Auf der SPIEL ‘22 in Essen bin ich schon um das opulente Lacrimosa herumgeschlichen. Es war in meiner Highlight-Liste vorne dabei. Auf Englisch habe ich es dann doch auf dem Stand zurückgelassen. Umso glücklicher war ich dann, als vier Wochen vor der diesjährigen Spiel KOSMOS ein Rezensionsexemplar ins Haus lieferte. Die Diskussionen rund um Lacrimosa waren in meiner Spielgruppe deutlich heißer als bei anderen Spielen. Zu recht. Ein Spiel mal nicht über Weltraum, Ägypten, Rom, sondern über Wolfgang Amadeus Mozart. Ein klassisches Setting. Nur was habe ich mit Klassik und Mozart zu tun? Leider sehr wenig. Ich habe ein paar Opern gesehen, höre einmal im Jahr die Moldau und habe auch sonst wenig Zugang zur Klassik, aber etwas mehr als meine Brettspielbuddies. Kommen wir nun also zum Kurzcheck und beginnen dann mit der Ouvertüre.
Kurzcheck: Darum geht es in Lacrimosa
Mozart ist dahin gesiecht, die Spekulationen um seinen Tod vielfältig. Ein Giftmord? Vor seinem Tod nahm er noch das Requiem als Auftragsarbeit an. Ahnte Mozart sein Ende? Spürte er den Hauch des Todes? Wir werden es nie erfahrenen. Das von ihm zu zwei Dritteln fertiggestellte Requiem ist jedoch dadurch ein mystisches, vielbeachtetes Meisterwerk. Die eigene Totenmesse. Seine Witwe Constanze bittet uns als Mäzen die Fertigstellung des Requiem zu unterstützen. Bemerkenswerte Komponisten seiner Zeit, meist Schüler Mozarts, können dafür einzelne Bereiche des Werks komponieren. Neben dieser Aufgabe sollt ihr zudem Opern des Wunderknabens aufführen oder verkaufen und seine vielfältigen Reisen nachvollziehen. Kurz: Es geht in Lacrimosa nicht mehr als um das Lebenswerk von Wolfgang Amadé Mozart. Und das über fünf Epochen.
Ouvertüre
Die Begeisterung für Lacrimosa war bei den Jungs ähnlich, wie wenn ich Hannah und Lissy fürs Theater begeistern will. Wenig bis null. Ich musste das Spiel anbiedern wie sauren Wein. Ein Kniff half mir doch sehr, nämlich Uwe und Michael die Schachtel in die Hand zu drücken. Schiere Begeisterung beim Auspacken des Materials. Die Requisite in diesem Stück ist über jeden Zweifel erhaben. Ein fein illustriertes, übersichtliches Spielbrett mit aufeinander angestimmten Bereichen und Farben. Playerboards, die Einschübe für die zu spielenden Karten haben. Ein Einschub oben, ein Einschub unten. Alles, was im Spiel passiert, ist auf den Playerboards abgedruckt. Die letzten Klänge der Ouvertüre verklingen und der Vorhang öffnet sich.
Akt 1 – Kartenspiele
Über eure festen neun Handkarten wählt ihr eure Aktionen. Vier Slots stehen hier pro Epoche zur Verfügung. In jeden dieser Slots werden zwei Karten gespielt. Eine oben, eine unten. Spielt ihr eine Karte in den oberen Bereich, legt ihr eure Aktion fest. Die Aktion ist nämlich auf der zweigeteilten Karte oben aufgedruckt, unten ist das Einkommen zu Beginn der nächsten Epoche abgebildet. Ihr schiebt die Karte in das Playerboard, der untere Teil verschwindet und nur die Aktion ist abgebildet. Ein sehr geiler und haptischer Mechanismus. Und eine wichtige Entscheidung. Nutze ich meine Handkarten für die Aktion oben oder für das Einkommen unten? Der Mechanismus begeistert. Welche Aktion möchte ich spielen? Welches Einkommen möchte ich lieber in der nächsten Epoche haben? Planung und Geschick ist gefordert, Handkarten im Deck können selbstverständlich über die Marktaktion ausgetauscht und mächtiger gemacht werden. Aber auch die Reihenfolge der Karten ist entscheidend, denn ich habe zu Beginn nur vier Karten auf der Hand und ziehe die anderen meines Decks nach und nach.
Akt 2 – ein Drama
Wie entscheidend die Reihenfolge ist, verdeutlich das folgende Beispiel. Uwe legte seine Strategie zu Beginn der Partie auf die unzähligen Reisen Mozarts aus. Zu Beginn jeder Epoche liegen vielfältige Boni und End-of-Game Wertungen auf Mozarts Reiserouten aus. Uwes Pech. Die Handkarten, die ihm das Reisen ermöglichen, kamen immer zum Ende der Epoche. Leider reiste auch Marco gelegentlich und schnappte so Uwe wichtige Bonusplättchen vor der Nase weg. Zudem reiste er in die falsche Richtung. Da nur eine Mozart-Figur für alle bewegt wird, ist die Richtung schwer beliebig. Planung? Fehlanzeige. Oder eben mit viel Geld korrigieren.
Akt 3 – ein austauschbares Ensemble
Mozart schuf unzählige Werke. Kirchenmusik, Kammermusik, Opern und Gesänge. Wenn ihr euch als Aktion Opern von Mozart in eure Auslage packt, könnt ihr diese aufführen oder verkaufen. Eine Strategie, die euch optimal Geld, Siegpunkte und Einkommen sichert. Obwohl alles in dem Spiel in historischem Kontext liebevoll recheriert und fachlich einwandfrei ist, springt hier der thematische Funke null Komma null über. Jeder Oper im Spiel hat das gleiche Symbol, was natürlich in der Mechanik hilft. Jede Oper oder Musikstück hat natürlich einen Namen. Aber auch wenn dieser historisch korrekt ist, bleibt hier einiges liegen. Es ist völlig belanglos, ob ihr Eine kleine Nachtmusik kauft oder Die Zauberflöte. Kein Flavour, keine Bilder, nichts. Da sind die Stockfotos von TFM packender. Und das ist auch die Krux an dem Spiel. Der Zugang zu dem Thema Klassik und Mozart ist schon schwierig. Durch diese Belanglosigkeit ist er aber beliebig, was einem spätestens ab der dritten Partie sehr deutlich wird. Ich kaufe keine Oper, sondern eine beliebige Karte mit Parametern.
Akt 4 – packender Einstieg
Unser erstes Spiel war zu dritt fesselnd. Wer schreibt an welchem Teil des Requiems? Wer reist und wer spezialisiert sich auf die Werke von Mozart? Das Requiem bietet einen unfassbar guten Mehrheiten-Mechanismus. Zwei von vier historischen Komponisten stehen zur Auswahl, und nur wer die Mehrheit hat, bekommt die fetteren Siegpunkte. Wer unterstützt jetzt wen? Uwe hat mir in der ersten Partie geschickt zwei Mehrheiten bei Eybler zerschossen und Süssmayr gepusht. Dazu hat er sich in Salzburg eine fette und passende Entwertung zu seinen Partituren geschnappt. Die erste Partie machte Lust auf mehr und lies die anfängliche Skepsis schnell verfliegen.
Akt 5 – über das Tempo
„Das Notwendigste und das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo.“ Im Schlussakt betritt ein weiterer Protagonist die Szene. Alles, was vorher fluffig und leicht war, wird jetzt träge und zäh. Kurios, obwohl nur zwei Karten gespielt werden, obwohl es nur wenige Rohstoffe und wenig Engine gibt, ruiniert der vierte Spieler das geile Gefühl des erstens Spiels. Die Downtime wird zu groß. Jetzt bringen dich die Veränderungen auf dem Brett zu Beginn deines Zuges zum Grübeln, ohne dass vorher Interaktion war. Bei drei Spielern war das deutlich anderes. Lacrimosa kommt mit vier Spielern nicht mehr auf den Tisch. Das starke Gefühl der prickelnden Erst-Partie stellte sich auch nicht mehr ein. Die Schwächen, die man in den unterschiedlichen Strategien mit jeder weiteren Partie erkannte, wurden immer weiter aufgedeckt. So reichte mir eine simple Strategie mit Kaufen, Aufführen und Verkaufen von Opern in Kombination mit der Arbeit am Requiem zu simpel und ohne Gegenwehr zum Sieg. Das Reisen, das Aufrüsten der eigenen Handkarten kann fast völlig vernachlässigt werden. Uwe rieb sich hingegen hier auf, ohne eine Chance auf den Sieg zu haben. Traurig, denn er konnte nicht mal was dafür.
Fazit
Lacrimosa ist ein ordentliches Spiel mit einem tollen historischen und definitiv unverbrauchtem Thema. Das Spiel setzt viele Aspekte des Lebens von Mozart, sein künstlerisches Schaffen, seine Reisen und das letzte große Werk liebevoll um. Und verschenkt doch so viel, indem es diese Meisterwerke einfach als Sachinformationen auf die Karten druckt. Hier sieht man eben, dass es etwas mehr bedarf, um Spiele thematisch tiefer zu entwickeln. Gleiches bei der sehr guten Kartenmechanik und den Aktionen. Die sind eigentlich super, offenbaren aber mit jeder Partie mal mehr oder weniger ihre offensichtlichen Schwächen. Besonders bei vier Personen heißt diese Schwäche Downtime und mangelnde Interaktion. Daher ist es mit drei Personen wesentlich besser. Mit zunehmender Erfahrung haben wir auch etwas Spieltiefe vermisst. Darwins Journey fühlt sich hier runder an. In Sachen Material und Gestaltung zeigt Lacrimosa jedoch seine absolute Meisterklasse. Auch wenn es langfristig und strategisch nicht die Tiefe hält, macht Lacrimosa definitiv Spaß. Was mache ich nun mit diesem Spiel? Ich glaube, es wird meine Moldau. Einmal in einem Jahr wird es mit drei Spielern rausgeholt.
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