Kurzcheck: Darum geht es in Sail
Erst einmal kommt Sail in einer herrlich kleinen, aber wunderschönen Schachtel dahergesegelt. Was für ein tolles Artdesign! Das zieht sich zum Glück von der Schachtel bis zum letzten Meeple. Klein und nur für zwei, aber in Sachen Gestaltung und Material ein ganz großes Spiel. Bringt nur alles nichts, wenn es spielerisch ein Kanonenkrepierer wäre. Zum Glück herrscht hier keine Flaute und Sail zeigt schon auf den ersten Metern seine aus Spielreiz genähten Segel. Ziel ist die Ankunft im Hafen, bevor einem die Krake das Schiff zerstört. So navigiert man über Stiche und deren innewohnenden Kartensymbolen mit schwitzenden Händen ein Schiff-Meeple über ein kleines Spielbrett. Absprachen, also Kommunikation hat übrigens Hausverbot! Ihr müsst euch blind verstehen. Sechs verschiedene Szenarien ziehen langsam die Daumenschrauben an. Wobei dir die Daumen auch schon im ersten Szenario zu Fischfutter verarbeitet werden können.
Einfaches Grundgerüst
Es scheint erst einmal recht einfach. Drei Farben mit Zahlen von 1 bis 9. Jede Zahl besitzt zudem ein entsprechendes Aktionssysmbol wie Steuerrad, Kanone, Krake, Meerjungfrau oder eine Mischung aus zwei Symbolen. Spiele ich eine Karte, muss die Farbe bedient werden. Die höhere Zahl bestimmt, wer den Stich gewinnt. Das ist deswegen wichtig, weil nach vier gewonnen Stichen einer Person die komplette Runde beendet ist. Das will man tunlichst vermeiden, weil so weniger als die Hälfte der Handkarten gespielt und entsprechend Aktionsmöglichkeiten verschenkt versenkt werden. Man hat zudem für die ganze Reise nur 5 Runden Zeit. Richtig haarig!
Die Aktionssymbole der ausgespielten Karten bestimmen wiederum die auszuführende Aktion. Zwei Steuerräder? Das Schiff fährt beispielsweise ein Feld Richtung Zielhafen. Es gibt aber auch Symbol-Kombinationen, die dem Schiff Schaden zufügen. Nämlich immer dann, wenn im Stich ein Krakensymbol auftaucht. Ähnliches geschieht, wenn man auf Krakenfelder navigiert und immer am Rundenende. Schaden bedeutet, es werden weitere Karten mit Krakensymbol für die nächste Runde ins Deck gemischt. Ist zudem das Krakendeck leer, ist man gesunken. Glaubt mir, es wirkt so einfach, aber man beißt ins Treibholz!
Sail Over!
Und genau das Krakendeck ist das Salz in der Kartensuppe und war der absolute Augenöffner. In den ersten Runden spielten wir uns gegenseitig gekonnt die Steuerräder zu. Mal gewann ich, mal meine Frau und zusammen erzielten wir ordentlich Stiche. Blaue Flecken auf den Schultern, so sehr klopften wir sie uns gegenseitig. So fuhren wir über die Symbole ziemlich schnell auf den Zielhafen zu. Das Problem: Jede Runde kamen drei abartige Krakensymbol-Karten in unser Deck – das ist die Mindestmenge am Ende einer Runde. In kurzer Zeit entstand eine harte Abwärtsspirale! Die ausgeteilte Anzahl an Karten bleibt nämlich gleich und so kann es sein, dass viel zu viele gute Karten im Stapel der nicht benutzen Karten schlummern und man selbst mit Krakensymbolen zugeballert ist. Hölle! Die Krake nahm uns kurz vorm Ziel hart auseinander. Ich bekam eine Glatze, wir nahmen Schaden ohne Ende und das Krakendeck war leer. Sail Over!
Die Lösung? Kanonen! Spielt eine Person solch eine, wird die andere Karte des Stichs, so fern sie ein Krakensymbol hat, wieder zurück ins Krakendeck gepackt. Während der Partie muss man also dafür sorgen, nicht nur nach vorne zu preschen, sondern über spielerische Mittel gemeinsam sein Deck sauber halten. Und das ist gar nicht so einfach!
Nimm du, ich hab ihn!
Ich bekomme meine Karten auf die Hand und schon geht der Spielspaß los. Ich muss jetzt am Anfang der Runde meiner Frau nämlich eine Karte geben und sie mir. Gleichzeitig. Was gibt sie mir? Was ich ihr? Wie ist ihr Blatt? Ich kann aus meiner Hand nicht alles ableiten, weil eben nicht alle Karten verteilt werden. Über die Partien entwickelt man so bestenfalls eine gemeinsame, aber eine stumme Sprache. Jede getauschte Karte hat eben Informationswert. Und dann geht sie los die Stich-Jonglage.
Es ist nicht nur wichtig, dass man abwechselnd Stiche bekommt, um mehr Runden zu überleben, sondern man muss auch das Spielbrett im Auge behalten. Es gibt meist eine optimale Route zwischen Krakenfeldern und unpassierbaren Inselfeldern. Die ist aber nicht so leicht zu befahren. Das Schiff bewegt sich im Normalfall nämlich nie gerade, sondern immer schräg. Man fährt einen Zickzackkurs. Beim Segeln nennt man das Kreuzen. Gewinne ich den Stich mit Steuerrädern, fährt das Schiff schräg zu mir, gewinnt meine Frau, bewegt es sich entsprechend noch vorne, aber in ihre Richtung. Und jetzt bitte alle Informationen unter eine Planke zimmern: Stiche müssen je nach Spielsituation auf dem Brett von einer bestimmte Person gewonnen werden, nebenbei wollt ihr die Stiche aber gleichmäßig aufteilen, kennt nicht alle Handkarten und müsst über Stiche euer Deck von schlechten Karten immer wieder befreien. Hochmotivierend und spannend!
Im Ausguck
Klingt alles super? Tja, wir sind hier bei keiner Werbeveranstaltung und darum berichte ich von meinem Blogger-Ausguck auch von den dunklen Wolken am Horizont. Sail ist wirklich cool, aber die Szenarien hätten echt mehr Abwechslung vertragen können. Ja, die Reise wird schwieriger und es motiviert durchaus schwere Szenarien anzugehen, nur leider variiert nur der Aufbau des Spielbretts. Heißt: Der Weg zum Hafen wird länger, es gibt mehr Krakenfelder und Inseln und man muss in kürzerer Zeit weiter fahren pro Runde. Am Spiel selbst verändert sich allerdings rein gar nichts. Keine neuen Karten, keine weiteren fiesen Ereignisse auf dem Meer und somit keine Anpassung an die einmal gelernte stumme Stichsprache zwischen den Spielpartner:innen. Schade, denn an der Stelle wäre wesentlich mehr drin gewesen und Die Crew hat hier meilenweit die Nase vorn. Vielleicht würde die Mini-Erweiterung Sail: Seafarers dieses Problem lösen?
Fazit
Nichtsdestotrotz ist Sail ein gelungenes Stichspiel für zwei Personen, die schweißtreibend zusammenarbeiten wollen. Kleinste Schachtel, aber gefüllt mit ordentlich Spielreiz! Der Spaß beginnt schon vor dem ersten Stich, wenn man sich strategisch eine Karte weitergibt und gipfelt dann im oft famosen Finale einer jeden Runde. Die Karten werden knapper, die beste Route oft gegenläufig zum aktuellen Stand der gesammelten Stiche und was verdammt, hat der andere noch auf der Hand? Durch das Kommunikationsverbot versucht man durch das Lesen der Karten und den Aktionen des Gegenübers eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. In sich betrachtet besitzt so jede Partie grandiose Stichstimmung, flankiert von wunderschönem Material und einer herausfordernden Mechanik. Einzig der Wiederspielwert im Basisspiel wird durch zu wenig Abwechslung in den Szenarien etwas abgewürgt, weil hier die Maxime nur eine höhere Schwierigkeit ist und weniger die spielerische Abwechslung. Da Sail aber ein kleines Spiel für zwischendurch ist, kann ich das verschmerzen. Wer Stichspiele liebt, sollte also einen Blick wagen!
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo, klingt interessant. Unser Coop-Favorit ist Encounter Alien. Schwierigkeit zum “ in den Spieltisch beißen“. Und sehr abwechslungsreich.
Gruesse
Sabine & Ralf
Hallo Sabine & Ralf,
vielen Dank für den Tipp! Dafür lieb ich euch. Ich mein, man hat ja schon immer viel auf dem Radar, aber es gibt so viele Spiele darunter. Vielleicht sollten wir mal nen Artikel machen, wo ihr alle als Leser & Leserinnen vorher die Brettspiele vorschlagt, die wir nach eurer Meinung unbedingt spielen müssen (ob neu oder alt). Vielleicht starte ich dazu bald mal nen Aufruf.
Herzliche Grüße Christian