Kurzcheck: Worum geht es in Charterstone
Der König der Ewigen Stadt schickt ein bis sechs Spieler ins Feld, um im Grüntal eine neue Stadt zu bauen. Jeder Spieler bekommt seinen festen Bereich (Charter) in dem er seinen Teilbereich der Stadt aufbauen soll. Das geschieht über Sticker, die man in sein Charter klebt. Jeder Sticker steht für eine Workerplacement-Aktion. So tauscht man Waren und Geld ein, damit man weitere Gebäude bauen oder Kisten öffnen kann. Dadurch winken dann Siegpunkte. Ein paar Sonderaktionen (Ansehen und Ressourcen-Spenden) ermöglichen Extra-Siegpunkte. Wer die meisten Siegpunkte ergattert, gewinnt das Spiel.
Die Legacy Mechanik sorgt dafür, dass Charterstone Stück für Stück mit Spielmaterial und Regeln erweitert wird. Siegpunkte nimmt man indirekt in Form von Sternen (10 SP = 1 Stern) in die nächste Partie mit, weil man sich mit Ihnen dauerhafte Vorteile erkaufen kann. Als Ausgleich erhalten aber auch die Verlierer Boni, weil sie mehr Material spielübergreifend behalten dürfen. Nach 12 Partien ist die Kampagne beendet und es wird ein Gesamtsieger gekürt. Ich bin eigentlich ein Fan von solchen Legacy-Mechaniken. Nach Seafall bringt mich nun aber auch Charterstone ins Grübeln.
Sonnenaufgang
Der Start in ein frisches Legacy-Spiel ist natürlich immer etwas Besonderes. Was wird im Sinne der Geschichte präsentiert, welche Überraschungen erwarten uns in der Spielmechanik? Pandemic Legacy Season 1 war da ein absolutes Highlight. Ähnlich motiviert sind wir zu zweit in die Charterstone-Kampagne gestartet. Man klebt erste Gebäude, setzt seine Worker ein und öffnet Kisten. Wobei Kisten öffnen nur im übertragenden Sinne gemeint ist, zumindest meistens. Eigentlich erhält man durch das Abwerfen einer Kisten-Karte aus einer Aufbewahrungsbox weitere Karten. Das ist eines der Kernmechaniken des Spiels. Neue Karten führen neben Gebäuden mit mächtigeren und neuen Workerplacement-Aktionen auch neue Spielmechaniken ein.
Besonderheit von Charterstone: Worker blockieren keine Aktionen. Wähle ich ein besetztes Gebäude, darf mein Mitspieler seinen Worker entfernen. Das hat für beide Spieler einen Vorteil. Mir selber kann nichts blockiert werden, der andere erhält seinen Worker wieder. Das ist deshalb nett, weil man ohne freien Worker eine Runde aussetzen muss, damit man alle seine Worker wiederbekommt. Im Übrigen darf ich auch Gebäude aus anderen Charter benutzen, allerdings sind im Laufe der Kampagne die eigenen Gebäude oft erste Wahl, warum möchte ich hier nicht verraten.
Bewölkter Himmel in Grüntal
Hört sich alles gut an. Nur leider ist das Spiel am Anfang vom Anspruch sehr flach. Es gibt nur wenige Gebäude und somit sinnvolle Aktionen. Was sich bei vielen Mitspielern schneller ändert, dauert bei zwei Mitspielern entsprechend länger. Zudem ist jedem Charter ein Rohstoff und spezielle Mechanismen zugeordnet – die ich hier jetzt ebenfalls nicht verrate. Bei zwei Spielern fehlen dann vier andere Charter, die neue Spielmechaniken ins Spiel bringen und entsprechend die Ressource nach vorne tragen. Man tritt auf der Stelle, macht immer gleiche Aktionen und liefert sich zusätzlich noch ein hektisches Rennen.
Mal wieder ein Wettrennen
Man kennt es ja von Brettspielen aus dem Hause Stonemaier Games. Auch in Charterstone findet ein Wettrennen statt. Gewisse Aktionen wie das Bauen von Gebäuden oder das Öffnen von Kisten, lassen den Rundenzähler ein Feld weiter rücken. Bei zwei Spielern spielt man nur neun dieser Aktions-Runden. Wer da ein paar nette Komboketten bastelt, vielleicht auch durch mitgenommene Dinge aus vorherigen Partien, kann seinen Gegner gehörig unter Druck setzten. Das nervt bei einem Aufbau-Legacy-Spiel noch mehr, weil der Verlierer oft frustriert zurückgelassen wird. Er hätte halt noch gerne Gebäude X gebaut und Aktion Y gemacht. Wer abgehängt wird, verliert eben auch Boden in der Kampagne – zumindest fühlt es sich so an. Oft stellte ich mir die Frage, wie schon in Seafall, ob kompetitives Spiel und Legacy gut zusammenpasst. Mittlerweile würde ich klar verneinen. Denn Herausforderungen, schlimmstenfalls Probleme durch Legacy-Mechanismen, sind in kooperativen Spielen Teil einer gemeinschaftlichen Erfahrung. In kompetitiven Szenarien wird es dein persönliches Problem, während sich zeitgleich ein anderer über sein Punktegewitter freut.
Automa die Lösung?
Größeres Problem sind aber die unbespielten Charter! Nicht umsonst empfiehlt die Spielanleitung ab Partie drei das Hinzufügen von zwei virtuellen Spielern, Automa genannt. Deren Spielaktionen werden über ein Kartendeck gesteuert und sind losgelöst von den Regeln der Spieler. Es ist ein klein wenig Verwaltungsaufwand pro Runde nötig, aber das hat man schnell raus. Der Vorteil rechtfertigt diesen Aufwand, weil so weitere Charter entwickelt werden. Wie die Spielanleitung empfehle auch ich das hinzufügen der Automa! Nur sie lösen nicht alle Probleme. Denn die Automa bauen chaotisch, ohne eigene Strategie völlig wild durcheinander. Gebäude-Symbiosen in den Charter entstehen maximal durch reinen Zufall.
Dadurch sind bei uns zwei Probleme ins Spiel gekommen. Es wurden Gebäude gebaut, die auf gewisses Material abzielen, die aber noch gar nicht im Spiel waren und vor allem ist unser Spielbrett für eine Partie nach der Kampagne nicht zu gebrauchen, wenn man mit mehr als 2 Spielern spielt – zumindest sind die Charter der Spieler dann nicht ausgeglichen. Der Vorteil, dass man in Charterstone theoretisch ein und aussteigen kann, weil ein Spieler ein Automa-Charter übernimmt oder umgekehrt, ist in der Theorie gut. Praktisch möchte ich aber nicht für eine einzige Partie so einem chaotischen Mechanismus mein Charter anvertrauen.
Absolutes Schietwetter in Grüntal
Der absolute Motivationstiefpunkt war dann in Partie fünf oder sechs erreicht. Ja, die Automa sorgten dafür das sich das Spiel besser entwickelte, leider wie gesagt entsprechend chaotisch. Später haben wir festgestellt, das sich trotz Automa die Charter zu wenig entwickelt hatten. Wir haben manch Spielmaterial erst sehr spät gesehen – für die Spielmotivation zu spät. Zum Teil hatten wir sogar unbrauchbare Karten, weil bestimmte Basiselemente bei uns nicht im Spiel waren.
Ebenso schlimm war aber, dass sich der Rahmen von Charterstone als substanzlos herausstellte. Keine nennenswerte Story, keine Spannung! Der Legacy-Aspekt von Charterstone bezieht sich auf das Hinzufügen von Spielelementen. Mini-Addon-Charakter! Das meiste ist nicht einmal bahnbrechend, dass bisschen an flacher Geschichte erahnt man zudem früh. Der Trott aus funktionierendem, aber wenig spektakulärem Workerplacement bleibt. Irgendwann hat man den Dreh raus und man entwickelt sogar ein Gefühl für das, was einen in den Kisten erwartet. Überraschungsmomente sind selten, ich kann sie an einer Hand abzählen. Für mich einer der enttäuschendsten Punkte in Charterstone.
Stark verwunderte auch das Öffnen einer Kiste, diesmal einer richtigen, in der mehrere Komponenten enthalten waren, man sich allerdings nur ein Element herausholen durfte. Anhand des grundsätzlichen Spielaufbaus (Ressourcen, Charter & Co) konnten wir erahnen, was da noch aus dieser einen Kiste alles kommen wird. Das darf aus meiner Sicht in einem Legacy-Brettspiel nicht passieren. Dazu fehlten uns im Spielverlauf dann auch noch zweimal einzigartige Karten! In einem Legacy-Brettspiel ein übler Patzer. Ganz ehrlich, wäre Charterstone kein Legacy-Spiel mit der steten Hoffnung auf Besserung, wir hätten abgebrochen. Als Bewertung ausgedrückt für ein 2-Spieler Erlebnis, war ich bei einer 4 – mit zwei Augen zugedrückt.
Die Sonne bricht langsam wieder durch
Zum Glück fing sich Charterstone im letzten Viertel wieder. Die Charter waren besser ausgebaut, vielleicht sogar schon fast fertig. Dazu kamen einige witzige temporäre Regeln, die immer gleiche Abläufe aufbrachen. Hier wurde dann plötzlich sogar wieder taktiert und überlegt! Oft gab es mehrere Möglichkeiten zu vielen Siegpunkten. Der Ausbau und damit das Kleben der Sticker wurde weniger, das optimale Sammeln von Siegpunkten noch prägnanter. Auch hatten wir dann irgendwann alles an Material was Charterstone bietet auf dem Tisch. Schade, dass wir diesen Spaß nicht früher erlebt haben. Wenn ich allerdings das durchlese, was andere Spielgruppen erlebt haben, mit mehr Mitspielern, so tritt dort diese Phase zwar früher ein, dafür stagniert das Spiel dann länger und der Spaß sinkt am Ende. Auch ohne praktische Erfahrung mit mehr Mitspielern kann ich das absolut nachvollziehen.
Balancing Probleme
Wenn die Charter gut ausgebaut wurden und man die ein oder andere Karten mit Sonderregeln auf der Hand hat, die man theoretisch immer mit ins nächste Spiel nehmen kann, dann wird es unter Umständen zu sehr starken Synergieeffekten kommen. Das ist dann leider für die anderen Teilnehmer unschön. Da man Material immer mit in die nächste Partie nehmen kann, muss sich an diesem Umstand auch nichts ändern. Auch sind aus meiner Sicht die Charter und ihr nutzen der Gebäude nicht wirklich gleichwertig und manchmal reibt man sich über die Worker-Aktionen verwundert die Augen. Heißt, bei uns gab es Gebäude, die haben wir nie benutzt, denn jede Aktion will optimal genutzt werden. Ihr erinnert euch, wir befinden uns nicht in einem gemütlichen Aufbauspiel, sondern in einem Wettrennen.
Spielmaterial
Normalerweise schreibe ich eher selten etwas über das Spielmaterial, aber Charterstone ist wirklich ansehnlich und qualitativ hochwertig produziert! Metallmünzen, schöne Ressourcen-Marker, Holz-Worker und sehr hochwertige Karten mit einem leicht glänzenden Lack. Das Artwork ist natürlich Geschmackssache, trifft mit seinem Knuddelcharme wohl viele Herzen. Wären da nicht die fehlenden Karten gewesen, wenigsten hier hätte ich Charterstone meinen Segen geben können. Aber wer sich mal bei Facebook umhört, es ist wohl leider nicht die Ausnahme das Material fehlt. Bei einem Legacy-Spiel, wo jede Karte das Spiel ändert, in zweifacher Hinsicht (Als Kiste und Gebäude), kann man dann eigentlich erstmal nur pausieren.
Fazit
Das grüne Tal in Charterstone ist nicht meine liebste Heimat im Brettspieluniversum geworden. Oft dachte ich, jetzt nen Stickeralbum und einfach ein Rosenberg auf dem Tisch und alles wäre gut. Ich habe all das in Charterstone vermisst wofür ich Legacy-Spiele, insbesondere Pandemic, liebe. Es fehlt ein spannender Rahmen, der mich von Spiel zu Spiel treibt, mich emotional bindet und die Spieldurchgänge zusammenhält. Viel zu wenig überraschendes Spielmaterial, das einen taktisch zu neuen Dingen animiert. Wo bleibt das Wow-Gefühl wenn man eine Box öffnet? Charterstone skaliert dabei auch noch sehr schlecht! Ich kann nur davon abraten, das Spiel zu zweit zu spielen. Es entwickelt sich zu langsam und die Automa bauen zu chaotisch. Und so richtig ausgeglichen fühlt sich Charterstone dann auch nicht an, weil es partieübergreifend Punktekombos ermöglicht. Wer Wettrennen nicht mag – Vorsicht! In Charterstone muss man manchmal sprinten!
Im letzten Drittel des Spiels reißen manche temporäre Regeln die gut funktionierenden, aber vom Spielspaß eher soliden, Workerplacement Mechaniken etwas auf. Die dann genügend entwickelten Charter sorgen zusätzlich für mehr taktische Abwechslung. Da war dann plötzlich der Spielspaß zu greifen! Für ein richtig positives Gesamtfazit kam das aber viel zu spät.
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