gewicht. Der Blick in die Schachtel offenbart stimmungsvolles Spielmaterial in Hülle und Fülle: Kühe, Schafe und Pferde aus Holz, Rohstoffe und Gebäude aus fester Pappe und sechs Spielbretter. Das flößt Respekt ein. Wenn man dann erwähnt das dieses schwere Monster nur für zwei Spieler konzipiert ist, fällt dem Unwissenden meist die Kinnlade runter. Spielmaterialtest bestanden! Die Anleitung ist gut geschrieben, mit relativ vielen Beispielen, so dass auch Einsteiger mit langem Atem einsteigen dürfen.
Äh…und jetzt?
Ich liebe diesen Moment, den ich auch nach vielen Spielrunden immer noch am Anfang von Arler Erde verspüre, ja manchmal sogar bei jedem Zug. Was soll ich für Aktionen auslösen? Das Spiel teilt die Aktionen in Sommer- und Winterhalbjahr auf. Im Sommer kann ich zum Beispiel Holz hacken, Fischen gehen oder meinen Acker bestellen, im Winter wird eher Vieh geschlachtet oder getöpfert. Insgesamt gibt es 30 verschiedene Aktionen die das Leben und Arbeiten auf einem Hof um 1800 in Ostfriesland abstrahiert darstellen. Man kann pro Jahreshälfte aber nur eine Person der Familie mit einer Aufgabe betreuen. Da man nur vier Familienmitglieder hat, ist das verdammt knifflig. Erschwerend kommt hinzu das eine Aktion im Regelfall nur von einem Spieler pro Zug aktiviert werden darf, der andere guckt bisweilen dann dumm aus der Wäsche. Schön, denn so spielt man nicht nebeneinanderher, sondern steht in direkter Konkurrenz mit dem Nachbarn.
Extreme Verzahnung
Gut, diese Qual der Wahl kennt man von vielen Workerplacementspielen. Was bei Arler Erde am Anfang erschlägt ist die Verzahnung der Aktionen und die vielen Möglichkeiten Punkte für die Endabrechnung zu sammeln. Der gesamte Fortschritt auf dem Hof bringt Punkte. Wer hat die größte Viehzucht? Wer hat sein Land von Mooren befreit und den Deich ausgebaut? Handel treiben und dabei die umliegenden Dörfer bereisen ist aber genau so wichtig wie sein Land mit wichtigen Gebäuden zu bebauen. Auch der Fuhrpark, wie Karren, Kutschen oder Pflüge und Handwerksgerät in Form von Webstühlen, Werkbänken oder Scherbäume bringen Punkte ein. Hab ich die nicht zu verachtenden Siegpunkte durch Waren erwähnt? Bearbeitetes Holz? Wolle oder Leder? Noch besser wäre es die Wolle und das Leder in Kleidung umzuwandeln, das verdoppelt die Siegpunkte. Nichts ist am Ende umsonst, aber nur wer mit Weitsicht entwickelt, katapultiert seine Siegpunkte in die Höhe.
Kommen wir auf die Verzahnung zurück. Möchte ich Vieh züchten, dann brauche ich erstmal Vieh. Im Sommer könnte ich beim Krämer eines erstehen. Mit nur einem Tier züchtet es sich schlecht. Vielleicht noch den Deichbauer aktivieren, da erhalte ich eine Kuh oder Schaf. Nun, dann habe ich zwar zwei wunderschöne Tiere, aber ohne kuscheligen Stall wollen die sich einfach nicht vermehren. Kennt man ja. So wird der Stall durch den Zimmermann gebaut, und damit hätte ich drei von vier Familienmitglieder schon eingesetzt. Das Problem, ich habe für Getreide keine Felder bestellt um Nahrung zu erhalten, habe weder das Moor zurückgedrängt, noch Rohstoffe gesammelt um im Winter mein Werkzeug zu verbessern. Und dies ist nur ein kleiner Teil dessen was an Aktionen liegen bleibt. Diese Tiefe an Möglichkeiten und wie viele Dinge völlig logisch ineinander greifen, auch in Bezug auf den Sommer-Winter-Zyklus und den realen Bezug zum Leben auf einem Hof, ist einfach grandios!
Absolut motivierend
Wer bei Viehzucht oder Nahrungsbeschaffung nun an Agricola denkt, steht auf dem falschen Feld. Zwar gibt es gewisse Ähnlichkeiten, aber Arler Erde ist thematisch viel breiter angelegt und aus meiner Sicht wesentlich weniger frustrierend. Nicht falsch verstehen, Agricola, ebenfalls von Uwe Rosenberg, ist nicht umsonst mit Preisen überhäuft worden und rangiert in vielen Brettspielrankings ganz weit oben. Nur, wo bei Agricola das Spielende winkt wenn der Hof endlich zufriedenstellend läuft, nach dem Motto, wenn es am schönsten ist, soll man aufhören, fängt es bei Arler Erde erst an. Weniger hart in seiner Nahrungskonsequenz ermöglicht es auch in kleinen Schritten Erfolge, weil es durch die Breite auch mehr Wege bietet. Entwicklung ist das Schlüsselwort, weniger das Überleben. Kurz, gerade Anfänger sind bei Arler Erde, selbst wenn es nicht ganz so läuft, motivierter dabei.
Zieh den Tisch aus
Arler Erde braucht Platz. Für ein zwei Spieler Spiel absolut beeindruckend viel Platz. Der Aufbau dauert auch etwas, dafür gibt durch zufällig gezogene Gebäude etwas Abwechslung. Ich finde gerade diese Mechanik immer sehr nett, da es manch angewöhnte Strategie über den Haufen werfen kann. Es hätte hier etwas mehr Abwechslung geben können, ähnlich wie in Glasstraße, aber die Gebäude sind in Arler Erde auch nicht ganz so dominant. Zum Schluss noch eine Info für Grübler, dieses Spiel hat keinerlei Glückskomponenten, wer für einige Züge im vorraus plant, eventuelle Siegpunkte schon ausrechnet und das bei jedem Zug neu überdenkt, der spielt Arler Erde richtig lange. Also vielleicht etwas mehr aus dem Bauch heraus, dann hat der Mitspieler mehr Spaß.
Fazit
Bei Arler Erde ist nicht nur der Spielkarton ein Schwergewicht. Dieses Brettspiel, als atmosphärisch dichte Liebeserklärung an den rauhen Norden, besticht durch komplexe Aktionsketten und einer Breite an Möglichkeiten die ich bisher nur selten erlebt habe. Thematisch gibt es oberflächlich Ähnlichkeiten zu Agricola, das aus meiner Sicht aber härter mit Anfängern umspringt. Für eine oder zwei Personen und einer Spielzeit von zwei, manchmal drei Stunden zeigt aber auch Arler Erde das es kein Spiel für Zwischendurch ist. Ich begrüße das ungemein, denn so verbringt man mit Freude Zeit auf seinem Hof, züchtet Vieh, stellt Werkzeuge her, bestellt die Felder und treibt Handel mit umliegenden Dörfern. Trotz vieler Partien eröffnen sich immer noch neue Möglichkeiten – wer also nur ein Funken Nordsee in sich trägt, Vielspieler ist und öfters nur zu zweit am Tisch sitzt: Kaufen!
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