Lesezeit: 7 Minuten
Deep RegretsDeep Regrets is nix för Landratt’n. Dat is mol kloar! Du musst de salzige See-Luft afkönn’ un dat ewige Wackeln ünner dien Fööt. Überkommt dich der Hunger, grieps du nich na’n Schnicker, sondern beißt mit Herzenslust in frisch fangene Fisch. Wobei sich „frisch“ in der rauen und unheimlichen See von Deep Regrets nur auf den zeitlichen Faktor des Fangens bezieht und nicht auf den Zustand des Fangs. Es wird hier mitunter eklig bis gruselig. Ich schmeiß nu aver mol mien slechtes Plattdüütsch över Boord – dat wird sonst zu anstrengend! Eigentlich würde ich auch ganz gerne so manche konzeptionelle Entscheidung des Autors Judson Cowan mit über die Reeling werfen. Ich sach euch dat, das wird jetzt ne steife Brise bei erhöhtem Wellengang!

Kurzcheck: Darum geht es in Deep Regrets

Ich hoffe, der Einstieg hat gezeigt, was Deep Regrets in mir als Mensch vom Deich weckt. Wer die Schachtel öffnet, den packt sofort die schwielige Pranke der salzigen See. Vom gestalteten Innenleben des Deckels, über das famose Regelheft bis hin zu kleinsten Markern zeigt sich das gleiche Bild. Die absolute Hingabe an das Thema. Mit dem Kahn aufs Meer hinaus und dort in skurriler, aber hochgradig passender Mischung aus herkömmlicher Fischerei und „cthulhuresker“, horrorartiger Mystik aufzugehen. Für die größten Fänge und damit den Spielsieg setzt du hier sogar deine geistige Gesundheit aufs Spiel, was dich zunächst stärkt, aber am Spielende Nachteile einbringen kann. Du beißt genüsslich für Boni in gefangene Darmegel oder erfreust dich am Beinbarsch. Der sieht so scheiße aus, wie er klingt! Jeder dieser verrückten Fänge glänzt zudem mit einem passenden Flufftext. Ja, Deep Regrets ist ein Meister in der Erschaffung dieser skurrilen Welt. Der Sog, dieses Spiel auszuprobieren, sollte genau auf das Erleben dieser Atmosphäre fußen. Spricht dich das Thema nicht an und der darin versteckte Humor, dann hacke schnellstmöglich ein Loch in den Rumpf dieser Rezension und lasse sie mit dem Spiel untergehen.

Spielerisch ist Deep Regrets hochgradig einfach gestrickt. Eine Woche wird gespielt, wobei du dich jeden Tag entscheidest, im Hafen zu bleiben, deinen Fang zu verkaufen und auf deren Siegpunkte zu verzichten, damit du bessere Ausrüstung und mehr Köderwürfel zum Fangen von „Fischen“ erhältst oder ob du in See stichst, um deine Netze aka Köderwüfel auszuwerfen. Die See wiederum besteht aus Kartendecks. Willst du etwas fangen, wählst du ein Deck aus, ziehst die oberste Karte, gibts entsprechend dem Fangwert Köderwürfel ab und die nächste Person ist an der Reihe, bis alle gepasst haben. Wer am Ende der Woche die meisten Punkte über seine Fänge gemacht hat, gewinnt.

Deep Regrets
Raus aufs Meer!

Feinheiten

Das war jetzt trotz der Seichtheit von Deep Regrets spielerisch trotzdem sehr heruntergebrochen. So stehe ich immer vor der Entscheidung, für den Verlust eines Köderwürfels tiefer aufs Meer zu fahren. Dort sind die möglichen „Fische“ lukrativer, aber auch schwerer zu fangen. Zudem steigt die Rate an verdorbenen, ergo verrückten Viechern. Die schätze ich nur, wenn ich selbst verrückter bin. Bleibe ich ohne Reue und mein Wahnsinn ist entsprechend niedrig, will ich lieber „echte“ und nicht verdorbene „Fische“ besitzen. Am Spielende verändert mein geistiger Zustand nämlich die Wertigkeit aller Fänge und wer die meiste Reue besitzt, muss seinen wertvollsten ausgestellten Fisch abwerfen.

Deep Regrets
Jeder Fang bringt Punkte, aber ausgestellte erhalten einen Multiplikator

Reue erhalte ich meistens durch das Aufdecken von verdorbenen Kreaturen. Viele Karten haben nämlich einen Aufdeck-, Fang, – und Essenseffekt. Da reicht manchmal nur die Sichtung, oft sogar ausgelöst durch eine andere Person und alle am Tisch müssen eine Reue-Karte ziehen. Deren Wertigkeit schwankt. Entsprechend ist die Anzahl der Karten nicht allein aussagekräftig. Hier kann geblufft werden!  Entsprechend kann ich eine aufgedeckte Fisch-Karte auch liegen lassen, den Fang also abbrechen. Ich verliere dadurch zwar einen wertvollen Köderwürfel, aber umschiffe einen unpassenden Fang und bekomme als Trost eine Beifang-Karte. Das sind kleine situative Boni für die verschiedenen Bereiche des Spiels. Der „Fisch“ bleibt allerdings offen liegen und nachfolgende Personen können nun zugreifen. Cooler Kniff: Die verdeckt ausliegenden Karten der Decks, die das Meer darstellen, besitzen auf ihrer sichtbaren Rückseite einen „Schatten“. Die Größe des Schattens gibt eine Tendenz an, wie hoch der Fangwert ist, wenn ich die Karte umdrehe. Das ist nicht nur thematisch cool, sondern mindert etwas das Glück beim Aufdecken der Karten.

Deep Regrets
Du verdammter Beinbarsch!

Der Tag auf dem Meer

Klingt das nicht herrlich? Ich freue mich aufs Meer. Starten wir ins Abenteuer! Es ist ein schöner Montag. Ich fahre natürlich raus. Ich habe die drei Standard-Köderwürfel, die ich mittelmäßig geworfen habe (Augen: 3, 1, 1). Egal. Ich bleibe im flachen Wasser. Meine Reue ist gering, also hoffe ich auf frische Fische. Die erzielen, wenn ich am Dienstag in den Hafen fahre, mehr Gewinn. Ich ziehe eine Flunder. Klein und frisch kostet sie mich 2 Fangpunkte. Ich lege beide 1er-Köderwürfel in den Verbraucht-Pool und schnappe mir die Flunder. Immerhin zwei Siegpunkte oder Geld wert. Da ich gar keine Reue besitze, gibt es sogar einen Bonus von plus zwei auf die Wertigkeit. Inga ist dran. Sie zieht einen Riesenzackenbarsch. Fangkosten? Zwei. Wert? Vier. WTF. Und der Essensbonus ist auch besser. Sie gibt nur einen Würfel ab, weil sie mit einem ihrer drei Würfel passend eine Zwei gewürfelt hat.

Am Ende des Tages ziehe ich mit meinem letzten Würfel erst eine Seeblase, die gratis ohne Würfelkosten gefangen wird, aber einer anderen Person Inga gegeben werden muss und beim nachfolgenden Fisch bei einem mittleren Schatten den Zackenbarsch. Das ist deswegen ärgerlich, weil dieser bei einem Fangwert von 1 nur 2 Siegpunkte/Geld einbringt, trotzdem mittelgroß ist und ich dafür meinen 3er-Köderwürfel nutzen muss. Inga hingegen zieht die Leiche. Was haben wir gelacht! Aufdeckbonus: Alle ziehen eine Reue. Ich verliere meinen sauberen Status und damit den +2 Bonus auf frische Fische. Jetzt lacht nur noch Inga, die nicht auf die saubere Reue-Startegie gesetzt hat. Sie hat am Ende des ersten Tages vier fette Fische. Ich habe zwei Fische mit schlechten Werten und Reue, die ich nicht wollte. Scheiß Montag!

Deep Regrets
Nordsee? Ostsee? Hauptsache Zufall!

Der Hafentag

Der Hafentag gestaltet sich entsprechend. Ich verkaufe meine kleinen Fänge und habe wenig Zaster. Meine Frau weiß gar nicht wohin damit. Egal. Ran an die Ausrüstung. Dienstag ist ein guter Tag! Es kann theoretisch viel gekauft werden. Angelruten und Angelrollen, zufällige Vorräte oder weitere Köderwürfel. Das Prinzip ist einfach: Wer mehr Geld ausgibt, darf mehr Karten ziehen, wobei man meistens trotzdem nur eine Karte behalten darf. Ich möchte unbedingt eine gute Angelrute, denn da gibt es mächtige Boni abzugreifen. Also gebe ich hier fast mein ganzes Geld aus. Ich freue mich, denn ich ziehe unter anderem eine Angel, bei der alle Fische günstiger zu fangen sind. Meine Frau pokert. Sie zieht nur eine Karte und bezahlt wenig, damit sie bei anderen Händlern viel kaufen kann. Es ist die Rute der Ewigkeit. Sie darf nun beim Aufdecken drei Karten ziehen und eine aussuchen. WTF 2.0. Mir fallen die Augen aus dem Kopf. Ich erspare euch den Rest des Tages und der Shoppingtour, denn Dienstage sind auch richtig abartig!

Deep Regrets
Einfach shoppen gehen

Nicht Cthulhu, sondern Randomness

Das war jetzt zugegeben etwas konstruiert, aber all diese Momente können und sind geschehen. Du beißt hier oft in die Planken, selbst wenn vieles davon lustig untermalt wird. Und eines sollte extrem klar geworden sein. Nicht nur Cthulhu hat die tiefe See besucht, sondern der größte Gott aller Zeiten und Zerstörer von vielem: der Randomness. Eigentlich gibt es nicht ein einziges Spielelement, welches nicht vom Zufall abhängt. Ja, gelegentlich kann Zufall eingeschränkt werden, weil du beim Kauf von Gegenständen mehr Geld ausgibst oder analytisch deine Köderwürfelwerte mit den Schattenabbildungen der See-Karten abgleichst, aber selbst diese Momente können eben in die ein oder andere Richtung ausschlagen. Du kannst am Ende viel Geld ausgeben und erhältst eine schlechtere Auswahl beim Ziehen als jemand, der nur einen Taler locker macht. Wahrscheinlichkeiten. Keine Sicherheiten. Zufall und eine gewisse, vielleicht gewollte Unbalance. Und dann fühlt es sich bisweilen frustrierend oder „gespielt“ an. Du willst keine Reue? Tja, wenn andere Leute Fische aufdecken, kannst du trotzdem welche erhalten. Du waberst in allen Bereichen im Chaos. An sich kein Problem, wenn wir im Bereich Button Shy Games oder Oink Games unterwegs sind. Also kleine, schnelle Spiele. Deep Regrets braucht aber eher 30 Minuten pro teilnehmende Person.

Nach der Erstpartie war ich über das Konzept verwundert. Offen gesagt, bin ich es immer noch immer. Allerdings wurde Deep Regrets mit jeder Partie besser. Die Spielzeit schrumpfte, aber vor allem wusste ich um das richtige Mindset. Lockerheit. Über sich selbst lachen. Mit den Mitmenschen das Thema genießen. Sich ärgern und wissen, genau wegen dieser „Scheiße“ lachen sich andere gerade ins Fäustchen. Denn so wie alles mit Zufall zugekleistert ist, ist auch alles mit Humor, liebevoller Gestaltung und skurrilen Details vollgestopft. Ich habe kein zweites Spiel dieser Art im Schrank.

Deep Regrets
Die Anzahl deiner Reuekarten verändert so einiges!

Fazit

Genau deshalb fällt das Fazit nun so schwer. Deep Regrets ist für mich das vielleicht längste je gespielte Absackerspiel. Es besitzt die perfekten Zutaten für dieses Genre: Herrlich absurde Gestaltung, liebevolle Einbettung eines Themas, dazu ein chaotisches, geselliges Spielprinzip, bei dem Bluff und Zufall jegliche tiefergehende Strategie überlagern. Wir kommen zusammen, erfreuen uns am Thema, beömmeln uns über den Flufftext des Osteofisch und erleben am Ende sogar eine spannende Abrechnung aufgrund der verdeckt gesammelten Reue. Selbst dieses Element wurde mit zwinkerndem Auge kreiert, sind auch die Reuekarten mit absurden Mini-Storys beschenkt. Verpackt ist es allerdings in die Spielzeit eines mittelprächtigen Kennerspiels, bei nur einem Bruchteil an Eigenleistung oder spielerisch interessanten Nuancen. Wenn so viel Zufall aufeinanderprallt, braucht es schon das perfekt passende Mindset, damit aus möglichem Frust oder gefühlter Entscheidungslosigkeit so etwas wie Spielspaß entsteht. Passende Gruppe? Raus aufs Meer! Falls nicht, könnte dich die Reue packen.

Deep Regrets
Spielinformationen
Genre: "Absacker" | Personen: 1 - 5 | Alter: ab 14 Jahren | Dauer: 30 - 150 Minuten | Autor: Judson Cowan | Illustration: Judson Cowan | Rezensionsexemplar erhalten
SPIELSPASS
6.5
MATERIAL
9
SPIELIDEE
7.5
Positive Aspekte
Unfassbar liebevoll gestaltet und mit einer genialen Prise Humor gesegnet
Frisches Thema
Sehr hochwertiges Material
Bluffen bei der Reue erzeugt Spannung fürs Spielende
Wer es mag: Der vielleicht längste Absacker nach Relic und Talisman
Mit der richtigen Gruppe und Mindset, kannst das Spiel seine Stärken ausspielen
Negative Aspekte
Ohne das richtige Mindset der Gruppe, kann getrost mind. 1 Wertungspunkt abgezogen werden
Jedes Spielelement ist mit Zufall gesegnet
Downtime und Spielzeit bei mehr als 3 Personen nicht mehr entsprechend
Ausrüstungs- und Vorratskarten hochgradig unausgeglichen
Passgenaue Steuerung der Reue fast unmöglich, da diese völlig unplanbar auch bei Aktionen anderer erzeugt wird
6.5
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Christian
    21. Juni 2025 5:12

    Stimmt alles, wir haben trotzdem immer wieder einen Riesenspaß mit Deep Regrets, man sollte halt wie eigentlich immer darauf achten wer mit am Tisch sitzt und alle darüber aufklären welche Art Spiel Deep Regrets ist.

    Besonders der ganz klare Bezug zu meinem absoluten Lieblingsvideospiel der letzten Jahre (Dredge) sorgte bei mir schon beim ersten Sichten des Materials für feuchte Augen.

    Mal sehen was die bereits angekündigte Erweiterung noch so mit sich bringt.

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    • Vielen Dank für deinen Kommentar, weil er zeigt, wie sehr man hier Spaß im Spiel haben kann und auch wie das Material schon verzaubert. An das Videospiel habe ich auch gedacht. Ich kenne das, habe es allerdings noch nicht gespielt. Ich habe mich bei der Bewertung dieses Titel sehr schwer getan. Ich hätte hier von 5 bis 8 alles geben können. Ich hatte tlw. echt viel Spaß, auf der anderen Seite sehe ich durchaus redaktionelle Schwächen, weil gute Ideen tlw. durch zu viel Zufall verpuffen. Ich habe es mit diversen Menschen gespielt und am Ende war es so, dass einige es nie wieder spielen wollten und nur genervt von dem Spiel waren. Andere fanden es charmant und witzig, wollten aber keine zweite Partie (der Großteil) und nur eine Person hatte richtig Spaß. Ich habe mich da mal ausgeklammert. Insgesamt also ein schwieriges Erlebnis mit einem besonderen Spiel.

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