
Einblicke und Nachklänge vom Tag der Brettspielkritik 2025: Zwischen Anspruch und Perspektive
Vielleicht habt ihr es über andere Kanäle mitbekommen: Menschen, die sich professionell oder leidenschaftlich mit Brettspielen in Blogs, Podcasts, auf YouTube oder in klassischen Medienformaten beschäftigen, trafen sich in diesem Jahr zum vierten Mal beim Tag der Brettspielkritik. Auch ich durfte drei Tage lang Teil dieses intensiven Austauschs sein. In Workshops, Podiumsdiskussionen und Seminaren drehte sich vieles um die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Kulturgut Brettspiel und darum, wie wir Kritiker:innen diesem Kulturgut in Rezensionen gerecht werden können – oder sollten. Wer tiefer einsteigen möchte, sei auf die Website der Veranstaltung oder den Podcast Board Game Theory verwiesen, bei dem ich bei Olli mit Tim von den Teilzeithelden zu Gast war. Und damit willkommen bei der Nachbetrachtung zum Tag der Brettspielkritik 2025. An dieser Stelle jedoch möchte ich nicht den gesamten thematischen Kosmos aufrollen, sondern mich auf zwei ausgewählte Aspekte konzentrieren.
Tag der Brettspielkritik 2025: Die gute Brettspielkritik
Zum dritten Mal war ich nun Gast bei diesem besonderen Treffen – und unangefochten im Zentrum steht stets die gleiche Frage: Was ist gute Brettspielkritik? In der „Echo-Kammer“ der Rezensierenden scheint mittlerweile eine gewisse Einigkeit zu herrschen, vor allem wenn auf die Grundlagen geschaut wird. Im Jahr 2025 zum Beispiel ist die Vorstellung, eine Rezension müsse vor allem Regelmechaniken abbilden oder nach objektiven Maßstäben funktionieren, fast vollständig obsolet geworden. Brettspielkritik ist kein verlängerter Arm des Produkttests. Ich habe das so auch noch nie verstanden.
Interessanter ist indessen ein anderer Punkt. Es gibt Tendenzen von einigen, vielleicht sogar wenigen lautstarken Personen, hier gewisse Maßstäbe zu etablieren, die einen wesentlich stärkeren Fokus auf den Kontext von popkulturellen oder gesellschaftskritischen Bezügen legen. Nach Vorbild der Theater- oder Filmkritik im Feuilleton. Wie und warum wir etwas spielen, warum diese Spiele entstehen, aber auch rezipiert werden. Ist dieses Schlaglicht gewünscht? Soll Kritik also nicht nur das Spiel und deren Reize, durchaus im Kontext der spielenden Menschen, beschreiben und werten, sondern es zugleich in größere kulturelle und soziale Zusammenhänge einbetten? Und wenn ja, wie weit darf oder soll dieser Anspruch gehen? Wer ist die Leserschaft, die solche tiefgreifende Kontextualisierung überhaupt sucht? Allein meine Rückspiegelung der Frage an euch als eigene Zielgruppe würden diese Personen wohl als falschen Weg betrachten. Als fehlende normative Klarheit meinerseits. Denn für sie geht es vermutlich weniger um die Nachfrage als um eine selbstgesetzte Haltung: Kritik soll, aus dem Inneren der Kritiker:innen-Szene heraus, das Kulturgut Brettspiel nach außen stärken – durch Reflexion, Reibung und Relevanz.
Was macht diese aus?
Ich versuche hier seit Jahren einen Spagat. Unterhaltung, Persönlichkeit und damit eine gewisse Nähe, mit dem Fokus auf Spielreize, Emotionen und dem Spielerlebnis als Gruppe. Brettspiele über den womöglich zu erlebenden Spielspaß in die „Häuser“ anderer Menschen zu bringen, das ist Teilziel meinerseits. Brettspielkritik kommt dabei von mir, aber wie schon einmal thematisiert, niemals losgelöst von der eigenen Gruppe. Und ich sträube mich als neugieriger und offener Charakter sicher nicht gegen Veränderung. Aber wie stark braucht es immer eine Kontextualisierung zu popkulturellen oder gesellschaftlichen Aspekten? Gebärt es auch einen Mehrwert bei Titeln wie Instinkt – ist es dort überhaupt zu leisten? Der Kommentar von Tobias2 unter der Rezension ist eigentlich genau meine Maxime, mit jeweiliger Aufbrechung, wenn Titel etwas anderes zum Schwingen bringen und andere relevante Themen sich in den Vordergrund spielen. Wohin soll also die allgemeine Reise der Brettspielkritik gehen? Ist die Zielsetzung der Theater- oder Filmkritik im Feuilleton großer Zeitschriften der normative Gipfel?
Brettspielszene: Offenheit und Exklusion
Das zweite Element, das Teil unserer Diskussion werden soll, ist das vorgetragene Thema von Dr. Cosima Werner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kiel. Ihr Thema: Die Brettspiel-Szene im Spannungsfeld zwischen Offenheit und Exklusion. Ich kürze hier stark ab, weil es mir um eure Erfahrung geht und ich in wenigen Zeilen dem Vortrag nicht gerecht werden könnte. Wie gesagt, hört in den Podcast rein, wo ich ausführlicher über den fantastischen Vortrag berichte. Dr. Cosima Werner hat über 2 Jahre „unsere“ Szene begleitet, dabei empirisch untersucht, diverse Interviews geführt und ausgewertet. Die Vorstellung der Ergebnisse würde hier jeden Rahmen sprengen, allerdings hat sie als Außenstehende – sie selbst betreibt das Hobby nicht – durchaus den Finger in die Wunden unseres Hobbys gelegt. „Wunden“, die ich leider mit der Zeit selbst erleben durfte. Daher eine von mir interpretierte kurze Vorstellung zweier Themenfelder, damit danach hoffentlich die Diskussion starten kann.
Offenheit und familiär
Unser Hobby gilt aus der Szene selbst heraus als offen und tolerant. Wir „lieben“ Menschen und mit ihnen das Spielen. Es interessiert nicht, wer da an den Tisch kommt, wenn diese Person spielen will. Beruf? Gehalt? Herkunft? Sozialer Stand? Egal. Ein besonderer und positiver Mehrwert unserer Hobbys. Gleichzeitig beschreibt sich die Szene als familiär. Wir erschaffen im Miteinander intime Momente. Wir kommen uns am Tisch näher. Wir erleben uns. So wachsen Menschen zusammen und bilden Gruppen, wo sich ein Heimatgefühl durch Vertrautheit einstellen kann. Ich selbst habe durch Brettspiele so viele wunderbare Menschen kennenlernen dürfen wie wohl in keinem anderen Hobby. Ich unterstreiche diese beiden Punkte somit absolut.
Happyworld, exklusiv und arrogant?
Gleichzeitig erschafft sich die Szene eine Happyworld, wo viele Themen nicht stattfinden (dürfen). Wo gewisse Themen nerven. Eher werden diese abgewürgt als ausgetragen: Sexismus, Rassismus, Klassismus, „koloniale Denkweisen“ und deren Fortführung oder toxisches Verhalten am Tisch. Bei Unknowns, einem großen deutschen Brettspielforum, wird selbst bei Brettspielen mit politischen oder gesellschaftskritischen Themen die Besprechung solcher Themen im Kontext des Brettspiels nicht zugelassen. Nur in einem Sonderraum kann diskutiert werden. Brettspiele sind genial und wir wollen eine gute Zeit haben. Elemente, die hier kritisch eindringen, werden zur Seite geschoben.
Dazu gesellt sich eine elitäre Sichtweise auf andere Menschen, die anders oder nicht die richtigen Brettspiele spielen. Es gibt Tendenzen zu Deutungshoheiten, was richtige Brettspiele sind. Abwertungen von Brettspielen wie UNO oder Monopoly. Wenn auf einem Workshop davon berichtet wird, dass Jugendliche in einer Bücherhalle drei Stunden mit Feuereifer und Spaß, das Smartphone vergessend, Monopoly gespielt haben, gleichzeitig auf Rat aus unserer Szene Monopoly eigentlich gar nicht angeschafft werden sollte, dann frage ich, wo ist denn da die Offenheit? Wie elitär sind wir wirklich? Wie viele Menschen werden durch unser Verhalten, durch „gefeierte“ Nerdkultur, das „Kallax-Regal-Gepluster“ oder Fachsprache schon vor dem möglichen Einstieg ins Hobby abgeschreckt? Wie sehr muss ich mich rechtfertigen, mit einem narrativen Spiel Spaß zu haben? Oder sollte ich nicht lieber ein Buch lesen? The Mind? Noch Brettspiel genug? Wo stehen wir also als Community und habt ihr auch schon negativen Erfahrungen gesammelt?
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
„Gleichzeitig erschafft sich die Szene eine Happyworld, wo viele Themen nicht stattfinden (dürfen).“
Ja, das ist leider so – und für mich auch nur sehr schwer zu ertragen! Ich beschränke mich inzwischen darauf, die Farben Blau und Gelb nicht gleichzeitig im Spiel haben zu wollen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt…
…und mir ein gewisses pnp-social-deduction-Spiel neben der Originalversion zusätzlich noch in einer anderen, eher unverfänglichen gebastelt zu haben, auch wenn ich selbst thematisch da kaum am tabletalk teilnehmen kann (Geschichte hatte schliesslich jeder in der Schule, die StarWars-Saga steht aber mW auf keinem Lehrplan oder ist sonst irgendwie Pflicht) – manche Mitspieler wollen das aber offenbar so!
Was wurde mir da schon alles vorgeworfen, weia… sachliche Diskussion nicht möglich!
Hallo KK;
vielen Dank für deinen Einblick. Zunächst Service: Warum auch immer, aber ein paar Links waren in der veröffentlichten Version rausgeflogen. Diese sind nun enthalten (Podcast und Tim als Gesprächspartner). Falls dich also das Themenfeld interesssiert, kann ich dir die Folge des Podcasts empfehlen.
Zu deinen Erfahrungen: Vielen Dank für deine Mitteilung. Kann ich nachvollziehen und passt aus meiner Sicht ziemlich gut zum Thema der Diskrepanz zwischen Selbstbeschreibung der Community (die ich eigentlich auch teile) und der erlebten Realität.
Da du hier ja öfters schreibst, würde ich mich noch freuen, zu erfahren, was du zum ersten Themenblock für eine Meinung hast.
Liebe Grüße
Christian