Lesezeit: 8 Minuten
Das Kennerspiel des Jahres 2024 E-Mission ist bisher an mir vorbeigezogen. Warum eigentlich? Die Ankündigung unserer BBS Gestaltung und Technik in Trier, eine Projektwoche zur Nachhaltigkeit und Demokratiebildung durchzuführen, war der perfekte Anlass, dies nachzuholen. Also rasch den Projektantrag geschrieben: 3 Exemplare E-Mission bestellen, damit das Projekt für 12 Schüler angeboten werden kann. Die Idee: Die Schüler spielen an drei Tagen E-Mission, lernen eigenständig die Regeln, arbeiten Aspekte des Umweltschutzes heraus und schauen, wie das Spiel das alles mit der Mechanik umsetzt. Anschließend schreiben die Schüler den Kurzcheck zu E-Mission, Teile des Fazits und erstellen die Pro’s und Contra’s. Soweit die Theorie, aber schauen wir mal in die Praxis, was E-Mission als schulisches Projekt und als Spiel taugt.

Kurzcheck: Darum geht es in E-Mission

In E-Mission übernehmt ihr asymmetrische Weltregionen wie Europa, China, USA oder den globalen Süden. Euer Ziel: den globalen Temperaturanstieg unter 2 °C zu halten und einen klimaneutralen Planeten ins Laufen zu bekommen. Über 6 Runden trefft ihr für euer Land Projektentscheidungen, um ein Gleichgewicht zwischen Emissionsabbau und Energie- und Krisenhaushalt herzustellen und nachhaltige Projekte ins Laufen zu bekommen, bevor die Temperatur auf der Erde steigt und zunehmende Naturkatastrophen und klimabedingte Krisen den Planeten kippen. Das Spiel ist dabei kooperativ: Alle gewinnen oder verlieren gemeinsam. Entscheidungen zu eigenen Projekten, Investitionen, Technologien und Politik beeinflussen den Spielverlauf und werden mittels Handkarten ausgespielt. Notstände, zufällige Ereignisse in Form von Krisen und Naturkatastrophen stellen euch vor Herausforderungen, und der Schwierigkeitsgrad steigt.

Projektpräsentation

 

Die Unruhe vor dem Sturm

Ich bin ein bisschen skeptisch, ob ich meiner Projektgruppe morgen nicht zu viel zumute. Es ist Sonntag und ich habe gerade meine Erstpartie E-Mission mit meiner Frau gespielt. Frustriert und motzig sitzt Kati mir gegenüber. „Wir haben den Planeten gekillt!“, ist ihr treffendes wie vernichtendes Urteil. Anders als bei Cthulhu: Death May Die fühlt sich hier Verlieren mieser an. Ich habe ein Kloß im Hals und gehe das Spiel in Gedanken noch mal durch. Die Projektkarten auf der Hand, mit denen wir das Spiel und die entsprechenden Aktionen steuern, sind entscheidend. Aber wofür setze ich diese ein? Ich bin gespannt, was meine Schüler morgen machen.

Wälder nehmen Emissionen auf, aber wehe die einzelnen Regionen kippen. Dann passieren schlimme Dinge.

Lasst uns die Erde retten

Zwölf mir unbekannte, im Rückblick sehr sympathische Schülerinnen und Schüler sitzen mir gegenüber. Da die Anleitung sehr gut zu lesen ist, machen sich alle ans Werk. Wir haben zwei 4er-Tische und einen 2er-Tisch. Die Anleitung schafft es, dass alle nach einer gewissen Zeit losspielen können. Über Beamer und Anleitung gehen wir die erste Runde gemeinsam und simultan an. Und schon läuft es. „Herr Schwind, wenn ich eine schmutzige Energie loswerde, kann ich das Plättchen dann einfach umdrehen und es wird eine saubere Energie?“ Brutale Realität und eine entscheidende Spielmechanik. Jede der vier unterschiedlichen Weltregionen hat unterschiedliche energetische und infrastrukturelle Voraussetzungen. Und einen Energiebedarf, der sich in jeder Runde erhöht. Natürlich möchte ich erneuerbare Energien einsetzen. Aber ich muss auch meinen Energiebedarf decken, sonst bricht der Notstand in der Bevölkerung aus. Wo ist der Spagat zwischen Abbau der fossilen Energie und dem bedarfsgerechten Einsatz erneuerbarer Energien? Am Tisch werden die Köpfe zusammengesteckt und es wird wild diskutiert.

Aktive und motivierte Schüler des beruflichen Gymnasium.

Tag 1

„Man braucht eine Runde, um reinzukommen“, ist das Fazit von Tag eins. Wir diskutieren über Projektkarten, die Anforderungen der eigenen Nation und das Zusammenspiel für globale Projekte. „Die globalen Projekte und die gemeinsame Bekämpfung von Krisen sind echt wichtig, aber dann fehlen mir doch immer die Karten für meine eigenen Projekte!“, sagt eine Schülerin. Sie hat recht. Die fünf Projektkarten, die ich zu Beginn der Runde auf die Hand bekomme, reichen hinten und vorne nicht aus. Die Schüler schauen auf ihr Tableau und diskutieren. Soll ich eine Karte unter ein bestehendes Projekt schieben? Damit mache ich entsprechend der Symbole diese Projekte mächtiger. Oder lege ich die Karte auf ein Projekt und ändere es? Manchmal muss ich eine Karte abwerfen, um das Projekt zu aktivieren.

Diese Projektphase ist ein lebhaftes Gemurmel und die meiste Zeit fließen die Karten in eigene Projekte im Land. „Ey Herr Schwind, das ist voll schwer, gemeinsam Projekte ins Laufen zu bekommen.“ Ich denke an die Realität, an meine Erstpartie und gebe den Schülern recht.

 

Die Wüste lebt

Ich klinke mich in die 2er-Gruppe ein. Wir spielen sehr gut zusammen. Ich repräsentiere den Globalen Süden. Mein Problem: eine furchtbar schmutzige Infrastruktur und ein brutaler Energiebedarf, den ich am Anfang kaum gedeckt bekomme. Ein Teufelskreis. Baue ich hier schmutzige Energien ab, dann wird meine Bilanz noch vernichtender. Der Notstand breitet sich aus. Ein Glück, dass mir Europa unter die Arme greifen kann. Aber welches Interesse hat Europa daran? Nun, wenn der globale Süden weiter so viel Emission produziert, dann rennt die Temperatur weiter. Und mit jedem steigenden 0,1 Grad Celsius werden die Auswirkungen immer schlimmer. Die Wälder brennen, die Meere kippen um, die Fische sterben, die Wüste expandiert und die arktische Eisschmelze rennt weiter. Die Wüste lebt hat Peter Schilling schon 1982 erkannt. Der Planet kippt. Ein reales und beklemmendes Szenario.

Wenn die Temperatur steigt, dann werden mehr globale Folgen ausgewürfelt und es kommen mehr Krisenkarten ins Spiel. Die Spirale dreht sich.

Bekommen wir das Ruder rum?

In Runde vier des Spiels schaue ich meine Mitstreiter an. Wir haben zwei super Runden gespielt. Aber die Krisen machen uns mächtig zu schaffen Sie killen Wälder und lassen die Meere umkippen. „Ich glaube, in der nächsten Runde können wir es schaffen.“, sagt eine Schülerin. Und sie behält recht. Wir forsten die Wälder auf, die Emissionen binden, und kümmern uns um die Meere. Die Projektkarten und die Engine, die jede Nation aufbaut, reduzieren die Belastungen deutlich. Und tatsächlich, am Ende dieser Runde haben wir erstmals eine positive Bilanz. Die Erde kann mehr Emissionen aufnehmen, als wir produzieren.

Projekte sind gut. Über die Symbole werden Projekte verstärkt.

Unterschiedliche Stimmungslage

Am anderen Tisch sieht es nicht so rosig aus. China bekommt sich nicht in den Griff und die Belastung durch Energie, Infrastruktur und Industrie lassen die globale Temperatur ansteigen. „Ich könnte hier Atomkraftwerke der 4. Generation spielen,“ sagt ein Schüler, und das Entsetzen am Tisch ist sichtbar. „Ich dachte, das Spiel geht um Energien der Zukunft? Wie kann es sein, dass ich Atomkraftwerke bauen kann?“ ist die berechtigte Frage am Tisch. „Scannt mal den QR-Code!“ lautet mein Vorschlag. Die QR-Codes auf jeder Karte liefern wichtige Erklärungen und Hintergründe zu den Projektkarten und erweitern das Wissen abseits der medial gestreamten Informationen. Ein unfassbares Plus von E-Mission, zudem die Projekte vielfältig und mehrperspektivisch sind. So gibt es ein breites Portfolio über effiziente Müllverwertung, vertikale Landwirtschaft, umfassende Krisenhilfe, Aufhellung von Wolken bis hin zur besseren Lebensmittelverwertung sowie Bürgerversammlungen.

Bei nur fünf Projektkarten tut einfach jede Karte weniger verdammt weh.

Minus Schmidt

So gut das Material Orginal bei Daybreak ist, so beschämend ist die deutsche Version. Die Karten und die Doublelayer Boards sind gut, allerdings gibt es keine wertigen Holzressorcen, sondern Pappe. Kurios, denn der OVP bei Schmidt liegt bei 79,99€. Aldi, Thalia& Co. bieten das Spiel für 34.99€ an. Diese Diskrepanz ist mir deutlich zu groß und ich hätte mir gewünscht, dass das Spiel von Schmidt bei dem mächtigen Preis auch entsprechend des Originals produziert ist. Oder man die günstige Variante streut, um einfach mehr mit diesem Spiel zu erreichen. Selbst der Karton ist eine Frechheit und zwei meiner drei Examplare sind bei normalem und vorsichtigem Schülerumgang gerissen. Das Pappinlay würde ich am liebsten Verbrennen, wenn ich damit nicht Emissionen erzeugen würde.

So gut das Material im Original bei Daybreak ist, so beschämend ist die deutsche Version. Die Karten und die Doublelayer-Boards sind gut, allerdings gibt es keine wertigen Holzressourcen, sondern Pappe. Kurios, denn der OVP bei Schmidt liegt bei 79,99 €. Aldi, Thalia & Co. bieten das Spiel für 34,99 € an. Diese Diskrepanz ist mir deutlich zu groß, und ich hätte mir gewünscht, dass das Spiel von Schmidt bei dem mächtigen Preis auch entsprechend dem Original produziert ist. Oder man die günstige Variante streut, um einfach mehr mit diesem Spiel zu erreichen. Selbst der Karton ist eine Frechheit und zwei meiner drei Exemplare sind bei normalem und vorsichtigem Schülerumgang gerissen. Das Pappinlay würde ich am liebsten verbrennen, wenn ich damit nicht Emissionen erzeugen würde.

Globale Projekte müssen immer aktiv sein. Um sie zu aktivieren gibt es Bedingungen, die gemeinsam erfüllt werden können.

Fazit der Schüler

E-Mission nutzt strategische Entscheidungen mit realen Klimafakten und erfordert langfristige Planung und Zusammenarbeit. Es simuliert globale Herausforderungen und macht die komplexen Zusammenhänge des Klimawandels spielerisch erfahrbar. Dabei ist E-Mission ein cooles Spiel rund ums Thema Klimaschutz – lehrreich, kooperativ und ideal für Gruppen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen wollen. Der Einstieg ist zwar etwas holprig, weil das Spiel mit seinen Möglichkeiten anfangs kompliziert wirkt, aber wenn man einmal drin ist, macht’s echt Spaß. Wer ein ernstes Thema spielerisch angehen will, ist hier genau richtig. E-Mission ist ein sinnvolles und kooperatives Brettspiel mit starkem Bildungswert. Es ist besonders in Gruppen motivierend und zeigt, wie wichtig Zusammenarbeit beim Klimaschutz ist. Kleine Schwächen bei Material und immer gleiche Ausgangsszenarien trüben den Gesamteindruck etwas, aber das Spiel bleibt empfehlenswert – vor allem für Familien, Schulen oder Einsteiger ins Thema.

Ein Zugang zu Texten und Textverständnis. Anleitungen lesen, verstehen und umsetzen.

Fazit

E-Mission ist ein unglaubliches Brettspiel mit Gänsehautfaktor. Es verknüpft Umweltschutz, globale Projekte, Krisenmanagement und den Abbau von Emissionen zu einem unfassbar guten und motivierenden, gleichzeitig auch beklemmenden Spiel. In meinen Partien hatte ich oft das Gefühl, dass ich viel für den Planeten tue, es aber trotzdem nicht schaffe, das Kippen unserer Erde zu verhindern. Selbst wenn es meiner Nation sehr gut gelingt, komme ich nicht weiter, wenn andere Länder nicht mitziehen oder meine gute Bilanz wieder zunichtemachen.

Matt Leacock hat anders als zum Beispiel bei seinem Hit Pandemic Legacy bei E-Mission den „Alpha-Spieler“ geschickt eleminiert, denn ich muss mich in erster Linie um mein eigenes Land kümmern und kann dann – wenn möglich – gemeinsam mit anderen an globalen Projekten arbeiten. So kann nicht einer für andere bestimmen, denn jeder hat seine eigenen Probleme und Projekte. E-Mission überzeugt durch eine starke Verzahnung der Mechanismen, wenig Downtime und eine großartige Interaktion. Alles fühlt sich echt an. Leider ist es das auch. Die Anleitung ermöglicht einen schnellen Einstieg auf Kennerspiel-Niveau. Die aufgedruckten QR-Codes auf jeder Projektkarte geben wichtige Informationen und Erklärungen zu den jeweiligen Themen – das ist Benchmark.

E-Mission eignet sich hervorragend für Schüler, Klassen, Projekte und den Unterricht und liefert auf vielfältigen Ebenen Argumente dafür, warum Brettspiele ein Unterrichtsfach sein sollten. Doch nicht nur aus schulischer Sicht ist E-Mission zu Recht Kennerspiel des Jahres 2024. Es macht einfach unfassbar viel Spaß, ist herausfordernd, thematisch stark und in allen Spielerzahlen gut ausbalanciert und spielbar. Lediglich die Qualität und Ausführung der deutschen Version von Schmidt Spiele ist ein dickes, fettes Minus – und absolut nicht nachvollziehbar.

P.S.

Danke an die Schüler des BGY für ihre freundliche, offene Art, die schöne gemeinsame Zeit im Projekt und für das gemeinsame Verfassen des Kurzchecks, des Schülerfazit und der Pro- & Kontraliste.

E-Mission Der Mehrwert des Spiels
Spielinformationen
Genre: Kooperatives Strategiespiel | Personen: 1 - 4 | Alter: ab 10 Jahren | Dauer: ca. 120 Minuten | Autor: Matt Leacock, Matteo Menapace | Illustration: Mads Berg |
SPIELSPASS
9
MATERIAL
5.5
SPIELIDEE
9
Positive Aspekte
Thema mit Relevanz: Klimaschutz ist brandaktuell und hier sinnvoll ins Spiel integriert.
QR-Codes bieten Zusatzinfos zu echten Klimaschutzmaßnahmen
Wichtiges und aktuelles Thema: Klimaschutz und Zusammenarbeit
Kooperatives Gameplay: Alle arbeiten zusammen ,kein Konkurrenzdruck, aber viel Abstimmung
Gute Mischung aus Strategie und Teamarbeit
Für Anfänger und Fortgeschrittene geeignet
Auch alleine spielbar (Solo-Modus)
Lernfaktor hoch: Man versteht nach dem Spiel definitiv besser, wie globale Klimapolitik funktioniert.
Spannung & Dynamik: Krisenkarten und Zufallsfaktoren halten das Spiel abwechslungsreich.
Asymmetrische Rollen: Jede Weltregion hat eigene Stärken, Schwächen und Voraussetzungen.
Negative Aspekte
Manche Energiethemen (z. B. Atomkraft) werden vereinfacht oder positiv dargestellt
Nach mehreren Spielen wirkt es etwas wiederholend
sehr komplex und viele Information
Viel Zufall durch Würfel und Kartenziehen
Schwierig zu gewinnen, kann frustrierend sein
Relativ komplexer Einstieg: Die Regeln sind nicht schwer, aber es braucht eine gewisse Einarbeitung.
Manchmal etwas trocken: Der Spielstil ist eher sachlich und ruhig – nichts für Action-Fans
Design ist funktional, nicht flashy: Wer visuell verspielte Elemente sucht, wird hier nicht fündig
Längere Spielzeit: Mit vier Personen können die Runden durchaus 90–120 Minuten dauern
8.5
Redakteur bei  |  + Letzte Artikel

Brettspieler | Carromspieler | Viel-Spieler | Ran NFL süchtig | Weinliebhaber | Leseratte | | Brettspielsammler | MTB Fahrer | Sportler | Hobby-Koch | Kooperativ-muss häufiger-sein | Terraformer | Musikgenuss | Spotifyer | Familie | Fußballer |

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Ich hab mehrere Meinungen zu dem Spiel gehört, die konstatierten, dass das Spiel nicht gewonnen werden könne – und genau das auch gewollt sei!
    Wie war die Bilanz bei Euch? Wieviel Partien wurden gespielt, wieviele davon gewonnen?

    „Das Pappinlay würde ich am liebsten verbrennen, wenn ich damit nicht Emissionen erzeugen würde.“

    ts, ts, ts… das ist doch kein schnödes „Verbrennen“ mehr, das nennt sich jetzt „thermische Verwertung“, damit sind Emissionen gerechtfertigt 😉
    (in den heute „Müllheizkraftwerken“ genannten Müllverbrennungsanlagen wird inzwischen aufgrund der rigorosen Mülltrennung Papier aus der blauen Tonne und Plaste aus dem gelben Sack zugegeben, damit das Feuer überhaupt brennt – und nicht ungewollt ausgeht)

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Ich akzeptiere die Datenschutzhinweise: